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Achtes Kapitel.

Während Reverend Staunton – das war der Name des würdigen Dieners Gottes, – sich in der Sakristei seines Amtskleides entledigte, waren Jeanie und Madge neuerdings in Zwiespalt geraten. Madge hatte, als sie die Kirche verlassen mußten, zu Jeanie gesagt:

»Nun müssen wir aber wieder nach der Scheune zurück, die Mutter wird schon ungeduldig sein und uns gewiß einen feinen Empfang bereiten.«

Jeanie aber nahm eine Guinee aus der Tasche, gab sie ihr und antwortete: »Da nimm, Madge; ich bin Dir von Herzen dankbar; aber zurück mit Dir gehe ich nicht.«

»Hab ich Dir zu Gefallen, Du undankbarer Balg, solch weiten Weg gemacht, um mich, wenn ich ohne Dich zurückkomme, von der Mutter totschlagen zu lassen? Ha! Ich will Dich doch gleich.«

»Um Gottes willen, Mann!« rief Jeanie ängstlich einem Bauern zu, der dicht in ihrer Nähe stand, »helft mir! Sie ist von Sinnen.«

»Na,« erwiderte der Bauer, »gehört hab ich wohl so was, daß es mit ihr nicht richtig sei, aber bei Dir scheint's nicht viel anders.« Immerhin drohte er Madge mit der Faust und sagte: »Du, laß die Finger von ihr, wenn Du es nicht mit mir zu tun kriegen willst.«

Andre Kirchgänger sammelten sich um die Mädchen, und Jungen schrieen, es würde gleich zwischen zwei tollen Weibern eine Prügelei setzen, von denen eine die Madge Murdockson sei. Da zeigte sich aber auch schon der Tressenhut des Büttels, und seiner obrigkeitlichen Gewalt wich alles ehrfürchtiglich. Sein erstes Wort galt der Irren:

»Was bringt Dich wieder hierher in unser Kirchspiel, Du garstiges Mensch? Bringst Wohl einen neuen Bastard mit? Oder hast Du Absicht, uns die Landläuferin da auf den Hals zu hängen, mit der es wohl nicht viel besser stehen mag als mit Dir? Als wenn wir nicht schon der Lasten genug zu tragen hätten! Marsch, lauf zu Deiner Mutter, der spitzbübischen Satansliese! Sie sitzt schon wieder im Loche drin in Barkstone. Scher Dich hinweg aus unserm Dorfe, oder ich geb Dir die Peitsche zu kosten.«

Madge schwieg eine Weile. Aber sie hatte mit dem Büttel schon zu oft üble Erfahrung gemacht, um Lust zu Widersetzlichkeit zu spüren, und bequemte sich schließlich zu der Antwort:

»Was sagt Ihr? Meine Mutter im Stockhause? Drüben in Barkstone? Ha, Du Balg! Daran bist bloß Du schuld! Aber ich will's Dir eintränken, Jungfer Jeanie Deans, so gewiß ich die Madge Wildfire bin, Madge Murdockson, wollte ich sagen ... Steh mir Gott bei! In diesem Gewirr und Gelärm vergesse ich sogar meinen Namen.«

Mit diesen Worten raste sie weg, verfolgt von dem Geschrei der Buben, die ihr die Kleider zu zerreißen suchten und alles aufboten, die Unglückliche in die höchste Wut zu versetzen.

So herzlich Jeanie wünschte, Magde den wichtigen Dienst zu vergelten, den sie ihr geleistet, so war sie doch auch von Herzen froh darüber, daß sie fort war. Sie wandte sich an den Büttel mit der Frage, ob es im Dorfe ein Haus gebe, wo sie für Geld ein rechtschaffenes Unterkommen finden könnte, und ob es ihr wohl verstattet sei, mit dem Herrn Prediger ein paar Worte zu sprechen.

»Freilich, Hochwürden will mit Dir sprechen, Kind,« versetzte der Vertreter der Ortspolizei, »und ich will Dir bloß sagen, daß Du besser Dein Geld sparst, wenn Du dem Herrn Pfarrer nicht offen und ehrlich Rede und Antwort stehst; denn sonst dürftest Du auf Kosten des Kirchspiels Quartier bekommen.«

»Wohin soll ich denn gehen?« fragte Jeanie, bestürzt.

»Zuerst zu Hochwürden, damit Du über Dein Tun und Lassen Rechenschaft gibst und Ausweis, daß Du dem Kirchspiele nicht zur Last fällst.« '

»Zur Last fallen will ich niemand,« rief Jeanie, »ich habe, was zur Befriedigung meiner Bedürfnisse notwendig ist, und will weiter nichts als meine Reise mit Ruhe fortsetzen.«

»Nun, das ist was anders, und wenn es wahr ist – Du siehst nur eben auch so verdreht aus wie die verrückte Person, die grade von hier weggelaufen – aber komm nur mit, unser Prediger ist ein sehr guter Mann.«

»O, ich gehe sicher gern zu ihm, denn ich muß mit ihm sprechen,« sagte Jeanie, »nach der Art, wie er das Wort des Herrn verkündete, muß ich wohl glauben, daß er ein würdiger, gottesfürchtiger Mann ist.«

Die Menge, in ihrer Hoffnung, einer Prügelei beizuwohnen getäuscht, hatte sich mittlerweile verlaufen, und Jeanie folgte mit der ihr eigenen Geduld dem langsamen, breitspurigen Büttel in die Pfarrei.

Es war ein bequemes, großes Wohnhaus, denn die Pfründe war groß, wenn auch das Dörfchen klein war, worin sie lag, und die reiche Familie, die das Patronat besaß, hatte es seit Jahren so gehalten, daß sie in der Regel einen Sohn oder Neffen dem Dienste der Kirche weihte, um ihn in das einträgliche Amt zu setzen. Auf diese Weise war die Pfarrei von Willingham immer als eine Art Familienlehen von Willingham-Hall betrachtet worden, und da zwischen dem reichen Baronet, der dort residierte, und dem Pfarrer verwandtschaftlicher Verkehr gepflegt wurde, hatte die Familie Sorge getragen, das Pfarrhaus nicht nur bequem und wohnlich, sondern auch würdig und vornehm einzurichten. Hinter ihm hatte ein kleiner Fluß sein Bett, der durch seine mit Weiden und Pappeln gesäumten Ufer die Landschaft erheblich verschönte. Der Büttel war, seitdem ihm Jeanie gesagt, daß sie dem Kirchspiel nicht zur Last fallen wolle, mitteilsamer geworden und erzählte, daß das Flüßchen die meisten und schönsten Forellen in ganz Lincolnshire berge.

Er geleitete Jeanie zu einer Seitentür, die zu dem ältern Teil des Gebäudes führte, worin zumeist die Dienerschaft wohnte. Ein Bedienter in scharlachner Livree, wie sie den Leuten eines vornehmen Geistlichen in England geziemt, erschien auf der Schwelle. Ihn fragte der Büttel, wie sich der junge Herr Staunton befinde?

»Je nun, so, so!« lautete die Antwort; »aber Sie wollen zu Seiner Hochwürden, Herr Stubs?«

»Allerdings, Tom;, und bitte, bestellen Sie Seiner Hochwürden, ich hätte die junge Person mitgebracht, die mit der tollen Madge Murdockson in der Kirche war. Mir käme es so vor, sagen Sie noch, bitte, als sei es ein recht bescheidenes, anständiges Ding, aber ausgefragt hätte ich sie noch nicht. Bloß soviel wüßte ich, daß sie eine Schottin sei und, meiner Meinung nach, besonders klug und weise nicht eben zu sein scheine.«

Tom maß Jeanie mit einem jener Blicke von oben herab, zu denen sich Bediente großer Herren für berechtigt halten, und hieß dann den Büttel mit seiner Begleiterin warten, bis er seinem Herrn von ihrer Anwesenheit Kenntnis gegeben habe.

Das Gemach, wohin er sie führte, war eine Art Vorzimmer, worin ein paar Landkarten und auch mehrere Kupferstiche von Männern hingen, die sich in der Grafschaft ausgezeichnet hatten. Tom lud den Büttel ein, sich von einem Schinkenrest, der auf dem Tische stand, zu nehmen, und goß ihm auch einen Krug Ale ein. Jeanie, aufgefordert, auch eine kleine Stärkung zu sich zu nehmen, lehnte freundlich dankend ab; sie hatte zwar den ganzen Tag noch nichts gegessen, und eine Erquickung hätte ihr recht not getan, aber die Unruhe, die sie über die Unsicherheit ihrer Situation noch immer erfüllte, und ihre Schüchternheit fremden Leuten gegenüber machten es ihr unmöglich, etwas zu sich zu nehmen.

So blieb sie seitab von den beiden Männern sitzen, die es sich munden ließen, denn auch Tom, der mit der Meldung zurückkam, daß der Herr Prediger in etwa einer halben Stunde klingeln werde, hieb gar tüchtig mit ein, wußte er doch, daß es erst Mittagessen nach dem Nachmittagsgottesdienst gäbe.

Als die Klingel nach der bezeichneten Frist ertönte, stand Tom auf und hieß den Büttel und Jeanie ihm nach der Bibliothek folgen. Der Büttel schob flink noch ein tüchtiges Stück Schinken in den Mund und spülte es mit einem kräftigen Schluck hinunter. In einem kleinen Vorstübchen, an dessen Tür sich Tom verabschiedete, herrschte er, sich im Vollgefühl seiner Würde blähend, das Mädchen an, so lange zu warten, bis er Hochwürden gemeldet habe, daß sie da sei.

Es war Jeanies Weise nicht, auf Gespräche zu lauschen. Hier aber konnte sie nicht umhin, mitanzuhören, was zwischen den beiden Männern gesprochen wurde, denn der Büttel war an der Tür stehen geblieben und Seine Hochwürden stand in unmittelbarer Nähe derselben; mithin mußte jedes Wort zu ihren Worten dringen.

»So? Ihr habt also die Person mitgebracht, Stubs?« fragte der Prediger. »Ich hab Euch schon früher erwartet. Ihr wißt doch, daß ich kein Freund davon bin, über Leute lange in Ungewißheit zu bleiben.«

»Freilich, freilich, Euer Ehrwürden. Aber das Mädchen hatte heute noch keinen Bissen genossen, und da hat Herr Tom ihr ein bißchen was vorgesetzt.« – »Recht so von ihm. Und was ist aus dem andern unglücklichen Wesen geworden?« – »Weil ich fürchtete, sie würde Euer Ehrwürden doch nur zum Aergernis dienen, habe ich sie laufen lassen. Sie wird wohl schon bei der Mutter sein,, die im Nachbar-Kirchspiel schlimm dran ist.«

»Schlimm dran?« fragte der Pfarrer, »Ihr meint, im Stockhause?« – »Jawohl, Hochwürden, so ungefähr.« – »Armes Geschöpf, aller Besserung verschlossen,« rief der Prediger; »und welche Meinung habt Ihr von ihrer Gefährtin?« – »Hochwürden, dem Anschein nach eine reputierliche Person, sagt auch, sie habe Geld und werde dem Kirchspiel nicht zur Last fallen.« – »Nun, ja immer Eure erste Sorge! Aber hat sie den Verstand richtig beisammen? Kann sie für sich selbst sorgen?«

»Darüber kann ich Gewisses nicht sagen, Hochwürden, die Klügste ist sie Wohl kaum, zum wenigsten hat Gaffer Gibs, der in ihrer Nähe in der Kirche gesessen, mitangesehen, daß die Madge zu allem, was der Gottesdienst von einem Christen fordert, sie hat erst nötigen und sogar zu Knuffen und Püffen hat greifen müssen, um sie aus ihrer Trägheit aufzurütteln. Ich hab gehört, daß sie Schottin sei, und von denen heißt's doch, sie wüßten sich bei aller Dummheit immer auszureden und durchzuhelfen. Sie ist auch anständig angezogen und hat nicht solchen Flitterkram an sich wie die andre.«

»Nun, so sagt ihr, sie solle hereinkommen. Wartet aber unten!«

Diese Unterhaltung hatte Jeanies Aufmerksamkeit so ganz in Anspruch genommen, daß sie erst, als sie zu Ende war, die Wahrnehmung machte, daß ein junger, bleich und krank aussehender Mensch von zwei Männern zur Glastür hereingetragen und auf ein Ruhebett gelegt worden war, um sich dort von der für ihn augenscheinlich zu großen Strapaze dieses Transports zu erholen. Unterdes war der Büttel aus dem Bibliothekszimmer gekommen und hatte Jeanie vor den Prediger geführt. Zitternd und zagend gehorchte sie, war es ihr doch zu Mute, als hinge von dem Eindrucke, den sie auf diesen Herrn Staunton machen würde, das Gelingen ihres ganzen Vorhabens ab.

Herr Staunton aber sprach sie mildreich an, sagte, ihre Erscheinung in der Kirche sei freilich aufgefallen, zumal durch das höchst respektwidrige Verhalten ihrer Gefährtin, so daß die versammelte Gemeinde mit Recht Anstoß daran genommen habe, er möchte aber, ehe er sie zur Verantwortung zöge, denn er sei zugleich Friedensrichter im Kirchspiel, erst aus ihrem Munde hören, was sie zur Aufklärung des Vorfalls vorzubringen habe.

»Euer Gnaden,« sagte sie – denn den Titel Hochwürden über die Lippen zu bringen, war ihr bei, ihrer strengen Richtung nicht möglich – »sind sehr gut und höflich.«

»Wer sind Sie?« fragte der Geistliche strenger, »und was führt Sie in unsre Gegend, und in solche Gesellschaft? Landstreicher und Vagabunden dulden wir hier nicht.«

»Ich bin keine Landstreicherin, Herr,« versetzte Jeanie, verletzt durch diese Voraussetzung, »sondern ein ehrliches schottisches Mädchen, auf der Wanderschaft nicht aus Zufall oder aus Neigung, sondern aus einem bestimmten Grunde; daß ich durch schlechte Gesellschaft eine ganze Nacht Aufenthalt gehabt habe, ist ein unglücklicher Zufall, an dem mich keine Schuld trifft. Das arme Geschöpf, das etwas verwirrt im Kopfe ist, hat mich am Morgen hierhergebracht.«

»Schlechte Gesellschaft?« sagte der Prediger, »Sie sind ihr vielleicht nicht genug aus dem Wege gegangen?«

»Ich bin streng genug erzogen worden, Herr,« antwortete Jeanie, »um böse Gesellschaft zu fliehen. Aber ich bin unter Diebe und Wegelagerer geraten, die mich mit Gewalt festgehalten haben.«

»Also klagen Sie jemand an, Sie beraubt zu haben?«

»Nein, Herr! Es ist mir nichts geraubt, auch kein ernstliches Leid zugefügt worden; aber die Menschen haben mich eingesperrt und nicht weggelassen, trotz allem Bitten.«

»Eine merkwürdige Geschichte! und nicht sonderlich wahrscheinlich, Kind!« sagte der Prediger; »nach unsern Landesgesetzen müßten Sie, wenn die Klage anhängig würde, für ihre Durchführung einstehen.«

Jeanie verstand den Sinn der Worte nicht, und nun setzte ihr der Prediger auseinander, daß das englische Gesetz demjenigen, welcher einen Verlust an seinem Eigentum oder seiner Ehre erlitten, noch die Sorge und die Kosten für die gerichtliche Verfolgung der Täter aufnötigt.

Jeanie wiederholte, sie habe ein dringliches Geschäft in London, und wie die Dinge sich jetzt für sie gestaltet hätten, sei sie auf die Unterstützung irgend eines gütigen Herrn angewiesen, der ihr aus christlicher Barmherzigkeit bis zu einer Stadt weiter hälfe, wo sie Führer und Pferde erhalten könnte; aber um in einem englischen Gerichtshofe als Klägerin oder Zeugin aufzutreten, dazu müsse sie erst die väterliche Genehmigung einholen.

Der Prediger blickte sie verwundert an. »Ist Ihr Vater ein Quäker?« fragte er.

»Behüte Gott, Herr,« antwortete sie; »er ist weder Quäker, noch gehört er sonst einer Sekte an, hat sich vielmehr im ganzen Leben noch nicht mit solch argem Treiben befaßt.«

»Wie heißt denn Ihr Vater?« fragte Herr Staunton verwundert.

»David Deans, Herr. Er wohnt bei Edinburg am Sankt-Leonards-Felsen und ist Kuhpächter.«

Aus dem Vorgemach klang ein tiefes Stöhnen herüber. Der Prediger fuhr zusammen. Dann stürzte er mit dem Rufe: »O Gott! Der unglückliche Jüngling!« hinaus, und wohl eine Stunde verging, ohne daß sich jemand im Bibliothekzimmer sehen ließ.


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