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Jaipur

14. Dezember. Wir kommen bei stockfinsterer Nacht um fünf Uhr früh in Jaipur an und sind freudig überrascht, einen bequemen roten Landauer zu unserm Empfang an der Station bereit zu finden. Im Hotel »Kaiser-i-Hind« wälzte sich uns ein ungeheurer, in eine geblümte Steppdecke gehüllter Klumpen keuchend entgegen! Es war der Wirt, der asthmatisch und fettsüchtig, aber aufmerksam und eifrig um unser Wohl besorgt ist. Zum Empfang lodert ein lustiges Feuer im Kamin des Zimmers und macht den kahlen Raum beinahe gemütlich. Die Türen sind wieder defekt, es fehlen sogar die Handgriffe, und wollte man sie schließen, so mußte man die Finger durch ein Astloch stecken. Wir legten uns gleich nach der Ankunft zu Bett und schliefen bis neun Uhr. Gegen elf Uhr fuhren wir zu Mr. Jacobson, der uns ein gedrucktes Formular über die Sehenswürdigkeiten der Stadt gab. Der arme Mann ist jetzt während des Durbar so überlaufen, daß eine schriftliche Aufstellung zu zeitraubend wäre und er alle Auskünfte für die ihm empfohlenen Fremden in Druck bereit hält. Doktor Jacobsons Bungalow war mir sehr interessant; die ganze Einrichtung ist so verschieden von der unserer Landhäuser, und ich freue mich, dieses luftige, dämmerige, indische Gartenheim kennen gelernt zu haben.

Wir hatten wieder unsern eleganten roten Wagen zur Verfügung. Man wird hier immer von drei Mann begleitet, einem Kutscher, einem Führer und einem Läufer. Letzterer rennt meist in unglaublichem Tempo voraus. Mit einem weißen Tuch und dem nötigen Geschrei macht er die Bahn frei. Besonders in der Nähe der Tore und in den engen Gassen rast er mit besonderem Eifer, den Fußgängern und den Kulis, die sich wegen der ungeheuren Lasten, welche sie auf dem Kopfe tragen, nicht umwenden können, einzeln zurufend, nach welcher Seite sie auszuweichen haben. Die Stadt mit ihren 230 000 Einwohnern wird von einer Hügelkette umgeben, die nach Süden offen und ganz mit Verteidigungsbauten besetzt ist. Das stattliche »Tigerfort« bildet den Abschluß des Bergrückens.

Jaipur ist die Hauptstadt von Rajputana. Eine rosarote, gezackte Mauer mit sieben Toren schließt sie ein. »Swai Jai Sing«, ein wegen seiner Gelehrsamkeit als Astronom und Mathematiker berühmter Maharadja, begründete die neue Residenz im Jahre 1728. Die alte, fünf Meilen von Jaipur entfernt am Bergabhang liegende Residenz Ambèr wurde astrologischer Gründe halber von ihm verlassen.

Betritt man Jaipur durch das festungsartige Tor, so fühlt man sich für einen Augenblick wie verzaubert! – Rosa – ringsum alles rosa! Rosa Häuser, rosa Tempel, rosa Paläste! Rosa die ganze Stadt. Nur die Fenster sind weiß eingerahmt und die Fassaden mit weißen Blumensträußen verziert. Wie so ganz anders ist dieser, wohl durch die Laune eines Maharadja rosa getönte Fürstensitz, als das, was wir bisher gesehen. Italienische Architekten sollen die Erbauer sein. Ist man schon überrascht durch die wie in Himbeersauce getauchten Gebäude, so erstaunt man nicht minder über die weiten, breiten, belebten Straßen, die sich zwischen den Häusern hinziehen. Das barockste Architekturwerk in Jaipur, dessen Plan von Jai Sing persönlich entworfen wurde, ist der Hawa Mahal – der Windpalast –, dessen schwindelhaft hohe, fünfstöckige Front mit sechzig Erkern, acht Dachkiosken und Ecktürmchen, die wie kleine Pyramiden aussehen, an der Hauptstraße liegt. Dieser originelle Palast gehört zur Residenz des Maharadja, die eine Stadt im kleinen darstellt.

Den Mittelpunkt bildet der »Chandra Mahal« (sprich Tschandra Mahal), den man, weil bewohnt, nicht besichtigen kann. Es ist ein siebenstöckiger Bau, der die Gärten überragt und von seinem Aussichtsturm einen schönen Blick in die weitere Umgebung der Stadt bietet. Hier zu ebener Erde befindet sich der Divan-i-Khas, die private Empfangshalle, welche einen einfachen und vornehmen Eindruck macht. In der Nähe ist der Divan-i-Am, die öffentliche Empfangshalle; ein großer Raum, in welchem schöne Säulen eine geschmacklose Decke tragen. Ein prachtvolles Tor aus edelm Gestein und Goldbronze, das nur der Maharadja durchschreitet, führt in diesen öffentlichen Audienzsaal. Reiche Darstellungen aus der indischen Götterlehre bedecken die Torflügel, Blumen und Tiere zieren deren Einfassung. Die Gebäude und Räume sind mit durchbrochener Arbeit aus Marmor und Stuck, wie mit Malereien, reich geschmückt, aber geradezu ärmlich erscheint das europäische Mobiliar.

Neben dem Chandra Mahal liegen die Häuser der Hofbediensteten und der Frauenbau – der Zenana, der mehr als tausend Frauen birgt und nur einen kleinen Flügel des Riesenpalastes bildet, – ferner das berühmte Observatorium – Jantra – von Sing II. erbaut, das mit seinen von diesem Herrscher erfundenen und gezeichneten phantastischen Instrumenten unter freiem Himmel steht und dem Verfall preisgegeben ist.

Nun folgte der Besuch des Marstalls, der an die Rückseite des »Windpalastes« anstößt. Seine Fenster, von denen aus die Damen des Maharadja den Reitkünsten der Herren zuschauen, beherrschen den Hof. Die Pferdeställe sind sehr weitläufig angelegt und ziehen sich als offene, schmale Halle rings um diesen Platz, auf dem die Pferde eingeritten oder eingefahren oder an Longen bewegt werden. Auf glänzend gezäumten Rennern halten malerisch gekleidete Hindus vor der Palastpforte; neben einem eleganten Kiosk stehen acht bis zehn prächtig aufgeschirrte Tiere für die Hofkavaliere bereit. Das Pferdematerial ist mittelmäßig, aber auf den Glanz hergerichtet. Der Platz selbst macht den Eindruck eines Zirkus vor eben beginnender Produktion. Die Tiere stehen in ihren luftigen Stallungen ohne Zwischenwand nebeneinander, scheinen sich nicht niederlegen zu können und sind höchst seltsam gefesselt. Während die Hinterfüße durch einen langen Strick an vier bis fünf Meter nach rückwärts in den Boden eingelassenen Steinen angebunden sind, werden die Vorderfüße durch Pflöcke festgehalten. An der Längswand über jedem Pferd befindet sich ein großes Loch, die Schlafstelle des Wärters.

In nur von Gestrüpp umzäunten Vierecken, den sogenannten Elefantenställen, haben ein paar riesige Frachtexemplare dieser Dickhäuter Unterkunft gefunden.

Außer den Gebäuden gehören noch große Gärten und Anlagen zum Palast. Zusammen mit diesen nimmt er ein Siebentel der ganzen Ausdehnung der Stadt ein. von dem Chandra Mahal ziehen sich langgestreckte Wasserwege mit zahllosen graziösen Springbrunnen und schönen Gaskandelabern hin. Neben diesen flachen Becken führen Fußpfade in gerader Linie zu dem Krokodilteich. Beleuchtet und bewässert, muß die Anlage reich und blendend wirken, in ihrem gegenwärtigen Zustand machte alles einen recht trübseligen Eindruck. Im Tank leben sechzehn mächtige Alligatoren. Der Lockruf des Wächters erklingt. Unter der grün überzogenen Wasserfläche gleiten, ohne diese zu bewegen, die riesigen Tiere dem Ufer zu. Eines der Ungeheuer kriecht wie Fafner mühsam ein paar Stufen die Treppe herauf und liegt dort erschöpft und schwerfällig, ab und zu das scheußliche, große, fast zungenlose Taschenmaul öffnend, um das an einer Schnur baumelnde Fleisch zu erhaschen, das ihm aber selbst dann wieder entrissen wird, wenn es schon tief im Rachen verschwunden scheint. Früher sollen die Krokodile hier und da mit ausrangierten Haremsdamen des Maharadjas gefüttert worden sein. – Mein Standpunkt befand sich nur wenige Stufen von dem grauenhaften Tiere entfernt. Ich fühlte mich wie gelähmt und konnte die Zwangsvorstellung nicht los werden, zu rutschen – in den Teich zu stürzen – verschlungen zu werden. Die Tiere waren so nah, streckten so gierig und lüstern nach Fraß die abschreckenden Köpfe aus dem grünen moorigen Wasser! Die Treppe war so eng! Es war eine gräßliche Situation – aber die Neugierde siegte über die Furcht.

Durch die Anlagen gingen wir langsam zurück. Ein Gärtner brachte mir armselige, kleine Blüten und glaubte, damit eine Kostbarkeit zu bieten. Blumen sind in diesem wasserarmen, heißen Land selten, und vielleicht hat man deshalb all die Häuser mit den gemalten Guirlanden und Sträußen geschmückt, die so anmutig und festlich die Fassaden bekränzen.

Durch stille, scheinbar verlassene Gärten gelangten wir wieder in das dichte Gewühl der Stadt. Geradezu betäubt standen wir in dem bunten Gedränge, das auf und ab über Platz und Straßen wogte. Laden reiht sich an Laden; vor ihnen wird ein geräumiger Weg für die Kauflustigen freigehalten. Dann folgt eine zweite Reihe von Händlern, die ihre Ware anpreisend, zu Hunderten auf dem Boden hocken. In der Mitte der Straße bewegt sich eine drängende Menge, eine sich stauende Menschenfülle: Reiter in weißen Gewändern auf stolzen Rennern, Kavaliere in glitzerndem Waffenschmuck; Frauen in langen, gelben, roten und schwarzen Umhüllungen, Karren mit Ochsen bespannt, deren Hörner lustig gefärbt oder vergoldet sind, alles drängt und schafft sich Raum. Kamele schwanken hochbeladen durch den Menschenknäuel. Ein kleiner Haremswagen mit leichten Säulen, auf denen ein graziöses Dach ruht, windet sich mit herabgelassenen Vorhängen, hinter denen eine Schöne vorsichtig herauslugt, langsam durch das Gewühl. Ungeheure Elefanten mit prächtigen Howdas (Pavillons) überragen riesengroß alles ringsum. Sie stampfen mit wuchtigen Schritten daher und schwingen ihren mächtigen Rüssel wie suchend über die Köpfe der Menge. Dromedare, auf denen zwei Reiter hintereinander kauern, drücken sich vorsichtig durch das Gewühl. Nackte Fakire, ganz mit Asche überzogen, schieben sich bettelnd durch das Menschengewoge. Und all dies so unbeschreiblich Fremdartige spielt sich auf rosafarbenem Hintergrund ab. Man steht und starrt und fragt sich zweifelnd, ob, was man hier sieht, auch alles Wirklichkeit und kein Traum sei!

Unglaubliche Mengen von Tauben bevölkern Dächer und Plätze. Hier vor uns steht ein Zebuochse, umgeben von einem dichten Kranz dieser zierlichen Vögel, die aufgeregt girren, geschäftig hin und her trippeln und ungeduldig auf seine »Gabe« warten. Aber vor dem Schnabel wird sie ihnen weggeschnappt. In allen Ecken und Enden lauern Weiber und Kinder auf eben dasselbe, das sie erfassen, mit Hast kneten, zu runden Fladen formen und zum Trocknen an ihre Häuser kleben, wodurch diese wie mit »Bierfilzeln« garniert aussehen. Der Mist ist eben das einzige Brennmaterial der Armen.

Ueber die Dächer huschen Affen hin und her. Auf dem Gesims eines Tempels sahen wir Tauben, Geier und Adler friedlich nebeneinander sitzen, wie es denn auch höchst überraschend wirkt, daß der Geier zwischen Hühnern, Enten und Gänsen gemütlich im Hof sein Futter pickt. – Ich brauche wohl nicht weiter zu versichern, daß sich in Jaipur der Charakter des Volkslebens in ungeschminkter Altertümlichkeit erhalten hat. Die Rajputen, wie sich die hiesige Bevölkerung nennt, bestehen hauptsächlich aus Hindus; auch der Maharadja gehört dem brahmanischen Glauben an, und nur verhältnismäßig wenig Mohammedaner sind hier ansässig. Die Provinz Rajputana steht im gleichen Verhältnis zu England, wie Haiderabad; sie hat ihr eigenes Geld und ihre eigene Post. Mit beiden macht seine Hoheit, der Maharadja Madar Singh, ein gutes Geschäft, wie mir der edle Herr denn überhaupt sehr praktisch vorkommt und selbst aus der scheinbaren Höflichkeit, mit welcher er seine Elefanten den fremden zur Verfügung stellt, seinen Vorteil zu ziehen weiß, von Europäern sah ich in der Stadt keinen einzigen, obwohl eine größere Anzahl vor den Toren wohnt.

Durch enge, dunkle Gassen, wo Menschen wie Ameisen wimmeln, fuhren wir zu Zoroaster, dem »Bernheimer« von Jaipur, nur daß das meiste, was Herr Zoroaster verkauft, auch in seinen Werkstätten angefertigt wird. In einem schmalen Gäßchen hielt unser Wagen vor einem finsteren Torweg, aus dem gleich ein paar malerische Gestalten hervorsprangen, um uns beim Aussteigen behilflich zu fein. Wir traten in einen weiten Hof, in dem ringsum in einer Säulenhalle Handwerker saßen, die merkwürdige Gefäße, Leuchter, Weltkugeln, Schlangen, Kästchen und Kistchen in Kupfer und Messing ausführten, vor großen Rahmen hockten Männer, mit Anfertigung komplizierter Goldstickereien beschäftigt. Andere kauerten vor prächtigen Teppichmustern, die sie mit geschickten Fingern flink und emsig zu knüpfen wußten. Oben im ersten Stock befand sich das Verkaufslokal. Wir machten eine Reihe von Einkäufen, erhoben Geld, denn der Chef des Hauses ist auch Vertreter von Cook, und wurden von ihm sodann zu einem echt indischen Tiffin eingeladen.

Noch interessanter als das Warenhaus, ist der Besuch der durch den regierenden Fürsten gegründeten » school of art«, welche alle Branchen des Kunsthandwerks vertritt. Da wir durch Mr. Jacobson an den Direktor der Kunstschule empfohlen waren, begegnete uns dieser mit besonderer Liebenswürdigkeit und geleitete uns durch den weitverzweigten Bau seines Instituts. Auf den Schulbänken sitzen Knaben, Jünglinge, Männer, Greise. Alle sollen nach verhältnismäßig kurzer Lehrzeit einen ihrer Fertigkeit entsprechenden Arbeitslohn erhalten. Ohne maschinelle Unterstützung werden sämtliche Gegenstände nur mit den primitivsten Werkzeugen hergestellt, sind daher in des Wortes vollster Bedeutung als »Handarbeit« zu bezeichnen. Unter den zum Verkauf ausgestellten Objekten befinden sich viele von künstlerischem wert, die sich auch höchster Anerkennung seitens der Europäer erfreuen.

 


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