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Zwanzigstes Kapitel.

Am andern Tage, der für die Einführung Butlers in sein Seelsorgeramt festgesetzt war, befand sich die Bewohnerschaft früh auf den Beinen. Duncan, ein ebenso wackerer Esser als Streiter vorm Herrn, hatte für ein stattliches Frühstück gesorgt. Es gab allerhand Speisen aus Milch, dazu kaltes Fleisch in Mengen, geschmorte Quabben, geröstete Eier, ein mächtiges Faß Butter, Heringe in Unmenge, gebraten, gesotten, frisch und gesalzen, dazu Tee und Kaffee, wer solches Getränk liebte. Der Wirt betonte, indem er auf einen kleinen Kutter, der der Windseite gegenüber an der Insel herumkreuzte, mit den Fingern zeigte, beides koste kaum mehr als den Lohn für das Ausladen womit er eine entschuldbare Anspielung auf den hierzulande betriebenen Schleichhandel machte.

»Ist der Schmuggel hier frei?« fragte Butler. »Ich meinesteils halte ihn für die Volkssitten schädlich.« »Der Herzog hat keine Befehle dagegen gegeben,« erwiderte dieser Hüter des Rechts,»der seine von Selbstsucht diktierte Milde hierdurch für völlig begründet ansah. Butler wußte als Mann von Verstand, daß Ermahnungen Gutes nur dann bewirken, wenn sie zu rechter Zeit gegeben werden, und ließ den Gegenstand deshalb fallen, Als das Frühstück eingenommen war, machte Knockdunder Deans und Butler den Vorschlag, im Boote zu ihren zukünftigen Wohnsitzen hinüberzufahren, Es war ein wunderschöner Tag und die gewaltigen Berge warfen auf den Spiegel des Meerbusens, der ruhig wie ein Binnensee sich vor ihnen dehnte, ihre tiefen Schatten. Sogar Jungfer Dutton fühlte jetzt keinerlei Bange mehr; zumal ihr Herr Archibald gesagt hatte, daß es nach dem Gottesdienst noch einen solennen Schmaus geben werde, wovon sie eine besondere Liebhaberin war. In einem geräumigen Boote, das Duncan als seine »sechsspännige Equipage« bezeichnete, wurde es doch von sechs handfesten Ruderern bedient, daß es wie ein Pfeil durch die Fluten schoß, fuhren sie in der Richtung auf das Türmchen der alten Kirche von Knocktarlitie zu. Die Bewohnerschaft strömte dem Hauptmanne entgegen, ihm ihre Ehrfurcht zu bezeigen; manche davon waren Männer nach David Deans' Herzen, eifrige Bekenner des reinen Glaubens, denen der Vater des jetzt regierenden Herzogs hier eine Zuflucht gewährt hatte, weil sie durch die Teilnahme an der mißlungenen Unternehmung seines unglücklichen Vaters Anno 1686 um ihr Hab und Gut gekommen waren. Aber auch Pfarrkinder wilderen Gemütes kamen: Leute aus dem Gebirge, die Gälisch sprachen, Waffen und die echte Hochlandstracht trugen. Der Herzog wußte aber so gute Ordnung in seinem Gebiete zu halten, daß Gälen und Sachsen in bestem Einvernehmen lebten. Zuerst wurde das Pfarrhaus besucht; es war alt, aber in gutem Stande; im Hintergrunde stand ein kleiner Erlenwald, vorn dehnte sich ein hübscher Garten, begrenzt von dem Flüßchen, das, von den Fenstern aus sichtbar, zwischen Bäumen und Gesträuchen sich hinwand. Innen war die Wohnung mit neuem sauberen Hausgerät ausgestattet, das der Herzog auf seinem eigenen Schiff hierher hatte bringen lassen.

Mit einer Empfindung ruhiger, heiterer Freude betrachtete Butler dies abgeschiedene Tal, wo er seine künftigen Tage in Amt und Würden verleben sollte, und mancher Blick innigen Einverständnisses wurde zwischen ihm und Jeanie gewechselt, deren gütiges Antlitz heute wie verklärt erschien, als sie mit sittsam-bescheidener Freude das neue Heim betrachtete, in welchem sie bald als Gebieterin herrschen sollte. Vom Pfarrhause lenkte die Gesellschaft die Schritte nach dem Orte, wo künftighin ihr Vater sein Domizil haben sollte. Zur gemeinsamen Zufriedenheit wurde bemerkt, daß die Meierei kaum einen Büchsenschuß weit vom Pfarrhause entfernt lag. Ein gemächliches Wohnhaus, gut eingerichtete Wirtschaftsgebäude, und ein großer Obst- und Gemüsegarten liehen ihm vor der Hütte zu Woodend oder dem Häuschen zu St.-Leonard erhebliche Vorzüge. Die Aussicht war malerisch; zu Füßen erstreckte sich das Tal mit dem niederen Pfarrhause, dahinter der Meerbusen mit seiner idyllischen Inselflur; noch weiter hinten türmten sich die majestätischen Bergriesen. Aber mehr noch als von all diesen Naturschönheiten wurde Jeanie ergriffen, als sie die treue alte Mary Hettly in der weißen Haube, dem braunen Sonntagsrock und der blauen Schürze auf der Schwelle, zu ihrem Empfange bereit stehen sah. Die gute treue Seele war nicht minder selig über das glückliche Wiedersehen und hielt mit der Versicherung, sie habe für den Vater und das Vieh nach Kräften gesorgt, nicht hinter dem Berge.

Nachdem Jeanie Stall und Milchgebäude besichtigt, und der guten Alten ihre Zufriedenheit mit all den Einrichtungen, die sie getroffen, ausgesprochen, wurde das Hausinnere besichtigt. In Jeanies Schlafzimmer stand ein Koffer, dessen Aufschrift ihn als ihr Eigentum auswies und der Jungfer Duttons Neugierde rege machte, weil sie in der Schrift diejenige der ersten Kammerfrau der Herzogin erkannte. May Hettly übergab Jeanie in einem versiegelten Kuvert, das gleichfalls an sie adressiert war, den Schlüssel dazu. Auf dem Kuvert standen obendrein die Worte: »Andenken für Jeanie Deans von den ihr wohlgesinnten Freundinnen Herzogin von Argyle und ihren Töchtern.« In dem Koffer, der nun hastig geöffnet wurde, lagen schöne, Jeanies neuem Stande angemessene Kleidungsstücke. Stück für Stück wurde herausgenommen, ausgebreitet, gelobt und bewundert; die alte May meinte, keine Königin könne besser ausstaffiert sein. Andere Empfindungen hielten angesichts dieses Reichtums Einzug in das Herz der Jungfer, die über die Milchkammer gesetzt worden war.

Anfangs äußerte sich ihr Neid nur durch ein paar inhaltlose Tadelsworte; als aber auf dem Boden des Koffers ein weißes Seidenkleid erschien, mit dem Wunsch, Jeanie solle es am Tage ihres Namenwechsels tragen, da konnte Jungfer Dutton nicht länger an sich halten, sondern raunte Archibald ins Ohr, daß es doch gar nicht so übel sei, als Schottin auf die Welt zu kommen; denn von dem halben Dutzend Schwestern, die sie hätte, hätten wohl alle ein Kind kriegen und gehängt werden können, ohne daß es einem Menschen auch nur eingefallen wäre, ein Nastüchlein zu schenken.

»Oder, ohne daß es Euch eingefallen wäre, Jungfer, einen Finger für sie zu rühren,« entgegnete Archibald trocken. »Aber,« setzte er sogleich hinzu, »wie kommt es denn, daß wir noch kein Geläut hören!« »Der Tausend, Herr Archibald,« versetzte Hauptmann Duncan von Knockdunder, »Sie wollen doch nicht läuten lassen, bevor ich zum Kirchgange fertig bin? Den Glöckner möchte ich sehen, der sich solches herausnähme! Den Glockenstrang ließe ich ihn schlucken! Könnt Ihr's aber nicht erwarten, ihr Gebimmel zu hören, so brauche ich mich bloß auf der Höhe sehen zu lassen, dann, geht's auf der Stelle damit los!«

Und richtig! Kaum tauchte, gleich Hesperus, der Hut mit den goldenen Tressen über dem tauigen Hügel empor, so fing »das Gebimmel«, wie der Hauptmann gesagt und eine andere Bezeichnung verdiente es wahrlich nicht an und hörte nicht eher auf, als bis die kleine Gesellschaft im Gotteshause verschwunden war.

Hier gab manches dem alten Deans Ursache zum Verdruß, zum Beispiel die Predigt, die ihm viel zu kurz war, trotzdem sie fünf Viertelstunden gedauert hatte. Es half dem Prediger ihm gegenüber auch nicht, daß er sich damit entschuldigte, der Herr Hauptmann habe zu gähnen angefangen. Das schlimmste aber war, als der Herr Hauptmann, sobald sich die Gemeinde niedergesetzt hatte, in dem Lederbeutel, der ihm vorn am Schurze hing, nach seinem Tabaksbeutel zu suchen anfing und, als er ihn nicht fand, einem seiner Leute ungezwungen zuschrie, ins Dorf zu rennen und ihm eine Rolle Pastorknaster zu holen was aber dem Mann dadurch erspart wurde, daß sich ein halbes Dutzend Hände dem Hauptmann zureckten, jede mit einem Tabaksbeutel, von dem er sich den besten aussuchte, um sich die Pfeife zu stopfen, die er alsbald in Brand setzte und vergnüglich rauchte.

David Deans, den solches gottlose Benehmen schrecklich in Harnisch brachte, murrte, stöhnte, seufzte erst eine Weile; dann wandte er sich an einen der Kirchenältesten, dessen große Perücke ihm das meiste Vertrauen erweckte, und raunte ihm zu: »Sind wir denn unter Wilden und Heiden: für die möchte sich's nicht einmal schicken, im Gotteshaus« Pfeife zu rauchen, geschweige für einen Edelmann, der doch damit den Eindruck weckt, als sei ihm Kirche und Schenke eins.«

Isaak Meiklehose – so hieß der Aelteste aber schüttelte den Kopf und erwiderte: »Wozu noch lange reden? Der Herr Hauptmann sind nun 'mal wunderlich er hat die Gewalt im Lande, und ohne seinen Schutz kämen uns die Räuber vom Hochlande stündlich auf den Hals. Wenn ihm was zu Kopfe schießt, muß man ihm halt den Willen lassen denn wer die Macht hat, hat's Recht, das wißt Ihr doch?« »Mag sein, Nachbar,« versetzte Deans, aber Reuben Butler wird ihm schon beibringen, daß er die Pfeife anderswo rauchen muß als im Gotteshause!« »Darf ein Tor dem Weisen raten,« versetzte Meiklehose, »dann soll er sich's zweimal überlegen, ehe er sich mit Duncan Knockdunder in einen Streit einläßt; denn bis jetzt hat jeder mit ihm den kürzern gezogen.«

Auf diese Weise wurde Reuben Butler zum Seelsorger von Knocktarlitie eingesetzt.


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