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Einundzwanzigstes Kapitel

An dem reichen Mahl, das der Herzog von Argyle hatte herrichten lassen, nahmen außer den ehrwürdigen Herren von der Geistlichkeit, die der feierlichen Einweisung Butlers in sein Amt beigewohnt hatten, viel andere angesehene Leute des Kirchspiels teil, und es wurde gar wacker gezecht und auf des Herzogs Gesundheit getrunken, in die zum erstenmal in seinem Leben auch David Deans laut mit einstimmte, wie auch auf des ehrwürdigen Pfarrers von Knocktarlitie und seiner künftigen Gattin Gesundheit; bei welchem Anlaß aber David Deans sich zum ersten Scherz verstieg, den die Welt je von ihm gehört, der ihm aber recht schwer und sauer wurde, denn er verzog das Gesicht gewaltig, und stotterte gewaltig, bis es ihm gelang, den Scherz in Worte zu kleiden: »Da Reuben kaum noch mit seiner geistlichen Braut vermählt worden, sei es hart, ihm noch am gleichen Tage mit einer weltlichen zu drohen,« so rief er unter einem unbändigen Lachen, das er aber, als schäme er sich der maßlosen Lebhaftigkeit, sogleich verstummen ließ. Jeanie, Jungfer Dolly Dutton und die anderen Frauen zogen sich in die Meierei zurück, wo sich später auch Reuben Butler und Herr Archibald einfanden. Deans und Butler sollten noch in derselben Nacht in ihre neuen Wohnungen einziehen, Jeanie mit Jungfer Dutton aber noch auf einige Tage nach Roseneath zurückkehren. Das Boot lag bereit, aber Knockdunder ließ noch auf sich warten, trotzdem es schon zu dämmern begann. Da kam Herr Archibald mit dem Bescheide, der Hauptmann habe sich so fest getrunken, daß er in dieser Nacht wohl nicht von der Insel wegkommen werde und, wenn es noch der Fall sein sollte, für Damen kaum einen schicklichen Begleiter abgeben dürfe; er schlüge deshalb vor, in der Barke ohne ihn die Ueberfahrt zu machen; womit sich Jeanie im Vertrauen auf seine bewährte Eigenschaft als Führer gleich einverstanden erklärte, während Jungfer Dutton wieder Einwände machte, daß es doch besser sei, zu warten, bis sie das große Boot benutzen könnten. Aber schließlich gelang es ihm, auch die Bedenken der Jungfer zu zerstreuen, und so machten sie sich unter dem Geleit von Butler auf den Weg zum Strande. Es verging aber noch einige Zeit, bis die Schiffer, sich von dem Dienerschafts-Gelage trennen konnten und bis die beiden Frauen sich eingeschifft hatten. So stand der Mond schon über den Bergen und beleuchtete mit seinem bleichen zitternden Scheine die herrliche Szenerie. Aber die Nacht war so sanft und ruhig, daß Butler, als er seiner Braut am Ufer Lebewohl sagte, nichts für ihre Sicherheit, und, was noch seltsamer war, daß auch Jungfer Dutton nichts für die eigene zu fürchten fand. Die Luft war mild und ruhig und streifte mit leisem Hauche die kühle Flut, Berge, Felsen, Buchten zogen in lieblichem Wechsel an ihnen vorüber und entsprühten den Wellen bei jedem Ruderschlag glitzernde Funken, ein Schauspiel, so neu und bezaubernd, daß Jeanie wie auch Jungfer Dutton die Blicke nicht davon wenden konnten. Der Landungsplatz lag im Hintergrunde einer kleinen Bucht, in nicht erheblichem Abstande vom Hause; aber das Boot konnte infolge der Ebbe nicht bis zu den Steinen gelangen, die die Landungsbrücke ersetzten; Jeanie, rasch und beherzt, sprang behend vom Bootsrande zu den Steinen hinüber; Jungfer Dutton aber wollte von solch einem Wagestück nichts wissen, so daß Archibald ihr diesmal den Gefallen tat, das Boot zu einem andern Landungsplatze zu steuern, wo es sich bequemer aussteigen ließ. Jeanie blieb nun allein am Ufer zurück, denn sie hatte Archibald gutmütig gebeten, sich der ängstlichen Jungfer zu widmen, das Haus sei ja nahe, und da das Mondlicht ihr die weißen, hinter dem Wäldchen hervorragenden Schornsteine zeige, könne sie den Weg ja unmöglich verfehlen. Es war eine so wunderschöne Nacht, daß Jeanie, statt gleich zum Jagdschlosse zu eilen, am Ufer stehen blieb, und dem Boote nachblickte, wie es, wieder in die silberne Flut tauchend, zu der kleinen Bucht hinaussteuerte, während die dunklen Gestalten ihrer Gefährten allmählich im Nebel verschwanden und der schwermütige Sang herüberklang, bis das Boot endlich um das Vorgebirge bog und ihren Blicken gänzlich entschwand, Auch jetzt noch verharrte Jeanie an der Stelle und in derselben Stellung, den Blick auf die See hinausgerichtet. Der wunderbare Wechsel, der binnen wenigen Wochen sich in ihrer Lage vollzogen Verzweiflung zu Ehre, Freude und froher Aussicht in die Zukunft wandelnd glitt an ihrem geistigen Auge vorüber und führte helle Tränen in ihr leibliches Auge. Doch nicht der Freude allein flossen sie in diesen einsamen Augenblicken, sie hatten noch eine andere Quelle! Irdisches Glück ist nie vollkommen, und edle Gemüter fühlen das Leid ihrer Lieben immer dann am tiefsten, wenn sie selbst sich in glücklicher Lage wissen. So gedachte auch Jeanie jetzt mit herbem Schmerze des Schicksals der unglücklichen Schwester, an die sich so viel teure Hoffnungen geknüpft hatten, die, soviele Jahre hindurch des Vaters verzärteltes Schoßkind, jetzt landflüchtig und, was noch schlimmer war, dem Willen eines leidenschaftlichen, ruchlosen Menschen Untertan sein mußte, Während sie diesen trüben Gedanken nachhing, war es ihr, als husche aus dem dichten Buschwerk zu ihrer Rechten eine dunkle schattenhafte Gestalt hervor. Jeanie fuhr erschreckt zusammen und alles, was ihr von Geistern und Gespenstern, die zu solcher Zeit und Stunde an solch stillem abgelegenen Ort gesehen worden, bekannt war, drängte sich in ihrer Phantasie zusammen. Die Gestalt kam ihr näher sie zeigte weibliche Konturen und plötzlich erklang eine sanfte, süße Stimme: »Jeanie, Jeanie!« O, was war das? Konnte es die Stimme der Schwester sein? Weilte sie noch unter den Lebenden, oder waren des Grabes Siegel gesprengt? Aber es blieb ihr nicht Zeit, sich diese Fragen zu stellen, geschweige zu beantworten, denn schon hing Effie an ihrem Halse, hielt sie in ihren Armen, drückte sie an ihre Brust und bedeckte sie mit Küssen.

»Wie ein Geist, Jeanie, bin ich hier umhergewandelt, Dich zu sehen,« sagte sie, »und, daß Du mich für einen Geist hältst, Jeanie, wundert mich nicht nein, Jeanie, nicht! Wollte ich ja nur einmal noch Dich vorübergehen sehen, nur einmal noch den Ton Deiner Stimme hören, aber Dich noch einmal zu sprechen im Leben, Jeanie, das war mehr, als ich verdiente, war mehr als ich hoffen durfte, durch Beten zu erlangen.« »O, Effie! Wie kommst Du hierher? Allein? zu solcher Stunde? hierher an das wilde Seeufer? Bist Du es auch wirklich Effie, wirklich und leibhaftig?« Da brach wieder Effies alter Mutwille hervor, denn statt der Schwester Antwort auf die Frage zu geben, kniff sie sie, gleich einer neckenden Fee so leicht, leise in den Arm. Und wieder umarmten sich die Schwestern und lachten bald, bald weinten sie.

»Aber Du mußt doch mit ins Haus kommen, Effie,« sagte Jeanie, »mußt mir dort alles, alles beichten. Es sind brave Menschen dort, Menschen, die Dich um meinetwillen freundlich willkommen heißen,« »Nein, nein, Jeanie,« antwortete Effie traurig, »Du vergißt, was ich bin, vergißt, daß ich verbannt, daß ich landflüchtig bin daß ich schmählichem Tode nur entgangen bin, weil Du die beste, mutigste, tapferste Schwester bist, die jemals unter Gottes Sonne gelebt hat. Nein, nein, Jeanie! mich einem Deiner vornehmen Freunde zu nähern, das kannst Du nicht von mir erwarten, auch nicht, wenn keine Gefahr für mich damit verknüpft wäre.« »Es ist keine Gefahr, es soll keine Gefahr sein,« sagte Jeanie eifrig. »O, Effie, sei nicht eigensinnig, laß Dich nur diesmal leiten! Wir können ja so glücklich sein! Komm zu uns, Effie, komme zu denen zurück, die es am besten mit Dir meinen! Eine alte Hecke gibt immer besseren Schutz als ein neugepflanzter Wald.« »Ich habe alles Glück, dessen ich wert bin, gefunden; jetzt, da ich Dich gesehen!« antwortete Effie, »und ob Gefahr für mich dabei sein mag oder nicht, nachsagen soll mir niemand, daß ich hierhergekommen sei, fast, unmittelbar vom Galgen weg, wie es Vaters Rede war, um meiner Schwester Schande und ihren vornehmen Bekannten Verdruß zu machen.«

»Ich habe keine vornehmen Bekannten hier,« versetzte Jeanie »keine anderen Bekannten, die nicht auch Deine wären Reuben Butler und unsern Vater. Ach, unglückseliges Mädchen! sei nicht so hartnäckig! Kehre zurück zu Deinem Glücke! Komm wieder zu uns, die es am besten auf der Welt mit Dir meinen!«

»Du sprichst vergebliche Worte, Jeanie, was geschehen ist, läßt sich nicht ungeschehen machen! Ich bin verheiratet und muß meinem Manne folgen in Glück und Unglück.« »Effie, verheiratet!« rief Jeanie. »Unglückliches Mädchen! Verheiratet an jenen Furchtbaren!« »Still, still,« sagte Effie, ihr die Hand auf den Mund legend, indem sie mit der andern nach dem Dickicht hindeutete: »Er ist dort!«

Sie sagte dies in einem Tone, der deutlich erkennen ließ, ihr Mann habe ihr Furcht und Liebe in gleichem Maße eingeflößt. Da trat ein Mann aus dem Gehölz, es war der junge Staunton! Selbst bei dem undeutlichen Lichte des Mondes konnte Jeanie sehen, daß er vornehm gekleidet war und ganz so aussah, wie ein Mann von Rang und Stand.

»Effie,« sagte er, »unsere Zeit ist fast vorüber, das Boot wird wieder in der Bucht sein, und wir dürfen nicht länger verweilen, Deine Schwester, hoffe ich, wird mir erlauben, ihr guten Tag zu sagen?« Jeanie aber wich zurück, als er sie brüderlich umarmen wollte. »Nun, wie sie will,« sagte er, »viel gelegen ist nicht daran; verharren Sie auch in Abneigung gegen mich, so lassen Sie es mich wenigstens nicht fühlen, und dafür, daß Sie mein Geheimnis bewahren, wo ein Wort das ich an Ihrer Stelle längst gesprochen hätte mir das Leben kosten würde: dafür lassen Sie mich Ihnen danken von Herzen danken. Es heißt immer: ein Geheimnis, das Dich den Hals kosten kann, hüte selbst vor dem Weibe Deines Herzens mein Weib und ihre Schwester wissen beide um das Geheimnis, das auf mir lastet, und mein Schlaf wird darum nicht gestört.« »Sind Sie wirklich mit meiner Schwester verheiratet?« fragte Jeanie, voll Angst und Zweifel; denn der nachlässig stolze Ton seiner Rede ließ sie das Schlimmste befürchten. »Ich bin mit ihr verheiratet, recht- und gesetzmäßig; und unter meinem wahren Namen,« antwortete Staunton mit tiefem Ernst. »Und Ihr Vater? Ihre Verwandten?« »Mein Vater und meine Verwandten müssen sich aussöhnen mit dem Geschehnis, als mit einer Tatsache, die sich nicht mehr rückgängig machen läßt,« erwiderte Staunton. »Indessen beabsichtige ich, um einerseits gefahrvolle Beziehungen zu lösen, anderseits meinen Verwandten Zeit zur Beruhigung zu lassen, mit der Bekanntgabe meiner Heirat noch zu warten und ein paar Jahre außer Landes zu gehen. Sie werden in dieser Zeit nichts von uns hören, wenn Sie überhaupt je wieder von uns hören. Daß es für mich gefahrvoll ist, schriftlichen Verkehr zu unterhalten, müssen Sie einsehen; denn jeder würde ja doch in Effies Gatten den ... den, nun, wie soll ich sagen? nun, den Mörder des Edinburger Stadthauptmanns vermuten.«

»O, über den verhärteten, leichtsinnigen Wicht!« dachte Jeanie; »und einem solchen Manne hat sie ihr Glück vertraut? Effie, Effie, Du hast in den Wind gesät und mußt nun Sturm ernten.« »Denke nicht schlecht von ihm,« sagte Effie leise, indem sie von ihrem Manne hinweg zu der Schwester trat und sie ein Stück zur Seite führte; »nicht allzu schlecht! Er handelt gut an mir, Jeanie, so gut, wie ich es verdiene. Und er will die argen Wege nicht mehr wandeln. Drum gräme Dich nicht um Deine Effie; denn es geht ihr besser, weit besser, als sie es verdient. Aber Du, Du! kannst Du je so glücklich werden, wie Du es verdienst? Niemals, niemals, Jeanie, denn bis Du in den Himmel eingehst, wo alle, alle so lieb, und gut und brav sind, wie Du. Jeanie, wenn ich lebend bleibe, wenn es mir wohlgeht, dann sollst Du von mir hören; wo nicht, dann vergiß, daß je ein Geschöpf gelebt hat, Dich zu kränken! Lebe wohl! O, lebe wohl!« Sie entriß sich den Armen ihrer Schwester und eilte zu ihrem Gatten, und augenblicklich waren beide im Gehölz verschwunden. Jeanie war es zu Mute, als erwache sie aus einem Traum. Aber der Ruderschlag, den sie jetzt vernahm, und das kleine Boot, das sie zu jenem Schmugglerschiffe steuern sah, dessen weiter vorn gedacht wurde, und das am Eingang zur Bucht lag, lösten ihre Zweifel und bezeugten ihr, daß sie den Vorgang wirklich erlebt. Ob er ihr mehr zur Freude war oder mehr zum Schmerz, wer vermöchte es zu sagen? Aber eins war ihr lieb: sie wußte, daß Effie recht- und gesetzmäßig verheiratet war, und daß ihr Mann den Pfad des Lasters nicht mehr wandle, und das gewährte ihr Trost! Archibald, beunruhigt durch ihr langes Ausbleiben, kam ihr auf halben Wege zu dem Jagdhause entgegen die Aufregung des Tages war Entschuldigung genug für sie, sich sogleich zur Ruhe zu begeben, und um ihre Gemütsbewegung verborgen zu halten, mußte sie zu dieser Entschuldigung greifen.

Ein unangenehmer Auftritt anderer Art, der sich bald nachher ereignete, blieb ihr auf diese Weise erspart. Knockdunders Boot rannte nämlich gegen ein anderes und kippte, was freilich insofern nicht eben verwunderlich war, als alle Insassen, vom Hauptmann bis zum Floßknecht, sternhagelbetrunken waren. Zum Glück kamen alle mit einem nassen Bade davon, denn die Schiffer des Bootes, mit dem sie zusammenstießen, boten alles zu ihrer Rettung auf. Hauptmann Knockdunder fluchte am andern Morgen wie ein Rohrspatz; da aber das Boot, wie auch das Schmugglerschiff die Bucht bereits verlassen hatten, blieb ihm nichts weiter übrig, als den Verdruß in sich hineinzuschlucken; er wollte es sich indes nicht ausreden lassen, daß es die Schmuggler darauf abgesehen gehabt hätten, ihm damit eins auszuwischen, und verschwor sich, »es diesem Mondscheingesindel tüchtig heimzuzahlen, falls sie es sich noch einmal einfallen ließen, sich in sein Gehege zu verlaufen.«


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