Alfred Schirokauer
Lassalle
Alfred Schirokauer

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XX.

Wenige Wochen später traf die mitleidige Kugel sein zerbrochenes Leben.

Noch einmal war es in Wirrnis und Leidenschaft grell aufgezüngelt.

Von Ronsdorf hatte die Gerichtsverhandlung über die Rheinreden vom vorigen Jahre ihn nach Düsseldorf gerufen. Abermals war er zu vier Monaten Gefängnis verurteilt worden.

Ein treibendes, zerspelltes Wrack, kam er im Juli nach Rigi-Kaltbad. Die Gräfin war zur Kur in Wildbad. Er wollte allein sein mit seinem Elend. Es regnete tagelang in düsteren Strähnen. Er ging von einer Ecke des Zimmers zur andern und wußte, daß sein Leben zerborsten war.

Und aus den Trümmern wuchs ein wahnwitziger Durst nach Leben empor. Leben, leben, endlich leben wollte er. Den Torso seines Werkes zu Boden schleudern und Mensch sein, nichts als schlichter lebender Mensch.

Eine feige Furcht vor dem Gefängnis, das seiner in Deutschland harrte, trieb ihn um. Nein, er kehrte nicht wieder dorthin zurück, wo Gefängnis und unerfüllbare, ehern fordernde Pflichten seiner lauerten. Er ging ins Ausland. Er zog mit der Gräfin nach Italien, er gründete sich dort ein stilles Heim und lebte dort endlich sein Leben.

Das Panier seines Geistes lag zerknittert am Boden. Er schrieb an die treue Freundin, in der vorsichtigen Sie-Form, die er in Briefen an sie stets anwandte:

»Ich wünsche nichts sehnlicher, als die ganze Politik loszuwerden, um mich in Wissenschaft, Freundschaft und Natur zurückzuziehen. Ich bin der Politik müde und satt. Zwar würde ich so leidenschaftlich wie je für dieselbe entflammen, wenn ernste Ereignisse da wären, oder wenn ich die Macht hätte oder ein Mittel sähe, sie zu erobern – ein solches Mittel, das sich für mich schickt; denn ohne höchste Macht läßt sich nichts machen. Zum Kinderspiel aber bin ich zu alt und zu groß. Wenn ich das Präsidium los wäre, jetzt wäre der Moment, wo ich entschlossen wäre, mit Ihnen nach Neapel zu ziehen. (Aber, wie es los werden?!)

Denn die Ereignisse werden sich, fürchte ich, langsam, langsam entwickeln, und meine glühende Seele hat an diesen Kinderkrankheiten und chronischen Prozessen keinen Spaß. Ach, könnte ich mich zurückziehen!«

Es regnete und regnete, die Aussicht vom Rigi hinab in die Welt war grau verschleiert. Graue Nebel verschleierten die Aussichten seines Lebens. Und inmitten dieser Verzagtheit, dieses untätigen Trübsinns erfüllte sich sein Geschick.

Die »Nixe vom Tegernsee« hielt Wort. Sie sahen sich wieder. Helene von Dönniges, zu Besuch bei einer Freundin in Wabern, hatte aus der Kurliste die Anwesenheit des Berliner Bekannten auf Rigi-Kaltbad ersehen. Sie riß ihn aus seiner Verzweiflung.

Am ersten hellen Tage trat ein Bauernknabe in Lassalles Zimmer mit der Meldung: eine Dame erwarte ihn an der Terrasse. Überrascht, ahnungslos ging er hinaus. Da harrte sie hoch zu Roß mit einigen Bekannten.

Wie er sich vor vier Jahren in Aachen in der Erschlaffung des Geistes jungenhaft in Sophie Adrianowna von Solutzeff verliebt hatte, verlor er jetzt den Verstand an die kokette wunderschöne bleiche goldhaarige Nixe. Sie umsponn und umgarnte ihn. Er vergaß das Wort, das er einst in Berlin seinem Anwalt Holthoff gesprochen, als der ihm Helenes Hand antrug. Er vergaß dieses Wort, vergaß Helenes berüchtigte Vergangenheit, ihre Unzuverlässigkeit, alles, alles. Er verlor sich unrettbar in ihre grünen, abgrundtiefen Nixenaugen.

Seltsame Tage und Nächte kamen. Er war ihr nach Wabern gefolgt. Und in den Nächten schlich er zu ihr in den Garten, sie stand mit aufgelöstem, brennendem Haar am offenen Fenster und ihre irisierenden Augen behexten den gebrochenen Mann. Sie brannten ihm in das entkräftete Hirn und trieben dort groteske irre Zauberblumen zur Blüte. Sie beugte sich hinaus aus dem Fenster, umfing ihn mit den weißen, nackten Armen und küßte ihm den Wahnwitz von den stammelnden Lippen. Und sie spielten wie Kinder mit den sprießenden Wunderblumen seines armen Hirns.

Jede Niederlage war vergessen, jede bleiche Hoffnung von ehedem entfaltete sich zur berauschend duftenden Wirklichkeit. Er war kein verzweifelt niedergekämpfter Streiter, nein, ein Sieger, ein ruhmreicher Held, ein Triumphator. Deutschland lag ihm zu Füßen, hinter ihm marschierten mit trotzig klirrendem Schritt die schwarzen Bataillone. Bald, bald würde er einziehen in Berlin durch das Brandenburger Tor in goldener Galakutsche mit sechs silberglänzenden Schimmeln als Präsident der Deutschen Republik. Und an seiner Seite saß die goldhaarige Nixe, seine Brunhilde, seine Königin, mit ihrem güldenen Diadem flammender Haare. Und das Volk jauchzte und jubelte ihr zu, wie nie einem irdischen Weib gejauchzt und gejubelt worden war.

In mancher stillen Gebirgssommernacht, wenn die Firne mild herniederglänzten und die Bäche durch das Schweigen sangen, trank sie die berauschende Mythe von seinen raunenden Lippen.

Ihr phantastischer Schwarmsinn glaubte ihm jedes Wort. Sie sah sich als Kaiserin hoch über der Menschheit thronen neben ihrem »kaiserlichen Aar«. Und ihr goldenes Haar knisterte in Ehrgeiz und erhabenem Wahne.

Sie phantasierten von der Ehe. Helene war zwar noch immer Janko von Rakowitzas Braut. Doch ihm schrieb sie eben den Absagebrief. Sie wußte zwar, der Vater, jetzt bayerischer Gesandter in Genf, würde dem sozialen Revolutionär niemals die Tochter geben. Sie ballte die Fäuste. »Sie müssen!« zischte sie. »Und wenn sie trotzen, dann trägst du mich fort, hoch in die Lüfte, mein stolzer Aar.«

Er floh mit ihr hinaus, weit fort von allen Ufern der Vernunft. »Ja, dann fliehe ich mit dir, mein Goldfuchs. Ich entführe dich nach Caprera. Dort ist ein Kaplan Garibaldis, der wird uns trauen und dann – dann ziehen wir weiter – nach Ägypten. Dort bauen wir uns unser Nest.«

»Und die goldene Kutsche,« bedachte sie, »mit den sechs silberglänzenden Schimmeln?!«

»Später, später,« fabelte er, »kehren wir zurück. Ich schwenke hoch das Banner meiner Tat, die Trommeln wirbeln, die Bataillone marschieren, die Erde dröhnt von ihrem Schritt –« – –

Still glitzerten die ewigen Sterne am dunklen Sommerhimmel.

Sie kehrte nach Genf zurück. Er wollte am Abend folgen. Und sollte am nächsten Tage vor die Eltern hintreten und die Geliebte fordern. Versagten sie ihm ihr Kind – – dann winkte Caprera.

Als Lassalle am Abend in Genf in der Pension Bovet aux Pacquis abstieg, übergab ihm die Zofe der Liebsten einen Brief. Im Hausflur las er ihn.

»Mittwoch, den 3. August 1864.

Mein liebes Herz, mein schöner herrlicher Aar – noch keine Stunde im elterlichen Haus, kann ich Dir schon Neues – aber nur Trübes erzählen. Ich kam hier an und fand meine kleine Schwester Margarethe als verlobte Braut des Grafen Kayserling – das Glück und die hohe Freude darüber bei den Meinen ist nicht zu beschreiben. Ach, Ferdinand, es tut mir wehe, zu denken, wie verschieden mein Glück auf sie einwirken wird! – doch ist's mir ganz gleich: in Freud und Leid Dein treues, nur Dir ergebenes Weib.

Diesen Moment benutzte ich und zeigte Mama Deine Visite an. Ich erzählte ihr in Kürze unser Wiedersehn und fuhr fort: ›Es tut mir unendlich leid, Euch so betrüben zu müssen – denn ich sehe, daß Du außer Dir bist, – aber ich kann nicht anders; seid Ihr vernünftig und willigt ein – nun so werdet Ihr ihn kennen und lieben lernen, und alles wird ruhig und glatt abgehen, – wo nicht, nun, tut es mir auch leid, und Gott weiß, was ich darunter leide, so muß ich mich mit dem Gesetz verteidigen und so zu meinem Recht und meinem Glück gelangen.‹ –

Sie weinte leise und verließ mein Zimmer, und ich wurde Deine wirkliche Brunhilde; – ich weinte nicht, ich zitterte auch nicht, ich sah Dein Bild an und bat Dich leise: Komm', mein hoher, mein stolzer, mein kaiserlicher Aar, gib mir mit Deinem herrlichen Adlerblick Kraft und Stärke! So bat ich, und mein Glaube an Dich hat mir geholfen – ich danke Dir, mein starker Siegfried!

Nach einer kleinen Pause kam die arme Mutter und sagte: sie müsse dem Papa die ganze Sache mitteilen, sonst gäbe es einen furchtbaren Skandal. Ich sagte darauf, das sei das Einzige, was ich verlange für mein Vertrauen, und Du wünschtest nicht, daß Papa Dich kennen lerne, mit Gedanken für oder wider, – kurz, Du möchtest unbefangen ins Haus treten und ebenso beurteilt werden. – Aber hier blieb sie unerbittlich und sagte: ›Papa nimmt ihn nie und nimmer an, ich muß zu ihm gehen und ihm sagen, wie die Sachen stehen.‹

Aber da sie sah, daß ich fest war, so ging sie hinaus mit dem noch immer festen Entschluß, Papa alles zu sagen. Jetzt ist es 6 Uhr, und Du mein Herz und Gott bist nun schon hier? O! dieser Gedanke gibt mir wieder Kraft und Stärke – denn ich muß die Nähe und Allgewalt meines Herrn und Gebieters fühlen, um nicht zu weichen, um nicht auch andern gegenüber zu sein, wie Dir – das Kind. Aber ich fühle Dich und Deine Liebe – und so fürchte ich nichts mehr und bin jetzt und für immer Dein Weib, Dein Kind, Deine Dich anbetende Sache!

Sage mir auf einem kleinen Zettel, daß Du mich liebst! Denn ich, Ferdinand, ich liebe Dich ja so sehr! –

Es ist geschehen – sie haben gesprochen – – mein Vater hat erklärt: ich wäre seine Tochter nicht mehr! – und was nun geschieht –«

So weit hatte Lassalle gelesen, da stürzte Helene zur Tür herein.

»Was ist?« entsetzte er sich über ihre Verstörtheit. Sie brach zu seinen Füßen nieder, stöhnend, fassungslos.

Er trug sie an dem erstaunten Wirt vorbei in das bestellte Zimmer.

»Um Gott, Helene, was ist?« drängte er.

Da zerrte sie den Hut von den Haaren, schleuderte ihn in die Ecke, warf sich rücklings auf das Bett und ächzte: »Nimm mich, nimm mich hin, ich bin deine Sache – ich bin dein – nimm mich!«

Der Mann stand und starrte auf diese leidenschaftliche Hingabe. Sie lag mit violetten Lidern, und jede Pore harrte seiner Liebe.

Da trat er zum Bett, ergriff ihre fiebernde Hand und sänftigte: »Nein, Helene, so nicht. So nehme ich dich nicht.« Seine böse alte Eitelkeit flammte auf. »Was denken sich denn deine Eltern! Mir, mir ihre Tochter versagen. Mir! Wie einem hergelaufenen Bettler. Mir, den Männer wie Humboldt und Boeckh –« Er sprach noch lange.

Das junge Weib lag steif auf dem Bette. Ihre Glieder wurden eisig, ihre Leidenschaft gefror. Plötzlich stand sie auf, ihre Augen irrlichterten grün. Sie sprach kein Wort. Langsam bückte sie sich nach dem Hut und setzte ihn hart auf das goldene Haar.

Er redete noch immer: »Nur aus ihrer Hand nehme ich dich. Wir wollen doch sehen, ob sie es wagen dürfen, mich so zu behandeln! Mich von der Tür weisen! Jetzt ertrotze ich dich. Aber du bist an allem Schuld. Was brauchtest du zu sprechen! Wir hatten doch verabredet, daß ich morgen zu deinen Eltern komme. Bis dahin solltest du schweigen. Jetzt mußt du das ausessen, was du dir eingebrockt hast. Denn nur aus den Händen –«

Da pochte es stürmisch an die Tür. Ehe er Einlaß gestatten konnte, platzte die junge, der Herrin treu ergebene Zofe ins Zimmer: »Um Jesu willen, Mademoiselle, fliehen Sie! Herr von Dönniges hat Ihre Flucht gemerkt. Er rast. Er sucht Sie. Er wird Sie töten! Retten Sie sich!«

Helene stand weiß und kalt. Nur in den Augenhöhlen brannten heiße grüne Wildkatzenlichter.

»Unsinn,« herrschte Lassalle die Zofe an, »meine Braut flieht nicht. Meine Braut braucht nicht zu fliehen, sie hat nichts zu scheuen.« Und herrisch gebot er: »Führen Sie Fräulein von Dönniges zu ihrer Mutter!«

»Herr,« wagte das Mädchen, »Sie verkennen –«

»Taisez-vous!« schrie der gekränkte törichte Mann. »Führen Sie Fräulein von Dönniges zu ihrer Mutter!«

»Das traue ich mich nicht,« weigerte sich die Zofe energisch. »Dann lieber zu Madame Rognon. Das ist eine gute Freundin von Madame. Die wird nicht schelten. Und dann sag' ich Madame, daß das gnädige Fräulein bei Madame Rognon ist.«

»Meinetwegen,« gab Lassalle nach. »Komm, Helene, ich begleite dich zu Madame Rognon. Mut doch, Goldfuchs, ich ringe dich ihnen ab!«

Und er führte die Eisige zu Madame Rognon. Die Zofe schritt nachdenklich hinter den beiden hohen Gestalten. –

*

Helene war wieder in ihrem Zimmer im Hause der Eltern. Der Traum war zerstoben. In ihrer Brust wühlte ein mordgieriger Haß. Dieser Mensch, dieser Feigling, dem sie sich schrankenlos hingegeben, hatte sie verschmäht. Sie, die Vielbegehrte, an der kein Mann auf der Gasse vorüberging, ohne daß ihm das Blut zu Kopfe schoß, ihre Pracht, ihren Sinnenbrand verschmäht! Liegenlassen wie einen Lumpen, als sie sich ihm in besinnungsloser Liebe hinwarf!

»Dieser feige Schwadroneur! Pfui, pfui, pfui!«

Wie eine Eissäule stand sie im Zimmer, und ihr Haß fror hart und klingend wie Kristall.

Lassalle erbat eine Zusammenkunft mit dem Gesandten. Sie wurde verweigert. Er schrieb verständnislos Brief auf Brief an die Geliebte. Ihm ward keine Antwort. In seiner Verblendung glaubte er, dem Mädchen werde Gewalt angetan, es würde gefangen gehalten und grausam mißhandelt.

Da prasselte seine ungezügelte Heftigkeit zum letzten Male auf. Jetzt, da seine Liebe auf Widerstand anrannte, brandete sie an dieser Mole zu lebenverschlingender Woge empor.

Er umstellte das Haus der Geliebten mit Spionen. Er erfuhr, der Bräutigam Helenes, der Walache Janko von Rakowitza, sei aus Berlin berufen worden. Ha, man wollte sie zur Ehe mit ihm zwingen! Er hörte, Helene habe Genf verlassen. Ha, man hatte sie ihm mit Gewalt entführt! Hoch, hoch auf zum Himmel stieg die Rakete seiner Leidenschaft. Die alte Kraft tobte in ihm auf. Der alte Berserkergrimm raste. Alle Freunde hetzte er in Bewegung, die ganze Welt rief er zu Hilfe. Rüstow mußte aus Zürich herbei, das Haus Dönniges zu bewachen, Herwegh und Frau Emma erhielten telegraphisch Weisung, sich zur sofortigen Abreise nach Genf bereit zu halten, Holthoff in Berlin, Freund der Familie Dönniges, wurde um Fürsprache angefleht, Boeckh sollte an den Gesandten ein Leumundszeugnis über den Verfasser des Heraklit einsenden, Bülow mußte eine Empfehlung an Wagner in München geben, die Gräfin wurde zum Bischof Ketteler nach Mainz beordert, ihn zu veranlassen, auf Herrn von Dönniges, den Lassalle irrtümlich für einen Katholiken hielt, als Oberhirte einzuwirken.

Er selbst jagte nach München. Mit Wagners Empfehlungsschreiben wollte er zum König Ludwig II. vordringen, sich über seinen Gesandten in Genf bitter beschweren und den Befehl des Königs an Herrn von Dönniges ertrotzen, seine Tochter unverzüglich an Lassalle zu vermählen.

Und dieser wundersame Plan, der dem Abenteuersinn entwuchs, der einst die Fahrt zu Garibaldi als Mittel zur Erzwingung des allgemeinen direkten Wahlrechts ersonnen, hatte den fast unglaublichen Erfolg. Der König zwar war auf Schloß Hohenschwangau und nicht zu sprechen. Doch den Minister des Auswärtigen, Baron von Schrenck, den direkten Vorgesetzten des Herrn von Dönniges, eroberte Lassalles sprühender Geist zu schier unfaßbarem Beistand. Er sandte mit dem leidenschaftlichen Manne den angesehensten Münchener Rechtsanwalt, Dr. Haenle, als offiziellen Kommissar nach Genf, auf Herrn von Dönniges im Sinne Lassalles einzuwirken.

Lassalle und Haenle reisten in Eiltouren nach Genf. Inzwischen war Helene, auf die Kunde, Lassalle habe Genf verlassen, ins elterliche Haus zurückgekehrt. Dort hatte Rüstow und die Gräfin, die inzwischen aus Mainz eingetroffen war, mit ihr Verbindung gefunden.

Aufopfernden Mutes hatte die Frau den selbstmörderischen Schritt beim Bischof getan. Er hatte freundlich jede Einmischung abgelehnt. Jetzt in Genf brach ihre liebesbange Angst hellseherisch hervor. Sie brachte Rüstow rasch zu der Einsicht, daß es für Lassalle nur eine Rettung gäbe: schleunige Losreißung von diesem Weibe. In dieser Erkenntnis hatten beide in Genf gewirkt. Mit wilder Freude hatte Sophie Hatzfeld Helenes dreisten Absagebrief in Rüstows bevollmächtigte Hände flattern sehen.

Wenn ihn dieser kaltberechnete Stich ins Herz traf, mußten ihrem irregegangenen Liebling doch die Augen aufgehen. Helene schrieb:

»Sr. Wohlgeboren Herrn Lassalle!

Nachdem ich mich mit ganzem Herzen und in tiefster Reue über die von mir unternommenen Schritte wieder mit meinem verlobten Bräutigam, Janko von Rakowitza, ausgesöhnt und dessen Liebe und Verzeihung wiedergewonnen habe, erkläre ich Ihnen freiwillig und aus voller Überzeugung, daß von einer Verbindung zwischen uns nie die Rede sein kann, daß ich mich von Ihnen in jeder Beziehung lossage und fest entschlossen bin, meinem verlobten Bräutigam ewige Liebe und Treue zu widmen.

Helene von Dönniges.«

Doch Lassalle lachte wutbesessen auf, als er das Schreiben las. »Das ist gewaltsam erschlichen,« schrie er, »jede Zeile verrät es. In Angst und Bedrängnis, unter der väterlichen Faust hat sie das geschrieben. Ich komme, ich komme schon mit der Rettung, mein armer, armer mißhandelter Goldfuchs!«

Und Dr. Haenle trat in Aktion. Ihm bewilligte Herr von Dönniges sofort eine Unterredung.

Der Kommissar des bayerischen Ministers begab sich mit dem Oberst Rüstow in die Villa des Gesandten. Dr. Haenle wünschte Helene selbst zu sprechen, um zu erforschen, ob sie unter Zwang gehandelt habe oder nicht. Bereitwillig rief der Vater sie herbei. In einer blutroten Seidenbluse trat sie herein, keck, frei und höhnisch-heiter.

Rüstow erklärte ihr, daß Lassalle sie um eine Unterredung bitte.

Sie entgegnete kalt: »Wozu das? Ich weiß, was er will. Ich habe die Sache satt.«

Da erinnerte der fassungslose Freund Lassalles sie an die Schwüre der Nächte in Wabern.

»Pah,« lachte sie, »Schwüre!«

»Aber,« rief Dr. Haenle, »mein gnädiges Fräulein, ich begreife Ihren Ton nicht! Der steht doch im krassesten Gegensatz zu Ihrem Besuch bei Lassalle in der Pension Bovet!«

»Ja,« lächelte sie, »das ist richtig. Aber so handelte ich nur im ersten Moment.«

Die beiden Abgesandten blickten sich verwirrt in die Augen. Herr von Dönniges triumphierte. »Aber,« drängte Rüstow, »eine Unterredung werden Sie dem Manne nicht verweigern, dem Sie noch vor wenigen Tagen ewige Liebe geschworen haben!«

»Es ist ganz nutzlos,« blieb sie eisig, »ich bin mit ihm fertig.«

»Aber eine kurze Unterredung,« suchte Dr. Haenle zu vermitteln, »sie braucht ja nicht gleich zwei Stunden zu dauern.«

»Ach,« spottete das bleiche, innerlich erstarrte Weib, »Lassalle spricht ja gern und viel. Der wird auch in zwei Stunden nicht fertig.«

»Herrgottsakrament,« fuhr da der alte Garibaldisoldat in die Höhe, »Sie sind nach alledem ihm doch wenigstens eine Aussprache, irgendeine Genugtuung schuldig!«

»Seiner Eitelkeit?« fragte sie spitz.

»Nein,« brüllte Rüstow da los, »seinem Mannesbewußtsein!« warf den Sessel um und stürmte hinaus.

Dr. Haenle folgte. Jedes weitere Wort war verloren. Jetzt sah auch Lassalle klar. Seine Liebe ward mordsüchtiger Haß. Ein Tobsuchtsanfall warf den erschöpften Mann an die Wand. Er wütete im Zimmer umher, Schaum stand ihm vor den Zähnen, er riß sich die Haare aus und raste in Schreikrämpfen: »Mir, mir, das mir! Mit mir soll solch ein Spiel ungestraft getrieben werden! Ich soll von solch einer Dirne hintergangen und verspottet sein! Ich! Ich! Ich soll an solchen miserablen Gegnern und Hindernissen zerschellen, die jeder dumme Junge überwindet! Rache, Rache, ich muß bluttriefende Rache haben!!«

Ohne auf der Freunde Abmahnung zu achten, warf er sein Leben hin. Er provozierte das Duell.

Mit blutgeschwollenen Augen schrieb er:

»Genf, 26. August.

Herrn von Dönniges
Hochwohlgeboren.

Nachdem ich durch den Bericht des Oberst Rüstow und des Herrn Dr. Haenle vernommen habe, daß Ihre Tochter Helene eine verworfene Dirne ist, und es folglicherweise nicht mehr meine Absicht sein kann, mich durch eine Heirat mit ihr zu entehren, habe ich keinen Grund mehr, die Forderung der Satisfaktion für die verschiedenen mir von Ihnen widerfahrenen Avanien und Beleidigungen länger zu verschieben, und fordere Sie daher auf, mit den beiden Freunden, die Ihnen diese Erklärung überbringen, die erforderlichen Verabredungen zu treffen.

F. Lassalle.«

Und dem Bräutigam der »Dirne« spie er entgegen:

Genf, 26. August.

Herrn von Rakowitza,
Hochwohlgeboren.

Nachdem Sie durch den Oberst Rüstow zum Theil über das zwischen mir und Fräulein Helene von Dönniges bestehende Verhältnis unterrichtet worden sind, würde es Ihnen vielleicht auffallend erscheinen können, nicht von mir aufgesucht und über die Übernahme der eigentümlichen Rolle, die man Ihnen zugeteilt hat, zur Rede gestellt zu werden. Zur Erklärung dessen sende ich Ihnen Abschrift der Sie interessierenden Stelle eines Briefes, den ich soeben an Herrn von Dönniges zu richten mich genötigt sah.

Sie ersehen daraus, daß Sie in mir keineswegs mehr einen Rivalen haben, und daß ich Ihnen ein Glück von nun an ungeteilt gönne, auf das ich meinesteils nach der heute erlangten Überzeugung freudig verzichte.

Mit aufrichtiger Teilnahme
F. Lassalle.

Herr von Dönniges entzog sich den Konsequenzen des Briefes durch schleunige Flucht. Der junge Student Rakowitza aber übersandte Lassalle die Pistolenforderung.

Am 28. August, früh halb acht, standen sich die Gegner im Wäldchen von Carrouge gegenüber.

Rüstow kommandierte: »Achtung! Eins!«

Da fiel ein Schuß. Rakowitza hatte abgedrückt. Eine Sekunde später krachte Lassalles Pistole. Seine Kugel ging fehl. Der Tod hatte ihn schon umkrallt.

Mit zerschossnem Unterleib brachten die Freunde ihn ins Hotel. Oben am Geländer der Treppe stand ahnungsvoll die Gräfin. Da tat sein eiserner Wille seine letzte große Tat. Um die Geliebte seiner jungen Tage nicht zu erschrecken, schleppte der totwunde Mann sich lächelnd die Stufen hinauf. Zu ihren Füßen brach er zusammen.

Drei Tage lag er, ohne sich zu regen, im Opiumdämmer. Hilfe gab es nicht. Chelius aus Heidelberg, Billroth aus Zürich zuckten hoffnungslos die Schultern.

Die Gräfin saß versteint an seinem Bett und richtete dem Sterbenden die Kissen. Sie konnte und wollte es nicht fassen, daß diese stürmische Glut ihres Lebens verglomm. Sie verkettete die Finger und hoffte, hoffte mit der Verzweiflung des Unmöglichen, bis er am 31. August, als der Sommermorgen blau ins Fenster kam, sich dehnte, dehnte und steif und kalt in seinem Bette lag.

Da warf sie sich über ihn und schrie, schrie ihre Liebe der entflohenen Seele nach. Stundenlang saß sie an der Leiche unbeweglich. An den ersten Abend, an dem er zu ihr gekommen war mit Graf Keyserling, dachte sie. An die erste Nacht, da sie ihm alles gegeben hatte, was noch ihr gehörte. An jedes liebe Wort dachte sie, das er je zu ihr gesprochen, an jede Liebkosung der steifen, weißen Hand dort auf der Decke. Und plötzlich verzerrte sich ihr Gesicht. Sie dachte an all das Leid, das seine Liebeleien ihrer armen Eifersucht bereitet.

Ein jammerndes Stöhnen barst aus ihrer Kehle. Jetzt, ja, jetzt gehörte er ihr, endlich ihr, endlich ihr allein! Sie warf sich wieder über ihn. Nein nein, nicht diesen grauenvollen Trost! Er sollte leben! Millionenfach stärkere martervolle Qualen wollte sie leiden, ihn entbehren, immer, immer. Nur leben, leben sollte er. Sie wollte ihn fliehen, ihn nie wiedersehen, nur wissen, daß er lebe und glücklich sei. Und plötzlich schien es ihr unmöglich, ungeschehbar, daß er unerweckbar tot sei. Ein solch herzzerreißendes Unglück geschah nicht in der Welt. Sie lag über ihm und fühlte, daß ihre ungeheure Willenskraft, ihre unendliche Sehnsucht ihn zurückreißen konnte ins Leben.

Sie preßte die Stirn auf seinen kalten Mund und flüsterte irr: »Komm – komm – wolle doch! wolle doch! Du Willensstarker! – Reißt dich deine Sehnsucht – reißt dich meine Sehnsucht nicht zurück! Weißt du nicht mehr, was du mir in jener ersten Nacht, damals, in meiner armseligen Wohnung in Berlin, verzückt geschworen hast? Weißt du das nicht mehr! Immer wolltest du bei mir bleiben, immer, immer bis zu meinem späten Ende. Komm – komm, halt Wort – halt mir dein Wort! – Lieg nicht so kalt – lieg nicht so kalt!!«

Stumm und starr lag der Tote.

Dann raffte sie sich auf und lief verloren in dem stillen Hotelzimmer umher. Und zergrübelte ihr Hirn, wie er hätte gerettet werden können. Sie rang die Arme. Man hätte behütender für ihn sehen müssen, er war ja mit Blindheit geschlagen. Man hätte ihn halten müssen, er taumelte ja doch. Oder hätte sie nicht gegen diese Verbindung wirken dürfen?! Dann lebte er vielleicht noch. Dann ging er draußen im Sonnenlicht am Arme dieses rothaarigen Teufels einher – aber lebte – lebte!!

Sie fiel in die Knie und schlug die Stirn am Bettrande blutig, daß sie gegen diese Verbindung gewühlt hatte. Plötzlich hob sie das reuezernagte Greisengesicht. Die Nase stand steil aus der lappigen Haut hervor. Groß, gespenstig wuchs sie auf, griff seine schweißige Totenhand und sprach laut und feierlich: »Ich schwöre dir, Geliebter, dich an deinen Mördern zu rächen! Ich schwöre dir, Geliebter, dein Andenken gegen deine Feinde zu verteidigen. Ich schwöre dir, Geliebter, dein Werk mit jedem Opfer zu erhalten!«

Der Tote lag starr und stumm.

Die Mutter und Schwester kamen. Zerbrochen sank die alte kleine Frau an der Bahre nieder. Da tröstete die Gräfin groß und stolz: »Halten Sie immer den einen Gedanken fest, daß trotz des schweren Schlages, der Sie getroffen hat, es ein großes Glück, eine große Ehre ist, der Welt einen Ferdinand Lassalle geboren zu haben!«

Die alte Frau schüttelte vernichtet den Kopf. Ihr Sohn war tot, da tröstete kein Stolz und keine Ehre!

Sie ließ der Freundin seines Lebens den geliebten Toten. – –

Die in Genf verbannten Revolutionäre aller Länder veranstalteten eine großartige Totenfeier für den gefallenen Kämpfer. An den Mauern der Häuser erschien der Aufruf:

»Bürger von Genf!

Republikaner!

In der Blüte seiner Kraft, inmitten seines großartigen Wirkens für das Wohl der Menschheit, verstarb heute früh 7 Uhr Ferdinand Lassalle, der Stolz Deutschlands, die Hoffnung des Vaterlandes und der deutschen Republikaner, eines unnatürlichen Todes, das Opfer der schmählichsten Intrigue, die jemals verworfene Personen mit einem großen Manne gespielt haben.

Bürger von Genf, Republikaner aller Nationen, die hier eine Freistätte gefunden, vereinigt euch mit uns an dem Sarge des größten deutschen Bürgers!

Der Blitz hat jene stolze Eiche gefällt, aber ihre Wurzeln sind nicht erstorben, solange es Republikaner auf Erden gibt.

Die Leichenfeierlichkeit findet statt: Freitag, den 2. September Nachmittags 1 Uhr im großen Saale des Tempels Unique.

Genf, den 31. August 1864.

Das Comité der deutschen Republikaner«.

Und nach dieser imposanten Trauerkundgebung führte die Gräfin die einbalsamierte Leiche an den Rhein, auf den Wegen, die der Tote im Frühling im Triumphe durchzogen hatte.

In Mainz bezeugte ihm das Volk die Ehren eines toten Königs. Die ganze Stadt und die Umgebung wogte um den Sarg, der, offen gefahren, unter Blumen und Lorbeerkränzen fast verschwand. Von Trauerfeuern, Musikchören, Jünglingen mit gesenkten Fackeln geleitet, schritt der unübersehbare Zug durch die florgeschmückten Straßen zum Dampfschiff. Bis auf die Dächer hinauf standen schmerzgebeugt die Menschen. Die Trauer war so überwältigend, daß die Polizei nicht wagte, einzuschreiten.

Reden wurden gehalten, die Worte ertranken den Rednern in Tränen. Rauhe Arbeiter schluchzten wie Kinder. Ihr Vater, ihr Heiland, ihr Messias war tot.

Und die Erbitterung gegen die Mörder qualmte zum blauen Herbsthimmel drohend empor.

Dann wurde der Sarg von Arbeitern auf das Dampfschiff getragen. Eine Ehrenwache, starke braune Männer aus dem Volke, standen stumm am seiner Bahre durch die lange dunkle Nacht.

Und dann führte die Gräfin den toten Messias unter der Trauer des Volkes den Rhein hinab, im letzten ehrenden Siegeszuge seines verewigten Geistes.

Überall flammten die Herzen empor, blutigrote Fanale grüßten von den Bergen hernieder, ein sichtbares Zeichen dessen, daß einst der Tag anbrechen würde, an dem das Samenkorn, das er in diese gebeugten Seelen gepflanzt, aufstreben würde zu einem starken, tragkräftigen, früchtereichen Baume.

Als das Schiff in Köln landete, drangen zwei Polizeileutnants an Bord und entrissen der fassungslosen Frau das letzte, was ihr von dem Geliebten geblieben.

Der Leichnam ward beschlagnahmt und nach Breslau, seiner Geburtsstadt, eskortiert.

Dort wurde er im Erbbegräbnis der Familie beigesetzt. –

Und noch heute ziehen an seinem Todestage Hunderte von schlesischen Arbeitern hinaus auf den Breslauer Friedhof, lesen erschüttert die von dem greisen Freunde Boeckh verfaßte Grabinschrift:

»Hier ruht, was sterblich war
von Ferdinand Lassalle,
dem Denker und Kämpfer«

und singen kampfesfroh und dankbar im Erfolge das schwermütig-trotzige Arbeiterlied:

»Zu Breslau ein Kirchhof,
Ein Toter im Grab,
Dort schlummert der Eine,
Der Schwerter uns gab!«

 

Ende.


 << zurück