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Vierundzwanzigstes Kapitel.

Die Schwestern blieben nun, unter Beobachtung der äußersten Vorsicht, in schriftlichem Verkehr, wie es Effie in ihrem Schreiben gesagt hatte. Lady Staunton klagte jedesmal, daß ihr Gemahl mehr und mehr in Hypochondrie verfalle, und daß sie vor allem sich über ihre Kinderlosigkeit nicht hinwegsetzen könne. Ihr Mann könne sich mit seinem nächsten Leibeserben gar nicht gut stehen, da er denselben im Verdacht habe, unter der übrigen Verwandtschaft gegen ihn zu agitieren, und hätte sich wiederholt verschworen, lieber ganz Willingham einer wohltätigen Stiftung zu vermachen, als ihm einen Stein davon zukommen zu lassen. »Hätte mein Mann Kinder,« schrieb sie, »oder wäre nur jenes arme Wesen am Leben geblieben, um dessentwillen ich soviel und schwer gelitten, dann hätte er doch etwas, was ihn ans Leben fesselte, was ihm das Dasein lieb und wert machte. Aber der Himmel versagt uns solchen Segen, und es muß wohl sein, daß es uns seiner nicht für wert befindet.«

Aus den hohen, weiten Hallen des Willinghamer Schlosses drangen die fruchtlosen Klagen hinüber in das stille, gemütvolle Pfarrhaus zu Knocktarlitie, und Jahre um Jahre flossen darüber hin. Von allen tief, am tiefsten aber von Reuben Butler und seiner Frau bedauert, starb anno 1743 John, Herzog von Argyle und Greenwich. Standen sie auch seinem Bruder und Erben, dem Herzog Archibald, nicht so nahe wie ihm, so trat doch in ihr Verhältnis keinerlei Aenderung, sondern der Schutz, den ihnen Sir John gewährt, blieb auch unter Sir Archibald bestehen. Er tat ihnen aber auch nötiger denn je, da nach dem unglücklich verlaufenen Putsche des Prätendenten Charles Stuart und seiner Niederlage bei Culloden in den beiden Jahren nach dem Tode Sir Johns Ruhe und Frieden in den an die Hochlande grenzenden Distrikten noch geraume Zeit gestört blieben. In den Felsenklüften von Perth, Stirling und Dumbarton rottete sich allerhand Gesindel zusammen, das die romantischen Bergtäler und das Unterland zum Schauplatze seiner Räubereien und Plünderungen machte.

Die Hauptgeißel von Knocktarlitie war der unter dem Namen Donacha Dhuna Dunaigh oder schwarzer Duncan bekannte Räuber, dessen bereits flüchtig in dieser Erzählung gedacht worden. Von Haus aus Kesselflicker, gab er während des in Schottland wütenden Bürgerkrieges sein wenig lohnendes Gewerbe auf und wurde Hauptmann einer Räuberbande. Er war ein kräftiger Mann, kühn und verschlagen und im Hochlande mit jedem Passe, jeder Kluft und Schlucht vertraut. Daß Duncan von Knockdunder seinem Namensvetter, sobald er es ernstlich gewollt hätte, das Handwerk hätte legen können, davon war jedermann überzeugt, gab es doch im Kirchspiel junger, kräftiger Burschen genug, die dem Herzog in den Krieg gefolgt waren und sich ausgezeichnet geschlagen hatten. Man meinte aber, es müsse Donacha irgendwie geglückt sein, sich der Gunst Knockdunders zu versichern, und besonders bestärkt wurde man in dieser Meinung durch den Umstand, daß David Deans' Viehherden von seiten des Räubers verschont blieben, wahrend dem Pfarrer alle Kühe weggetrieben wurden.

Bei einem neuerlichen Ueberfall entschloß sich Reuben, sein friedliches Amt zu verleugnen und an der Spitze einiger Nachbarn den Räubern ihre Beute wieder abzujagen. Natürlich ließ es sich der greise David Deans nicht nehmen, trotz seines hohen Alters seinen Schwiegersohn auf diesem Zuge zu begleiten, und auf seinem hochländischen Klepper, mit dem breiten Schwert an der Seite, glich er ganz David, dem Sohne Jesses, als er wider die Amalekiter zog. Donacha Dhuna Dunaigh wurde durch Reuben und David Deans, wenn auch nicht festgenommen, so doch dermaßen eingeschüchtert, daß er sich geraume Zeit nicht mehr ins Kirchspiel wagte, sondern seine Raubzüge nach entfernteren Distrikten verlegte. Aber vor seinem Namen herrschte noch Furcht und Schrecken bis über das Jahr 1751 hinaus; in diesem Jahre aber wurde, wenn ihn die Scheu vor dem zweiten David zurückgehalten hatte, dieser Zwang durch das Schicksal von ihm genommen, indem in diesem Jahre der ehrwürdige Patriarch zu seinen Vätern versammelt wurde. Reich an Jahren und Ehren, ging David Deans zum Himmel ein. Sein Geburtsjahr kannte niemand; da er sich aber mancher Vorgänge erinnerte, die mit der Zeit nach der Schlacht an der Brücke von Bothwell zusammenfallen, ist der Schluß erlaubt, daß er über neunzig Jahre alt geworden. Dankbar für den ihm durch die Vorsehung während seines Wandels durch dieses Tränen- und Sündental gespendeten Segen, entschlief er in den Armen seiner geliebten Tochter Jeanie, für deren ferneres Wohl er ergreifende Gebete zum Himmel sandte. Lange hörte man ihn dann noch murren über den Verfall der Zeiten und ähnliche Dinge; aber wie die greise May Hettly meinte, schien er nicht mehr recht bei sich und führte solche Reden nur, weil sie ihm zur Gewohnheit geworden waren; sein Ende war ganz das eines frommen Christen, der im Frieden mit seinem Gott, seinem Gewissen und seinen Brüdern selig im Herrn entschläft.

Für Jeanie war es, wenn auch kein unerwarteter, so doch ein recht schwerer Schlag, hatte sie doch seiner Pflege einen großen Teil ihrer Zeit gewidmet und war es ihr doch, als der Greis nicht mehr unter den Lebenden weilte, ganz zu mute, als sei ihre Aufgabe hienieden zu einem nicht unwesentlichen Teile erfüllt. Er hinterließ ein bares Vermögen von 1500 Pfund Sterling, das nicht wenig zur Erhöhung des Wohlstandes der kleinen Pfarrersfamilie beitrug; über die vorteilhafteste Art, dieses Vermögen anzulegen, stellte Reuben die verschiedensten Erwägungen an, fand aber nichts Besseres, als das kleine, knapp zwei Stunden vom Pfarrhause gelegene Gut Craigsture zu kaufen; nur sagte er, daß sein jetziger Eigentümer zweitausend Pfund dafür verlange und schwerlich darein willigen werde, tausend Pfund als Hypothek darauf stehen zu lassen. »Das Geld von anderer Seite zu leihen,« schloß er, »will mir nicht gefallen, denn jedem Gläubiger kann es einfallen, es plötzlich zurückzufordern, oder es könnte Dich, liebe Frau, wenn mich ein schneller Tod ereilen sollte, in ernstliche Verlegenheit setzen.«

»Wir könnten aber, wenn wir mehr Geld hätten,« fragte Jeanie, »das schöne Weideland, auf dem das Gras schon so früh ergrünt, kaufen?« »Freilich könnten wir das,« erwiderte Reuben, »und Hauptmann Knockdunder, dessen Neffe freilich Verkäufer ist, rät auch dazu; aber ...« »Nun, Reuben,« antwortete Jeanie, »wie Du einst nach einem Spruch in der Bibel schautest und das Geld, das Dir not tat, fandest, so schlage auch heute wieder jenen Spruch auf.« Er drückte ihr lächelnd die Hand und sagte: »Ach, Jeanie, Wunder können auch die besten Menschen in dieser Zeit nur einmal verrichten.«

»Nun, so laß uns doch 'mal sehen,« lautete Jeanies schlichte Antwort, worauf sie in das Kämmerlein trat, worin sie den Honig, das Eingemachte, den Zucker und die kleine Hausapotheke aufbewahrte. Dort zog sie hinter einem dreifachen Bollwerk von Töpfen, Krügen und Flaschen einen zerbrochenen irdenen Topf vor, der mit einem Stück Leder zugebunden war und allerhand beschriebenes Papier, achtlos übereinander geschoben, enthielt. Dazwischen lag die alte Bibel ihres Vaters, die er ihr in früheren Jahren, als ihn die zunehmende Augenschwäche zum Kauf einer mit größeren Typen gedruckten nötigte, geschenkt hatte. Die Bibel brachte sie ihrem Manne. Reuben sah sie betroffen an, da er sich nicht erklären konnte, in welchem Zusammenhange das heilige Buch mit der Geldfrage, die sie beschäftigte, stehen sollte. Jeanie aber sagte ihm, er möchte es doch aufschlagen, und als Reuben ihrer Aufforderung folgte, sah er mit Erstaunen, daß aus den Blättern, die er wandte, verschiedene Fünfzigpfund-Noten auf die Erde flatterten.

»Ich hatte mir vorgenommen, lieber Mann,« sagte Jeanie, lächelnd über das verdutzte Gesicht ihres Mannes, »Dich erst auf meinem Sterbelager oder in einem Falle der äußersten Not von der Existenz dieses kleinen Schatzes zu unterrichten; wozu soll er aber hier in solchem Scherben nutzlos modern, wenn er uns zum Erwerb solch nutzbringenden Grundbesitzes dienen kann?«

»Aber, Jeanie, wie kommst Du zu solchem Vermögen?« rief er, die Scheine zählend, »es sind wahrhaftig mehr als zweitausend Pfund!«»Und wären es zehntausend, Reuben,« antwortete Jeanie, »so laß Dir mit dem Bescheide genügen, daß es redliches Eigentum ist. Frage mich nicht, wie es in meinen Besitz gekommen ist, Reuben; das Geheimnis seiner Herkunft gehört nicht mir allein, sonst wüßtest Du schon lange darum.«»Aber darauf gib mir Antwort, Jeanie: Ist es wirklich Dein rechtliches und unbestrittenes Eigentum? Eigentum, über das Dir volles Verfügungsrecht zusteht, auf dessen Besitz niemand außer Dir ein Anspruch zusteht?«

»Es war mein Eigentum, gehört aber, nachdem ich meinem Rechte gemäß darüber verfügt habe, von jetzt ab Dir, Reuben; Du bist nun auch ein Bibel-Butler, wie Dein Großvater, den mein Vater, Gott hab ihn selig! nie im Leben hat leiden mögen. Bloß einen Wunsch möchte ich äußern, daß nämlich, nach unserm Heimgange, unsre Femie mehr davon bekäme als die beiden Jungen.«»So soll es auch gehalten werden, liebe Frau,« versetzte Reuben; »aber nun sage mir bloß, wie kommst Du darauf, Deinen Schatz gerade in der Bibel zu verstecken?«»Hm, das mag einer von meinen, wie Du sie immer nennst, altmodischen Angewohnheiten sein,« antwortete Jeanie; »aber so ganz unrecht mag ich doch wohl nicht gehabt haben, wenn ich der Meinung war, Donacha Dhu hätte, wenn er 'mal bei uns eingebrochen wäre, wohl zu allerletzt in der Heiligen Schrift nach Geld gesucht!« Reuben sah sie lächelnd an; sie aber fuhr fort: »Von jetzt ab werde ich aber, falls Dir wieder Geld zufließen sollte, es immer gleich Dir in die Hände geben; bewahre Du es dann auf, wo es Dir am sichersten zu sein scheint.« »Und ich soll nicht fragen, woher das Geld rührt?« »Nein, Reuben, das versprich mir! Denn würdest Du mich aufs Gewissen fragen, so würde ich es Dir sagen, Du würdest mich aber zu einer Handlung bestimmen, die ich für ein Unrecht an dem Geber halten müßte.« »Und das Geld verpflichtet Dich zu nichts?« »Nein, Reuben, zu nichts; es braucht nicht zurückerstattet zu werden.«

Er überzählte das Geld noch einmal, und als er sich nochmals überzeugt hatte, daß ihn weder Traum noch Täuschung äffe, rief er: »Nun, das muß ich sagen, noch nie hat Gott einem Manne ein Weib beschert wie mir! Denn ihr folgt in allem der himmlische Segen!«

Schnell verbreitete sich in der Gegend die Nachricht, daß Pfarrer Butler das Gut Craigsture gekauft habe. Manche gratulierten ihm dazu; andere beklagten, daß das Gut nicht länger in dem Besitze der Familie bliebe, die es jahrhundertelang bewirtschaftete. Die Pfarrer des Kirchspiels aber benutzten den Umstand, daß Reuben Butler, wegen der Ueberschreibung des Besitztitels, nach Edinburg reisen mußte, ihn zu der alljährlich im Mai stattfindenden Synodal-Versammlung als ihren Vertreter zu entsenden.


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