Alfred Schirokauer
Lassalle
Alfred Schirokauer

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II.

Kaum hatte der Diener im Korridor Herrn Hirsch Mendelsohn in Empfang genommen, so eilte Lassalle in das Arbeitszimmer zurück und öffnete die kleine Tapetentür im Hintergrunde. Mitten im Salon unter der strahlenden Krone stand – – Marie Krafft.

Sie hatte den Überwurf abgelegt und erwartete ihn mit weit gebreiteten Armen. Als er hereintrat, flog sie auf ihn zu, preßte die Hände um seinen Hinterkopf, schmiegte den schlanken Körper gegen seine Glieder und küßte wortlos seinen Mund, seine Augen, seine Stirn. Der Doktor streichelte sanft die Arme, die weiß und warm aus den kurzen Ärmeln der schwarzen Samtjacke hervorwuchsen.

Endlich entketteten sich ihre Finger von seinem Kopfe, sie trat ein wenig von ihm zurück, sah zu ihm auf mit ihren wundergroßen goldbraunen Augen, in die das Licht des Lüsters weiße Diamanten sprühte, und flüsterte: »Du – du – ich habe mich nach dir gesehnt!«

»Marie«, sagte er ganz weich, »wie bist du wieder schön heut abend. Nein, nein, bleib so stehen. Laß mich dein Sein einschlürfen!« Seine Nasenflügel flogen.

Das Mädchen stand in ihrem schwarzen Kleide still vor ihm, bebend befangen in einem Glücksbann.

Dann trat Lassalle an sie heran und fuhr mit der nervösen schönen Hand liebkosend durch das reiche, über der hohen klugen Stirn schlicht gescheitelte Haar, das sich an den Seiten dunkelblond aufbauschte. Um den schwellenden Haarknoten im Nacken schlang sich ein tiefrotes Samtband.

»Komm,« sagte er, legte den Arm um ihre Hüften, fühlte durch den feinen Seidenstoff des Rockes die jungen strebenden Glieder und führte sie in das Arbeitszimmer. Hier fragte er plötzlich schelmisch: »Kennst du Herrn Hirsch Mendelsohn?«

Erstaunt sah sie ihm ins Gesicht. »Mendelsohn? – Nein. Du meinst doch nicht den kleinen Alten, der mit Wein handelt?«

»Doch – den meine ich. Der war eben bei mir.«

Sie blickte ihn arglos an. »Ja und? Du sagst es so bedeutungsvoll, Ferdinand?«

»Weißt du, weshalb er zu mir gekommen ist?« Er lächelte noch immer so eigen.

»Nein, wie soll ich das wissen! Er wird dir eine Offerte gemacht haben.«

»Hat er, Marie. Aber nun rat' einmal, worin?«

»In Wein doch natürlich.«

»Nein, mein Kind,« lachte er, und setzte sich rücklings auf die Ecke des großen einfachen Schreibtisches. »Keine Offerte in Wein, sondern in – Marie Krafft.«

Sie starrte ihn. verdutzt an. Dann sagte sie scheu: »Du scherzest.«

»Keineswegs, Marie. Er hat mir im Auftrage deines Vaters diese kleine feine Künstlerhand da angeboten.«

Purpurn siedete das Blut in ihre zarten bleichen Wangen. Sie würgte nach Worten.

Der Doktor zog die dunklen Brauen finster hoch.

»Ah – so – du wußtest darum!« Er kniff scharf die lebhaften Mundwinkel ein.

Da stand sie an seinen Knien. »Nein, nein«, flehte sie.

Er sah ihr prüfend ins Gesicht. Sie empfand, daß sie aufklären müsse. Und die Hände flach auf seine Schenkel pressend, sprudelte sie hervor: »Ich begreife es. Gestern nachmittag war Frau Fanny Lewald bei uns. Man sprach über deinen Heraklit. Frau Lewald hatte ihn nicht gelesen, aber ihr Mann, Professor Stahr, hatte ihr davon erzählt. Sie sagte, sie wundere sich, daß du dir just diesen fernliegenden griechischen Philosophen zur Bearbeitung erkoren hättest. Da konnte ich mich nicht zurückhalten und bekannte, daß ich das sehr wohl begriffe. Und ich sagte heraus, was mir klar geworden ist, damals, als du mir dein Werk erläutertest. Daß Heraklit dir so verwandt sei in seiner Ethik mit ihrer Lobpreisung des Staates und der Aufopferung für das Allgemeine, in seinem Stolze, seiner Menschenverachtung und – vergib, Liebster –« sie lächelte begütigend – »seinem Selbstbewußtsein. Und daß es dich gerade gereizt haben müsse, die Philosophie eines Denkers aufzuklären, den schon seine eigene Zeit nicht verstanden und daher ›den Dunklen‹ genannt habe.«

Lassalle nickte gönnerhaft. »Du bist ein sehr kluges Mädchen, kleine Maria.«

Sie hastete weiter, weiter. Er sollte nicht einen Augenblick glauben, daß sie ihm hinterrücks Fallen stellte.

»Ich hatte wohl etwas erregt gesprochen. Denn plötzlich spottete Frau Lewald: ›Schau, schau, flattert auch unsere liebe Marie um das magische Licht, das dieser Erleuchter des Dunklen in Berlin entzündet hat!‹ Ich wurde sehr verlegen. Und als sie gegangen war, fragte mich Papa geradeheraus, ob du mir nicht gleichgültig wärst. Ich sagte ehrlich: nein. Dann fragte er, ob ich meinte, daß ich dich lieben könnte. Da fühlte ich, wie ich eiskalt wurde, und in meiner Bestürzung sagte ich: vielleicht. Da lächelte Papa in sich hinein. Und dann kam das Mädchen und rief ihn hinaus. Herr Mendelsohn wünschte ihn zu sprechen.«

»Ach – daher!« lachte Lassalle. »Ich konnte mir auch nicht recht denken, daß du dahinter steckst.«

»Nein,« sagte sie beklommen, »ich weiß ja, daß du mich nicht heiraten wirst.«

Das kam so weh, daß Lassalle peinlich betroffen an ihr vorbei von dem Schreibtisch glitt und im Zimmer auf und nieder marschierte.

Sie stand mit dem Rücken gegen den Tisch, die Stirn gebeugt. Das Licht fiel hart nieder auf ihr Haupt, das Haar schimmerte im Scheitel ganz silberhell und hob sich scharf ab von dem glühroten Bande, das den Knoten im Nacken bändigte.

Die großen goldenen Ohrreifen schaukelten leise hin und her.

Er ging eine Weile stumm erbost auf und nieder.

Endlich sagte er: »Nein, ich werde dich nicht heiraten, Marie. Dich nicht und keine andere. Mein Weg muß einsam bleiben. Ich habe es dir gesagt an dem Tage, an dem du zum ersten Male zu mir gekommen bist.«

Sie schwieg und starrte auf den Teppich nieder.

»Ich habe dir damals die Gefahr vorgestellt, in die du dich begibst.«

»Ja, das hast du,« nickte sie. »Und ich habe dir erwidert, daß mir die Meinung der Leute über mich gleichgültig ist. Daß ich nur auf das Empfinden meines Vaters Rücksicht zu nehmen habe, und daß er seiner Tochter immer glauben wird, daß sie sich nichts vorzuwerfen hat, wenn sie dich auch in deiner Wohnung besucht.«

»Ich bedauere lebhaft die Berechtigung seines Vertrauens,« scherzte er vorwurfsvoll.

Sie kam zu ihm und legte ihm die Hand auf den Mund.

»Sprich nicht wieder davon! Ist unsere Liebe unser nicht würdiger, wenn ich stolz vor dir stehen kann?«

»Du solltest stolz darauf sein, ganz mein zu werden.«

»Ich bin dein, Liebster, ganz, ganz dein. Doch zum Weibe soll mich nur der Mann machen, der vor aller Welt der Vater meines Kindes heißen will.«

»Philisterlieschen,« spottete er.

»Wir wollen nicht wieder davon reden,« lenkte sie bittend ab. »Du sagst, du kannst mich nicht zu deinem Weibe machen. Ich habe mich darein gefunden.«

»Wirklich?« zweifelte er, ihre Hände streichelnd.

»Mit bitterem Weh. Ich bekenne es ehrlich.«

»Du weißt, ich kann nicht anders.«

»Ja, ja,« sagte sie mit ihrer klangvollen Altstimme, die etwas körperlich Wohltuendes hatte. Sie hob den Kopf, der Hals wuchs rührend-rein aus dem weißen Spitzenkragen des schwarzen Jacketts, Tränen glitzerten in den großen warmen Augen, der Mund zuckte weh. »Ich denke und sinne nur immer wieder darüber. Du sagst, du liebst mich, und ich muß es nach alledem, wie du zu mir bist, wie du mich in deine Welt und in die Welt der alten Dichter eingeführt hast, auch glauben. Ich glaube es so gern. Und wenn ich bei dir bin, begreife ich alles, dann scheint es mir so unabänderlich. Aber zu Hause, des Nachts – wenn ich darüber grüble, dann verflattern deine triftigsten Gründe – ich sehe nichts – nichts –.«

Sie schüttelte den blonden Kopf.

Flehend, hilflos sah sie zu ihm hinüber.

»Dann werde ich es dir noch einmal auseinandersetzen,« grollte er nervös. Er reckte seine hohe Gestalt, bohrte die Daumen in die Armlöcher der Weste und sprach eindringlich: »Marie, du weißt, daß ich ein Leben voll Kampf vor mir habe. Die da draußen, die über mein früheres Leben geheimnisvoll klatschen, und jene, die über meinen Heraklit jubeln, – was wissen die von meinen großen Plänen! Aber du, du weißt es. Dir habe ich es tausendmal gebeichtet. Ich bin nicht von jenen, die in den Niederungen bleiben. Ich will hinauf zu den Gipfeln der Menschheit. Ich werde hinaufklimmen Ich fühle es hier drinnen in der Brust, habe es in meinen Knabenträumen, in meinen Jünglingsstürmen gefühlt, fühle es heute als Mann stark und verheißend wie je. Weißt du das nicht, Marie?!«

Er blieb dicht vor ihr stehen, legte die Hand unter ihr Kinn und hob ihren Kopf dem Lichte zu.

»Ich weiß es,« sagte sie leise, »und deshalb liebe ich dich.«

»Wenn du das weißt,« sprach er weiter, »wirst du einsehen, daß das Leben eines solchen Mannes auf der Spitze eines Vulkans gebaut ist. Es wird ungeheure Kämpfe geben, wenn ich in die Arena hinabspringe. Meine Freiheit, mein Vermögen, mein Leben wird bedroht sein. Ein solcher Mann fesselt eines Weibes Schicksal nicht an sein ehernes Los.«

»Ein Weib, das diesen Mann liebt,« sagte sie fest, »wird stolz und selig sein, bei ihm zu stehen in seinem Kampfe.«

»Das sagst du heute,« schüttelte er den schwarzen Kopf, »so muß das Weib in dir heute sprechen. Der Verständige muß ich sein.«

Sie schüttelte den Kopf, daß die Ohrringe leise aufklangen. »Wir wollen nicht disputieren,« entgegnete sie traurig. Dann setzte sie sich auf den Schreibtischsessel, stützte die nackten Ellenbogen auf die Tischplatte und grub die geballten Fäuste in die Schläfen. Sinnend saß sie so da. Das gelbe Licht der Moderateurlampe zeichnete ihre weichen Züge plötzlich ganz scharf ab. Um den Mund lag ein alter, kummervoller Zug.

Lassalle ging erbittert auf und nieder.

Die Uhr schlug.

»Muß ich gehen?« fuhr Marie empor.

»Nein,« gewährte er, »du kannst noch eine halbe Stunde bleiben. Dann habe ich noch immer Zeit genug für meine Toilette. Übrigens war Ludmilla Assing vorhin hier, mir mitzuteilen, daß ihr Onkel heute nicht kommen kann.«

»Ist Herr Varnhagen von Ense krank?« fragte Marie teilnehmend.

»Ein bißchen erkältet. Gott, der Mann ist kein Jüngling mehr. Er ist übrigens auch ganz begeistert von meinem Heraklit. Und weißt du, was Boeckh mir vor ein paar Tagen geschrieben hat: das Werk zeige die umfassendste Gelehrsamkeit, die genaueste philosophische Erwägung, es sei einzig in seiner Art. Ich habe den Brief an meinen Vater nach Breslau geschickt, damit der alte Mann seine Freude hat. Und Humboldt ist geradezu begeistert, kann ich dir sagen, und Stahr und Michelet. Alle. Ich bin mit einem Schlage unter die ersten Gelehrten Deutschlands, ja Europas gerückt.«

Er warf den Kopf stolz und eitel zurück.

Da sagte Marie gut und ernst: »Du bist ein Kind, Ferdinand.«

Erstaunt fuhr er zu ihr herum. »Ein Kind! Wieso?«

»Weil alle Genies im Grunde ihres Gemütes Kinder sind. Deshalb. Aber es hat bei dir noch seine schlimme Seite. Niemand wird es dir sagen, wenn nicht deine beste Freundin. Du schadest dir, Liebster, mit dieser –« sie suchte nach einem Worte und sagte endlich mutig – »kindischen Eitelkeit.«

Eine flüchtige Röte strömte in sein scharfes bleiches Gesicht. Eine Weile war tiefe Stille in dem geräumigen Zimmer. Nur die Marmoruhr auf dem Kamin tickte dreist und beherrschend. Lassalle spielte mit dem Federmesser. Endlich sagte er, und mußte sich räuspern, denn die Stimme war rauh: »Ich weiß es.«

»Bist du mir böse?« fragte sie innig.

Er schüttelte den Kopf. »Nein, Marie. Ich weiß es ja selbst. Ich suche dagegen zu kämpfen, vergeblich. Meine Erziehung ist daran schuld und mein Lebensgang. Daheim im Elternhause hat man mich mit vierzehn Jahren als Erwachsenen behandelt. Ich habe das ganze Haus beherrscht, die schwierigsten Familienangelegenheiten autoritativ entschieden. Und dann später. Wie hat Heine mein Selbstbewußtsein gekitzelt, als ich ihn 1844 in Paris besuchte! Ich könnte dir Briefe von ihm zeigen! Ich wünschte, du könntest einmal den Brief sehen, den er mir damals als Empfehlungsschreiben an Varnhagen mitgegeben hat. Weißt du, wie der kranke Dichter mich prophetisch genannt hat? Damals als ich 19 Jahre alt war? ›Den Messias des neunzehnten Jahrhunderts.‹ Und du weißt, wie abweisend und skeptisch der gebrochene große Mann in seinen Krankheitsjahren war. Und dann –« er sprach heftig rasch und stieß auffallender als sonst mit der Zunge an – »völlig unter meinen Schutz hat er sich gestellt, wie ein Kind. Ich habe ihm die Rente von seiner Familie erkämpft. Ich. Der Neunzehnjährige. ›Die Antilope sucht Schutz bei dem jungen Löwen‹, sagte er oft mit wehem Lächeln um den armen gelähmten Mund. Und weiter, Kind! Mußte mich mein Erfolg in dem Streit der Gräfin Hatzfeld nicht eitel machen? Bettelarm, brotlos, gehetzt, ihrer Kinder beraubt, lernte ich sie 1846 in Berlin kennen. Und ich, der einundzwanzigjährige Student, der keine Waffe hatte als seinen Kopf, habe den Kampf für sie gegen den allmächtigen Grafen mit seinen ungeheuren Millionen und seiner ganzen übermütigen Partei aufgenommen, ich, den er, als ich ihn damals in der ersten Empörung forderte, einen ›dummen Judenjungen‹ gehöhnt hat.

Na, der dumme Judenjunge hat ihm seine Dummheit bewiesen. Neun Jahre lang habe ich mit ihm gerungen, vor sechsunddreißig Gerichten habe ich mit ihm Prozesse geführt, ich, der am Anfang keine Ahnung von Jurisprudenz hatte, habe nach zwei Jahren mehr davon verstanden, als alle Rechtsanwälte zusammen. Und endlich habe ich ihn niedergetreten, ihn zu einer schimpflichen Unterwerfung auf die Knie gezwungen und der Gräfin die Scheidung und ein enormes Vermögen erkämpft. Und weiter, Marie, meine Verteidigungsreden in dem Kassettenprozeß und vor den Geschworenen im Mai 1849, als ich wegen meiner Revolutionstätigkeit am Rheine angeklagt war, haben sie nicht mit einem Schlage die Augen der ganzen Welt auf mich gelenkt! Und dann in Düsseldorf! Wie habe ich da den verfolgten Freiheitskämpfern mit Rat und Tat geholfen, ohne an meine und der Gräfin Sicherheit zu denken. Jeder, der der Gefangenschaft entsprang, jeder, der sonst fortgebracht werden sollte, wurde in mein Haus gebracht, dort mit größter Gefahr für mich und die Gräfin tagelang gehütet und mit Pferd und Wagen nach Holland gesandt. Und kaum hatte ich 1854 den Grafen niedergehetzt, da vollendete ich den Heraklit, den ich vor Eröffnung des Kampfes begonnen hatte, und Männer wie Boeckh und Humboldt umarmen mich als einen der Ihren. Darf ich da nicht stolz sein?«

Er hatte sich in Eifer geredet und blickte sie herausfordernd an. Sie saß noch immer in der alten Stellung. Der weiße breite Spitzenkragen leuchtete hell auf dem schwarzen Samtjackett.

Jetzt stützte sie die Arme auf das Pult, legte das feine ovale Kinn in die Hände, hob die großen Augen mit tausend knisternd sprühenden Lichtern darin zu ihm auf und sagte leise: »Ja, du darfst stolz sein auf alles, was deine zweiunddreißig Jahre erkämpft haben. Ich hielt es für meine Pflicht als deine Freundin, dich zu warnen, wegen der anderen. Ich liebe dich mit all deinen Eigenheiten und all deinen Fehlern. Vor mir brauchtest du dich nicht zu verteidigen. Ich weiß, du bist eine leidenschaftliche Flamme. Luzifer, der Lichtbringer, bist du. Prometheus, der sich gern selbst hell bestrahlt mit dem Feuer, das er der Menschheit bringt.«

Und auf sprang sie, warf sich zu seinen Füßen nieder, umklammerte seine Knie und flüsterte leidenschaftlich bacchantisch, zu ihm empor: »Ich liebe dich, du brausende Flamme, die mein Leben versengt.«


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