Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kandy

5. Februar. Morgens sieben Uhr treten wir unsern vierzehntägigen Ausflug nach den alten Königsstädten Kandy und Anuradhapura an.

In Kandy gedenken wir endlich wieder – seit Agra sahen wir uns nicht mehr – mit Baron Gemmingens, Frau von R. und Herrn Federer zusammenzutreffen. Die Fahrt hinauf in die Berge ist entzückend. Durch dichte Kokoswälder und verwilderte Zimtgärten, führt die langsam ansteigende Bahn in eine waldumrauschte Hügellandschaft. Sanft erheben sich die Abhänge aus der Ebene, die weithin im tiefgrünen Schimmer der sprossenden Reisfelder liegt. Wir sehen sie in allen Stadien vor uns. Hier wird der Acker gepflügt, dort keimt die junge Saat, und weiterhin wird sie mit der Sichel gemäht. Das feuchte Tiefland erleichtert die Reiskultur sehr, während sie sich an den Berghängen höchst mühsam gestaltet. Das Wasser wird in kleinen, aus Steinen und Strauchwerk hergestellten Rinnen, oft meilenweit zugeleitet. Im Flachland ist ein weitverzweigtes Kanalsystem eingerichtet. Ehe die Felder bestellt werden, sperrt man die Gewässer ab und wühlt den Boden durch den Pflug auf. Hierauf öffnet man die Kanäle und überrieselt das Gelände. Nun werden Büffelherden hinausgetrieben, die in dem entstehenden Schlamm so lange herumstampfen und waten, bis er zu einem dickflüssigen Brei geworden ist. Auf solch glatter Oberfläche wird dann der Reis gesät, der nach kaum vierzehn Tagen sproßt und den Boden mit einem samtweichen, grünen Teppich überzieht.

Die schmalspurige, eingleisige Bahn steigt jetzt stundenlang in steilem Zickzack aufwärts. Der Zug windet sich an scharfen Felsvorsprüngen entlang, und wir konnten oft, wie im Himâlaya, zugleich seine Maschine und seinen letzten Wagen sehen. Zahllose Tunnels unterbrechen immer wieder die entzückende, stets wechselnde Aussicht in die zauberische Ferne. Man gleitet an steilen Felsen und schroffen Abhängen hin, Berge über sich, Abgründe unter sich. Dabei übersieht man liebliche Waldlandschaften und wellenförmige Bergketten, die an die anmutigen Gegenden des Schwarzwaldes erinnern. Nur sind es nicht dunkle Tannen, sondern blühende Ulmen, Brotbäume, Tamarinden, Jak und Akazien, welche hier die Berge bekleiden. In der Ferne, durch einen feucht glitzernden Dunstschleier halb verschleiert, ragt die Felsspitze des 2250 Fuß hohen Adamspik kühn in die Lande. Die Eingeborenen nennen den Berg »Sri Padna«, heiliger Fuß, weil auf seiner Spitze sich der Abdruck eines riesigen, zwei Meter langen Fußes befindet, der entweder von Buddha oder von Adam herrührt, je nachdem ein Buddhist oder ein Mohammedaner von dem Heiligtume spricht. Da Adam nach mohammedanischer Ueberlieferung so groß wie eine hohe Palme und Buddha siebenundzwanzig Fuß lang gewesen sein soll, so ist die Größe der Fußspur nicht mehr verwunderlich. Der heilige Fuß ist das Wallfahrtsziel von vielen Tausenden. Buddhisten und Mohammedaner, selbst Christen scheuen nicht die sehr mühevolle Pilgerfahrt, die nach der Meinung der Gläubigen im April und Mai, d. h. während der Regenzeit, am erlösendsten wirkt.

Wir nähern uns Kandy. Die Pracht der Vegetation ist staunenswert. Auf der ganzen Bahnstrecke von Colombo herauf sind die Stationen luftige, kleine, weiße Hallen, die vom saftigsten Grün umrankt werden, das sich denken läßt. Leuchtende Blüten hängen an den üppigen Blattpflanzen. Die Namen der Haltestellen sind in drei Sprachen, tamilisch, singhalesisch und englisch, groß angeschrieben.

Auf dem Bahnhof in Kandy erwartet uns ein Jagdwagen. Eine breite, schattige Avenue führt zu dem »Queens-Hotel«. Das Hotel sieht ganz europäisch aus. Es wird von einem österreichischen Offizier a. D. geführt. Beleibt und echauffiert, in weißem Tropenanzug mit großen goldenen Knöpfen, begrüßt uns Herr von R. Unsere erste Frage gilt Baron Gemmingens, der Frau von R. und Herrn Federer, doch sie haben einen Ausflug nach buddhistischen Tempeln gemacht und werden erst nachmittags zurückerwartet.

Höflich geleitet uns der Wirt zur Treppe, wird jedoch zusehends kälter, als wir drei einfache, ruhige Zimmer und vorerst nur auf eine Nacht verlangen. Einfach waren die länglichen kleinen Räume, die man uns anwies, aber ruhig, nein, das konnte man nicht behaupten. Im Hof schnatterten und lärmten die Kulis, im Korridor die Gäste, denn die Fenster kann man auch hier im Gebirge nicht schließen, und die Mauer über der Tür ist durch weit klaffende Jalousien ersetzt, um einen Durchzug zu ermöglichen. Nach schnell eingenommenem lunch – es war bereits zwei Uhr – suchen wir unsere nördlich gelegenen, verhältnismäßig kühlen Zimmer auf, in denen wir aber trotzdem zweiundzwanzig Grad Reaumur haben. Wir wollen eine Stunde ruhen. Kaum habe ich mich niedergelegt, als auf dem Korridor ein gräßliches Kreischen losgeht. Gerade vor meiner Tür fällt ein furchtbarer Schlag. Da draußen muß jemand ermordet worden sein. Ich liege wie versteinert auf meinem Bett und wage nicht, mich zu rühren. Jetzt erhebt sich die dröhnende Stimme des Wirtes. Er schimpft in verschiedenen Sprachen und nähert sich grollend meiner Kammer, hierauf höre ich ein paar zärtliche Klagetöne, die wie » my pet«, » my darling« klingen. Ich fasse Mut, stehe auf und öffne die Türe. Da liegt in ihren letzten Zuckungen, mit Blut überströmt, eine zwei Meter lange Rattenschlange, der »Liebling« des dicken Wirtes. Er ist verzweifelt, dieses zuverlässige Tier verloren zu haben, die eine Rattenfängerin ohnegleichen gewesen war. Schmerzlich beklagt er den blinden Eifer seiner europäischen Gäste, die in dem unschuldigen Haustier eine giftige Natter sahen.

In keinem Hause auf Ceylon fehlt diese fleißige Schlange, die eine Rattenfalle vollkommen ersetzt. Die Schlange soll oft so zahm werden, daß sie auf den Ruf ihres Herrn kommt, um mit der Familie zusammen ihre Mahlzeit zu nehmen.

Da der Buddhist an die Seelenwanderung glaubt, so läuft er stets Gefahr, einen nächsten Verwandten zu morden, wenn er z. B. einen Tausendfüßler zertritt oder eine Ratte erschlägt. Ich selbst erlebte es, daß ein buddhistischer Ladenbesitzer die Ratten lieber in seinem Laden zwischen den aufschreienden Fremden ungestört herumlaufen, lieber die Kunden ziehen ließ, als daß er eines der ekelhaften Tiere getötet hätte. Als ich mich gegen diese zwischen den Verkaufsgegenständen herumschlüpfenden Ratten verwahrte, hob der Ladenbesitzer seine beiden Handflächen gegen mich auf und erklärte mit unbeschreiblich sanftem Augenaufschlag: » we are Buddhists«. Weniger gewissenhaft behandeln diese Herren die Frage der fahrlässigen Tötung. Sie essen gerne Fische. Weil sie aber dieselben nicht ums Leben bringen dürfen, fangen sie die Tiere und lassen sie einfach am Strande sterben, wobei sich ihr Gewissen dann beruhigt.

Nach dem Anblick der verendenden Schlange war mir alles Ruhebedürfnis vergangen. Ueberall, unter dem Schrank, im Bett, sah ich die Möglichkeit, einem solchen Reptil zu begegnen, das vielleicht ungefährlich, aber deshalb in seiner Erscheinung nicht minder abstoßend sein würde.

Ganz aufgeregt durch das Erlebte, bin ich aufs höchste erfreut, plötzlich eine bekannte Stimme zu hören. »A Bad für mei Frau!« klang es energisch durchs Haus. Hurra, Gemmingens waren von ihrem Ausfluge zu den buddhistischen Tempeln, den sie mit Frau von R. und Herrn Federer gemacht hatten, zurückgekehrt. Wir eilten, unsere Freunde in ihren Gemächern aufzusuchen, und feierten ein fröhliches Wiedersehen. Sie bewohnen eine hochelegante Zimmerflucht mit Punkah und allen Bequemlichkeiten. Erschöpft von den großen Strapazen in der brennenden Mittagshitze, der sie beim Tempelbesuch ausgesetzt gewesen war, lag die Baronin wie eine weiße Wolke auf dem Diwan, aber trotz aller Anstrengung war sie ganz begeistert von dem schönen Kandy. Und wahrlich, das liebliche Städtchen und seine anmutige Umgebung bieten einen entzückenden Aufenthalt.

Wenn man das Hotel verläßt, überschreitet man die Straße, steigt ein paar Stufen zu der gegenüberliegenden Terrasse hinauf und erblickt einen magisch beleuchteten kleinen See. In der silbernen Wasserfläche spiegeln sich die Schatten der amphitheatralisch ansteigenden Berge, die den reizenden Tank umgürten. Unter riesigen Tamarinden, deren graziöse Federblätter den kühlsten Schatten aller tropischen Bäume spenden sollen, sieht man zwischen blühendem Gebüsch, von Lianen umzogen, die Bungalows der Europäer. In der Mitte des Sees schwimmt eine kleine Wildnis. Aus saftigem Palmengrün und farbigem Buschwerk wird ein chinesisches Türmchen sichtbar. Hier waren einst die Bäder der königlichen Frauen. Später diente das Eldorado als englisches Pulvermagazin, und jetzt wird es nur mehr als zierlicher Dekorationsgegenstand gepflegt. Der etwa zwei Kilometer lange See, dessen mannigfaltige Einbuchtungen sich malerisch zwischen die Berge einschieben, ist das Werk des letzten Tyrannen von Kandy. Aus den zwangsweise gewonnenen Reisfeldern der Eingeborenen schuf er den Tank, der trotz der grausamen Opfer, die das Ausgraben der miasmenreichen Erde an Menschenleben forderte, auf den Beschauer unendlich wonnig und köstlich wirkt. Die Terrasse, von welcher wir den ergötzlichen Blick genossen, liegt auf dem Damm, durch den das Wasser gestaut wird. Eine niedere krenelierte Mauer, mit Durchbrucharbeit verziert, bildet das Geländer. Ein paradiesischer Weg windet sich um den See und zieht sich zugleich am Fuße der Berge hin. Hierdurch liegt die Promenade morgens viel länger und abends viel früher im Schatten, und den erholungsbedürftigen Europäern des Tieflandes ist infolgedessen mehr Bewegung im Freien möglich als z. B. in Colombo.

Am jenseitigen Ufer des Tanks gelangt man in üppige Tropenwildnis. Sie führt durch eine Schlucht von goldstämmigem Bambus, herrlichen Farnen, buntblättrigen Bäumen und königlichen Halmen zu dem romantisch gelegenen Reservoir, welches den See mit soviel Wasser versorgt, daß dessen Spiegel stets in gleicher Höhe mit dem ihn umgebenden Promenadenweg bleibt. In einer knappen Stunde umwandelt man den » lake« in dem große Schildkröten rudern und auf dem kleine Boote mit Eingeborenen schwimmen. Ein dumpfer Paukenschlag dröhnt durch die stille Luft. Morgens und abends ruft dieser mächtige Ton die Gläubigen zum täglichen Opfer, wir eilen, die »Dalada Maligawa«, den Tempel des »heiligen Zahns« zu erreichen.

Der »Maligawa-Tempel« ist im königlichen Palast eingebaut und dem Auge des Passanten beinahe entzogen. Derselbe wird nur durch die Fahrstraße vom See getrennt, seine Hauptfront richtet sich gegen eine große Wiese, an der man jenseits unser Hotel erblickt. Der Bau ist keineswegs imposant, seine Architektur läßt sich schwer beschreiben, man darf sie vielleicht als »Kandystil« bezeichnen. Eine massive, reich ornamentierte Umfassungsmauer, welche mit abgerundeten Zinnen abschließt, umgibt den Palast. An jeder Zinne sind kleine Bogen von verschiedener Zahl und Zusammenstellung ausgebrochen, in die bei den großen Festen, besonders dem »Laternenfest« im November, brennende Oellämpchen eingestellt werden, was einen feenhaften Beleuchtungseffekt bieten soll. Im Winkel, in dem diese Front und die Seitenmauer zusammentreffen, steht ein plumper, achteckiger Turm mit einem leichten, weit ausladenden, spitzen Dach. Es wird von acht kurzen, reich verzierten Säulen getragen und deckt zugleich einen Balkon, der um das Oktogon läuft und auf den von allen Seiten des Turmes sich Türen öffnen. Links sieht man eine Wandelbahn die Palastmauer überragen. Zwischen länglichen Bogen stehen viereckige Säulen.

Die Wände sind mit mythologischen Fresken und grotesken Skulpturen geschmückt, hinter dieser Wandelbahn liegt der Tempelhof; vor der Palastmauer ist ein mit Wasser gefüllter Graben, in dem heilige Schildkröten gehalten werden. Ueber diesen Graben führt eine steinerne Brücke zu dem tiefen, finsteren Torweg. Ohrenzerreißende Musik tönt uns aus dem Gewölbe entgegen. Ein wahnsinniges Durcheinander von Trommeln, Pauken, Flöten, Zimbeln, Tamtams betäubt die Sinne. Im trüben Dämmerlicht suchen wir durch Haufen lungernder Bettler, sich mit Palmblättern fächelnder Priester, zwischen schmutzigen Mönchen und Nonnen hindurch zu kommen. Alle bedrängen uns mit zudringlicher Bettelei, alle strecken uns, den Weg versperrend, Teller und Hände entgegen. Jetzt gelangen wir in einen wieder mit habsüchtigen Bettlern und Priestern angefüllten Hallenraum. Hier wird der »kristallene Buddha« allabendlich um Sonnenuntergang zur Anbetung ausgestellt, wir suchen uns einen einigermaßen isolierten Platz und warten, an die Wand gelehnt, auf die Feierlichkeit. Aber die sinnenraubende Musik, das regelmäßige, unausgesetzte Schlagen des Tamtams, begleitet von dem herben Klang der Zimbel, der nervenerschütternde Lärm aus Elfenbeinhörnern, Muscheln, Pauken und Flöten lähmt unsere Denkfähigkeit, macht uns gleichgültig gegen vielleicht Interessantes, kurz, wir ergreifen verzweifelt die Flucht und eilen in den zweiten Stock des Oktogons, wo wir wenigstens für ein paar Augenblicke in der Bibliothek des Palastes dem Höllenlärm entrückt sind.

Die Bibliothek ist ein kleiner Raum, in dem wertvolle Schätze orientalischer Literatur aufbewahrt werden. Von den »Olas« – wie die zwischen Holzplatten zu einem Heft zusammengebundenen, mit einem Griffel in Pali geritzten und mit dunklem Oel zur Konservierung beschmierten Palmblätter heißen – sind eine Reihe auf dem Mitteltisch ausgelegt. Mit farbigen Tüchern, kostbaren Brokaten und Blumen bedeckt, sehen sie in ihrer länglichen, schmalen Form feierlich wie kleine Kindersärge aus. Ein paar ernste, gelbgewandete Priester hüten die unersetzlichen Kostbarkeiten.

Die Priester Kandys wirken besonders malerisch. Sie drapieren ihre Toga in einer Weise, welche die rechte Schulter entblößt läßt, wodurch die braune Farbe des Armes sichtbar wird, die wundervoll zu dem gelben Ton des wallenden Gewandes stimmt. Durch diese Art, die Gewandung um den Körper zu legen, macht sich die stark vertretene buddhistische Sekte kenntlich, welche seinerzeit aus Siam einwanderte. Ihre Anhänger haben alle einen ganz glatt rasierten Schädel und tragen ein Palmblatt als Schirm, ob, um sich gegen den heißen Sonnenbrand oder gegen Versuchung durch die weibliche Welt zu schützen, konnte ich nicht ergründen. Die Sekte lebt nach äußerst strengen Regeln, genießt aber den Vorzug, daß jedermann nur Priester in ihr zu werden braucht, um seine Frau los zu werden, falls er ihrer überdrüssig ist. Dabei hindert ihn, wenn er des Junggesellentums müde wird, nichts, nach kurzer Zeit mit einer neuen Frau ein neues Leben zu beginnen. Ich vermute, der schöne junge Priester, der mir jetzt vorschlägt, vor meinen Augen ein Palmblatt zu ritzen, ist auch ein entlaufener Ehemann. Schließlich schreibt er gegen vorher vereinbartes Honorar auf ein Pergamentblatt ein paar wertlose Zeichen.

Der letzte Strahl der sinkenden Sonne fällt durch die offene Tür in die kleine düstere Bibliothek, wir treten hinaus auf den Balkon. Der Himmel leuchtet in purpurner Glut. Goldene Garben schießen zum Zenith empor. Berge werfen ihre dunkeln Schatten in den rosaschillernden See. Verlangend strecken die heiligen Schildkröten ihren langen braunen Hals aus dem lila schimmernden Wasser des Grabens und kriechen schwerfällig die weißen Steintreppen herauf. Ueber die grüngelbe Wiese laufen in großer Hast die Eingeborenen dem Tempel zu, den geweihten Tieren Honig und Reiskuchen darbringend, um dann im schwarzen Portal des Palastes zu verschwinden.

Wir verlassen die stille Bibliothek. Als wir unten den Hallenraum durchschreiten, wird eben der »kristallene Buddha« zur Anbetung auf den Altar verbracht. Es ist eine kleine sitzende Glasfigur, vor der alles in tiefster Andacht auf dem Gesichte liegt.

Wir wenden uns jetzt zum inneren Tempelhof, an den anschließend der einstmalige Königspalast liegt. Die überraschend schöne Audienzhalle, welche von reich geschnitzten Holzpfeilern getragen wird, dient jetzt als Gerichtssaal. Im inneren Tempelhof steht auf einer Steinterrasse der »Maligawatempel«. Er besteht aus zwei Stockwerken, die beide von einer breiten Holzveranda umzogen sind. Die untere Galerie hat ein weit vorspringendes, geschweiftes chinesisches Dach, an dessen Rand Lampen aller Art hängen. Ein paar schöne, aus Stein gehauene Elefanten schützen den Eingang. Riesig große Elefantenzähne, glänzende Ehrenschirme und anderes mehr ist hier zu sehen.

In den Tempel, in welchem der »heilige Zahn« gehütet wird, tritt man durch eine kleine Tür, deren Pfosten schöne Schnitzereien zeigen, und steigt dann eine enge, steile, dunkle Treppe hinauf, welche in einen matt erleuchteten Vorplatz mündet, wir sind im zweiten Stock. Priester, ein paar Eingeborene und einige Engländer stehen dicht gedrängt und warten, bis sie in das Heiligtum treten dürfen. Ein Priester im gelben Gewand öffnet die schwere, mit Messing beschlagene Eisentür. Durch die völlig verdorbene Luft benommen, treten wir in einen quadratischen Raum. Auf dem Altar, der sich die Wände entlang hinzieht, brennen auf hohen, goldenen Leuchtern weiße Kerzen. Reich mit Juwelen geschmückte Idole und glockenförmige Reliquienschreine (Dagobas) aus Gold, Silber und Kristall sind aufgestellt und mit Blumen überschüttet. Die fensterlosen Wände bekleiden Tapeten von weißrotem Brokat und kostbare indische Schals. Doch aller Augen sind auf die »Karandua« gerichtet, auf die fünf Fuß hohe, versilberte Dagoba, die unter einem die Herrschaft bedeutenden Schirme und unter kostbaren Lotosblumen hinter vergoldeten Eisenstangen steht. In der »Karandua« ist die heiligste Reliquie, der authentische Zahn Buddhas, verwahrt. Der Duft der Blumen auf dem Altar, die sich seit dem frühen Morgen zu ungeheuren Mengen angehäuft hatten, war in dem kleinen Raum so entsetzlich, daß ich hinaus auf die Veranda eilte, um nicht ohnmächtig zu werden. Ich habe den heiligen Zahn also nicht gesehen, weiß auch nicht, ob er überhaupt gezeigt wird. Er soll in einer goldenen Klammer gefaßt sein und auf einem goldenen schlanken Drahtgeflecht aus dem Herzen einer goldenen Lotosblume herauswachsen, welche auf einem silbernen Tische ruht, der gleichsam den See darstellen soll, auf dem die goldene Lotosblume schwimmt. Das angebetete Stück Elfenbein ist sechsundfünfzig Zentimeter lang und fingerdick, also ganz im Verhältnis zu der Fußspur auf dem Adamspik. Der heilige Zahn liegt in drei ineinander passenden Dagobas verschlossen. Unter Dagoba versteht man einen glockenförmigen Reliquienschrein, der auf einer viereckigen Basis aufgebaut ist. Die Tradition erzählt, daß die erste Dagoba einer auf dem Wasser schwimmenden Blase nachgebildet wurde.

Es geschieht alles, um das Mysterium des heiligen Zahnes zu wahren, und er wird von den strenggläubigen Buddhisten als ihre kostbarste Reliquie betrachtet. Der Buddhist behauptet, daß jenes Land, in dessen Besitz sie sich befindet, unter dem besonderen Schutze Buddhas stehe. Deshalb nennt der Singhalese seine Heimat das »heilige Eiland« und glaubt, daß nur jene Macht, die es vermöge, sich die Reliquie anzueignen, die Insel unterjochen könne. Als 1818 nach einer Rebellion die Engländer sich des »heiligen Zahns« bemächtigten, war ihre Herrschaft gesichert. – Trotzdem die buddhistischen Priester behaupten, daß seit zweitausend Jahren dies das erstemal gewesen sei, daß ihnen die heilige Reliquie entrissen wurde, so versichern andere Ueberlieferungen, dieselbe sei erst 300 nach Christi Geburt durch eine Prinzessin aus Nordindien nach Ceylon gekommen, oder sie sei gar erst im sechzehnten Jahrhundert hierher verbracht worden. Die Irrfahrten des »heiligen Zahnes« werden wohl nie aufgeklärt werden, da sich die ganze Kollektion auf etwa dreihundertundzwanzig Milch-, Vorder-, Backen- und Schneidezähne beläuft, die über Indien, Kaschmir, Siam und Birma verstreut sind. In Nordchina sogar soll es einen heiligen Weisheitszahn von zwanzig Pfund Gewicht geben.

Was von den Reliquien am Tage unseres Besuches schließlich noch vorgewiesen wurde, haben wir nicht erfahren. Ich hörte nur, wie ein alter Priester frug, ob er uns die Kostbarkeiten zeigen solle, sah einen Teller mit Goldstücken, welche sicher die Priester selbst zur Aufforderung auf die Platten gelegt hatten, dann wurde es mir schwarz vor den Augen, und ich taumelte hinaus auf die Veranda. Als wir den Tempel und den Palast verließen, wurden wir auf Schritt und Tritt um ein paar Rupien angebettelt, und es schien uns, als ob nirgends auf unserer Reise die Priester so geldgierig gewesen wären wie hier im Tempel.

Es war bereits ganz dunkel, als wir ins Freie traten. Taghell beleuchtet, glänzte wie ein Feenpalast das Hotel über die Wiese herüber. Die Dinnerstunde ist in den Bergen auf sieben Uhr festgesetzt, so hatten wir kaum noch Zeit, unser Abendbad zu nehmen und Toilette zu machen, als schon das Tamtam durch das Haus dröhnte. Das Hotel ist ein hübscher, luftiger Bau mit großen, breiten Bogenfenstern, einem geräumigen schmucken Speisesaal nebst Hallen zum Rauchen und Billardspielen. Die Punkah fehlt, doch ist es hier oben kaum weniger heiß wie in Colombo. Schwer und dunstig liegt die Luft auf uns. Das in einem Kessel zwischen Bergen eingekeilte Kandy entbehrt eben der erfrischenden Seebrise.

Im Speisesaal begrüßten wir Frau v. R. und Herrn Federer, die, während wir im Himâlaya wanderten, eine höchst interessante Tour in die waldigen Täler der Gin Ganga unternahmen. Mit bullockcarts sind sie von Galle, dem früheren Haupthafenplatz Ceylons, aus in den Dschungel eingedrungen. Begleitet von einem Elefantenbeschwörer (» charmer«), der die Kraft besitzen soll, die Elefanten heranzulocken und zugleich vor den Gefahren ihrer Nähe zu schützen, haben sie die Tanks besucht, in denen die wilden Riesen unter gewaltigem Schnauben ihr tägliches Bad nehmen. Leider erlaubt es unsere Zeit nicht mehr, eine ähnliche Tour auszuführen, da wir beabsichtigen, morgen gen Norden nach dem uralten, aus vorchristlicher Zeit hochberühmten Anuradhapura zu fahren, das seit tausend Jahren im tiefsten Dschungel begraben liegt.

Für den Abend ist uns der »Teufelstanz« versprochen. Obgleich nämlich die Bewohner Ceylons als Buddhisten gelten, so ist es doch der größte Teil der Bevölkerung nur nominell. Ihre Religion ist stark mit Hindutum, noch mehr aber mit dem im geheimen geübten Dämonendienst versetzt. Sie haben Teufelspriester, »Kattadia«, welche die bösartigen Dämonen beschwören, und Teufelstänzer, »Kapua«, welche deren schädliches Tun durch ihre Tänze aufheben sollen, und die man ruft, wenn ein Familienglied erkrankt ist. Der Teufelstanz stammt aus dem dritten Jahrhundert nach Christi Geburt. Zufolge einer Hungersnot brachen im Norden Ceylons verheerende Krankheiten aus. Man schrieb sie der Niedertracht eines bösen Geistes, des »rotäugigen Teufels«, zu. Um ihn zu beschwören, wurde der Kultus des Teufelstanzes eingeführt, der bis zum heutigen Tage existiert. Unter den Dämonen – Nakka – ist derjenige, welcher im fließenden Wasser sein Wesen treibt und Krankheit bringt, der am meisten gefürchtete. Ihm wird in höchst anmutiger Weise geopfert. Kleine, mit Reis und Blumen gefüllte, durch ein Kokosnußblatt überdachte Miniaturkanoes werden den Strömen und Bächen übergeben, und man kann oft eine ganze Flottille solcher schwimmender Blumensträuße auf dem Wasser treiben oder in kleinen grünen Buchten versammelt sehen.

Gleich nach dem Dinner vereinigte sich die Gesellschaft in der Vorhalle des Hotels. Hier und auf der Straße, die dem Hotel entlang läuft, waren Stühle aufgestellt, die Freitreppe war mit Teppichen belegt, und man fand sich in Gruppen zusammen.

Gegenüber auf der den See abschließenden Terrasse haben die herbeigeströmten Eingeborenen unter großen tropischen Bäumen bei bläulichem Fackelschein einen Halbkreis gebildet, in dem der Tanz aufgeführt werden soll. Es ist ein unschönes Schauspiel, das sich uns darbietet; das Interesse, welches man diesen häßlichen, manchmal recht indezenten Gebärden und Sprüngen entgegenbringt, verliert sich bald. Nackte kräftige Männer mit klirrenden Arm- und Fußreifen, den ganzen Körper bemalt, mit Fuchsschwänzen behängt, springen unter seltsamem Kniebeugen in dem von den Eingeborenen gebildeten Halbkreis umher. Oder aber pomphaft aufgeputzte Gestalten in schweren Gewändern mit gräßlich grinsenden Masken, steilstehenden spitzen Stierhörnern werden von zwei natives auf die Terrasse geführt und von ihnen an den Handgelenken festgehalten. Helles Haar fällt den Tänzern wirr über die Schultern. Lange Zottelbärte hängen breit bis auf die Knie herab, und in den Händen halten sie brennende Fackeln. Nun geben die Begleiter einen Tänzer frei, und sofort beginnt ein Veitstanz ohnegleichen. In höchster Ekstase schlägt der Rasende mit Armen und Beinen wie toll um sich, wirft den Kopf von rechts nach links, um die Musik im Takt zu halten, dreht sich wie ein Kreisel und schwingt die Fackeln mit solch unsinniger Geschwindigkeit, daß er in einem doppelten Feuerring zu stehen scheint. Die monotone Musik, die aufreizenden Rufe der Zuschauer treiben den Tänzer zu maßloser Aufregung. Immer wütender wirbelt er um sich selbst, um schließlich sinnlos im Kreise herumzutaumeln, bis er von einem mitleidigen Eingeborenen aufgehalten und hinter die Reihen gezogen wird, wo er ohnmächtig zusammenbricht. Einer sucht den andern in toller Raserei, in grotesken Sprüngen zu überbieten. Im großen ganzen sind die Bocksprünge stets die gleichen, und die häßlichen Bewegungen widern nach zwei oder drei Produktionen geradezu an.

Da wir und Graf Lippe am nächsten Morgen die Tour ins Innere der Insel antreten wollten, eilten wir, unsere letzten Vorbereitungen zu treffen und unsere Rechnung zu bezahlen. Der manager aber war nirgends zu finden, und so einigten wir uns mit dem Subdirektor dahin, daß wir ihm unser Gepäck und einen Boy als Pfand für unsere sichere Rückkehr in vier oder fünf Tagen zurückließen.

 

6. Februar. Vor Tagesgrauen sausten wir in drei Rickshaws, unsere Handtasche auf dem Schoß, die Straße zum Bahnhof hinab. Charley folgt in einer vierten, denn zu gehen wird einem Boy niemals einfallen, solange er einen Dienstherrn hat. Als wir den Bahnhof erreichten, schickten sich die Leute eben erst an, unsern Zug zu rangieren. Mit Tagesanbruch setzte er sich dann in Bewegung und brachte uns nach einer Stunde an den jetzigen Endpunkt der nach Norden im Bau befindlichen Bahn. Matale ist ein ausgedehntes Dorf. Wohl eine Meile lang zieht sich die breite Straße durch den Ort. Rechts und links stehen Häuschen, Läden, Buden, Rasthäuser für Eingeborene und Schnapsläden, in denen » toddy«, der berauschende Palmensaft, verkauft wird. Am Ende der langen Straße liegt das höchst primitive Posthaus, in das wir, von dem weiten Weg erschöpft, treten, sehr besorgt, ob der deutsche manager des »Queens-Hotel« in Kandy wohl mit der Versicherung recht behalten würde, daß auf »reservierte« Plätze keine Rücksicht genommen werde, und daß bereits drei Parteien von hier aus die Post nach Anuradhapura belegt hätten. Alles, was man uns gesagt hatte, war falsch. Offenbar wollte uns der Wirt als Dauergäste in seinem Hotel zurückhalten. Wir waren die einzigen europäischen Passagiere, und unsere Plätze, welche wir bereits in Colombo genommen hatten, richtig gebucht. Wir wurden deshalb auch mit aller Höflichkeit behandelt und, wenn auch ohne jede Bequemlichkeit, befördert.

Die Postkutsche war ein uralter Rumpelkasten mit einem sogenannten Coupé, das aber nur ein einfacher Kutschersitz ist, auf dem höchstens zwei Personen Platz haben, doch werden drei hineingepreßt. » Honny soit, qui mal y pense« steht auf dem Kutscherschlag, der, wie der ganze Wagen, in allen Angeln quietscht. Das »Interieur« bedeckt ein Dach, dessen leinene Vorhänge gegen Sonne, Staub und Regen schützen. Auf den beiden Längsbänken des Wagens haben sechs Personen Platz, aber sie werden mit zehn und zwölf besetzt. Der Raum, der die beiden gegenüberliegenden Bänke voneinander trennt, ist so eng, daß man seine Knie nicht gerade vor sich stellen kann. Die Beförderung der »Reisenden« ist ja eigentlich Nebensache. Sie werden nur mitgenommen, soweit es die Pakete, Kisten und Kasten erlauben. Der Postverkehr ins Innere hat in erster Linie nur die Aufgabe, jene Europäer mit der zivilisierten Welt in Verbindung zu halten, welche teilweise tief im Dschungel leben, um die begonnene Wie ich lese, jetzt vollendete. Bahn nach dem Norden der Insel auszubauen oder um die Bewässerungsanlagen in Ordnung zu halten, Kanäle und Tanks neu zu schaffen. Wir hatten um fünf Uhr eine Tasse Tee getrunken und hofften, hier in Matale eine kleine Stärkung zu finden. Aber der Posthalter drohte, abzufahren, ohne auf uns zu warten, falls wir unsere Sitze nicht gleich einnehmen oder gar wieder verlassen würden. So blieb nichts übrig, als mit knurrendem Magen und ein paar Bananen in den Wagen zu klettern.

Ich saß zwischen Alfred und einer Eisenstange eingeklemmt. Die blauen Striemen, welche sie mir eindrückte, blieben noch lange in meiner Erinnerung haften. Alfred war zwischen mir und dem Kutscher eingekeilt und stöhnte jämmerlich über seine Gliedmaßen, die nirgends Platz finden könnten. Selbst der enge, für die Menschenbeine bestimmte Raum des Interieurs ist mit großen und kleinen Postpaketen angefüllt. Hier, zwischen Schachteln, Kisten und Bündeln, zwischen natives, die Betel kauen und unaufhörlich schwatzen, sitzt, in sein Geschick ergeben, der arme Graf Lippe wie in einem Schraubstock. Nach einer halben Stunde geduldigen Wartens – wir wissen gar nicht mehr, was Ungeduld heißt – erscheinen drei alte Gäule, die sich mit Widerstreben einspannen lassen. Der Pferdekuli nimmt, wie ein Affe, auf seinem Trittbrett zu meinen Füßen Platz, der Kutscher stößt einige unverständliche Worte und merkwürdige Töne aus. Zwei Kulis reißen die Pferde an den Ohren vorwärts, und fort geht es in sausendem Galopp. Die Entfernung von Anuradhapura beträgt hundertundzwanzig Kilometer, die wir in zwölf Stunden zurücklegen sollen.

Zu beiden Seiten der Straße zieht sich ein dichter, herrlicher Urwald. Arekapalmen fassen den Weg ein. Ihre schlanken Stämme sind mit Schlinggewächsen und den samtweichen Blättern zahlreicher Orchideen überzogen. Berauschende Treibhausluft dringt aus der Baumwildnis hervor. Düfte von geheimnisvoll verborgenen Blumen und Sträuchern wehen über uns hin.

Alle Augenblicke verläßt der Pferdekuli mit einem katzenartigen Sprung seinen Sitz, um mit affenartiger Geschwindigkeit wieder auf seinem Posten zu sein. Bald bringt er mir eine süßduftende Blume, bald ein scharf riechendes Gewürz und hält es triumphierend unter meine Nase, oder er bricht eine lange Schote mit farbigen Bohnen auf, die ich kosten soll. Dann deutet er auf seltsam angebaute Kakaoplantagen. Die Kakaobäume mit ihren hängenden, länglichen Blättern gedeihen nur im Schatten, sie stehen deshalb unter hohen, in Reihen angepflanzten Laubbäumen wie ein kleiner Wald unter Riesenstämmen. Zwischen den Palmen schlingen sich Betel – die ostindische Pfefferpflanze – Kaneel, Ingwer, Carcume und Gewürzpflanzen aller Art, auf die mich der zu meinen Füßen hockende native mit seinen paar englischen Brocken in geschickter Weise aufmerksam macht.

Der Weg führt ebenso oft nach abwärts wie nach aufwärts, über viele kleine und ein paar große Flüsse. Er hätte wirklich im höchsten Grad genußreich sein können, wäre ich nicht halb ohnmächtig vor Hunger und halb tot vor Angst gewesen. Seit dem vergangenen Abend um acht Uhr hatten wir nichts mehr gegessen, und mit jeder Stunde bekamen wir schlechtere und unzuverlässigere Pferde. Keines der alten, ausrangierten australischen Militärpferde ließ sich einspannen. Sie stellten sich mit dem Kopf gegen den Wagen und schlugen aus. Was waren das für Tiere, die unserm Wagen vorgespannt wurden: zwei Durchgänger und Bocker, Blinde und Lahme, solche, die auf drei Beinen sprangen, andere, die sich wie eine Schraube vorwärtswanden oder vor jedem Sonnenstäubchen scheuten und den Wagen schier in den tiefen Straßengraben rissen! Als ärgstes » beast« aber erwies sich ein bissiger Brauner, der einen Maulkorb trug und bei jedem Galoppsprung nach hinten aushieb. Wenn es überhaupt geht, geht es im Galopp, und das Schutzleder des Bockes, auf dem wir sitzen, wird stets von den Hufen der Pferde gestreift.

Um halb ein Uhr sahen wir einen höchst seltsamen, langgestreckten, dunkeln, kahlen Felsen sich aus grüner Ebene erheben. Endlich nahten wir dem wegen seiner Felsentempel berühmten Dambul, heute für uns nur deshalb von Interesse, weil wir endlich ein Frühstück bekommen sollen. Aber viel Vergnügen hatten wir an dieser »Fütterung« nicht. Von dem meisten, was wir zu essen bekamen, konnte man die Zusammensetzung nicht ahnen. Es war wieder das abscheuliche Fleischgehack, dessen Anblick mir schon übel machte. Nur ein Stückchen jungle fowl (Geflügel), zu dem ein herrlicher Goldfasan gerechnet wird, den wir häufig fliegen sahen, konnte man ohne Ekel genießen. Das Fleisch wäre gewiß zart und wohlschmeckend gewesen, doch kam es kalt und halb verkohlt auf den Tisch.

Bei der Abfahrt von Dambul drängte sich noch ein Europäer in das Innere der Postkutsche. Der Engländer hatte zwar einen »Bocksitz« für die ganze Tour ab Matale bezahlt, da wir aber das gleiche getan hatten und bereits auf dem Platze saßen, mußte er uns murrend das Vorrecht lassen.

Hinter Dambul dringen wir weiter in den tiefsten Dschungel ein, der bereits halbwegs hinter Nalanda begonnen hatte. Unter Dschungel versteht man ein wildes Wirrsal von niedrigem Gesträuch, durchsetzt von baumartigen und undurchdringlichen Büschen. Rechts und links von der Straße zieht sich eine feste grüne Wand hin. Aus dem dichten Unterholz erheben sich manchmal herrliche Bäume, umrankt, überwuchert von Lianen und andern Schlinggewächsen, die wie ein Schleier über das untere Gestrüpp herabfallen. Wundervolle Bäume mit bunten Blättern vom hellsten Rosa bis zum tiefsten Grün, andere an unsere Esche erinnernd, mit großen gelben Blütentrauben, wie Riesengoldregen, ragen aus der Buschwildnis hervor. Ab und zu erscheint das feste Dickicht, in das kein Sonnenstrahl fällt, niedergetreten. Hier ist der Wechsel der Elefanten, die auf dem Wege zum Wasser sich Bahn brechen. Wir fahren an einer mit Gras bestandenen großen Lichtung vorbei, auf der das Wild Aesung findet. Als Jagdbeute sind der »Axis«, der »Sambur« sowie der »Moschushirsch«, ein kleines graziöses Tierchen von grauer Farbe und mit dunkeln Flecken, sehr gesucht. Aber der »Sambur«, der irrtümlich als »Elch« bezeichnet wird, reizt vor allem des Jägers Lust. Groß wie unser Rothirsch, mit dunkelbrauner Decke, ist er ein schwer zu jagendes Wild. Er lebt einzeln, läuft in direkter Richtung von seinem Verfolger fort, womöglich kerzengerade den Berg hinauf, und setzt mit Kraft und Sicherheit über breite Bergklüfte und über tiefe Abgründe. Er wird mit einem Hunde gejagt, der aus einer Kreuzung des Fuchshundes mit dem Bluthunde stammt, die Kühnheit des Fuchshundes hat und »laut« jagt, eine sehr wichtige Eigenschaft, da der Hund dem Stück bis tief in den Dschungel folgt. Der Sambur hält sich tagsüber im finsteren Walde auf. Nachts wandert er und äst mit Vorliebe die junge Saat. Das beste Jagdgebiet für den Hirsch liegt in den Bergen bei Nuwara Eliya. Der Axis, ein reizender, kleiner, gefleckter Hirsch, ist das einzige in Herden lebende Wild Ceylons. Er ist rehbraun, weiß gefleckt mit schwarzem Rücken, das Gehörn des Bockes ist glatt, während die Geiß nicht »auf hat«. In Rudeln von zwanzig bis hundert Stück weiden die Tiere im offenen Parkland zwischen den Bergen und den Seen. Bis vor kurzem war der Wildstand noch vortrefflich. Tatsächlich ist er jetzt nahezu ausgerottet. Man hat zwar eine Schonzeit angeordnet, aber sie wird selbst von den Europäern kaum gehalten. Die Eingeborenen achten des Gesetzes überhaupt nicht und jagen das Wild zu jeder Jahres-, Tag- und Nachtzeit. Gordon Cumming erzählt in ihrem Buch » Eight years in Ceylon«, daß sie im Juli 1891 in einer Zeitung Colombos die Notiz las, daß die Decken von 27 453 »Ceylonelchen« seit Januar in London verkauft worden seien.

Hasen, Wildschweine und das Dschungelgeflügel bilden für den sensationslustigen Tropenjäger keine lockenden Ziele. Der Tiger fehlt, dagegen sind Leoparden und Bären ziemlich häufig.

Die Lichtung ist verschwunden. Zwischen der Waldwildnis und der Straße läuft ein schmaler Wiesenstreifen entlang. Ichneumons treiben hier ihr lustiges Spiel, haschen und fangen sich wie Kätzchen. Eine dünne, lange, smaragdgrün schillernde Schlange liegt am Wegrand. Sie ist nicht giftig, wird aber von den Eingeborenen gefürchtet, weil sie meist unbemerkt an den Bäumen hängt und den vorübergehenden nach den Augen schießen soll. Auf den Telegraphendrähten sitzen in langen Reihen reizende grüne, gelbe und blaue kleine Vögel, wie Kolibris. Große silbergraue Bachstelzen spazieren im feuchten Sand der Flüsse, die infolge der ungewöhnlich lang andauernden Regenzeit noch ein breites Wasserbett zeigen. Manchmal tritt auch wohl der Dschungel ein wenig zurück, ein paar Reisfelder folgen, ein Tank glitzert im Hintergründe, ein kleines Dorf liegt einsam im Urwald versteckt, vor den Hütten spielen niedliche Kinder. Schöne Tamilinnen, die ihr malerisch drapiertes Gewand beibehalten haben und nicht das unkleidsame Nachtjäckchen der Singhalesin tragen, stehen auf der Mauer eines Ziehbrunnens und übergießen sich, halb enthüllt, mit kühlendem Wasser. Büffel liegen in den Tanks, das heißt den künstlichen Wasserreservoirs, die aus der früheren Blütezeit Ceylons stammen. Oft stehen die Büffel auch am Ufer der Tanks, umgeben von einem Kranz weißer storchähnlicher Vögel – dem Padda- oder Reisvogel.

Der Dschungel schließt sich nun wieder dicht an die Chaussee an, die endlos und monoton vor uns liegt. Die Sonne steht bereits hinter den »blauen Bergen«. Wie auf Parkett fahren wir die glatte, sorgfältig gewalzte Landstraße entlang. Da, plötzlich, was sehe ich dort mitten auf dem Wege sitzen, der sich schmal und kerzengerade meilenweit vor uns hinzieht? Was ist das für ein schwarzer Punkt? – Ein Bär! – Ein wilder Bär! Die Pferde stutzen und schnauben, der blinde Braune macht noch einen Extrasprung. Ich bebe vor Entzücken, endlich einem wilden Tiere zu begegnen. Der Bär sitzt, wie unser Petz, auf den Hinterbeinen, reibt sich mit der Vorderpfote die Schnauze, sieht uns kopfschüttelnd an und trollt sich ins Dickicht. Der Pferdekuli hatte ihn auch gesehen und erzählte gleich eine Schauergeschichte. Erst kürzlich war hier in der Nähe ein Eingeborener von einem Bären angefallen worden und an den Wunden, die ihm das Tier beigebracht hatte, in einem entsetzlichen Zustande zugrunde gegangen. Die Augen waren ihm ausgekratzt, die Backenknochen zertrümmert und die Glieder gebrochen worden. Die Bären sind die in Ceylon am meisten gefürchteten Raubtiere. Sie sind zwar klein, aber ungeheuer wild und sehr mutig. Sie greifen den Menschen oft, ohne gereizt zu werden, an, und springen ihm meist nach dem Gesicht, das sie zu zerreißen suchen. Bis heute hatten wir noch kein einziges Raubtier in der Nähe gesehen. Wir waren ordentlich stolz, es endlich so herrlich weit gebracht zu haben, einen echten, rechten, freilaufenden Bären in der Nähe zu erblicken.

Wo ein Haus steht oder ein Reisfeld angebaut ist, brennen ungeheure Feuer als Schutz gegen die Verwüstung der Elefanten.

Trotzdem die Pferde mich den ganzen Tag in Unruhe und den Kuli in Bewegung gehalten haben – er lenkte meist als Vorläufer die Deichsel mit einem Strick –, muß ich ihre Leistung doch anerkennen. Sie liefen wie die Teufel und nahmen alle Berge im Galopp. Schweißtriefend, mit zitternden Flanken, kommen die abgehetzten Tiere in der nächsten Station an.

Um halb sieben Uhr treffen wir programmmäßig in Anuradhapura ein. Im Halbdunkel sehen wir nichts von der merkwürdigen, im Dschungel versteckten Stadt. Ehe wir noch die Post abgeliefert und an ein paar Häusern gehalten haben, ist es pechschwarze Nacht geworden, wir wissen nicht, wo wir fahren. Der Himmel ist hinter den ineinander wachsenden Baumkronen verborgen, und von der Straße sieht man auch nicht den geringsten lichten Streifen mehr. Der Kutscher läßt die Zügel hängen, die Pferde suchen sich im Schritt den Weg. Da endlich, mitten aus der tiefsten Finsternis, flimmert uns ein Licht entgegen. Die Post hält, wir sind am Ziel! Es ist das » resthouse«, wie in Ceylon die Unterkunftshäuser heißen. Aber steif und krumm durch die lange Fahrt – ich sitze seit ein Uhr hart und eingekeilt in der » box« (Coupé) – kann ich kaum aus dem Marterkasten klettern. Ein netter alter Herr kommt mit einer Laterne an den Wagen. Wir hielten ihn für den » resthousekeeper« (Wirt), aber es war ein teilnehmender Engländer, der wußte, was zwölf Stunden Post auf Ceylon bedeuten. Ich war mehr tot als lebendig und ging, unbekümmert um alle Schlangen, die etwa im Rasen verborgen liegen mochten, mitten hindurch auf das resthouse zu. Dankbar gerührt nahm ich das Glas » whisky and soda« an, das mir der freundliche alte Herr entgegenbrachte. Außer ihm und uns fanden sich zum Dinner drei Damen, unser gekränkter Mitreisender und zwei weitere Herren ein. Die Herren und Damen, die wir im resthouse antrafen, hatten ein paar Tage hier zugebracht, um Studien zu malen. Sie kehren morgen nach Kandy zurück. Nach dem Dinner, das ich nicht genießen konnte, entweder weil es zu schlecht oder ich zu müde war, suchte ich schnell mein Zimmer auf, sank auf mein Bett und schlief sofort fest ein.

 


 << zurück weiter >>