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Neunzehntes Kapitel.

Im Herzen von David Deans hatte sich aber auch andres geändert, so das Vorurteil gegen den armen Hilfslehrer Butler, das ehedem wohl nicht zum wenigsten auf dessen Neigung für seine Tochter beruhte. Butlers innige Teilnahme aber an dem Unglücke, das seine Familie betroffen, die Liebe und Aufmerksamkeit, die er ihm während Jeanies Abwesenheit erzeigte, die Anhänglichkeit an ihn selbst, die er hieraus folgern zu müssen meinte, dies alles hatte ihn bereits milder gestimmt; aber noch ein anderes Ereignis, das sich um dieselbe Zeit zutrug, sollte diese feierliche Stimmung noch erhöhen. Sobald sich der greise Vater über die Flucht seines jüngsten Kindes einigermaßen beruhigt hatte, ließ er es seine erste Sorge sein, dem Laird von Dumbiedike das Geld zurückzugeben, das ihm dieser zu den Gerichtskosten und zu Jeanies Reise vorgestreckt hatte. Land, Klepper, Tressenhut und Tabakspfeife hatten sich lange, lange nicht mehr in St. Leonard sehen lassen; Deans mußte sich also selbst nach dem Schlosse Dumbiedike begeben.

Dort fand er alles in seltsamem Aufruhr. Arbeiter über Arbeiter tummelten sich in den Räumen des alten Schlosses, rissen Tapeten ab und klebten Tapeten auf, hämmerten, weißten, malten, lackierten, scheuerten, wuschen, kurz, diese langjährige Stätte träger Verschlafenheit war gar nicht wiederzuerkennen. Der Laird selbst schien einigermaßen betroffen, oder beklommen, und wenn auch die Art, wie er den greisen Deans begrüßte, nicht unfreundlich war, so fehlte ihr doch jene Herzlichkeit, mit der er sonst David Deans zu begrüßen pflegte. Auch im Aeußern des Lairds hatte sich manches verändert: der alte Hut war gewendet, die Tressen waren aufgefrischt worden, auch tanzte er nicht wie ehedem, auf dem Haupte des Lairds nach vorn und hinten, sondern saß fest, nämlich quer über das eine Auge gedrückt, was dem Aussehen des Lairds insofern nicht unvorteilhaft war, als es ihm einen gewissen Anstrich von Pfiffigkeit lieh. David Deans nannte dem Laird den Zweck seines Besuches und zählte das Geld auf den Tisch. Dumbiedike zählte es gewissenhaft nach und unterbrach Deans, der von Judas Rettung aus der Gefangenschaft sprach, mehrmals mit der Bemerkung, das eine oder andere Goldstück käme ihm zu leicht vor. Als er sich aber hierüber beruhigt, das Geld eingestrichen und die Quittung ausgestellt hatte, fragte er Deans aber hin und wieder stärker stockend, als man sonst an ihm gewohnt war, ob Jeanie nicht geschrieben habe? »Wegen des Geldes, meinen Sie?« sagte David; »natürlich hat sie geschrieben.« »Und von mir nichts geschrieben?« fragte der Laird zum andern Male. »Nur ein paar fromme, christliche Wünsche, was hätte sie auch sonst schreiben sollen?« sagte Deans, der nun darauf rechnete, daß der Laird sich endlich ihm gegenüber aussprechen werde, was er mit seinen langjährigen Besuchen bezweckt, was ihn an Jeanie so gefesselt habe, daß er stundenlang hatte dasitzen und keinen Blick von ihr wenden können. Es kam auch wirklich zu einer Aussprache, aber einer ganz andern, als Deans gewünscht oder erwartet hätte. »Nun, auch gut! muß sie doch selbst am besten wissen, was für sie gut und von Nutzen ist. Die Madame Blachristie samt ihrer Muhme habe ich vor die Tür gesetzt. Diese beiden Kreaturen haben mich bestohlen wie Raben. Morgen früh werde ich getraut und am Sonntag halte ich Kirchgang.«

David Deans mochte es, als er solche Worte aus dem Munde des Lairds vernahm, freilich wohl ein bißchen seltsam zu Mute sein; aber um es in Miene und Verhalten auch nur durchblicken zu lassen, dazu war er zu stolzen, eisernen Sinnes ... »Soll Ihnen alles nach Wunsch gehen, Laird!« sagte er; »der Herr, dessen Hand es spendet, verleihe es Ihnen in reichem Maße, Laird! Die Ehe ist ein Stand in Ehren.« »Ich heirate auch in eine ehrsame Familie, Deans! Des Lairds von Lickgelf jüngste Tochter wird meine Frau; sie haben ihren Kirchstuhl dicht neben dem meinen, und das hat mich auf den Gedanken gebracht, um sie zu werben.«

In wunderlichen Betrachtungen über die Vergänglichkeit menschlicher Dinge und Gesinnungen schlug Deans den Heimweg nach St. Leonards ein. Seine Hoffnung, Jeanie werde doch noch als Herrin in Dumbledike einziehen, hatte wohl tiefer in seinem Herzen gesessen, als ihm selbst bewußt gewesen war. Seiner Meinung nach hatte es Jeanie wenigstens in der Hand gehabt, es zu werden; nun aber war es auf immer aus mit dieser Hoffnung.

Deans kehrte nicht gerade in bester Laune heim. Es verdroß ihn, daß Jeanie dem Laird keine Aufmunterung gegeben; es verdroß ihn, daß der Laird sich so lange besonnen hatte;, es verdroß ihn, daß er sich jetzt darüber ärgerte. Zu Hause fand er eine Aufforderung des Herzogs, sich nach Edinburg zu seinem Bevollmächtigten zu begeben, der Auftrag habe, sich mit ihm über Vorschläge, seinen Domizilwechsel betreffend, zu besprechen. Er hörte dort, nachdem alles, was ihn selbst anging, erledigt worden, daß es Seiner Herrlichkeit gefallen habe, die Pfarrstelle des dortigen Kirchspiels einem jungen Geistlichen, namens Reuben Butler, zu übergeben. »Doch nicht dem Libbertoner Hilfslehrer?« rief Deans, »Demselben. Seine Herrlichkeit haben viel Gutes über ihn gehört, haben auch einige Verpflichtungen gegen ihn. Seine Herrlichkeit sind gesonnen, den Pfarrer sehr gut zu stellen.«

»Verpflichtungen! Seine Herrlichkeit gegen Reuben Butler?« rief Deans in höchster Verwunderung, denn er hatte sich längst daran gewöhnt, den armen Hilfslehrer von Libberton, dem alles im Leben fehlschlug, als einen jener Stiefsöhne des Glücks zu betrachten, die es bis ins hohe Alter hinauf zu nichts bringen. Nun ist der Mensch aber dann immer am leichtesten geneigt, gut von Bekannten zu denken, wenn andere ihre Meinung über sie zum Bessern kehren. David Deans fühlte sich von der Wandlung in Butlers Schicksal höchst angenehm überrascht; er fand jetzt des Lobes über ihn nicht genug, und das um so mehr, als er sich selbst einen nicht geringen Teil davon zu gute rechnete; hatte ja niemand als er der Großmutter des jungen Menschen, die doch nur eine schlichte Frau war, den Rat, ihn für den geistlichen Stand zu bestimmen, gegeben hatte doch er schon, als der junge Mensch die Schule mit gutem Zeugnis verließ, prophezeit, daß er ein reiner Pfeiler im Tempel des Herrn sein werde.

David Deans setzte sich gern in Ansehen; er ließ also Butler zu sich bitten, um ihm als erster die wichtige Botschaft zu künden; er begleitete sie mit allerhand guter Lehre und ließ es auch an Warnungen nicht fehlen. Reuben aber wußte bereits, was Deans ihm mitteilen wollte; allein in der übergroßen Freude seines Herzens kam er auf den Gedanken, dem Greise die Freude zu lassen, daß er der erste habe sein können, der ihm die Nachricht brachte. Deans trat ihm mit all der Gravität entgegen, die ihm seine Berufung zu einem Aufseher der herzoglichen Domänen von Dumbartonshire verlieh, und gab ihm eine ausführliche Schilderung der ihm dadurch erwachsenden Vorteile und Benefizien. Reuben gab seinem Bedauern Ausdruck, daß er auf solche Weise sich von seinem alten treuen Freunde trennen müsse, der ihm sonst mit Rat und Tat zur Seite gestanden ... »Das wird sich nun aber kaum ändern lassen, mein lieber Sohn,« meinte Deans, auf dessen Gesicht wieder das starre Lächeln trat, das den höchsten Gipfel seines Frohsinns kennzeichnete »Sie wissen es doch ganz gewiß nicht, was? Sie werden es wohl andern überlassen mögen, wie zum Beispiel dem Herzog und mir, hier Rat zu schaffen. O, Freunde auf der Welt, mein lieber Butler, wiegen gar oft mehr als Geld!« Während Deans, dessen Frömmigkeit sich nicht immer mit der Vernunft in dem richtigen Einklange hielt, der es aber liebte, sie bei jeglichem Anlasse ebenso aufrichtig wie eifrig an den Tag zu legen, den Blick gen Himmel wandte, malte Reuben sich im Herzen die Freude aus, die der alte Mann darüber fühlen mußte, seinem Schützlinge eine so bedeutungsvolle Mitteilung zu machen und da er dem Greise mit keinem Worte erwiderte, fuhr dieser fort: »Ei, Reuben, was möchtet Ihr wohl sagen zu einer Pfarre, einer wirklichen, einträglichen Pfarre? würde Euch eine solche geboten, dann nähmet Ihr sie doch? Aber unter welchen Bedingungen? Das heißt, ich frage nur so!«

Butler antwortete, daß ihm das freilich ein sehr großes Glück bedeuten werde, daß er es aber in allererster Reihe für notwendig erachte, mit sich zu Rate zu gehen, ob er sich auch für das Amt, und ob das Amt sich für ihn eignen werde. »Ganz recht, mein Sohn, ganz recht!« versetzte Deans, »Euer Gewissen muß eins mit Eurem Sinne sein! Wer kann andere unterrichten wollen, der die heilige Schrift nicht im Herzen trägt? Wer darf die Hand nach irdischem Gute heben, der nicht zuvor sich die geistige Speise erworben?« Butler antwortete, daß er sich auch jetzt, wie im früheren Leben, gern nach dem Rate des erfahreneren Freundes richten werde, worauf Deans hocherfreut antwortete: »Recht gut gesprochen, mein lieber Reuben! recht gut! und angenommen, Ihr wäret nun in solchem Falle, so würde ich meinerseits es für meine heilige Pflicht erachten, Euch alle Uebel der Zeit, in der wir leben, klar zu legen« und nun war er in seinem Elemente, und Reuben mußte sich darein schicken, vieles anzuhören über die Geschichte der englischen Kirche, über Männer, die für sie gewirkt, über Lehren, die von ihnen stammten, wenn er auch oft die Meinung des Greises nicht völlig teilte. Aber auch hier kam die Zeit, da Deans mit seinen religiösen Betrachtungen ein Ende fand und hinüber lenkte zu weltlicheren Dingen, zumal ihn Reuben durch seine Bescheidenheit und sein liebevolles Eingehen auf all seine Gedanken und Meinungen so für sich eingenommen hatte, daß er sich was vielleicht seit seiner zweiten Hochzeit nicht wieder vorgekommen war, dazu entschloß, zwei Flaschen alten kräftigen Doppelbieres aus dem Keller heraufzuholen und seinem jungen Freunde vorzusetzen. Bei dem Abendbrote, das sich daran fügte, brachte er die Rede auf seine Tochter Jeanie, auf die Tugenden derselben, auf ihre Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit, Biederkeit, auf ihre praktische Gesinnung und nun konnte es nicht fehlen, daß auch Reuben sich in den lobendsten Worten über dieses Muster von einer Tochter und Schwester, wie er sie nannte, erging. Und da er nun durch den Vater selbst die Kunde bekam, daß ihm durch die herzogliche Pfarre alle Sorge für sein zukünftiges Leben genommen sei, so konnte es weiter nicht fehlen, daß zwischen den beiden Männern ein Wort das andere gab, und daß sie schließlich auseinandergingen in der Zuversicht, daß Vater Deans nichts dawider haben werde, wenn der neue Pfarrer um die Hand von Jeanie anhalte. Hieran schloß sich nun das weitere Abkommen, Jeanie bis Roseneath, dem herzoglichen Jagdschlosse, entgegenzufahren.

So hatten sie sich endlich gefunden, Jeanie und Reuben, die in so schlichter, treuer, verständiger Weise die vielen Jahre hindurch aneinander festgehalten; und in der gleichen schlichten, verständigen Weise spielte sich auch jetzt die Szene des Wiedersehens ab. Vater Deans ließ es sich nicht nehmen, als er sie nun freudigen Herzens zusammengab, eine lange Betrachtung seines Lebens und seines Glaubens vorauszuschicken; und es währte geraume Zeit, bis er soweit war, ihnen auseinanderzusetzen, daß der Ehestand nicht bloß ein Wehestand, sondern ein Ehrenstand sei, und daß es an beiden Ehegatten sei, denselben so zu führen, daß ein jeglicher daran seine Lust und seine Freude habe. Mit den Worten, sie möchten nun allein miteinander besprechen, was sie noch zu sprechen hätten, verließ er sie hierauf.

Nachdem sie nun in einsamer Zwiesprache den tiefen Empfindungen, die ihr Herz erfüllten, Ausdruck gegeben, von ihren Hoffnungen und Aussichten gesprochen hatten, und sich gelobt hatten, wie im bisherigen auch im neuen Leben treu miteinander zu halten, führte Jeanie das Gespräch auf das minder frohe Thema der Flucht ihrer Schwester. Sie vernahm von Reuben, daß Effie nach ihrer Freilassung aus dem Gefängnis noch drei Tage in St.-Leonard bei dem Vater geblieben, dann aber nächtlicherweile verschwunden sei. Nach vieler Mühe sei es ihm gelungen, ihre Spur bis zu einer kleinen, zwischen Dalkeith und Edinburg versteckten Seebucht aufzufinden, wo nur Fischerboote und Schmugglerschiffe zu landen pflegten, und wo in letzter Zeit ein solches Fahrzeug öfter gesehen worden und einmal spät in der Nacht an das Ufer herangekommen sei, um eine weibliche Gestalt zu einem größeren Schiffe hinüberzuführen, das unmittelbar nachher in See gegangen sei, ohne das mindeste von Fracht ans Land zu schaffen. Daß diese Schleichhändler Genossen des berüchtigten Robertson seien, und daß das Schiff nur zu dem Zwecke die Bucht aufgesucht habe, seine Geliebte zu entführen, darüber hegte Butler nicht den mindesten Zweifel. Butler hatte bald darauf einen Brief, E. D. unterzeichnet, dem aber jede Bezeichnung von Ort und Zeit fehlten, erhalten. Wahrscheinlich war er von Effie an Bord geschrieben worden, während sie seekrank war, denn es war kein Muster von einem korrekten Briefe, sondern enthielt allerhand Schreib- und Stilfehler und war stellenweise recht verworren und unklar. Es war aber, wie in allem, was dieses unglückselige Mädchen sprach oder tat, auch in diesem Briefe zu loben so wohl als zu tadeln. Sie könne es, schrieb sie, nicht ertragen, daß ihr Vater und ihre Schwester um ihretwillen die Heimat verließen und ihre Schmach mit auf sich nähmen, denn da sie allein die Schuld trüge, so träfe auch sie allein die Strafe. Sodann wäre es doch hinfort nicht mehr möglich, einander in Zukunft ein Trost zu sein, denn jedes Wort, jeder Blick des Vaters erinnere sie an ihre Sünde und zerreiße ihr das Herz; in den drei Tagen, die sie in dem väterlichen Heim verlebte, sei sie fast um den Verstand gekommen. Der Vater meine es ja gut mit ihr, wie mit allen Menschen, allein er wisse nicht, welche Marter es für sie sei, wenn er ihr ihre Sünde vorhalte. Wäre die Schwester zu Hause gewesen, hätte sich alles vielleicht besser gestaltet; denn Jeanie gleiche den Engeln im Himmel, die wohl um Sünden weinen, die Sünden aber um der Sünde willen nicht verdammen. Indes stünde es auch Jeanie gegenüber bei ihr fest, daß sie einander nicht mehr wiedersehen könnten, wenngleich ihr dieser Gedanke schmerzlicher sei, als alles, was bereits über sie gekommen. Auf ihren Knieen wolle sie für Jeanie beten, Tag und Nacht, nicht bloß dafür, was sie an ihr getan, sondern mehr noch dafür, was sie um ihretwillen zu tun sich geweigert habe; denn wie furchtbar müßte es ihr jetzt sein, wenn dieses lautere Gemüt, um sie zu retten, die Schuld eines Meineides auf sich genommen. Sie bäte den Vater, Jeanie alles zu geben, auch was von ihrem mütterlichen Erbe auf sie komme. Sie hätte sich aller Rechte daran schriftlich begeben und das betreffende Schriftstück befinde sich in Herrn Novits Händen. An irdischem Gut werde sie wohl, soweit sich vorläufig ermessen lasse, keinen Mangel mehr leiden. Dagegen hoffe sie, daß sie dadurch beitrüge, für die Schwester eine gute Aussteuer zu schaffen. In einer Nachschrift wünschte sie Herrn Butler alles Gute, und dankte ihm für alle ihr bewiesene Freundschaft. Was sie selbst anging, so wisse sie recht gut, daß sie einem traurigen Schicksal entgegengehe, aber sie habe es sich selbst zugezogen und verlange darum nicht, bedauert oder beklagt zu werden; aber zu ihrer Lieben Beruhigung wolle sie noch erwähnen, daß sie nicht auf schlimmen Wegen wandle, daß die, so schuld an ihrem Unglück seien, auch beflissen seien, es nach Kräften wieder gut zu machen, und daß es ihr in gewisser Hinsicht über Verdienst gut gehe. Indessen richte sie an die Ihrigen die Bitte, sich mit dieser Versicherung zu begnügen und nicht nach ihr zu forschen.

David Deans sowohl als Reuben Butler hatten aus diesem Briefe wenig Tröstliches entnommen. Was ließ sich von Effies Verhältnis zu einem Menschen wie Robertson anders erwarten, als daß sie Genossin an seinen künftigen Verbrechen sein und schließlich ihnen zum Opfer fallen werde? Jeanie dagegen, die über Georg Stauntons gesellschaftliche Stellung und Vermögensverhältnisse auf ihrer Wanderung durch den Zufall Aufklärung gewonnen, sah ihrer Schwester Lage in einem weniger herben Lichte an. Seine innige Teilnahme an ihr, und die Eile, mit der sie sich ihrer angenommen, sobald sie der Haft ledig war, gaben ihr die Zuversicht, daß Staunton und Effie bereits getraut seien. Auch war es kaum wahrscheinlich, daß Staunton seinen früheren ruchlosen Lebenswandel fortsetzte, denn das schwer auf ihm lastende Geheimnis, die Hauptschuld an dem Morde des Edinburger Stadthauptmannes zu tragen, sowie, daß der reiche Erbe von Willingham ein und derselbe sei mit dem zum Tode verurteilten Georg Robertson, konnte er nur zu bergen hoffen, wenn er ein durchaus anderer Mensch wurde. Jeanie glaubte, er würde mit Effie England auf Jahre verlassen und nicht eher wiederkehren, bis Gras über den Porteous-Krawall gewachsen sei. Nichtsdestoweniger hielt sie es nicht für geraten, ihren Vater und ihren Bräutigam des Trostes teilhaftig zu machen, der ihr Herz belebte; denn es bedünkte sie, daß es unbedingt notwendig sei, darüber, daß Georg Staunton und Georg Robertson ein und dieselbe Person seien, das strengste Geheimnis zu wahren.

Jeanie las den Brief der Schwester wieder und wieder; all die Gedanken, die in ihrem Herzen über das Schicksal derselben schlummerten, erwachten von neuem, und der tiefe Schmerz, den sie um die Schwester fühlte, löste sich langsam in einer bittern Tränenflut; Butler suchte sie zu trösten und ihren Tränen Einhalt zu tun. Aber erst der Eintritt ihres Vaters in Begleitung von Duncan Knockdunder vermochte sie ruhiger zu stimmen.

Dieser war für Roseneath und Umgebung ein Mann von großer Wichtigkeit. Auf hohem, über den See hängenden Felsen gebaut, stand die stolze Knockdunder-Burg, von der man noch heute Ruinen sieht, und Duncan schwur Stein und Bein, daß dieselbe vorzeiten eine Königsburg gewesen sei, trotzdem sie zu den kleinsten Burgen im Lande gehörte, denn ihr innerer Raum bildete ungefähr ein Viereck von sechzehn Fuß, das in gar keinem Verhältnis zu den zehn Fuß dicken Außenmauern stand. Immerhin bot sie den Vorfahren Duncans den Vorteil, daß mit ihrem Besitze der Titel eines Landeshauptmannes verbunden war, und daß sie allein der Oberherrschaft des Hauses Argyle unterstanden und eine erbliche Gerichtsbarkeit, wenn auch nur in einem beschränkten Gebiete besaßen. Der damalige Vertreter des alten Geschlechtes war ein untersetzter Mann von etwa fünfzig Jahren, der es sich zum besonderen Gaudium machte, die hochländische mit der im Süden gebräuchlichen Tracht zu vermischen und zu der schwarzen Knotenperücke mit kühn aufgestutztem Tressenhut mit Vorliebe den Schottenmantel mit rundem, kurzem Unterkleide trug. Sein Benehmen war derb und geradezu, seine aufgestülpte Kupfernase verriet seine Neigung zu Zorn und Branntwein.

Dieser vornehme Burgherr trat jetzt auf Reuben und Jeanie zu und redete sie an, wie folgt: »Ich nehme mir die Freiheit, Herr Deans, Ihre Tochter zu begrüßen, und mein Amt verleiht mir das Recht, jedes Mädchen, das nach Roseneath kommt, mit einem Kusse zu bewillkommnen.« Den sinnigen Worten die minnige Tat folgen lassend, nahm er den Tabakpriem aus dem Munde, begrüßte Jeanie mit einem derben Schmatz und hieß sie im herzoglichen Gebiet von Argyle willkommen. Hierauf setzte er Reuben Butler in Kenntnis, daß seine feierliche Amtseinführung schon an dem nächsten Tage vollzogen und daß der Branntwein nicht dabei gespart werden solle, denn hierzulande Pflege man bei dergleichen Gelegenheiten nicht trocken zu sitzen ... »Der Laird« wollte Deans anfangen. Aber dieser unterbrach ihn: »Bitte, der Hauptmann; die Leute wissen ja sonst nicht, wen Ihr meint, Wenn Ihr Herrschaften den ihnen zustehenden Titel verweigert.« »Der Hauptmann also,« fuhr David fort, »versichert, daß das ganze Kirchspiel einmütig für Euch gestimmt habe. Reuben Ihr seid also wirklich berufen, hier Eures Amtes zu walten.«

Duncan meinte aber, da die Hälfte Sächsisch, die Hälfte Gälisch rede, und keiner gewußt habe, was der andere geredet, so sei das beste von allem der Ruf: »Lang lebe Mac Callumore und Knockdunder!« gewesen; indes brauche sich Herr Butler darum nicht weiter zu kümmern, da nur er und der Herzog hier zu befehlen hätten, und diese Rede bekräftigte er mit einem derben Fluche gegen alle, die sich dagegen widerspenstig verhalten sollten.


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