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Viertes Kapitel.

Heutzutage ist eine Reise von Edinburg nach London ein Kinderspiel. Zu der Zeit, anno 1737, da unsre Erzählung spielt, bestand nicht einmal ein geordneter Postwagendienst. denn der Verkehr zwischen den beiden Hauptstädten war so schwach, daß es vorgekommen ist, daß im wöchentlichen Post-Felleisen nur ein einziger Brief vorhanden war. Es gab für den Personenverkehr nur Postpferde; doch konnten nur reiche Leute sich diese teure und dabei doch strapaziöse Bequemlichkeit leisten; allein zu reisen, durfte man wegen der großen Unsicherheit gewisser Strecken nicht riskieren, sondern mußte wenigstens ein zweites Pferd und einen Begleiter oder Führer nehmen. Der Arme war auf das ihm von der Natur verliehene Bewegungsmittel angewiesen.

Jeanie Deans war an körperliche Anstrengung von Kind auf gewöhnt und abgehärtet; mutigen Herzens wanderte sie unermüdlich vorwärts, zehn bis zwölf Marschstunden täglich, bis sie in Durham die südliche Grenze von Schottland erreichte. Bis hierher war sie unter Landsleuten gewesen, die an das schottische Umschlagetuch gewöhnt waren, und denen es nicht auffiel, daß sie barfuß ging. Je weiter sie aber nach England hinunter kam, desto öfter mußte sie spöttische Rufe und anzügliche Reden hören. Freilich fand sie es in ihrem schlichten Herzen unfreundlich und nicht löblich, eine auf der Wanderung begriffene Person aus fremdem Lande ihrer Tracht wegen zu höhnen; sie war aber klug und einsichtig genug, dasjenige, was dazu in ihrem Anzuge Ursache gab, zu ändern; sie legte ihr Plaid, das nach Schottensitte auch zugleich das Kopftuch vertrat, zusammen und in ihr Bündel und trug hinfort, wie englische Landdirnen bei der Feldarbeit, einen Strohhut, kam sich aber, wie sie späterhin oft erzählt hat, in den ersten Tagen darunter vor, als müsse sie sich zu Tode schämen, daß sie als ledige Person den in Schottland nur der verheirateten Frau zukommenden Hut trage. Auch unterwarf sie sich dem Brauche, von jetzt ab Schuhe und Strümpfe zu tragen, aber auch darüber hat sie oft erzählt, daß es lange gedauert habe, bis sie darin so gut habe gehen können wie barfuß und immer froh gewesen sei, wenn sie an der Seite der Landstraße einen Rain getroffen habe, auf dem sie sich die Füße ein wenig habe ausruhen können.

Um durch ihre Sprache nicht aufzufallen, denn auch sie war häufig schon bewitzelt worden, gewöhnte sie sich, nur wenig zu sprechen, dankte für den Gruß eines Vorbeigehenden nur durch ein Kopfnicken und suchte sich fürsorglich Herbergen aus, die einen anständigen Eindruck machten und doch nicht viel besucht waren. Sie hatte bald herausgefunden, daß der gemeine Mann in England, wenn auch nicht so zuvorkommend und freundlich gegen einen Fremden wie in Schottland, doch nicht offenkundig gegen die Pflichten der Gastfreundschaft verstieß; für ein geringes erhielt sie immer willig Speise und Trank und ein Obdach, und mancher Wirt lehnte auch dieses ab mit den herzlichen Worten: »Ihr habt noch einen langen Weg vor Euch, Jungfer, und etwas aus dem Beutel einer einzelnen Frau zu nehmen, ist meine Sache nicht. Worauf wollt Ihr Euch unterwegs, wenn Ihr allein seid, anders verlassen als auf ihn?« Es kam hie und da auch vor, daß eine Wirtsfrau, von dem bescheidenen Wesen »der netten schottischen Dirne« freundlich berührt, ihr auf eine Strecke jemand zur Begleitung gab oder ihr einen Sitz in einem Gefährt besorgte, das den gleichen Weg fuhr; und ohne daß man ihr Winke für das nächste Nachtquartier gab, wurde sie nirgends weggelassen.

In York, wo sie das Glück hatte, in der Gasthofswirtin eine Landsmännin anzutreffen, beschloß sie endlich, einen halben Tag zu rasten, sowohl um neue Kräfte zu sammeln, als um an ihren Vater und an Butler zu schreiben: eine Aufgabe, die für ihre des Schreibens wenig kundige Hand nicht leicht war und ihre Zeit brauchte. Der Brief an den Vater lautete:

»Mein teuerster Vater! – Meine Wanderung, von der Ihnen wohl Herr Butler, seinem Versprechen gemäß, Kunde gegeben, wird mir durch den Gedanken um vieles schwerer und drückender, daß ich sie ohne Ihr Vorwissen unternahm. Ich weiß, daß es der Heiligen Schrift widerstreitet, die da sagt: Das Gelübde der Tochter soll sie nicht binden ohne Bewilligung des Vaters«, aber mein Herz war von dem Gedanken ergriffen, daß ich berufen und auserwählt sei, die Schwester aus ihrer höchsten Not zu erretten; sonst würde ich, was ich getan, nicht für die größten Reichtümer der Welt ohne Ihr Wissen und Ihren Willen getan haben. Teuerster Vater! Wenn Sie den Segen des Himmels auf meine Wanderung und Ihr Haus herabrufen wollen, so sagen Sie oder schreiben Sie unserer armen Gefangenen ein Wort des Trostes. Hat sie gesündigt, so hat sie auch schwer gebüßt und gelitten, und Sie wissen besser als ich, Vater, daß, wie uns vergeben werden soll, auch wir vergeben sollen. Nicht böse dürfen Sie mir sein darum, weil ich, was sich nicht ziemt für die Jugend, ein graues Haupt bestimmen will, nach meinen Worten zu tun; aber ich bin so weit entfernt von Ihnen, und mein Herz bangt sich so sehr nach allen daheim, und es geht mir so sehr zu Herzen, daß ich wohl leicht mehr gesagt haben kann, als sich ziemt. Möge des Himmels Segen auf Ihrem Haupte ruhen, teuerster Vater! wenn Sie Ihr Lager aufsuchen oder verlassen, dann gedenken Sie in Ihrem Gebete auch Ihrer ergebenen und Sie aufrichtig liebenden Tochter Jeanie.«

In einer Nachschrift meldete sie noch, sie habe von einer braven Frau, der Witwe eines Viehmästers, von einem Mittel gegen Viehkrankheit gehört: »ein Nösel Bier, mit Seife und Hirschhorn gekocht,« das man dem Tier zu schlucken geben müsse, und das gut sei, bei der einjährigen Färse mit dem weißen Kopfe zu versuchen; »wenn es nichts hülfe, schaden könne es nichts.« Dann schrieb sie noch, in London gleich bei der Muhme, der Frau Glaß, einzukehren, deren Laden Zu finden ihr ja nicht schwer fallen werde ...

An Reuben Butler schrieb sie so:

»Geehrter Herr Butler! – In der Zuversicht, daß dies Blatt Sie bei besserer Gesundheit treffen werde, als ich Sie verließ, schreibe ich Ihnen, daß ich die große Stadt York glücklich erreicht habe und nicht müde vom Gehen, sondern im Gegenteil dadurch frisch und gestärkt bin. Ich habe gar vieles gesehen, wovon ich Ihnen noch zu erzählen hoffe, wie auch von der großen Kirche hier. Rund herum um die Stadt stehen Mühlen, die weder Räder noch Schleusen haben, sondern vom Winde in Gang gesetzt werden, was recht wunderlich anzuschauen ist. Ein Müller hat mich aufgefordert, mir seine Mühle anzusehen, aber ich bin nicht hinein gegangen, bin ich doch nicht dorthin gewandert, mit fremden Leuten Bekanntschaft anzuknüpfen. Ich halte mich auf der Heerstraße, antworte auf Grüße nur durch ein Nicken und spreche nur mit Frauen, die meines Glaubens sind, so viel mir auch daran liegt, ein Mittel ausfindig zu machen, das für Sie gut und heilsam wäre, denn man hört hier von mehr Heilmitteln sprechen, als man in ganz Schottland braucht, sich zu kurieren, und einige davon würden Ihnen sicher helfen. Lieber Herr Butler! Seien Sie fröhlichen Herzens, denn wir befinden uns alle in Dessen Händen, der besser ist als wir und besser weiß, was uns not tut, als wir. Daran, daß mir mein Unternehmen gelingen werde, zweifle ich nicht; ich will an Zweifel gar nicht denken; denn hätte ich nicht die volle Zuversicht in mein Beginnen, wie sollte ich dann das Herz dazu finden, mich in die Nähe so großer Herren mit meinem Flehen zu wenden? Wer aber sein Herz mit Mut wappnet und überzeugt ist, daß er nichts Unrechtes begeht, der findet auch durch den finstersten Tag endlich das Licht. An meine Bitten, den alten Vater und die arme Schwester zu trösten, erinnere ich nicht; denn ich weiß, schon christliche Barmherzigkeit allein wird Sie zu Beistand und Hilfe vermögen, und sie ist mehr wert als alle Bitten Ihrer ergebenen Dienerin

Jeanie Deans.

Auch dieser Brief hatte eine Nachschrift: »Wenn Sie meinen, mein teurer Reuben, es hätte sich für mich geziemt, Ihnen zärtlichere, liebevollere Worte zu schreiben, so denken Sie immerhin, sie seien geschrieben worden, weil ich Ihnen alles Gute und Liebe so recht von Herzen wünsche. Sie werden denken, daß ich recht verschwenderisch geworden sein müsse, denn ich trage jetzt Strümpfe und Schuhe. Aber hier ist es Brauch so, und barfuß gehen gilt für unanständig oder für ein Zeichen von höchster Armut: es hat eben jedes Land seine Sitten. Aber über nichts werden Sie wohl soviel lachen wie über meinen Strohhut, sieht mein rundes Gesicht darunter doch gerade so aus wie der Mittelchor in unserer Libberton-Kirche. Aber vor der Sonne schützt er vortrefflich und wehrt unanständigen Leuten, einen anzugaffen, wie wenn man eine wirrige Kuh wäre. Von London aus werde ich Ihnen wieder schreiben, wie es mir mit dem Herzog von Argyle geht. Senden Sie mir dorthin ein paar Zeilen, unter der Adresse von Frau Margarethe Glaß, Tabakshändlerin, Laden »zur Distel«, in London. Es wird mir das Herz um vieles erleichtern und meinen Mut um vieles heben, wenn ich höre, daß Sie sich wohl befinden. Meine vielen Fehler in der Schrift und auch meine schlechte Schrift entschuldigen Sie wohl gütigst, denn die Feder taugt nicht viel.«

Sie siegelte beide Briefe sorgfältig und brachte sie selbst zur Post, wo sie sich eingehend erkundigte, wann sie nach Edinburg abgingen und dort einträfen. Hierauf folgte sie gern einer Einladung der freundlichen Wirtin zum Essen und erklärte sich auch bereit, ihren Aufenthalt bis zum andern Morgen auszudehnen. Die wackre Frau war, trotzdem sie schon jahrelang den Gasthof zu den sieben Sternen in York führte, noch immer von all den vielen wunderlichen Vorurteilen ihrer Heimat erfüllt und bewies Jeanie darum auch so große Herzlichkeit, weil sie, wie Jeanie, aus Midlothian stammte; sie hatte soviel Teilnahme an der weiten Wanderung, die das Mädchen vorhatte, und erwies ihr soviel Gutes und Liebes, daß Jeanie, bei aller Vorsicht ihres Naturells, sich das Herz faßte, ihr alles zu offenbaren, was sie zu diesem Wagnis, zu Fuß von Edinburg bis London zu gehen, bestimmt hatte. Frau Bickerton – so hieß die brave Frau – schlug über all diesen schrecklichen Dingen die Hände über dem Kopfe zusammen; als sie sich aber wieder gesammelt hatte, gab sie Jeanie noch vielen guten Rat, fragte auch, wie es um ihre Geldmittel bestellt sei, die freilich zufolge der Spende, die sie ihrem Freunde Butler in die Heilige Schrift gelegt, und der Ausgaben für den Strohhut bereits bis auf fünfzehn Guineen zusammengeschmolzen waren.

Die Wirtin meinte, »wenn sie es sicher bis London brächte, möchte es wohl reichen,« und als Jeanie darauf sagte: »Sicher bis London?. O, außer dem Notwendigsten unterwegs will ich keinen Heller davon verausgaben, und es gewiß auch sicher aufbewahren.«

»Das glaube ich schon, mein Kind,« erwiderte die Frau, »aber die Straßenräuber und Wegelagerer zwischen hier und London! Bis jetzt hat Sie der Weg durch Land geführt, das von Zivilisation und größeren Ansprüchen ans Leben wenig oder gar nichts weiß, das wird aber hier anders, denn wir haben der Leute leider gar viel, die das viele, was sie zur Lebensführung brauchen, durch ihrer Hände Arbeit nicht zu verdienen imstande sind. Da versuchen sie es nun auf unredliche Weise, und ich weiß wirklich nicht, wie Sie sich weiterhin durchschlagen werden. Ja, könnten Sie acht Tage warten, da fahren unsre Wagen herauf, und ich könnte Sie dem John Bradwell anvertrauen, der Sie bestimmt in den Schwan mit doppeltem Halse nach London bringen würde. Aber nehmen Sie meinen Rat wahr, liebes Kind, und nähen Sie sich ihr Gold in ihr Leibchen ein und behalten sie in der Tasche bloß ein paar Guineen und das bißchen Silbergeld; denn an der Grenze von Pertshire, wenige Tagereisen von hier, treibt sich eine wilde Bande umher, der nichts Gutes zuzutrauen ist. Und wenn Sie in London sind, dann dürfen Sie auch nicht herumstehen und gaffen und fragen, ob jemand den Laden zur Distel wisse. Das machen Sie ja nicht, denn da würden Sie schön ausgelacht werden, und man würde gleich merken, daß Sie eben erst aus der Provinz kommen, und alles versuchen, Sie irre zu führen und zu bestehlen. Hier haben Sie die Adresse von einem ehrlichen Manne, der wohl alle ehrsamen Schotten kennt, die sich in London aufhalten; der wird Ihnen sicher sagen, wo Sie Ihre Verwandte antreffen.«

Jeanie bedankte sich bei der Frau aufs herzlichste; aber durch ihre Rede von Straßenräubern und Wegelagerern war sie so erschrocken und beunruhigt, daß sie nahe daran war zu weinen. Da aber fiel ihr ein, daß sie schon Ratcliffe vor ihnen gewarnt hatte, und sie zeigte der Wirtin den wunderlichen Paß, den ihr dieser gegeben. Frau Bickerton klingelte nicht – denn Klingeln kannte man damals noch nicht, sondern setzte eine kleine silberne Pfeife an den Mund, worauf eine Magd in die Stube trat. »Ruf mal den Aufwärter!« sagte Frau Bickerton. – Ein häßlicher Wicht mit verschmitzten Schielaugen und einem lahmen Beine zeigte sich auf der Schwelle. »Dick,« sagte die Wirtin zu ihm, »Du weißt ja auf der Landstraße Bescheid?«

»Kennst Du vielleicht so ein Ding wie das hier?« fragte Frau Bickerton und zeigte ihm das von Ratcliffe bekritzelte schmutzige Papier.

Der Aufwärter blinzelte, zog den Mund von einem Ohre bis zum andern, kratzte sich den Kopf und sagte: »Kennen? Hm, freilich, sofern es ihm keinen Schaden bringt.«

»Ihm Schaden?« fragte die Wirtin, »keineswegs, Dick; aber Dir soll's ein Glas Branntwein bringen, wenn Du uns sagst, wie es sich darum verhält.« –

»Nun, dann darf ich schon sagen, daß diesseits von Stafford jeder ordentliche Kerl auf der Heerstraße James Ratcliffes Paß kennt und ihn auch gelten lassen wird.«

»Aber was ist das für ein Mensch, James Ratcliffe?« fragte die Wirtin, »ich höre den Namen doch zum ersten Male.«

»Ja, was weiß ich?« antwortete der Aufwärter, »gemeinhin heißt er Väterchen Kliff und war in den letzten zwölf Monaten im Norden Hahn im Korbe, zusammen mit einem, den sie den schottischen Wilson nannten oder Andie Dandie; aber seit einiger Zeit ist er außer Landes, soviel ich weiß; sein Paß gilt aber trotzdem bei allen!«

Frau Bickerton gab ihm das versprochene Glas Branntwein, das er mit einem Zuge leerte, und ließ ihn gehen.

»Ich rate Ihnen, liebes Kind,« sagte sie zu Jeanie, »jedem groben Gesellen, den Sie treffen, das Stück Papier zu zeigen und es nicht aus den Händen zu lassen; es wird Ihnen sicher von Nutzen sein.«

Ein bescheidenes, aber kräftiges Abendbrot beschloß den Tag. Frau Bickerton aß tüchtig und trank ein Paar Krüge kräftigen Bieres dazu, setzte ein gutes Glas Negus darauf und klagte vorm Zubettgehen Jeanie ihr Leid, daß sie seit Jahren schon von schwerer Gicht geplagt sei, ohne zu wissen, woher sie solche Krankheit habe, von der sie doch, so lange sie oben im Schottischen gewesen sei, nie etwas gespürt habe, und von der in ihrer ganzen Familie, bis zu ihren Urvätern hinauf, nie ein Wort geredet worden sei. Jeanie hielt sich nicht für berechtigt, gegen die freundliche Frau über die Gründe, die ihrer Meinung nach die Krankheit habe, sich auszusprechen, beschränkte sich aber, trotz allem Zureden, auf ein wenig Gemüse und ein Glas frischen klaren Quellwassers.

Von Bezahlung wollte Frau Bickerton nichts hören, legte ihr nochmals ans Herz, mit dem Gelde recht vorsichtig zu sein, und sagte ihr, da sie so früh, wie Jeanie aufbrechen wollte, nicht auf den Beinen sein werde, aufs herzlichste Lebewohl.


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