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Fünfzehntes Kapitel

Jeanie brachte am nämlichen Tage noch drei Briefe zur Post, einen an Georg Staunton, Hochwohlgeboren auf Willingham bei Grantham, Pfarrhof – wie ihr der Bauer gesagt, der sie zu Pferde bis nach Stamford gebracht – der zweite Brief war an ihren Vater, der dritte an Reuben Butler gerichtet. Es war ein schweres Stück Arbeit für sie gewesen, denn sie war im Schreiben wenig bewandert, und weit lieber hätte sie dreimal so viel Dunloper Käse gemacht. Der erste Brief enthält nur die kurze Nachricht von der Begnadigung der Schwester, die Aufforderung, allen weiteren Umgang mit ihr zu unterlassen, wie auch aller frühere besser unterblieben wäre, und die Bitte an die Vorsehung, ihn vom Pfade der Sünde zu führen. Unterzeichnet war er mit »Sie wissen wer.«

Der zweite Brief, an den Vater, war sehr lang. Er lautete:

Teuerster, wahrhaft verehrter Herr Vater! – Es ist meine Kindespflicht, Ihnen mitzuteilen, daß es dem gnädigen Gotte gefallen hat, die arme Schwester aus ihrer Gefangenschaft zu erlösen durch die gnädige Verwendung Ihrer Majestät der Königin bei Ihrem königlichen Gemahl, dem Landesherrn. Ich habe der Königin Auge in Auge gegenüber gestanden. Aber es ist alles recht gut gegangen. Sie ist auch nicht anders wie wir andern Frauen; bloß daß sie ein sehr fürnehmes Wesen hat und einen mit ihren blauen Falkenaugen wie mit einem Messer durchbohrt. Nächst Gott aber verdanken wir dies alles dem Herrn Herzog von Argyle, der ein echter Schotte ist und gar nicht so stolz wie andere, mit denen Sie hin und wieder zu tun gehabt. Er will uns ein paar Devonshire-Kühe schenken, denn er ist in allem, was Viehzucht angeht, sehr beschlagen, und ich habe ihm einen Laib von unserm Dunloper Käse versprochen. Den will er haben, aber Ziegenkäse nicht ... Er ist wirklich gar nicht hochmütig, sondern würde den Käse von uns geringen Leuten ganz gern entgegennehmen, weil er sagt, daß uns das Herz dann um einiges erleichtert sein werde von der großen Schuld der Dankbarkeit, in der wir ihm gegenüber stehen.

»Da es nun dem lieben Gott gefallen hat, unsrer armen Effie die königliche Gnade auszuwirken, so laßt es ihr auch an Eurer väterlichen nicht mangeln, auf daß sie wieder ein Gefäß der Gnade werden und Eurem grauen Haare zum Troste gereichen könne. Sagt auch dem Laird, daß ihm das Geld, das er mir freundlich geliehen, pünktlich zurückerstattet werden wird, da wir unvermutet gute Freunde gefunden hätten. Was mir das Herz des Herrn Herzogs zugeführt hat, teuerster Vater, ist ein Dienst, den ein Vorfahre von Reuben Butler in den alten unruhigen Zeiten einem Vorfahren des Herzogs erwiesen hat. Herr Butler wird Ihnen darüber erzählen können. Und die Frau Glas, die ist zu mir gewesen wie eine zweite Mutter. Sie hat hier ein hübsches Haus und ihr Laden geht sehr gut, denn sie hält ein Dienstmädchen, einen Verkäufer und einen Austräger. Sie wird Ihnen zwei Pfund feinen Schnupftabak hinaussenden, und weil sie mir gar viel Gutes getan, müssen auch wir daran denken, ihr ein Geschenk zu machen.

Den Gnadenbrief will der Herr Herzog durch einen expressen Boten an Sie senden. Ich selbst reise mit einigen seiner Leute bis Glasgow, und von dort werde ich bald wieder in der lieben Heimat sein. Gott beschütze Sie, teuerster Vater. Dies ist das innige Gebet Ihrer gehorsamen Tochter

Jeanie Deans.

Der Brief an Butler lautete: Es wird Ihnen wohl nicht unlieb sein, geehrter Herr Butler, zu erfahren, daß der Zweck meiner Reise glücklich erreicht worden ist, und daß der Herzog von Argyle, nachdem er den Brief seines Großvaters an den Ihrigen gelesen, Ihren Namen in ein dickes ledernes Buch eingeschrieben hat, so daß es wohl so aussieht, als sei er willens, Sie mit einer Pfarrei zu bedenken. Fehlen wird's ihm an solchen wohl nicht. Und die gnädige Königin, die ich gesprochen, hat mir eigenhändig eine Näh-Schatulle zum Präsent gemacht. Sie trug keine Krone, hatte auch kein Szepter in der Hand, denn das beides gehört nur zum Feststaate, wie bei uns die Kinder ihren Sonntagsstaat haben. Aber sie war gütig, die Königin, und hat mir auch ein Wertpapier übergeben, das ganze fünfzig Pfund Sterling wert ist und mit dem ich mir meine Reisekosten bezahlt machen soll. So werden mithin Sie, geehrter Herr Butler, da wir nun einmal Nachbarskinder sind, wohl nichts dawider haben, wenn ich Ihnen schreibe, daß Sie sich nichts versagen sollen, was zur Erhaltung Ihrer Gesundheit von Nöten ist, denn es hat zwischen uns nichts zu sagen, wer das Geld hat, sofern es der andere benötigt. Denken Sie aber nicht, daß ich das schreibe, um Sie dadurch an etwas zu erinnern, was Sie lieber aus Ihrem Gedächtnis streichen sollten, falls Ihnen eine Kirche oder Schule übertragen würde. Mir wäre eine Schule freilich lieber, insofern als dabei Eid und Patronat in Wegfall kämen, woran mein Vater immer Anstoß nimmt. Anders wäre es mit der Pfarre zu Skreegme, auf die Sie sich ehedem Hoffnung machten; die wäre Vatern wohl eher recht, wenigstens habe ich immer von ihm gehört, daß in diesem rauhen Kirchspiel der Weg zum Heile leichter und schneller zu finden sei als im Edinburger Canongate.

Wenn ich bloß wüßte, was Sie für Bücher haben möchten, Herr Butler, ich kaufte Ihnen gar zu gern welche; denn hier haben die Leute ganze Häuser damit vollgestopft; viele werden auch in den Straßen feil gehalten und billig verschleißt, wahrscheinlich, weil sie bei schlechter Witterung im Freien doch leicht Schaden leiden.

Dieses London ist eine gar zu große Stadt, und ich habe soviel davon gesehen, daß mir förmlich der Kopf schwindlig wird. Es ist nun schon beinahe elf Uhr in der Nacht, und Sie wissen ja, Herr Butler, daß ich mit der Feder nicht recht Bescheid weiß. Aber ich werde in bester Gesellschaft die Rückfahrt machen, und mit Bekannten zu reisen, ist mir wirklich recht lieb, denn auf der Herreise habe ich doch mancherlei Verdruß auszustehen gehabt.

Was meine Muhme hier ist, die Frau Glas, so geht es ihr wohl recht gut, aber in ihrer ganzen Wohnung riecht es nach Tabak, und so stark, daß ich manchmal meine, ich müßte ersticken. Aber das ist gewiß leicht zu ertragen, wenn ich bedenke, welches große Glück meinem Vater und uns zu teil geworden dadurch, daß Effie von dem schrecklichen Tode befreit ist, und das wird auch Sie gewiß recht erfreuen, sind Sie uns doch so lange schon ein alter lieber Freund und Gönner. Und so verbleibe ich denn, werter Herr Butler, Ihre aufrichtige Freundin und wünsche Ihnen zeitlich und ewig alles, was Ihr Herz begehrt ...

Jeanie Deans.«

Nach solch ungewohnter Arbeit legte Jeanie sich recht müde zu Bette, konnte aber doch keinen ruhigen Schlaf finden, denn die Freude über die glückliche Wendung in dem Schicksale ihrer Schwester schwellte ihr das Herz so, daß sie gar häufig aufwachte, um dem gütigen Schöpfer immer und immer wieder für seine große Gnade zu danken.

Zwei Tage lang mußte Frau Glas warten, bis der angekündigte hohe Besuch sich bei ihr einfand, und wenig fehlte, so wäre sie vor Unruhe schier vergangen; aber als endlich der ersehnte Staatswagen mit vier Lakaien in Dunkelbraun und Gelb vor ihrem Laden vorfuhr und der Herzog in seinem mit Stern und Ordensband verzierten Staatskleide ausstieg, da konnte es in ganz London keinen Menschen gehen, der stolzer gewesen wäre als Frau Glas. Der Herzog erkundigte sich nach seiner kleinen Landsmännin, mochte sie aber nicht noch einmal sehen, wohl, um nicht das Gerede von einem Verhältnis oder dergleichen aufkommen zu lassen. Er sagte der Frau, daß der König, zufolge der Fürsprache seiner Gemahlin, dem unglücklichen Mädchen Gnade bewilligt habe, und daß der Gnadenbrief bereits nach Edinburg unterwegs sei; daß aber der Kronanwalt sich gegen eine unbedingte Straflosigkeit erklärt habe, weil in dem kurzen Zeiträume von sieben Jahren das Verbrechen des Kindesmordes siebenmal vorgekommen sei, und daß deshalb die Bedingung an die Begnadigung geknüpft worden sei, daß Effie Deans auf vierzehn Jahre den Boden Schottlands zu meiden habe.

»Was soll denn das arme Ding in der Fremde anfangen?« rief die Frau Glas; »da legt es ja der Kronanwalt direkt drauf an, daß sie in ihre alten Sünden zurückverfällt. Er sollte doch gerade befürworten, daß sie unter die Aufsicht der Ihrigen gestellt werde.« – »Das sind Fragen, liebe Frau,« erwiderte der Herzog, »die uns erst später zu befassen brauchen. Warum sollte sie nicht in London ihr Brot finden? Warum sollte sich ihr nicht Gelegenheit bieten, eine Heirat in Amerika zu machen? Dort braucht von dem, was hier vorgefallen, ja niemand was zu erfahren.« – »Ja, Eure Herrlichkeit,« erwiderte Frau Glas, »es ginge freilich an mit einer Heirat, und da fällt mir ein, daß mein alter Geschäftsfreund in Virginien, von dem ich nun schon vierzig Jahre meinen Laden equipieren lasse, mir schon seit zehn und mehr Jahren mit der Bitte in den Ohren liegt, ihm eine tüchtige Frau zu beschaffen. Er ist ein angehender Sechziger und in sehr guten Verhältnissen. Das wäre eine gar gute Partie, und von Not wäre da für Ihre Schutzbefohlene nicht im geringsten die Rede. Da wäre alles Unglück und aller Jammer der armen Person auf einmal wieder gut gemacht.«

Der Herzog äußerte auf diesen Vorschlag nichts, sondern erzählte nur noch, welche Anordnungen er für Jeanie Deans' Heimreise getroffen habe; dann ließ er sich seine Dose füllen, bestellte Grüße an seine kleine Landsmännin und verließ Frau Glas als die glücklichste aller Ladeninhaberinnen von London.

Der huldvolle Besuch des Herzogs war für Jeanie insofern indirekt von Vorteil, als ihre Tante, stolz auf die ihr widerfahrene Ehre, alles aufbot, ihr den Aufenthalt in London während der drei Wochen, die sie noch bei ihr zubrachte, so abwechselungsreich wie möglich zu machen. Hätte aber dieser vornehmste Edelmann Schottlands nicht so großen Anteil an Jeanie genommen, so wäre Frau Glas, die mit den Jahren doch zuviel vom großstädtischen Wesen angenommen hatte, um mit der heimischen Tracht, der heimischen Sprache und dem doch immerhin ein wenig ungeleckten Wesen ihrer Muhme sich durchaus einwandsfrei abfinden zu können, wohl kaum so freundlich gegen sie gewesen. Mitnehmen wollte sie sie freilich überallhin; aber außer einer Frau Dabby, die ein sehr gut gehendes Kolonialwarengeschäft hatte, und mit der später Jeanie oftmals die Königin in Parallele stellte, doch zum Nachteil der letzteren, denn Frau Dabby, sagte sie, sei nicht allein viel nobler einhergegangen, sondern gut und gern noch einmal so dick und stark, machte sie keine Besuche bei Bekannten ihrer Tante. Sie hätte sich vielleicht nicht in solchem Maße von allen Leuten ferngehalten, sich auch manches mehr noch in der großen Stadt angesehen, hätte nicht die der Begnadigung angehängte Bedingung der vierzehnjährigen Landesverweisung ihr Herz in arge Bekümmernis gesetzt. Ein Glück, daß in dieser Hinsicht die Antwort von ihrem Vater, die ziemlich mit wendender Post eintraf, sie beruhigte. Er sprach zu allen Schritten, die sie unternommen, seinen vollen Beifall aus, pries ihr Verhalten als Werk einer unmittelbaren göttlichen Eingebung, sie selbst aber als ein vom Himmel erkorenes Werkzeug, um eine Familie vor drohendem Untergange zu bewahren. Die Landesverweisung Effies betrachtete er als eine Aufforderung an ihn, »Haran zu verlassen, wie einst Abraham der Erzvater auch das Geschlecht seines Vaters und das Haus seiner Mutter, und Asche und Staub aller verlassen mußte, die vor ihm eingegangen zur ewigen Ruhe, wie aller, die noch ihm dorthin folgen sollten ... aber mein Herz wird mir leichter werden,« so schrieb er zum Schlusse, »wenn ich dies tue, da ich mir den Verfall der ernsten und wahren Religion in diesem Lande ins Gedächtnis rufe, und wenn ich die Höhe und Tiefe, die Länge und Breite der nationalen Irrtümer überschaue; und so werde ich bestärkt in meiner Absicht, diesen Wohnort zu verlassen, da ich höre, daß in Northumberland Pachtungen zu niedrigem Preise zu haben sind, wo da viele kostbare Seelen wohnen, die zu unserm reinen, wenn auch duldenden Bekenntnisse gehören ... Auch läßt sich dasjenige Vieh, was mir mitzunehmen als ratsam erscheint, leicht dorthin treiben, während wir das andere, so gut es eben gehen wird, hier verkaufen wollen. Vom Land kann ich nicht anders sagen, als daß er sich in diesen Tagen schweren Herzeleids als ein braver Freund erwiesen hat. Das Geld, das er für Effies Sache ausgelegt hat, habe ich ihm wiedererstattet; denn der Herr Novit hat, wie der Laird es nicht anders erwartet hat, nichts davon wieder herausgegeben; es hat sich eben auch wieder bewahrheitet, was der gemeine Mann zu sagen pflegt, daß die Gerichte nun einmal am liebsten alles schlucken. Die Gnade, die Dir die Königin erwiesen, kann ich nicht anders als durch Gebet wettzumachen suchen, und beten will ich für ihr zeitliches und ewiges Wohl, wie auch für den Bestand der Herrschaft ihres Hauses auf dem Throne dieser beiden Reiche. Ueber den Herzog von Argyle mehr oder anderes zu sagen, als was Du selbst schreibst, geht nicht wohl an; er ist ein echter und wahrhafter Edelmann, dem dafür, daß er die Sache des Armen und Verlassenen so bereitwillig führt, der himmlische und irdische Lohn nicht vorenthalten bleiben wird.

»Ich habe auch unser armes, mißleitetes Kind gesehen. Morgen wird sie, nachdem sie sich verbürgt hat, Schottland auf die Zeit von vierzehn Jahren zu meiden, aus der Haft entlassen werden. Aber noch liegt ihr Sinn in den Banden des Argen. Noch hat sie Sehnsucht, statt zerknirscht das bessere Wasser der Wüste zu trinken, die Fleischtöpfe Aegyptens wieder zu schauen. Ich werde Deine Heimkehr mit wahrer Freude begrüßen, denn Du bist, nächst dem ewigen Gotte, in diesen schweren Drangsalen meine einzige Stütze, mein einziger Trost.«

Zum Schlusse meinte er noch, daß er die Art, wie sie ihre Heimkehr bewirken wolle, nur billigen könne, und fügte noch allerhand Bemerkungen bei, mit deren Erörterung wir uns hier nicht zu befassen brauchen, da sie für den Verlauf unserer Erzählung belanglos sind. Als Nachschrift hatte er aber eine Zeile geschrieben, die von Jeanie wieder und wieder gelesen wurde: »Reuben Butler war mir in diesen schweren Wochen ein getreuer und lieber Sohn.« Diese Worte galten Jeanie als gutes Vorzeichen, da sie jeglicher Bemerkung über Butlers weltliches Wissen oder die ketzerische Gesinnung seines Großvaters entbehrten, die der Vater sonst immer anzubringen liebte. Hoffnung von Liebesvolk gleicht nun einmal der Bohne im Ammenmärchen: hat sie erst einmal Wurzel geschlagen, so wächst sie schnell und baut schon in wenigen Stunden ein Schloß auf hohem Gipfel, bis zu guter Letzt die Erfahrung mit ihrem Richtschwert sowohl die Pflanze als das luftige Gebäude hinwegmäht. Jeanies Phantasie entschwebte alsbald in die Gefilde Northumberlands, in eine Meierei mit reichem Viehbestand, neben der ein Kirchlein sich erhob, das rechtgläubigen Christen als Sammelstätte diente, wo Reuben Butler goldene Worte des Evangeliums predigte. Und diese Bilder wurden ihr bald so lieb und wert, daß sie sich von ganzem Herzen freute, als der Herzog von Argyle ihr sagen ließ, sie möchte sich binnen zwei Tagen bereit halten, da er Herrn Archibald schicken werde, sie abzuholen.


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