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Dreizehntes Kapitel.

Jeanie war es doch beklommen ums Herz, als sie sich an diesem ihr so ganz unbekannten Orte so ganz allein sah mit einem Herrn von so hohem Range. Es hatte alles einen gar so wunderbar geheimnisvollen Anstrich, Wo befand sie sich eigentlich, und vor wen sollte sie jetzt treten? Es entging ihr nicht, daß der Herzog einfachere Kleidung trug, als sie ihn das erste Mal gesehen, und daß er keinerlei Ehrenzeichen angelegt hatte. Der Gedanke, daß sie vielleicht ihr Gesuch selbst an königlicher Stelle vortragen solle, war ihr schon einmal gekommen, und was sie jetzt sah, schien die Möglichkeit nicht auszuschließen. »Aber,« dachte sie bei sich, »wenn der Herzog sich vor seinem Könige zeigen wollte, so hätte, er doch sicher seinen glänzenden Ordensstern angesteckt. Und so, wie in einem königlichen Palast, sieht es hier doch auch nicht aus!«

Jeanies Folgerungen waren so ungereimt nicht; aber sie wußte doch von den Sitten bei Hofe zu wenig, und noch weniger, daß es der Herzog liebte, sich in einen gewissen Gegensatz dazu zu setzen. Auch davon konnte sie ja nichts wissen, daß der Herzog bei dem königlichen Hofe seit einiger Zeit nicht mehr in Gunst stand. Die Königin Karoline hatte es sich jedoch nach und nach zum Grundsatze gemacht, ihre Anhänger äußerst vorsichtig zu behandeln, aus Furcht, sie könnten sich dereinst als Feinde entpuppen, und ihre dermaligen Gegner mit solcher Feinheit, als sei es nicht ausgeschlossen, daß sie sich ihrer Partei anschlössen. In Regierungsangelegenheiten war ihr Gewicht sehr bedeutend, denn der König, mehr Soldat als Staatsmann, ließ sich ganz von seiner klugen Gemahlin leiten, so sehr er sich auch der Öffentlichkeit gegenüber in das Licht zu setzen suchte, als handelte er nur nach eignem Willen, Die Königin besaß bei aller Liebenswürdigkeit einer nach den damaligen Begriffen vollkommenen Dame einen starken, männlichen Geist und einen scharf ausgeprägten Stolz; es war ihr nicht möglich, Ausdrücke ihres Unwillens zurückzuhalten, aber, wenn nachher die Klugheit über ihre Leidenschaft siegte, war sie ebenso schnell bereit, jede Uebereilung zurückzunehmen und wieder gut zu machen. Sie liebte den tatsächlichen Besitz der Macht mehr als den Schein einer solchen, und bei allem, was sie unternahm und vollführte, war sie stets besorgt, daß der König den Ruhm und Vorteil davon erntete, denn sie wußte recht gut, daß sie sich die eigene Würde erhielt, wenn sie die seinige hob. Ein hervorstechender Zug ihres Charakters war es, einen geheimen Briefwechsel mit denjenigen zu unterhalten, denen sie vor der Oeffentlichkeit scheinbar ihre Gunst entzog oder die aus irgend einer Ursache nicht auf gutem Fuße mit dem Hofe standen. Hierdurch hielt sie den Faden manches politischen Gewebes in ihrer Hand, und, und ohne selbst in irgend einer Sache tätig einzugreifen, konnte sie auf diese Weise oft verhüten, daß Unzufriedenheit in Haß, Widerstand in Empörung ausartete. Drohte solchem Briefwechsel irgend welche Gefahr, so wurde er als bloße gesellschaftliche Verpflichtung hingestellt, die mit Politik nicht das geringste zu schaffen hatte. Von diesem Standpunkte aus wird man es recht wohl begreiflich finden, daß sie, trotzdem dem Herzoge von Argyle wohl niemals ihre Gunst gehörte, doch niemals völlig mit ihm brechen mochte, sicherten ihm doch seine hohe Geburt, seine hervorragenden Talente, die Ehrfurcht, die er in seinem Vaterlande genoß, wie nicht zu allerletzt die bedeutenden Dienste, die er dem Hause Braunschweig im Jahre 1715 geleistet, eine gewisse Ausnahmestellung, die es nicht rätlich erscheinen ließ, ihn ganz beiseite zu lassen. Gleichwie er durch ein bloßes Wort vermocht hatte, den Aufruhr der hochländischen Häuptlinge zu unterdrücken, so litt es keinen Zweifel, daß er sie ebenso durch ein bloßes Wort zu alarmieren im stande sei. Nicht minder war es recht gut bekannt, daß ihm vom Hofe zu Saint-Germain wiederholt die schmeichelhaftesten Angebote gemacht worden waren; für den Charakter der Schottländer herrschte bei Hofe wie in ganz England, nur geringes Verständnis, aber die Königin hielt den Herzog von Argyle für einen Vulkan, der wohl eine Zeitlang ruht, aber wenn man es am wenigsten vermutet, wieder in Tätigkeit tritt und dann die wildeste Zerstörung anrichtet. Auf solchen Mann Einfluß zu behalten, erschien der Königin nicht bloß aus politischem, sondern aus allgemein menschlichem Interesse für notwendig, und sie bediente sich hierzu der Vermittlung einer Dame, mit der sie, als Gemahlin Georgs des Zweiten, eigentlich geringe Ursache gehabt hätte, Beziehungen zu pflegen. Es war ein Zug besonderer Charakterstärke, daß sie sich mit Lady Suffolk, der Maitresse ihres Gemahls, nicht entzweite, sondern ihr vielmehr in ihrem Hofstaate einen der ersten Plätze einräumte und sich auf diese Weise eine demütige, allezeit dienstbereite Vertraute schuf, die ihr niemals, wie eine gehaßte Nebenbuhlerin, wirklich gefährlich werden konnte. Obendrein blieb ihr die Gelegenheit in vollem Maße, ihrer »kleinen Howard,« wie sie sie nannte, mancherlei kleinliche Kränkungen zuzufügen, wenn sie einmal das Verlangen verspürte, sich an ihr zu rächen; anderseits war zwischen ihr und ihrem Gemahl schon manche Differenz durch diese Maitresse geschlichtet worden, und so war es gekommen, daß ihr bei Hofe, nicht bloß vom Könige, mit großem Wohlwollen begegnet wurde. Erachtete es die Königin für klug, mit dem Herzoge von Argyle nicht völlig zu brechen, so meinte dieser, es unter der Hand mit Lady Suffolk halten zu sollen, eben ihres Einflusses auf den König und die Königin halber; aber hin und wieder waren die Beziehungen zwischen diesen beiden »Hofgängern«, wenn auch nicht gelöst, so doch gespannt geworden, wie zuletzt wieder durch den Porteous-Krawall, von dessen Verteidigung die Lady, im Gegensatze zu dem Herzoge, nicht das geringste hören mochte. Sie wußte, daß sie hierin auf den Beifall der Königin durchaus rechnen durfte, denn diese erblickte in dem Krawall weniger einen Wutausbruch des Edinburger Pöbels als eine schmähliche Widersetzlichkeit allgemeiner Natur wider die von ihr speziell befürworteten Maßnahmen.

Um das Folgende verständlicher zu machen, erschien es dem Verfasser für angezeigt, diese kurze Erörterung der am Hofe Georgs des Zweiten herrschenden Strömungen und wirksamen Personen hier einzuflechten.

Der Herzog lenkte aus dem schmalen Buchenwege in einen ähnlichen ein, der jedoch breiter und länger war, und hier sah Jeanie zum ersten Male, seit sie den Garten betreten, menschliche Wesen. Es waren zwei Damen, von denen die eine ein paar Schritte hinter der andern einherschritt, doch nicht in so großem Abstande, daß Aeußerungen, die von der vorderen getan wurden, von der hinteren etwa nicht hätten gehört werden können. Während die Damen langsamen Schrittes näher kamen, fand Jeanie Muße, ihre Gesichtszüge zu studieren. Die vordere Dame war entschieden diejenige, der der Vorrang gebührte; sie hatte auffallend freundliche, oder vielmehr huldvolle Züge; doch zeigte ihr Gesicht leichte Pockennarben, die die allgemeine Schönheit desselben beeinträchtigen. Aber ihre Augen hatten einen so faszinierenden Blick, daß man leicht über diese Narben hinweg sah. Sie neigte wohl ein wenig zur Fülle, hatte aber dadurch den Liebreiz der Formen noch nicht verloren; und ihre Art, fest und sicher aufzutreten, ließ nicht aufkommen, daß sie zuweilen an einer jede Fußbewegung hemmenden Krankheit litt. Ihre Kleidung war mehr reich als jugendlich, und ihre Haltung ermangelte bei aller edlen Art nicht eines befehlshaberischen Zuges.

Ihre Begleiterin war kleiner, hatte hellbraunes Haar und blaue Augen; ohne schön im eigentlichen Sinne zu sein, ermangelten ihre Züge, wenngleich eine gewisse Schwermut über ihnen lag, – bei dem Lose, das sie getroffen, begreiflich – nicht einer gewissen Anmut.

Als sie etwa fünfzehn Schritte von den Damen entfernt waren, winkte der Herzog, Jeanie stehen zu bleiben, trat aber selbst näher und machte mit der ihm eigenen Anmut eine tiefe Verbeugung. Die Königin dankte mit feierlicher Würde. »Hoffentlich,« sagte sie mit huldvollem Lächeln, »fühlt sich der Herzog von Argyle, der sich zu unserem Bedauern jetzt so selten bei Hofe macht, recht wohl, den Wünschen gemäß, die seine Freunde diesseits und jenseits des Tweed für ihn fühlen?«

Der Herzog erwiderte, er habe sich recht wohl befunden und sei nur durch wichtige Geschäfte und eine Reise nach Schottland abgehalten worden, bei Hofe zu erscheinen.

Wenn Seine Herrlichkeit Zeit zu so geringfügigen Dingen fände, versetzte die Königin, würde sie stets willkommen sein; ihre Bereitwilligkeit, ihm den gestern gegen Lady Suffolk geäußerten Wunsch zu erfüllen, müsse ihm ja zeigen, daß mindestens ein Mitglied des königlichen Hauses seine früheren wichtigen Dienste um der jetzigen Vernachlässigung halber nicht vergessen habe. Die Königin sprach dies alles in einem Tone, der sich schelmisch anhörte, aber ziemlich deutlich verriet, daß sie eine völlige Aussöhnung erstrebte.

Der Herzog antwortete, er würde sich für den unglücklichsten der Menschen halten, wenn die Königin ihn irgend welcher Pflichtvergessenheit für fähig halten könnte; zumal dann, wenn bei Hofe auf ihn irgendwie gerechnet würde. Er fühle sich durch die Huld seiner Königin unendlich beglückt und hoffe, ihr recht bald beweisen zu können, daß er sie durch Lady Suffolk um diese Gunst nur gebeten habe, weil er überzeugt sei, daß ihre Gewährung für Seine Majestät selbst von Belang sein werde.

»Sie können sich Ihrer Königin gar nicht dienstwilliger zeigen, lieber Herr Herzog,« versetzte Karoline, »als wenn Sie mir Ihre Einsicht und Erfahrung in allen den Dienst beim Könige betreffenden Punkten zu nutze kommen lassen. Ihre Herrlichkeit wissen ja recht gut, daß ich in dem fraglichen Falle nur Vermittlerin sein kann Seiner königlichen Majestät gegenüber; nichtsdestoweniger will ich gern Sorge tragen, daß, wenn das Anliegen Eure Herrlichkeit persönlich angeht, es an Wirksamkeit durch meine Befürwortung nicht einbüßen soll.«

»Es betrifft meine Person nicht, gnädigste Fürstin,« versetzte der Herzog, »sondern eine Angelegenheit, die Ihrer Majestät, als einem Freunde von Gnade und Gerechtigkeit, willkommen sein wird insofern, als sie beitragen wird, die leidigen Mißverständnisse, die zurzeit zwischen dem Hofe und seinen getreuen schottischen Untertanen herrschen, aus der Welt zu schaffen.«

In dieser Antwort des Herzogs berührte zweierlei die Ohren der Königin nicht angenehm: zuerst wurde durch dieselbe der Wahn zerstört, der Herzog suche in der Absicht ihre persönliche Vermittlung, um seinen Frieden mit der Regierung zu machen; in zweiter Reihe war sie ärgerlich, daß der Herzog von den Schotten in dem Sinne sprach, daß es Pflicht sei für England, sie versöhnlich zu stimmen, statt sie zu bestrafen. Von diesem Eindrucke beherrscht, versetzte sie heftig: »Seine Majestät verdankt es Gott und dem Gesetze, daß er gutgesinnte Untertanen in England hat; seine Untertanen in Schottland hingegen verdankt er, meinem Dafürhalten nach, Gott und seinem Schwerte.« Aber sie sah den Irrtum, den sie damit begangen, sogleich ein, als sie die Röte bemerkte, die das Gesicht des Herzogs färbte, und die dieser, trotz aller hofmännischen Gewandtheit, nicht zu verbergen vermochte; sie setzte darum, ohne die geringste Wandlung im Wesen oder im Klang ihrer Stimme zu zeigen, ganz, wie wenn ihre Bemerkung noch nicht zu Ende sei, hinzu: »Und den Schwertern solcher tapferen und ehrlichen Schotten, die dem Hause Braunschweig freundliche Gesinnung entgegenbringen, und zu ihnen gehört ja in erster Reihe unser getreuer Herzog von Argyle.«

»Mein Schwert, gnädigste Fürstin,« antwortete dieser, »ist, wie das meiner Väter und Vorväter, immer auf Befehl meines rechtmäßigen Königs und im Interesse meines Vaterlandes gezogen worden. Daß es nicht möglich sei, die wahren Interessen und Gerechtsame beider zu trennen, ist meine feste Ueberzeugung, Die Angelegenheit aber, in welcher ich im gegenwärtigen Augenblick Ihre Majestät behellige, ist mehr privaten Charakters und betrifft nur eine einzelne, nicht weiter bekannte Persönlichkeit.«

»So bringen Sie die Sache endlich zum Vortrag, Herr Herzog!« rief die Königin; »wovon ist die Rede? Ich möchte nicht, daß sich am Ende noch Mißverhältnisse zwischen uns drängten.«

»Allergnädigste Königin,« erklärte der Herzog, »ich habe mich zum Anwalt eines unglücklichen jungen Mädchens aus Schottland gemacht, das wegen eines Verbrechens, an dem sie aller Wahrscheinlichkeit keine Schuld trifft, den Tod erleiden soll, und nahe mich Ihrer königlichen Majestät mit der untertänigen Bitte, Gnade für das arme Geschöpf bei Seiner königlichen Majestät auszuwirken.«

Jetzt war es an der Königin, die Farbe zu wechseln; ihre Stirn, ihre Wangen, ihr Nacken und Busen wurden mit tiefer Glut überzogen. Im ersten Moment schien sie ihrer Stimme nicht recht zu trauen; darum schwieg sie, wie um sich nicht vom Zorne hinreißen zu lassen; dann aber versetzte sie mit Hoheit und Strenge: »Mylord! Es sei ferne von mir, Sie nach den Gründen zu befragen, die Sie zu solchem Ansuchen bestimmen, das die Umstände zu einem wirklich äußerst ungewöhnlichen stempeln. Der Weg zum Kabinett des Königs steht Ihrer Herrlichkeit frei; Sie können als Pair und Geheimer Rat eine Audienz von Seiner Majestät begehren, mir also diese Mühe wie die ganze Erörterung des Falles ersparen. Sie dürfen mir glauben, daß ich von jeglicher Begnadigung, soweit sie Leute aus Schottland angeht, endgültig Abstand nehmen will, denn die letzten Vorkommnisse haben mich schmerzlich berührt.«

Der Herzog, auf diesen Ausbruch des Unwillens gefaßt, ließ sich dadurch nicht abschrecken, machte zwar keinen Versuch zu einer Gegenrede, blieb aber in der festen, ehrerbietigen Stellung, die er die ganze Zeit über bewahrt hatte. Um ihm keinen Vorteil über sich zu geben, bezwang die Königin ihren Zorn; und in demselben milden Tone, mit dem sie die Unterredung begonnen, fügte sie hinzu: »Sie müssen mir schon gewisse Vorrechte meines Geschlechtes lassen, Mylord, und nicht zu hart von mir denken, wenn mich die Erinnerung an den Schimpf, den Schottlands Hauptstadt unserer königlichen Gewalt angetan, ein wenig unwillig macht.«

»Es ist freilich eine Sache, die sich nicht so leicht vergessen läßt,« erwiderte der Herzog. »Wie ich selbst hierüber denke, ist Ihrer Majestät längst unterbreitet worden, und ich muß mich recht undeutlich ausgedrückt haben, wenn aus meinen Worten nicht der höchste Abscheu vor diesem seltsamen Morde hervorging. Ich war vielleicht so unglücklich, anderer Meinung zu sein als die Ratgeber Seiner Majestät, darüber: inwieweit Gerechtigkeit oder Staatsklugheit es gestatte, den Unschuldigen für den Schuldigen zu strafen. Doch Ihre Majestät werden mir hoffentlich erlauben, da zu schweigen, wo meine Ansichten nicht den Vorzug genießen, mit den Meinungen derer, die weitsehender sind als ich, übereinzustimmen.«

»Wir wollen ein Thema nicht verfolgen, über das unsere Meinungen auseinandergehen müssen,« versetzte die Königin; »ein Wort kann ich jedoch im Vertrauen sagen,« fügte sie etwas leiser hinzu: – »Sie wissen, unsere gute Suffolk ist ein wenig taub, – wenn der Herzog von Argyle die Beziehungen zu seinem König und seiner Königin erneuern will, so wird er Wohl nicht viele Themata finden, über die ihre Meinungen auseinandergehen.«

Der Herzog verneigte sich tief ob dieser schmeichelhaften Aeußerung: »Lassen Sie mir die Hoffnung, allergnädigste Frau,« sagte er, »daß mich nicht das Unglück getroffen, jetzt ein solches Thema gefunden zu haben.«

»Ich muß Euer Herrlichkeit erst, bevor ich Ablaß gewähre, die Pflicht, zu beichten, auferlegen. Woher rührt der besondere Anteil, den Sie an diesem Mädchen nehmen? Es scheint nicht,« – (und sie musterte Jeanie mit dem forschenden Auge der Kennerin.) – »als sei sie sonderlich geeignet, im Herzen meiner Freundin, der Herzogin, Eifersucht zu wecken.«

»Ihre Majestät,« erwiderte der Herzog, gleichfalls lächelnd, »werden hier hoffentlich meinen Geschmack für mich als Bürgen gelten lassen.«

»Dann ist sie wohl,« rief die Königin, »eine Muhme im dreißigsten Gliede aus den endlosen schottischen Geschlechtsregistern?«

»Nein, allergnädigste Frau,« sagte der Herzog, »doch würde es manchem meiner näheren Verwandten nichts schaden, wenn er die Hälfte ihres Wertes, ihrer Redlichkeit und Liebe besäße.«

»So ist sie wohl aus Inverary oder Argyleshire hierher gekommen?«

»Sie ist in nördlicher Richtung nie weiter gekommen, als bis Edinburg, meine allergnädigste Königin.«

»Nun, so bin ich mit meinen Vermutungen zu Ende, und Eure Herrlichkeit müssen sich schon mit der Sache ihrer Beschützerin selbst befassen.«

In jener kurzen, klaren und bestimmten Weise, die nur das gesellschaftliche Leben der höheren Stände verleiht, setzte nun der Herzog jenes seltsame Gesetz auseinander, auf Grund dessen Effie Deans verurteilt worden war, und entwickelte ein ergreifendes Bild von Jeanies Schwesterliebe, die zu jedem Opfer willig sei, sofern es nicht Wahrheit und Gewissen verletze.

Königin Karoline hörte seinen Worten aufmerksam zu; sie liebte es, zu diskutieren, und hatte bald in der Darstellung des Herzogs den Punkt herausgefunden, den sie mit Aussicht auf Erfolg gegen das von ihm vorgebrachte Gesuch geltend machen konnte.

»Dies Gesetz erscheint auch mir übermäßig streng, Mylord,« sagte sie. »Doch muß ich bemerken, daß sehr triftige Gründe Veranlassung gegeben haben, es als Landesgesetz zu erlassen. Das Mädchen ist auf Grund desselben verurteilt worden, – weil die Voraussetzungen für den tatsächlichen Schuldbeweis in ihrem Falle sämtlich zutreffen. Was Sie, Mylord, geltend machen, um den Beweis ihrer Unschuld zu erbringen, reicht vielleicht hin, das Gesetz aufzuheben, kann aber nicht, solange das Gesetz besteht, zu gunsten von bereits Verurteilten in Anwendung gebracht werden.«

Der Herzog merkte die Gefahr; er durfte durch Fortsetzung dieser Erörterung die Königin nicht auf den Standpunkt drängen, der sie schließlich, um sich nicht in das Licht der Inkonsequenz zu setzen, zur Preisgabe der Verurteilten nötigte.

»Wenn Ihre Majestät,« sagte er, »die Gnade haben wollten, meine arme Landsmännin selbst zu hören, so fände sie vielleicht in Dero eignem Herzen einen Fürsprech, der die Einwände Ihres Verstandes wirksamer zu bekämpfen vermöchte als ich.«

Es hatte den Anschein, als ob die Königin sich damit einverstanden erklärte; worauf der Herzog Jeanie winkte, von dem Platze vorzutreten, wo sie bis jetzt in Aengsten gestanden, bemüht, auf Gesichtern zu lesen, die sich doch durch lange Gewöhnung viel zu scharf in der Gewalt hatten, um sich auch nur die leiseste innere Bewegung anmerken zu lassen.

Die Herrscherin lächelte über die respektvolle Scheu, mit der das stille, kleine Schottenmädchen sich näherte, lächelte mehr noch, als der erste Laut ihrer nordischen Mundart über Jeanies Lippen kam. Jeanies Stimme hatte einen weichen süßen Klang, und ihre Bitte, »die allergnädigste Frau wolle ihr Herz doch zum Mitleid wenden gegen ein unglückliches, irre geführtes Mädchen,« wurde so ergreifend vorgebracht, daß das Fremde, Ungewohnte, das zuerst auf die Königin einen unangenehmen, wunderlichen Eindruck machte, bald mit tiefem Ernst auf sie wirkte.

»Steh auf,« sprach sie, nicht ohne Huld, »und erkläre mir die rohen Sitten Deines Volkes, bei welchem Kindesmord ein so häufiges Vorkommnis ist, daß die Regierung sich zum Erlaß so strenger Gesetze genötigt sieht?«

»Mit Verlaub, gnädige Frau« gab Jeanie zur Antwort, »auch in andern Ländern als Schottland leben wohl Mütter, die hart sind gegen ihr eigen Fleisch und Blut.«

Für den Zwist zwischen dem König Georg und seinem Sohne, dem Thronfolger, der um diese Zeit gerade den Höhepunkt erreichte, wurde im ganzen Lande die Königin verantwortlich gemacht. Tiefe Röte stieg, als sie die Worte aus dem Munde des Landmädchens vernahm, auf ihr Gesicht, und ein scharfer Blick aus ihren Augen traf zuerst Jeanie, dann den Herzog. Er wie sie hielten ihn ruhig aus; Jeanie, weil sie sich einer irgendwie verletzenden Rede nicht bewußt war, der Herzog, weil er seine Empfindungen scharf im Zügel zu halten gewohnt war. In seinem Herzen aber dachte er: »Durch diese unglückselige Antwort hat sich mein armer Schützling, ohne es zu ahnen, um die letzte Hoffnung gebracht!«

In diesem entscheidenden Augenblicke aber trat, von einer guten Regung geleitet, Lady Suffolk ein ... »Du solltest der gnädigen Frau doch die Ursachen sagen, Kind,« redete sie Jeanie an, »die dieses schwere Verbrechen in Deinem Volke so häufig machen.«

»Manche sagen, es käme vom Kirchensitzen, sie meinen damit den – den Sündenschemel, mit Euer Gnaden Verlaub,« sagte Jeanie, die Augen zu Boden schlagend, und die Stimme senkend, mit tiefem Knickse.

»Was sagst Du da,« fragte Lady Suffolk, die diesen kirchlichen Brauch vielleicht nicht kannte, und die Antwort des Mädchens vielleicht nicht richtig verstanden hatte.

»Wir nennen's auch Büßerstuhl, gnädige Frau, worin diejenigen in der Kirche sitzen müssen, die sich einen leichtfertigen Wandel zuschulden kommen lassen oder das sechste Gebot nicht achten.«

Sie wandte hier die Augen auf den Herzog und sah ihn mit der Hand nach dem Kinn greifen; ohne zu wissen, was sie Unrechtes vorgebracht, erhöhte sie nun die Wirkung ihrer Worte dadurch, daß sie plötzlich stockte. Gleich einem Hilfskorps, das sich zwischen den Feind und den geschlagenen Freund geworfen, und unvermutet von dem letztern selbst unter Feuer genommen wird, retirierte die Lady.

»In dem Mädchen steckt wahrhaftig der Teufel,« dachte der Herzog, »sie gibt die tödlichen Salven schier nach beiden Seiten!«

Auf den Herzog fiel kein geringer Anteil an der schiefen Lage, in die beide Damen durch das Mädchen vom Lande gesetzt worden, das von dem, was es angerichtet, keine Ahnung hatte; denn er hatte sie doch hierher geführt; er mochte sich ungefähr vorkommen wie jener Junker, der seinen Wachtelhund in ein vornehmes Gesellschaftszimmer mitbringt und nun mit ansehen muß, welchen Schaden die unzeitigen Sprünge desselben anrichten. Jeanies letzter, unfreiwilliger Ausfall hob jedoch die Schlappe, die sie durch den ersten erlitten, auf; denn Ihre Majestät war doch noch Weib genug, um einen Seitenhieb gegen »Ihre gute Suffolk« nicht ungern in Kauf zu nehmen.

Mit einem Lächeln, das ihrer Freude über diesen Triumph ohne jegliches Zutun von ihrer Seite nicht undeutlichen Ausdruck gab, sagte die Königin: »Die Schotten sind ja recht strenge Sittenrichter.«

Dann brach sie das Thema jäh ab und fragte Jeanie, wie sie die Reise von Schottland nach England gemacht habe.

»Meistens zu Fuß,« war die Antwort.

»Was? die ganze Riesenstrecke zu Fuß? – wie weit kannst Du denn in einem Tag gehen?«

»Fünfundzwanzig Meilen ungefähr.« Natürlich sind »englische« darunter zu verstehen, die nur knapp zu dreiviertel Stunden gerechnet werden.

»Ich hielt mich für eine tüchtige Fußgängerin,« sagte die Königin zu dem Herzog von Argyle, »aber gegen dies Mädchen komme ich nicht auf.«

»Möge Euer Gnaden Trauer im Herzen niemals gegen körperliche Müdigkeit unempfindlich machen,« sagte Jeanie.

»Das war 'mal eine bessere Rede,« dachte der Herzog.

»Ich habe die Strecke nicht ganz zu Fuß gemacht, sondern bin ein Stück in einem Frachtwagen gefahren, von Ferrybridge aus sogar geritten,« sagte Jeanie, ihre Erzählung kurz abbrechend, denn sie sah wieder die Hand des Herzogs am Kinne.

»Trotzdem muß Dich die Reise doch sehr angegriffen haben,« sagte die Königin, »und obendrein wirst Du Dir, wie ich stark fürchte, all diese Beschwerden umsonst gemacht haben; denn wollte auch der König Deine Schwester begnadigen, so würden Deine Edinburger Landsleute sie doch wahrscheinlich wider ihm zum Trotze hängen.«

»Nun wird sie sicher den letzten Trumpf gegen sich ausspielen,« dachte der Herzog; allein er irrte. Die Klippen, auf die Jeanie in dieser gefährlichen Unterredung geraten war, lagen ihr unbekannt in der Tiefe, die Sandbank aber, wohin sie jetzt geriet, ragte über das Wasser hervor, und an ihr steuerte sie vorbei.

Stadt und Land, sagte sie, würden sich freuen, wollten sich Majestät eines armen verlassenen Geschöpfes in Gnaden erbarmen.

»Seine Majestät hat in dieser Hinsicht jüngst andere Erfahrungen gemacht,« antwortete die Königin; – »Mylord möchte wohl eher raten, den Edinburger Pöbel darüber abstimmen zu lassen, wer gehängt, und wer pardonniert werden soll?«

»Nein, gnädigste Frau; aber raten möchte ich Seiner Majestät, sich von Seinem und dem Gefühl Seiner königlichen Gemahlin in solchem Falle leiten zu lassen. Dann wird die Strafe nur die wirkliche Schuld treffen.«

»Ihre kluge Rede, Mylord, gibt mir nicht die Ueberzeugung, daß es geraten und angemessen sei, Ihrer – ich darf wohl nicht sagen aufrührerischen? – doch mindestens unlenksamen Hauptstadt so schnell eine solche Gunst zu erzeigen. Hat sich nicht das ganze Volk verschworen, die wilden Mörder des unglücklichen Stadthauptmannes zu schirmen? Wie ließe es sich sonst erklären, daß auch kein einziger von den vielen Schuldigen festgenommen werden konnte? Es haben doch sicher auch Freunde von Dir an dem schändlichen Verbrechen Anteil gehabt?«

»Nein, gnädige Frau,« erwiderte Jeanie hocherfreut, daß die Frage ihr so gestellt wurde, daß sie mit gutem Gewissen mit Nein darauf antworten konnte.

»Du würdest Dir aber wohl ein Gewissen daraus machen, es auszuplaudern, wenn Du über ein solches Geheimnis verfügtest.«

»Ich würde Gott bitten, mir den Weg zur Pflicht zu zeigen,« erwiderte Jeanie.

»Und doch den einschlagen, den Deine Neigungen Dich führen,« sagte die Königin.

»Gnädigste Frau, ich wäre, dem Hauptmann Porteous oder einem andern Unglücklichen das Leben zu retten, bis ans Ende der Welt gegangen, allein mit Recht darf ich wohl bezweifeln, inwiefern mir die Rolle zufiel, seine Bluträcherin zu sein, was den weltlichen Gerichten, wenn er gerächt werden soll, mehr zustände. Er ist tot, und die ihn töteten, müssen für ihr Tun die Verantwortung tragen. Aber meine Schwester, – meine arme Schwester Effie – lebt noch, obgleich ihre Tage und Stunden gezählt sind! Sie lebt noch, und ein Wort aus dem Munde des Königs könnte sie einem alten Manne wiedergeben, dessen Herz des Kummers übervoll ist, der nie in seinem Morgen- und Abendgebet unterlassen hat, Segen auf den Thron Seiner Majestät herabzuflehen. – O, gnädige Frau, wenn Sie jemals erfahren haben, was es heißt, Kummer im Herzen für ein armes sündiges Geschöpf zu tragen, dessen Gemüt auf den Tod erschüttert ist, dann erbarmen Sie sich unseres Jammers! Bewahren Sie ein ehrliches Haus vor Schmach und ein unglückliches, kaum achtzehnjähriges Mädchen vor einem frühzeitigen schrecklichen Tode. Ach, nicht wenn wir nach süßem Schlummer fröhlich erwachen, sind wir fremden Leides eingedenk. Naht uns aber seelische Trübsal oder leibliches Weh, –was Euer Gnaden nicht an sich erfahren möge, – naht uns die Todesstunde, die den Hohen so wenig verschont als den Niedern, und die Ihnen, Euer Gnaden, spät nahen möge, – dann, o dann, gnädige Frau, denken wir nicht an das, was wir für uns selbst, sondern an das, was wir für andere getan, mit der rechten Freude. Und auch Ihnen, gnädigste Frau, wird der Gedanke, sich für das Leben einer armen Unglücklichen verwendet zu haben, in jener Stunde, sie komme, wann sie wolle, süßer sein, als ein Wort aus Ihrem Munde, das die ganze Porteous-Rotte an den Galgen gebracht hätte.«

Eine Tränenflut rann über Jeanies Wange, ihr Antlitz glühte, und ihre Lippe bebte vor Erregung, als sie mit diesem gleich schlichten wie ergreifenden Pathos für die unglückliche Schwester das Wort führte.

Zum Herzog von Argyle gewandt, sagte die Königin: »Das ist doch 'mal echte Beredsamkeit!« Jeanie gewandt, aber sagte sie: »Kind, ich selbst kann Deiner Schwester den Pardon nicht gewähren, – verlaß Dich aber auf meine eifrige Verwendung bei Seiner Majestät.« Dann reichte sie ihr ein kleines gesticktes Etui. »Da nimm!« sagte sie, »aber öffne es jetzt nicht. In einem anderen Augenblicke, wenn Du mehr Herrin Deiner Zeit und Deiner Gedanken bist, wirst Du etwas darin finden, das Dich erinnern soll an diese Zwiesprach mit Deiner Königin.«

Diese Worte brachten Jeanie endlich die bestimmte Kunde, daß sie die Königin vor sich hatte; sich auf die Kniee niederwerfend, wollte sie ihrer Dankbarkeit gebührenden Ausdruck geben; der Herzog aber, der wie auf Kohlen stand, aus Furcht, Jeanie möchte, was sie erreicht, wieder gefährden, griff sich mit der Hand ans Kinn.

»Wir haben einander wohl nichts mehr zu sagen, Mylord,« sagte die Königin, »der Zweck Ihres Hierseins dürfte, wie ich meine, zu Ihrer Zufriedenheit erfüllt sein. Ich hoffe, Eure Herrlichkeit öfter wiederzusehen, sei es hier oder in Saint-James. Bitte, Lady Suffolk – wir müssen Seine Herrlichkeit nun verabschieden.«

Nach gegenseitiger Verbeugung schieden sie. Die beiden Damen verschwanden hinter einem Laubdickicht. Der Herzog half Jeanie von der Erde auf. Dann geleitete er sie auf demselben Wege zurück, den er sie hergeführt. Gleich einer Schlafwandlerin schritt sie neben ihm einher.


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