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Zwölftes Kapitel.

Von ihrer leut-, aber recht redseligen Freundin, der Frau Glas, wurde Jeanie nach jenem Teil der Vorstadt zurückgeleitet, wo der Dornbusch mit seiner goldnen Umschrift: Nemo me impune Niemand berührt mich ungestraft über einem Laden prangte, der damals bei allen Schotten hohen und niedern Ranges in recht hohem Ansehen stand.

»Du hast ihn doch auch immer Eure Herrlichkeit tituliert?« fragte die wackre Matrone; »denn ich habe Dir ja gesagt, daß er nicht zu den geringeren Lords im Lande gehört, denen ich nicht für ein paar Heller Rapé auf Borg geben möchte, – sondern zu unserm höchsten Reichsadel – was müßte er von Deinen Londoner Freunden, was von mir denken, wenn Du von mir zu ihm kommst und ihn bloß Herr und Euer Gnaden tituliert hättest, da er doch ein Herzog ist.«

»Es kam mir aber vor, als ob er sich nicht sonderlich viel daraus gemacht hätte,« erwiderte Jeanie; »er hat eben gleich gesehen, daß ich vom Lande bin.« ^ »Nun, Seine Herrlichkeit kennt mich sehr gut,« sagte die Frau, »drum mache ich mir darum keine große Sorge. Er wird kein einzigmal aus dem Laden gehen, wenn ich ihm seine Dose gefüllt habe, ohne daß er zu mir spricht: »Nun, wie geht's denn, meine liebe Frau Glas? – Was machen denn die Eurigen im Norden?« – oder auch – »Habt Ihr wieder was gehört aus unserem lieben alten Schottland?« – Und dann mache ich meinen verbindlichsten Knicks und antwortete: »Gnädigster Herr Herzog, so Gott will, befinden sich Eure Herrlichkeit gnädigste Frau Herzogin und Euer Durchlaucht gnädiges Fräulein Tochter bei gutem Wohlsein: und ich will hoffen, daß Eure Herrlichkeit noch immer mit dem Tabak zufrieden sind.« Und dann solltest Du mal sehen, Kind, wie die Leute im Laden die Augen verdrehen; und wenn Leute von uns dabei sind, Schotten meine ich, dann fliegen die Hüte vom Kopfe, und dann geht die Rede von Mund zu Mund: »Da seht den Prinzen von Schottland, Gottes Segen über ihn!« – Aber, Kind, Du hast mir ja noch gar nicht erzählt, wie er sich mit Dir unterhalten, und was er Dir alles gesagt hat.«

Der Frau dies alles so ausführlich mitzuteilen, lag aber gar nicht in Jeanies Absicht, denn, wie der Leser wohl bemerkt hat, war sie durch und durch Schottin und nicht bloß schlicht wie eine solche, sondern auch klug und vorsichtig wie eine solche. Sie antwortete also nur, der Herzog habe sie recht freundlich angehört und ihr seinen Beistand und seine Hilfe zugesagt, so daß sie wohl in den nächsten Tagen von ihm hören werde. Davon, daß sie sich bereit halten sollte, augenblicklich zu ihm zu kommen, wenn er es ihr sagen lasse, erwähnte sie kein Wort, auch nicht davon, daß er gesagt hatte, ihre Wirtin sei zu dem Gange nicht nötig. Es blieb also der braven Frau Glas nichts weiter übrig, als sich mit diesem allgemeinen Bericht abzufinden, nachdem all ihre Mühe, mehr aus Jeanie herauszubringen, vergeblich geblieben war.

Am folgenden Tage lehnte Jeanie jede Aufforderung ab, aus dem Hause zu gehen, und wartete in dem engen kleinen Wohnstübchen hinter dem muffigen Laden, ob Nachricht kommen werde. Der starke Dunst, der dort herrschte, kam aus einem Schrank, worin unter allerhand Habseligkeiten ein paar Körbchen echten Havanna-Tabaks ständen. Aus Respekt vor der teuren Ware, vielleicht auch aus Furcht vor den Zollbeamten, vermied es Frau Glas, den Tabak offen im Laden stehen zu lassen, und ihr Stübchen erhielt dadurch einen Geruch, der vielleicht den Nasen der Kenner angenehm, Jeanie Deans aber nichts weniger als recht und zuträglich war. Nicht wenig wunderte sich Frau Glas über die Gleichgültigkeit Jeanies den Sehenswürdigkeiten Londons gegenüber, »Es ist doch ein ganz angenehmer Zeitvertreib, wenn man sich was Neues ansehen kann,« sagte sie zu ihr, »und nichts andres vertreibt einem doch trübe Gedanken so schnell!« Aber auch in dieser Hinsicht blieb Jeanie auf ihrem nüchternen, ruhigen Standpunkte. Der erste Tag nach der Unterredung mit dem Herzog verstrich in banger Erwartung. Minuten auf Minuten, Stunden auf Stunden verrannen. Der Abend kam, und die Wahrscheinlichkeit, noch heut von dem Herzog zu hören, entschwand; aber die Hoffnung, daß derselbe sein Versprechen halten werde, wich nicht von ihr, und bei jedem Geräusch im Laden schreckte sie zusammen, und ihr Herz fing laut zu pochen an. Aber sie wartete vergeblich.

Der nächste Morgen begann auf die nämliche Weise. Aber kurz vor der Mittagszeit erschien ein wohlgekleideter Mann in dem Laben, der sich nach einem Mädchen aus Schottland erkundigte. »Habt Ihr eine Botschaft von Sr. Herrlichkeit dem Herzog an sie, Herr Archibald?« fragte Frau Glas, »ich bestelle es ihr im Augenblick.«

»Ihre Muhme wird selbst herunterkommen müssen, Frau Glas,« sagte der Mann.

»Jeanie, – Jeanie Deans!« schrie Frau Glas laut genug, daß alle, die zufällig in der Nähe waren, die wichtige Botschaft hören mußten, die kleine Stiege hinauf, die vom Laden aus in den oberen Stock führte, »Jeanie, Jeanie, hörst Du nicht, komm geschwind herunter! Hier ist der Kammerdiener Seiner Herrlichkeit, der Dich auf der Stelle sprechen will.«

Jeanie flog die Treppe hinunter – und doch war ihr zu Mute, als ob ihr die Füße alle Augenblicke den Dienst versagen wollten.

»Ich muß Sie um die Freundlichkeit bitten, mitzufahren,« sagte Archibald höflich.

»Auf der Stelle, Herr, ich bin bereit,« erwiderte Jeanie.

»Meine Muhme soll mitfahren, Herr Archibald?« Aber ich kann sie doch nicht allein fahren lassen! He, Jakob Raspler!« wandte sie sich an ihr Faktotum, »gib auf den Laden acht!«

»Herr Archibald,« wandte sie sich darauf eifrig an den Gast und schob ihm einen Steintopf hin, »Sie nehmen doch gern ein Prischen von herzoglicher Sorte – nicht? Füllen Sie sich doch Ihre Dose damit; wir sind ja alte Bekannte; ich will mich nur schnell ein bißchen in Ordnung bringen.«

Der Kammerdiener griff bescheiden zu, erklärte aber, daß er auf das Vergnügen einer Begleitung durch Frau Glas zu seinem Bedauern verzichten müsse, denn sein Auftrag bezöge sich bloß auf das junge Mädchen.

»Sie wollen bloß das Mädchen mitnehmen, Herr Archibald? Aber das möchte sich doch kaum schicken; freilich, Seine Herrlichkeit verstehen so etwas besser, und Sie sind auch ein verläßlicher Mann, Herr Archibald. Einem jeden würde ich ja meine Muhme nicht anvertrauen. – Aber, Jeanie, mit Deinem Schleiertuch über dem Kopfe kannst Du doch nicht durch die Straßen gehen? Es sieht ja aus, als wolltest Du eine Herde vor Dir her treiben? – So warte doch, bis ich Dir meinen seidenen Mantel geholt habe. Die Jungen rennen Dir ja in den Straßen nach!«

»Ich bin ja in der Kutsche hergekommen,« fiel Herr Archibald der diensteifrigen Matrone ins Wort, der Jeanie allein kaum entronnen wäre, »und darf dem Mädchen nicht soviel Zeit lassen, sich umzuziehen.« Mit diesen Worten führte er Jeanie, die ihm von Herzen dankbar war für die rücksichtslose Art, wie er alle Fragen und Angebote der Frau Glas ablehnte, rasch vor die Tür.

In der Kutsche setzte sich Herr Archibald auf die Rückseite, Jeanie gegenüber. Eine halbe Stunde fuhren sie nun, ohne ein Wort zu wechseln. Es kam Jeanie vor, als habe sie schon eine weitere Strecke durchfahren, als auf dem ersten Wege zum Palais des Herzogs, und endlich konnte sie doch dem Drange, ihren schweigsamen Gefährten zu fragen, wohin ihre Fahrt gehe, nicht mehr widerstehen.

»Mein Herr, der Herr Herzog, wird es Ihnen selbst sagen,« antwortete Herr Archibald mit all der feierlichen Höflichkeit, die von seinem ganzen Benehmen untrennbar zu sein schien. Fast in demselben Augenblick hielt der Wagen, der Kutscher stieg ab und öffnete den Schlag. Archibald stieg aus und half Jeanie beim Aussteigen. Sie sah, daß sie sich außerhalb der Stadt an einer Straßenkreuzung befand, und daß auf der andern Seite ein elegantes, aber doch einfaches Gefährt mit vier Pferden bespannt, ohne Wappen am Schlage hielt, und daß die Diener, die es führten, keine Livree trugen.

»Du bist pünktlich gewesen, Jeanie, sehe ich,« redete der Herzog sie an, als Archibald die Wagentür öffnete. »Den übrigen Teil des Weges leiste ich Dir Gesellschaft. Archibald wird mit der Kutsche hier warten, bis wir zurückkommen.«

Ehe Jeanie Antwort geben konnte, saß sie zu ihrer nicht geringen Verwunderung, neben dem Herzog in einer leicht und sanft entlang rollenden Equipage, die von dem rüttelnden, schleichenden Fuhrwerk, das sie eben verlassen hatte, merklich verschieden war.

»Mein liebes Kind,« nahm der Herzog das Wort, »ich habe mich inzwischen mit der Angelegenheit Deiner Schwester befaßt und bin zu der Meinung gekommen, daß das Urteil zu unrecht über sie verhängt worden ist. Diese Meinung teilen juristisch gebildete Leute, englischer, sowohl als schottischer Nationalität, mit denen ich über den Fall gesprochen habe. – Nein, mein Kind! Keinen Dank: Sondern höre erst weiter. – Ich habe Dir ja schon gesagt, daß meine eigene Ueberzeugung, wenn sie nicht andere teilen, von geringem Belang ist; deshalb habe ich für Dich Schritte getan, die ich, um etwas für mich selbst zu erlangen, gewiß nicht getan hätte, – nämlich um Audienz bei einer Dame nachgesucht, die auf den König einen bedeutenden Einfluß hat. Die Audienz ist mir bewilligt worden; ich wünsche jetzt nur, daß Du Deine Sache selbst führest – zu ängstigen brauchst Du Dich nicht, erzähle nur Deine Angelegenheit ganz ebenso einfach, wie Du sie mir erzählt hast.«

»Ich bin Euer Herrlichkeit,« sagte Jeanie, die Weisung ihrer Muhme eingedenk, »von tiefstem Herzen dankbar, und wenn ich den Mut fand, über die arme Effie mit Eurer Herrlichkeit zu sprechen, so werde ich auch wohl den Mut finden, mit einer Frau darüber zu reden. Aber, Mylord, ich möchte doch wissen, wie ich sie titulieren soll, Ihre Durchlaucht oder Ihre Gnaden oder wie sonst, und ich will mir gewiß alle Mühe geben, es nicht zu vergessen; weiß ich doch, daß Frauen weit mehr auf Titel halten als Männer.«

»Du brauchst nur gnädige Frau zu sagen. Rede nur das, was Deiner Meinung nach den besten Eindruck machen wird. – Richte von Zeit zu Zeit den Blick auf mich, und wenn ich die Hand so an meine Krawatte lege,« – er griff mit der Hand hin, »dann halte inne; denn ich tue es nur, wenn Du etwas sagst, das Mißfallen wecken könnte.«

»Indessen, Mylord, wenn ich Ihnen nicht allzu lästig werden sollte, möchte es nicht besser sein, Sie sagten, was ich sprechen soll, und ich lernte es auswendig?«

»Nein, Jeanie, das würde kaum von günstiger Wirkung sein; denn es möchte sich anhören wie eine abgelesene Predigt, von der wir Presbyterianer, wie Du ja weißt, nicht viel halten. Wir halten es mit dem freien Worte, und wollen es auch in Deinem Falle damit halten. Sage nur der gnädigen Frau alles ganz ebenso, wie Du es vorgestern mir sagtest; und gelingt es Dir, sie für Dich zu gewinnen, so stehe ich dafür ein, daß der König Dir Begnadigung für die Schwester gewährt.«

Bei diesen Worten langte er ein gedrucktes Blatt aus der Tasche und fing an zu lesen. Jeanie nahm dies mit dem ihr innewohnenden feinen Gefühl als einen Wink, daß der Herzog nicht weiter gefragt sein wolle, und verhielt sich still. Schnell rollte der Wagen über üppige Wiesen, mit prächtigen alten Eichen geziert. Hier und da ward der glänzende Spiegel eines breiten, ruhigen Stromes sichtbar. Nachdem sie durch ein anmutiges Dorf gekommen, hielt der Wagen auf einer Anhöhe still. Hier stieg der Herzog aus und forderte Jeanie auf, ihm zu folgen. Eine Weile betrachteten sie von der Spitze des Hügels aus die Landschaft, die sich in wunderbarer Schönheit vor ihren Augen ausbreitete, mit dem Meere von grünen Wiesen, die von dichten Streifen Gebüschs durchschnitten wurden, von zahlreichen Herden bevölkert waren, und über die hinweg die Themse mit ihren von Buschicht bestandenen, von Landhäusern eingefaßten Ufern, einer herrlichen Königin gleich, ihr silbernes Band zog, Hunderte von Barken und Booten an ihrem Busen tragend, deren weiße Segel und lustig wehende Wimpel dem schönen Bilde frohes Leben verliehen.

Dem Herzog von Argyle war dieser Anblick nichts Neues; einem Manne von Geist und Herz konnte er aber nie alt werden. Mit innigem Wohlgefallen weilte sein Blick auf der herrlichen Szenerie, und sein Sinn wanderte zurück zu den reichen Gütern, die er im Hochlande besaß, wo die Natur sich zu weit größerer Schönheit entfaltet.

»Ein wundervoller Anblick!« rief er aus, vielleicht nicht ohne Neugier, wie seine Begleiterin sich darüber äußern werde, »was könnte ihm wohl in Schottland an üppiger Fruchtbarkeit an die Seite gestellt werden!«

»Für Kühe,« antwortete Jeanie, »ist's eine herrliche Weide, und es lebt ja auch herrliches Zuchtvieh hier, aber ich muß doch sagen, daß ich ebenso gern die Felsen rings um Arturs Sitz sehe, mit der weiten See dahinter, wie hier die vielen grünen Bäume.«

Lächelnd über diese dem Denkbereiche eines Naturkindes so ganz entsprechende Antwort, winkte der Herzog seinem Kutscher zu halten und führte nun seine junge Begleiterin auf einem wenig betretenen Pfade durch zahlreiche Irrgänge vor einen hohen, aus Steinen errichteten Wall, in dessen Mitte sich eine vergitterte kleine Pforte befand. Sie war verschlossen, wurde, als der Herzog pochte, geöffnet und hinter ihnen gleich wieder geschlossen; aber wer ihnen die Pforte öffnete, hatte Jeanie nicht sehen können, denn die Person war auf der Stelle wieder verschwunden, und alles war mit merkwürdiger Schnelligkeit verrichtet worden.

Vor ihnen zog sich ein langer, schmaler Gang zwischen Baumreihen entlang, der aber mit dichtem Rasen bedeckt war, so daß sie wie auf einem Teppich wandelten; über ihnen schlossen sich die Wipfel hoher Ulmen zu einem schattigen Dache, und das Halbdunkel, das sie hier umgab, die Säulenreihe der kräftigen Stämme und die grüne Wölbung hoch über ihnen weckten den Eindruck eines jener engen und lauschigen Bogengänge, wie wir sie in den alten, gotischen Kirchen finden.


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