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Benares

Benares zählt 230 000 Einwohner, liegt am linken, d. h. am nördlichen Ufer des Ganges und steht seit 1853 unter britischer Oberhoheit. Seine Geschichte greift tief ins graue Altertum zurück. Das heilige Benares ist seit undenklichen Zeiten die religiöse Hauptstadt Indiens und liegt als solche drei Millionen Stufen dem Himmel näher, als alle andern Städte der Welt. Es muß schon 600 vor Christus der Mittelpunkt des gläubigen Indien und mithin auch ein reicher, blühender Platz gewesen sein, denn dort, wo die Priesterwelt herrscht, strömt in Indien der Reichtum des Volkes zusammen. Für die Annahme, daß Benares schon damals eine hochbedeutende Stadt war, spricht die Tatsache, daß Sakya-Muni (575 vor Christi Geburt geboren, 478 gestorben), von Gaya kommend, diesen Ort zum Ausgangspunkt für feine Lehre wählte. Im Jahre 1194 kam Benares unter muselmännische Herrschaft, die mit der Zerstörung von tausend Hindutempeln und dem Erbauen von Moscheen begann, Heute hat es 1450 Hindutempel, dreihundert Moscheen und zwei christliche Kirchen. Der Teil der Stadt, in dem unser Hotel liegt, gehört zum europäischen Viertel, zum Kantonnement, das hier »Secrol« heißt.

Mit dem gelehrten Führer auf dem Bock, fuhren wir nach der drei Kilometer von Secrol entfernten native town. Unsere erste Ausfahrt galt dem goldenen Tempel und dem Ganges mit seinen Ghats, wie die Treppenterrassen heißen, die sich dem Strom entlang ziehen. Der Weg führt durch die Vorstadt »Sigra«, in der nur christliche Eingeborene wohnen.

Durch breite, gut gehaltene, aber uninteressante Straßen gelangten wir nach einer halbstündigen Fahrt in das Innere der native town. Das hier vorhandene Winkelwerk spottet jeder Beschreibung. Das Gewimmel von Menschen gleicht einem in Aufruhr gebrachten Ameisenhaufen, und die Gäßchen sind so eng, daß man sich buchstäblich an die Wand drücken muß, um Entgegenkommende oder heilige Kühe, die sich hier mit verblüffender Frechheit herumtreiben, vorbeigehen zu lassen. Auf dem Erdboden glaubt man Blutlachen zu sehen, aber es ist kein Blut! Das ekelhafte Ausspucken der betelkauenden Eingeborenen hat die Straße rot gefärbt. Es gibt Reisende, und wir trafen solche, die uns entsetzt erzählten, daß ganz Benares vom Opferblut der Tiere triefe. Dies ist ein großes Mißverständnis, denn außer der blutdürstigen Durga empfängt überhaupt kein indischer Gott ein Tieropfer.

Man schiebt sich tatsächlich an den Hausmauern hin. Plötzlich bleibt Herr Chatung Lall stehen, deutet wichtig auf ein talergroßes Loch und sagt: »Dadurch können Sie ins Allerheiligste des goldenen Tempels sehen.« Wir legen mit aller erdenklichen Vorsicht das Auge an die schwarze Mauer und blicken in einen finsteren Raum. Vor dem Sinnbild Shiwas, einem abgerundeten Säulenstumpf (Lingam), brennt ein Feuer auf dem Boden; Priester hocken um dasselbe herum. Durch eine Stufe etwas erhöht, steht eine Devadashi, ein dem Gotte angetrautes Tempelmädchen. In prunkvollem Staat, mit glitzerndem Schmuck behängt, funkelt sie beim flackernden Lichtschein und gleicht einem jener Götterbilder, die um die Gopuren Südindiens stehen. Nur ein flüchtiger Blick war uns auf das phantastische Bild vergönnt, dann wurden wir weiter getrieben. Vor einem Blumenladen, gegenüber dem schönen Messingtor des goldenen Tempels, staute sich die drängende Menge zu unerträglicher Enge. Eine Anzahl Natives, die sich von ihrer Tätigkeit einen Backhschisch versprechen, versuchen, uns Bahn zu brechen. Durch den Blumenladen lotsen uns die nackten Führer über eine stockfinstere Treppe hinauf, zu einer kleinen, niederen Veranda, in der die ungeheuren Pauken des Tempels aufbewahrt werden, »Von hier aus können Sie den goldenen Tempel sehen«, sagt unser Pandit. Wir gewahren zwei pyramidenförmige Türmchen und eine Kuppel. Die Kuppel und ein Turm sind mit vergoldetem Messingblech belegt, wofür der Tempel den pompösen Namen »der Goldene« trägt. Bishawar ist der hier verehrte Gott, ein anderer Name für Shiwa. Einigermaßen enttäuscht verlassen wir »das Musikzimmer« und werden durch unsere Eskorte weiter durch schmale Gäßchen in ein kleines Viereck geführt, in dessen Mitte »die Quelle des Wissens«, deren Genuß geistige Macht verschafft, gen Himmel stinkt. Die Blumen, welche verfaulend umherliegen und als Opfergaben in den Brunnen fallen, verbreiten einen Geruch, daß man vor Ekel entsetzt zurückprallt.

Direkt hinter dem »goldenen Tempel« liegt die Aurangzeb-Moschee mit ihren beiden überschlanken Minaretts. Empört darüber, daß dieser Bau auf ihrem Tempelgrund errichtet wurde, haben die Hindus das Haupttor zugemauert, und der Moslem muß seine Moschee durch ein Hintertürchen besuchen. Sie ist beinahe ganz verlassen und kaum mehr eine Sehenswürdigkeit zu nennen. Auf einem engen, von Bettlern belagerten Platze werden wir in einen Kuhstall gedrängt, der aber der »Tempel der Anapurna« ist (Ana = Speise, purna = die gefüllte). Die hier verehrte Göttin wurde einst von Bishawar dafür angestellt, das Volk von Benares mit Speise zu versorgen. In der Halle stehen und liegen als Sinnbild der Ernährung die heiligen Kühe, deren Exkremente aber nicht etwa, wie gewöhnlich, zu Brennmaterial verwendet, sondern ehrfurchtsvoll in frische Blätter als Heilmittel gegen alle Krankheiten gesammelt werden. In keiner Lebenslage ist Krankheit ein Vergnügen und Sterben ein Genuß, aber hier in Indien ist es ein ganz besonders entsetzliches Martyrium. Die heilige Kuh liefert dem Kranken die Arzneien und ihren Schweif in der Hand muß man sterben, will man selig werden. Alle Krankheiten werden mit Kuhdung oder durch einen Aufguß von pulverisiertem Eselsdung behandelt. – Hier ganz in der Nähe der nicht sehr pflichttreuen Anapurna, die meist mit einem Kochlöffel in der Hand abgebildet wird, thront ein Ungeheuer, das, mächtiger als sie, ihr die zugewiesene Aufgabe sehr erschwert. Es ist der dem Saturn geweihte »heilige Jani« (Schani). Sein Kopf wird durch eine Silberscheibe markiert, von der eine Schürze herabfällt, die verbergen soll, daß er ohne Leib geboren, den er als personifizierte Hungersnot ja auch nicht braucht.

Wir eilten weiter durch dunkle, dumpfe Gassen und atmeten befreit auf, als wir nach all der qualvoll übelriechenden Enge den weiten Blick über den Strom vor uns genossen. Vom erhöhten Ufer des Flusses aus übersieht man eine 750 Meter breite Wasserfläche. Am Fuße des Panchganga Ghat besteigen wir einen seltsam gebauten Kahn, der uns zur Verbrennungsstätte der Toten bringen soll. Es ist ein großes Ruderboot mit hochaufgebauter Kajüte. Mit Hilfe einer Leiter klettern wir auf das flache Kabinendach, wo sich bequeme Rohrsessel befinden. Lautlos gleitet der Kahn auf der Strömung dahin, die Ruder hängen kaum hörbar plätschernd im Wasser, blaßleuchtend steht die Sonne schon tief im Westen, die Luft ist trübe und dunstig. Ein penetranter Geruch treibt uns entgegen. Rauchwolken hüllen alles in düsteres, kaltes Grau. Melancholische Stimmung ruht auf dem träge fließenden Strome, wie auf seinen öden Ufern. Schweigend erblicken wir geborstene Riesenmauern, verschüttete Paläste und die traurige Verbrennungsstätte, das »Manikaranika Ghät«, die heiligsten »Stufen von Benares«.

Tiefe Schwermut ruht auf dem Bilde. Drei Scheiterhaufen stehen in Brand, zwei andere werden aufgerichtet. Rechts und links von der kleinen sandigen Bucht, in der die Kremationen stattfinden, erheben sich hoch aufgebaute Plattformen. Auf der linken Plattform versammeln sich die Leidtragenden. Terrassenförmige Stufen, welche die Bucht nach rückwärts abschließen, führen hinüber zum Haus der Dooms. Die Dooms gehören der allerniedrigsten Kaste an. Sie unterhalten das Feuer, das nur von ihnen zum Entzünden der Scheiterhaufen erworben werden darf.

Alle, auch die scheinbar unbedeutendsten Handlungen im Leben des Hindu, das von der ersten bis zur letzten Stunde in religiöse Pflichten eingeengt ist, werden durch strenge Gesetze genau geregelt. Das Totenfeuer ist das Monopol der Dooms, welche die Zahlungsfähigkeit der Hinterbliebenen abschätzen und danach den Preis für das begehrte Feuer bestimmen. Sie verlangen für dasselbe oft unerhört große Summen, und es sollen bis zu tausend Rupien gezahlt werden. Die Dooms, obwohl sehr wohlhabend, sind tief verachtet, und jeder Hindu wird selbst die entfernteste Berührung mit dem völlig unreinen und verabscheuten Paria, der unter dem Tiere steht, ängstlich vermeiden.

Schwarzer Rauch steigt aus dem flammenden Scheiterhaufen empor. Abseits steht der niedrige Holzstoß eines Armen. Die spärlich geschichteten Scheiter bedecken nur notdürftig die Leiche. Schauerlich ragt der schwarze, halbverkohlte Körper zwischen den züngelnden Flammen hervor – er reckt sich, dehnt sich und bäumt sich gräßlich auf; als er sich aber zu hoch aus der Lohe hebt, tritt der Doom heran und stößt ihn mit einer Keule zurück. Der Körper versinkt; das Holz bricht zusammen – gelblich grüner Rauch liegt über der Stätte.

Ein alter Mann mit kahlem Schädel, sein dürftiges Tuch um die Lenden geschlungen, dürr und knochig, das lebende Skelett, steht in kummervoll gebeugter Haltung da und blickt forschend in die bläuliche Glut. Seine armen Augen suchen nach den letzten Ueberresten des Toten. Er wird sie sammeln und sorgfältig in ein Tuch gebunden dem heiligen Strom übergeben. – Es ist ein ergreifender, rührender Anblick hilflosen Schmerzes.

Ein neuer Scheiterhaufen wird aufgerichtet. Holz auf Holz bringt man herbei, hoch türmen sich die Scheiter empor. Diesmal gilt es einem Reichen. Oben auf der Plattform hat sich eine ansehnliche Trauerversammlung eingefunden. Je nach dem Grade, der sie mit dem Toten verbindet, werden den verwandten die Kopf-, Bart- und Achselhaare als Zeichen der Trauer geschoren. Sie hocken am Rande der Terrasse und blicken hinab auf die Leiche, die, einer Mumie gleich, in weiße Laken gehüllt, durchnäßt am seichten Ufer auf einer Bahre liegt. Bänder umwinden den Körper und befestigen ihn an zwei parallel laufenden Bambusstangen, die durch kleine Stäbe verbunden werden. Daumen sowohl als Zehen des Verstorbenen sind zusammengeschnürt, die Fußsohlen freigelassen, von dem weißen Bahrtuch wurde ein schmaler Streifen abgelöst, der, an den Enden zusammengeknüpft, dem Haupttrauernden um den Hals hängt. Die Bahre mit dem Toten wird durch eine ungerade Zahl von Männern zum Verbrennungsplatze verbracht. Voran trägt man das häusliche Feuer des Entschlafenen, welches aber niemals zum Entzünden des Scheiterhaufens verwendet wird. Hinter demselben folgen Verwandte und Freunde mit Opfergefäßen und sonstigen Requisiten. Keiner der Trauernden darf während des Leichenzuges oder der Totenfeier rückwärts blicken. Von monotonem Gesang begleitet, wird die Leiche zum letzten reinigenden und entsündigenden Bade gebracht.

Sobald alle Angehörigen, die wir auf der Plattform versammelt sahen, durch das Zeichen der Trauer – das Rasieren der Haare – kenntlich gemacht worden waren, gingen sie in feierlichem Zuge über die oberen Stufen hinüber nach dem Hause der Dooms. Die Trauerversammlung in gemessener Entfernung zurücklassend, schreiten die nächsten Verwandten, ein Mann zur Seite einer in weiß wallende Gewänder gehüllten Gestalt, die einen Bund Binsen in der schlaff herabhängenden Rechten trägt, dahin. Langsam und feierlich, mit gesenktem Haupte, tritt das Weib über die Stufen, und bleibt vor der Säulenhalle stehen, die dem Hause der Dooms vorgebaut ist. Ein großer Banyanenbaum beschattet den engen Platz. Ernst und erschüttert betrachten wir die sonderbaren Vorgänge, die sich wie zu einem Traum verweben.

Da ertönt ein widerwärtiges, schrilles Geschrei. Man handelt um den Preis des Feuers. Dann wird wieder alles still – der Pakt ist abgeschlossen. Ein paar Stufen höher als ihre Begleiter steht vor den Säulen die trauernde Frau wie eine antike Figur. Aus dem langen, faltenreichen Gewande, aus dem togaartig um die Schultern gelegten »Sari« – Schleier – hebt sie die Hand, die den Strohbund hält. Regungslos wartet sie, bis ihr der Doom die Kohle in die Halme steckt, dann schwingt sie den Feuerbrand gelassen, mit ruhiger Würde, auf und nieder und steigt in ernster Haltung, gemessenen Schrittes, wie eine Priesterin, die Treppen hinab zum Scheiterhaufen. Männer lösen die Leiche von der Tragbahre, zerreißen die Gräser, mit denen Daumen und Zehen umschlungen, flößen dem Toten als letzten Trunk eine Handvoll heiligen Gangeswassers ein und legen ihm eine Blume in den Mund. Triefend vor Nässe wird die Leiche auf den Scheiterhaufen verbracht und allseitig mit Holz bedeckt. Von links herankommend, umwandelt die Frau dreimal den Holzstoß, den Strohbüschel nochmals bewegend, bis er in eine Flamme aufflackert, dann legt sie, ohne umzublicken, rückwärtsschreitend, die brennende Fackel unter den Kopf des Toten. Der männliche Leidtragende tritt nun von links heran, umkreist, aus einem irdenen Kruge den Boden ringsum mit Wasser begießend, dreimal die Leiche; neben dem Haupte des Toten zerschmettert er das Gefäß und schlägt sich zugleich mit dem Handrücken auf seinen Mund. Nach der Kremation verlassen die Leidtragenden die Brandstätte und begeben sich zum Bade. Im Unterkleid, ohne Uebergewand, die Haare aufgelöst und mit Lehm bedeckt, das Gesicht nach Süden gewandt, tauchen sie ins Wasser. Mit dem Hohl der übereinander gehaltenen Hände, so daß die Linke sich höher als die Rechte befindet, gießen alle einmal Wasser aus, indem sie den Vor- und Zunamen des Verstorbenen aussprechen. Dann steigen sie aus dem Bade und begeben sich heimwärts. Der Haupttrauernde darf sein Haus nicht betreten und während der Zeit seiner Unreinheit (»Assanca«), die mit ihren zahllosen Observanzen zwei bis zwölf Tage dauert, mit niemand sprechen. Die Hinterbliebenen dürfen keine Speise zu sich nehmen, bevor nicht der Tote verbrannt, dürfen während der ganzen Zeit der Unreinheit die Veden nicht studieren, müssen auf dem Boden schlafen und alltäglich zur Stunde des Hinscheidens das Wasser berühren u. a. m.

Der nächste verwandte, der sogenannte »Verrichter«, hat auf die pünktliche Ausübung aller Vorschriften zu sehen, an die Spenden zu denken, die dem Toten zukommen, und dafür Sorge zu tragen, daß der Verlebte gespeist und getränkt wird. Es muß zu diesem Zwecke im Frauengemach zunächst der Stelle, an dem der Kopf des Verstorbenen lag, ein fußtiefes Loch gegraben und während zehn Tagen und zehn Nächten eine danebenstehende Lampe brennend erhalten werden. In diese Vertiefung stellt man zwei irdene, mit Milch und Wasser gefüllte Töpfe. Täglich fügt man eine Handvoll Reis hinzu. Nahe der Vertiefung, einen Fuß hoch über derselben, wird ein Nagel in die Wand geschlagen und zwei von diesem Nagel nach den beiden Töpfen gespannte Fäden bilden gewissermaßen die Leiter, welche dem verblichenen das tägliche Herabsteigen ermöglicht. – Bei einigen Volksstämmen folgt am Schlusse des zwölften Tages der Trauer noch eine feierliche Versammlung, während welcher sich der Verstorbene manifestieren soll. Einige Körner Reis werden auf ein Holzscheit gelegt, auf dieses wird ein mit Wasser gefüllter Topf gestellt und die Oeffnung des Topfes durch eine Kokosnuß geschlossen. Die Leidtragenden kauern im Kreise umher. Während Musik ertönt und Gebete gesprochen werden, dringt der Geist des Abgeschiedenen, so glaubt man, in einen der Anwesenden ein und sagt durch diesen aus, was er wünscht, daß seine Freunde für ihn tun sollen.

Zahllos sind die Sitten und Gebräuche, welche bei einem Todesfall ausgeübt werden müssen. »Die Bedeutung der meisten Handlungen des indischen Bestattungsrituals ergibt sich von selbst, wenn man im Auge behält, daß die Haupttriebfeder derselben ursprünglich Furcht gewesen, die hingeschiedene Seele möchte wiederkommen und die Hinterbliebenen schädigen.« Auch alle Unreinheitsobservanzen sind anerkanntermaßen dieses Ursprungs: »sättigt man die Abgeschiedenen nicht, so werden sie sich rächen; bekommen sie nicht einen bestimmten Aufenthaltsort, so werden sie spuken und die Hinterbliebenen beunruhigen.« Deshalb sammelt man auch die Knochen, dort, wo sie kein Wasser hinwegspülen kann, sorgfältig in einen Krug oder Korb, bringt sie an einen einsamen Ort oder knüpft sie in ein seidenes Tuch, das an einem Baum in der Nähe des Verbrennungsplatzes aufgehängt wird, bis sich Gelegenheit findet, diese letzten Reste dem Ganges zuzusenden. Hier in Benares werden, nachdem das Feuer ausgebrannt ist, die Knochen und die Asche in den Ganges geschoben. Aussatz- und Pockenkranke erhalten keine Feuerbestattung, weil der den Scheiterhaufen entzündende Verwandte Ansteckung fürchtet. Man versenkt sie in durchlöcherten Stein- bezw. Holzsärgen oder einfach mit Steinen beschwert in den Fluß und überläßt den Fischen das »unreine« Fleisch, während die sonstigen Reste durch die heilige Ganga gereinigt werden. Auch Kinder bis zum fünften Lebensjahre sind von der Verbrennung ausgeschlossen; sie werden ebenfalls beschwert in den Fluß hinabgelassen.

Noch lagen wir vor der öden engen Todesbucht. Die Scheiterhaufen waren verkohlt. Neue Holzstöße wurden aufgeschichtet. In gedrückter Stimmung verließen wir die düstere Stätte. Leise Ruderschläge führten unser Boot dem Ufer entlang, zurück zu der Stelle, an der uns der Wagen erwartete.

Heute zum erstenmal waren die »Wunder des Märchenlandes« vor der abstoßenden Wirklichkeit seiner Gebräuche verblaßt. All unser Empfinden befand sich in Aufruhr, und eine tiefe Enttäuschung hatte uns erfaßt. War dies jenes altberühmte Benares, das die Phantasie mit einem lichten Glorienschein umwoben?

 

5. Januar. Nur wenige Stunden liegen zwischen dem enttäuschenden Gestern, dem schwermütigen Abend und dem überraschend herrlichen Heute, dem in verklärter Pracht leuchtenden Morgen. Die Welt scheint verwandelt. Auf phantastischer Barke gleiten wir in silbernem Frühnebel den grünen Wunderfluß hinab, dessen Ufer von der Quelle bis zur Mündung »heilige Gründe« sind. In zitterndem Glanz verschwimmend, steigen aus duftiger Ferne die beiden schlanken Minaretts der Aurangzeb-Moschee gleich spitzen Nadeln zum Himmel auf. Eine Flut von Licht ergießt sich über Strom und Land. In herrlicher Sonnenpracht liegt das heilige Benares vor unsern berauschten Blicken.

Die Stadt dehnt sich über eine Stunde am Strome hin. Sie liegt auf der Höhe der Ghats, die über dreißig Meter steil vom Ufer aufsteigen. Der obersten Stufe entlang ziehen sich hohe, festungsartige, mit Kiosken und Tempelchen gekrönte Mauern, als Wehr gegen den alljährlich reißend anschwellenden Strom. An einzelnen Stellen erheben sich steile, mit ein paar Pimpalbäumen bepflanzte Lehmufer, an andern sind ganze Paläste abgerutscht und schieben sich als ungeheure, pittoreske Trümmerhaufen zwischen die einzelnen Treppenfluchten. Längs des Ufers liegen schimmernde Paläste und Klöster, unzählige Tempel und Pilgerhäuser, Moscheen, öffentliche Gebäude und die Residenzen der Maharadjas, in denen diese alljährlich Buße tun, und in die sie sich zurückziehen, wenn sie, alt und gebrechlich, fühlen, daß die Stunde ihres Todes naht. Dies alles glänzt, flimmert und leuchtet in blendender Helle. Jedes Volk, jeder Gott, die Heiligen und die Büßer, alle haben ihre eigenen Ghats. Jedes hat seine heiligen Schreine und Vimanahs, konische Türme, in denen der Bulle, die Inkarnation Brahmas, vor dem Sinnbild Shiwas ruht. Unter großen Bastsonnenschirmen, die wie mächtige Pilze am Ufer hinwachsen, sitzen Hunderte von Priestern. Sie reichen die Hand, den Fuß zum Kusse dar und nehmen die Opferspenden der zum Bade hinabsteigenden Fremdlinge entgegen. Das wirkungsvollste, segenbringendste aller Opfer bleibt eine Ruh, doch kommt den meisten solche Gabe zu teuer. Um nun den Pilgern gefällig zu sein, haben die schlauen Brahminen einen Ausweg erfunden, mittels dessen der Gott und gleichzeitig der Büßer zu ihrem Rechte kommen. Der Opfernde kauft um den Preis, den seine Verhältnisse erlauben, die vom Priester eigens zu diesem Zweck bereit gehaltene Kuh. Der Pilger zahlt, die Kuh bleibt stehen, um dem nächsten Opfernden wieder verkauft zu werden und so fort ad infinitum. Auf dem himmlischen Kontokorrent wird die Kuh eingetragen und das ist die Hauptsache.

Alle Straßen der Stadt, ja, des ganzen weiten Indischen Reiches münden auf diese hundertstufigen Granittreppen, über welche allmorgendlich in bunter, unzähliger Menge Scharen frommer Männer, Frauen und Kinder zum heiligen Frühbade wallen. Bis weit hinab in das Flußbett reichen die Stufen, die dicht gedrängt von Badenden besetzt sind. Da stehen die Gläubigen mit hochgehobenen Armen. In weltentrückter Ekstase blicken sie unverwandt der Sonne zu und flüstern Gebete. Oder sie sind bis zu den Hüften ins Wasser hinabgeschritten und übergießen aus schön geformten, goldblinkenden Kannen ihre nackten Körper, an denen die feinen Wasserstrahlen wie Silberfäden hinabrieseln. Hier schreitet ein Tamile feierlich die Stufen hinunter, bis sich seine Füße netzen, und bleibt dann regungslos stehen. Verlangend hebt er die Arme gen Osten, leise Worte murmelnd. Jetzt beugt er sich nieder, faßt in das Hohl seiner Hand das heilige Naß, führt es wie zum Kusse andächtig zum Munde und trinkt es langsam. Darauf berührt er mit den Fingerspitzen seiner rechten Hand Augen, Stirne und Mund, so die Sinne heiligend. Nun schreitet er weiter in die heilige Flut hinab, schlägt die Hände dreimal über dem Kopfe zusammen und taucht bis zu den Schultern unter. Immer hält er das Auge sehnsüchtig ins Weite gerichtet und verweilt stundenlang in dieser Stellung.

An in den Fluß hineingebauten Stegen, an blumenbekränzten Flößen, die unter der Last der Beter schwanken, gleitet unser Kahn vorbei, kaum, daß ihr starres Auge, das geistesabwesend ins Leere gerichtet ist, ihn gewahrt, Leichte Matten, bunte Tücher bedecken die Stege. Mit dicken, orangegelben Guirlanden der Gendalblume geschmückt, hocken die Büßer auf untergeschlagenen Beinen. Regungslos, wie ein Götzenbild, blicken sie unverwandt in den Schoß. Hier ruht ihre Hand, umschlossen von einem roten Bethandschuh. Dieser rote, kleine Sack symbolisiert eine Inkarnation Brahmas, die des »roten Bullen«, als welcher er einst auf Erden wandelte. Durch die Finger der Beter gleiten die im Bethandschuh verwahrten Kugeln, deren Zahl mit jener der Götter übereinstimmt, die alle in Brahma enthalten sind.

Von der Plattform eines hohen, halb verfallenen Palastes schwebte ein seltsamer Ton über den Fluß hin. Der Mann, der dort oben steht, ist ein » devotee«, wie die Engländer die Büßer nennen. In langsamem Rhythmus wiegt er sich hin und her. Die lange, hagere Gestalt umhüllt ein Mantel aus tausend kleinen, bunt zusammengesetzten Fetzen. Die Arme ausbreitend, hält der Asket ein Buch in der Hand und singt in schwermütigem Liede heilige Worte über die Menge. Wie ein aus der Märchenwelt lebendig gewordener, alter Hexenmeister steht der sonderbare heilige auf dem Turm, geheimnisvolle Zeichen durch die Luft beschreibend.

Dort auf steil ansteigendem Lehmufer streckt, rosa angemalt, Gott Bhim seine gigantischen Glieder aus. Ein famoser, pechschwarzer Schnurrbart hebt seine Spitzen kühn bis unter die ungeheuren Augen. »Bhim« gilt als Gott der »starken Kinder«. Im November baden hier im Vollmondschein die Mütter und die, die es werden wollen, was den Ghats entlang an Riesenmännern, Riesentieren und sonstigen segenspendenden Ungeheuern liegt, erscheint unglaublich. Ganz besonders aber ist es die Abbildung des »Lingam« in allen Größen, welche den Beschauer zu kopfschüttelndem Erstaunen veranlaßt.

Dreihundertsechzig Pilgerhäuser sind über die Stadt verstreut, in denen zur Zeit der großen Feste die Gläubigen zum Teile unentgeltliche Aufnahme finden. In solchen Häusern leben dauernd in stiller Zurückgezogenheit die bereits zu einer »höheren Erkenntnisstufe« vorgeschrittenen Asketen, von denen gesagt wird, daß sie die Wunder der Elevation und andere vollbringen. Außer diesen Pilgerhäusern bestehen zahllose Stiftungen für die Speisung der Brahminen und mächtige Gebäude, welche durch die Großmut einzelner Rajahs für die Armen gebaut wurden.

Das Shiwala Ghat ist eines der schönsten und heiligsten, die Zahl der daselbst Badenden ungeheuer groß. In einfarbige Gewänder gehüllte Frauen schreiten die Stufen herab, immer tiefer und tiefer, bis ihnen die Fluten der heiligen Ganga über die Hüften reichen. Mit flach ausgestreckten Händen senden sie der Sonne feine Wasserwellen zu, oder aber sie gießen aus blinkenden Metallschalen das eben geschöpfte Wasser in den Strom zurück, heben dabei das andächtig gesenkte Auge gen Osten und lispeln leise heilige Gebete. Nach beendeter Zeremonie entsteigen sie dem Bade, um mit erstaunlicher Geschicklichkeit, ohne sich irgendwie zu enthüllen, ihre Gewänder zu wechseln. Wie durch ein Zauberwort stehen sie plötzlich in trockenen Schleiern wieder vor uns, herrliche, klassische Gestalten, die den duftigen »Sari« mit unvergleichlicher Anmut zu tragen wissen. Mit Blumen beladen wallen sie nun zu den kleinen, zierlich gearbeiteten Götterhäuschen, zu Nischen und Altären mit den absonderlichen Symbolen und schmücken diese mit Tschameli, einer Art Jasmin, und Gendalblumen, einer Art Levkojen.

An einer stilleren Ecke des Ganges steht ein altes Weib im Fluß. Sie dreht sich mit wütender Eile im Kreise. Das wirre, graue Haar fliegt ihr wild um den Kopf. Die lang ausgestreckten Arme stehen steif vom Körper ab, und aus den verzerrten Zügen blicken finstere Augen. – Die Stufen des Ghats steigen Frauen hinan; mit dunkeln Schleiern drapiert heben sie sich ernst von den weißen, blendenden Steintreppen ab. Dickbäuchige Tonkrüge tragen sie auf dem Kopf, die sie mit heiligem Gangeswasser für Kranke und Sieche gefüllt. In ruhiger, freier Haltung, elastischen Schrittes, bewegen sich die dunkeln Gestalten der Stadt zu, um in den engen Gäßchen zu verschwinden, welche sich wie schmale Rinnen zwischen den gewaltigen Palastmauern durchschieben.

Am Mirghat legen wir bei. Die Herren besuchen den Tempel der Nepalesen, dessen obszöne Holzschnitzereien mich vom Besuche abhielten. Die Bevölkerung von Nepal fällt durch ihre helle Hautfarbe auf. Sie beobachtet ganz besondere Formalitäten und es sieht reizvoll aus, wenn sie aus kleinen Gefäßen das Wasser zögernd in die hohle Hand gießt, um es langsam durch die Finger in die Ganga zurücktröpfeln zu lassen, von Zeichen und Gebärden begleitet, wie sie den Magiern eigen. Das Mirghat ist nicht besonders heilig und deshalb mehr von der einheimischen Jugend besucht. Scharen von Jünglingen kommen die Treppen herabgeeilt, die, nachdem sie sich mit einem tiefen Gruß der Sonne zugeneigt und das Haupt zum Zeichen der Demut mit Staub bedeckt haben, mit raschem Sprung ins Wasser werfen und weit hinaus schwimmen. – Heute zum ersten Male sehe ich einen koketten Pilger, aber es ist wohl ein Mohammedaner. Nur mit einem Fez bekleidet, lehnt der junge Mann malerisch an einer Mauer, und während er inbrünstig zu beten vorgibt, blinzelt er verschmitzt zu uns herüber, neugierig, ob wir auch seine schöne Stellung würdigen.

Dem Ufer entlang liegen Kähne, die zu dem großen Fest oder, wenn die Ghats überfüllt sind, von Familien gemietet werden, um damit zum heiligen Bade in den Strom hinauszufahren. Hier liegt auch das stolze Badeschiff einer Königin. Ein seltsames Fabeltier springt aus dem Bug hervor. Auf Säulen ruht eine mit Teppichen und Kissen belegte Plattform. Blumenguirlanden winden sich um ihre Geländer. Unter der Plattform und durch diese geschützt, befindet sich in der Mitte des Kahnes ein viereckiges Bassin. Es ist mit weißem Linnen bedeckt, das ins Wasser hinabgelassen wird, wenn die hohe Frau des entsündigenden Bades begehrt. Vom Palast herab führt ein langer, aus farbigen Stoffen hergestellter, schmaler Gang, damit die Königin aus fernem Lande ungesehen den heiligen Strom erreichen könne. Vornehme Hindufrauen bauen kleine Mattenzelte in den Fluß, um abgeschlossen von der Menge hier ihr Frühbad zu nehmen.

Nun folgen Kähne mit eingebauten Strohhütten. Ein Sanyasis, ein wunderlicher Geselle, splitternackt mit weißem Staub über und über dick bedeckt, steht an der Spitze eines der Boote. Man hält ihn für eine Verzierung des Schiffbugs. Kaum, daß er von der hellen Wandung der Barke sich unterscheiden läßt. Nur das struppige, gelbgraue Haar, die flackernden, brennenden Augen verraten, daß die kreidige Gestalt, die mit weit ausgebreiteten Armen regungslos auf einem Beine steht, ein lebendes Wesen ist. Als wir uns ihm näherten und eine Gabe zu Füßen legten, segnete er uns. Der graue, fahle Schatten, der eine Kette mystischer Zeichen um die Brust trägt, läßt sich in hockende Stellung nieder, führt eine große, weiße Mirschel an den Mund und sendet einen langen Klageton über die Wasser. – Eine Menge » devotees« beten den Ganges entlang: »Adbhutas«, die immer nackt gehen; »Danti Pants«, die nur einen Stock tragen und viele andere, die ihren oft höchst seltsamen Gelübden nachkommen.

Wir gleiten weiter und weiter den Strom hinab. Schon wird die Eisenbahnbrücke sichtbar, die am Ende der Stadt über Die Ganga führt. Am Ufer herrscht große Bewegung. Nur mit einem Lendenschurz bekleidete Männer sind beschäftigt, eine schwere Last herbeizuschleppen und in einen Kahn zu laden. Es ist eine der heiligen Kühe, die tot mit aller Fürsorge und allen Ehren in den heiligen Strom versenkt wird.

Wir haben unser Boot gewendet. Zwischen Blumen, die zerstreut an der Oberfläche schwimmen, rudern wir stromaufwärts. Nur den kleinsten Teil all des Merkwürdigen und Interessanten, das wir an diesem Morgen sahen, vermag ich zu erzählen. Mit jedem Blick gewahrt man Neues, Ueberraschendes. In unbeschreiblicher, wunderbarer Mannigfaltigkeit ziehen tausend Bilder an uns vorüber.

Nach dem Tiffin fuhren wir in den westlichen Teil der Stadt, wo die großen Filtrierwerke des Ganges liegen, und gelangten nach einer dreiviertelstündigen Fahrt zu dem Durgatempel, welcher auch wegen der dort sich einer hohen Verehrung erfreuenden »heiligen« Affen im Volksmund »Affentempel« heißt. Der Tempel ist ein kleiner Sandsteinbau, der innerhalb eines Kolonnadenquadrats an einem großen ummauerten Tank liegt. Durga repräsentiert das weibliche Prinzip, durch dessen Einfluß die Welt erschaffen ist. Schon gleich beim Eintritt in den Umkreis des Tempels wurde unsere Aufmerksamkeit auf die Aeffchen gelenkt, die in Tamarindenbäumen, auf den Mauern und Dächern herumhuschten. Wir versahen uns in dem nahen Affenspeiseladen mit beliebten Delikatessen und hofften auf einen freundlichen Empfang. Durch das Tor, das mit einer überraschenden Menge großer und kleiner Glocken behängt ist, was wir sonst nirgends sahen, tritt man in die Säulenhalle, in deren Mitte ein offener, kleiner Tempel steht, in dem Durga, die »Unzugängliche« verehrt wird. Allmorgendlich fällt ihr als Opfer eine Ziege. Die Göttin steckt bis zum Hals in Blumen und zeigt nur einen fratzenhaften Goldkopf. Etwa hundert gelbbraune Affen mit rosa Kehrseite spielen die Rolle der Bayaderen und machen sich diese hohe Stellung auch gehörig zunutze. Sie sind frech und unverschämt, grinsen einen zähnefletschend an, wenn man sie nicht schnell genug mit Leckerbissen bedient und schlagen einem den Teller aus der Hand, wenn sie satt sind. – Um das kleine Durga-Heiligtum führt ein schmaler, ausgewaschener Marmorweg. Daneben aber ist der Boden mit Schmutz bedeckt und der Geruch sehr unangenehm. – Die Affen nehmen täglich im Gangeswasser ein Bad, und auch jetzt kommt gerade eine kräftige Affenmutter, so groß wie ein achtjähriger Knabe, mit ihrem Jungen an der Brust vom Tank über die Treppe heraufspaziert und zwickt im Vorübergehen schnell ein kleines Aeffchen in den Schweif, das mörderisch schreiend flüchtet.

Nahe dem Tempel liegt der herrliche »Anandgarten«, den ein Rajah dem »heiligen von Benares«, Swami Sarasvati, einst zur Verfügung stellte. Hier führte dieser ein gesegnetes Einsiedlerleben und empfing, unter Orangenbäumen an einem Wasserbecken sitzend, bis zu seinem Tode (1890) Gelehrte, Forscher und Fremde. Er galt als der tiefste Kenner der Hindureligion und soll auf alle, die ihn besuchten, einen unauslöschlichen Eindruck gemacht haben. Wir sahen leider nur sein Marmorbild. Kleine und große Figuren von ihm werden in Benares allerorts verkauft. Eine ganz nackte Gestalt mit kahlem Kopf, sitzt er, buddhaähnlich, auf seinen gekreuzten Beinen.

Um den Palast des Maharadja von Benares zu besuchen, mußten wir uns auf das südliche Ufer des Ganges begeben. Dasselbe ist ganz unbewohnt, weil dort zu sterben nicht nur nichts nützt, sondern im Gegenteil die Wiedergeburt als Affe oder Esel verspricht. Nur der Umkreis von Ramnagar, auf dem der Palast des Maharadja liegt, gilt als heiliger Grund. Ein besonderer, durch Opferungen und Spenden gnädig gestimmter Gott, hat diese kleine Landstrecke zur Höhe der Heiligkeit des linken Ufers erhoben.

Das Ruderboot, das wir benutzten, war ungemein defekt, und nur die Versicherung unseres Führers, daß alle von Fremden benutzten Fahrzeuge unter polizeilicher Aufsicht ständen, gab mir den Mut, dies in allen Fugen klaffende, bei jeder Bewegung zitternde und krachende Schiff zu besteigen. Es war sehr heiß auf dem Kajütendach, und man konnte es vor dem übergrellen Flirren der Luft, das den Himmel beinahe grau erscheinen ließ, nicht aushalten. Die Kabine, in der man sich nur gebückt zu bewegen vermochte, war aber unerträglich schwül.

Unser weiser Führer machte sich's bequem. Er entledigte sich seiner Kleider, ließ sich am hinteren Teil des Bootes ins Wasser hinab und blieb dort, bis er völlig abgekühlt war, hängen, so zugleich sein versäumtes Frühbad nachholend. Die Erfrischung war gewiß köstlich, und doch wäre es uns nie entfernt in den Sinn gekommen, eines Bades in den heiligen Gewässern zu begehren, obwohl wir auch nicht das geringste Ekelhafte im Strome sahen, von dem so vielfach erzählt wird, weder auftauchende Leichen, noch einzelne Körperteile schwammen herum, noch gewahrten wir, daß aasgierige Geier nach Fraß fischten. Etwa eine Stunde währte die Fahrt, die Leute mußten angestrengt rudern. Teilweise war das Wasser so seicht, daß die Kulis, im Wasser watend, an langen, dünnen Stricken das Boot aufwärts zu ziehen sich gezwungen sahen.

Der hoch über dem Ufer liegende Palast macht, von außen betrachtet, mit seinen bis zum Strom hinabführenden Terrassen und Treppen einen grandiosen und feudalen Eindruck. Das Innere des Baues zeigt dagegen einen jämmerlich heruntergekommenen Zustand. Der Thronsaal ist ein hoher, großer, fürstlicher Raum. Auf dem nicht tadellosen Teppich steht lediglich ein großes, elfenbeineingelegtes Ebenholzsofa. Die kleinen Türen sind mit verschossenen Elsässer Cretonneportieren verhängt. Auf dem einzigen Konsol erblickt man als Hauptkostbarkeit eine Spieldose. Unter einem Glassturz sitzt eine fanierte Pariserin vor ihrem Toilettenspiegel und tippt sich nach dem Takt der Musik mit einer Puderquaste auf die Nase. Als größte Sehenswürdigkeit wird jedoch, schön eingerahmt, eines jener jalousieartigen Vexierbilder gezeigt, das je nach dem Standpunkt des Beschauers bald ein Hund, bald ein Löwe oder Pferd ist. Neben dem Thronsaal sind die Ahnengalerien, schauderhafte Oelbilder eines talentlosen Kunstschülers. Nach seinem Porträt zu urteilen, dürfte der Maharadja ein stattlicher Mann von etwa fünfundvierzig Jahren sein. Leider ist er mit seiner fünfundzwanzig Jahre alten und für schön geltenden Königin nebst seinem ganzen Hofstaat nach Delhi zum Durbar verreist. Der Maharadja soll Fremden immer sehr freundlich entgegenkommen.

Wir wurden über einen Hof geführt, von dem aus man seine Schatzkammern betritt. Am Tor des Turmes, der die Reichtümer des Herrschers verschließt, hängt ein mächtiges Vorlegeschloß, das auf ungeheure Schätze deutet, von denen man aber in Haus und Hof sehr wenig bemerkt. Die ganze innere Einrichtung des Palastes ist Trödel und Gerümpel: die Stühle haben drei Beine und die Sitze Löcher. Wir gelangten jetzt auf die mit Pavillons besetzte, wirklich fürstliche Terrasse des Palastes, von der aus wir einen schönen Blick auf den Ganges und Benares genossen, und gingen dann die gefährlich steilen Stufen, die direkt zum Fluß führen, hinab. Unten lagen die Bade- und Luftschiffe des Hofes. Ein altes Radboot, dessen Räder früher von Menschen getrieben wurden, steht außer Gebrauch. Alles zeugt von vergangener Pracht und Herrlichkeit.

Die Rückfahrt verlief sehr schnell. Nach kaum einer halben Stunde landeten wir am Ashi Ghat, wo uns der Wagen erwartete.

Auf der lehmigen Höhe des Ghats stehen kleine Denksäulen, die an unsere Kilometersteine erinnern. Sie bezeichnen die Stellen, auf denen einst Witwenverbrennungen stattgefunden haben. Nach der Größe der Erinnerungszeichen zu schließen, waren es Frauen niederer Kaste, die hier den Feuertod starben. Wehmutsvoll und ergriffen betrachteten wir die unscheinbaren Steine, diese »Sati«, die von Geschlecht zu Geschlecht die Qual und das Leid armer, heroischer Frauen verkünden. In Radjputana, in der Gegend von Jaipur, sollen großartige Sati-Monumente existieren, welche von Fürstinnen erzählen, die mit ihren sämtlichen Sklavinnen sich zugleich mit der Leiche des Gatten verbrennen ließen.

Als wir ins Hotel kamen, empfing uns die sehr aufregende Nachricht, daß unser Gepäck, das wir bei der Ankunft in Benares vermißt hatten, noch nicht gefunden worden war und wahrscheinlich nach Kalkutta weiter gefahren sei. Wir sandten einen Boten nach Mogul Serai, der Station, an der die Bahn nach Benares abzweigt, aber alles blieb umsonst, das Gepäck war nicht zu erhalten. Ich bin in Verzweiflung, denn ich besitze keine Films mehr und habe vergebens gesucht, solche in Benares zu bekommen. – Bei der Suche nach denselben waren wir auch in den Laden eines Photographen geraten. Die Toilette dieses Hindu-Dandy war eine höchst sonderbare. Er trug schwarze Lackschuhe und schwarze Socken. Durch den von den Hüften bis zu den Knien drapierten Schleier – Djoti – schimmerten seine nackten Beine, während der Oberkörper mit einem europäischen Stärkehemd ohne Kragen, wohl aber mit Manschetten, bekleidet war, das in seiner ganzen Fasson über dem Schleier hing; im seitlichen Schlitz war eine Tasche angebracht.

In Benares ohne Films zu sein, ist eine Qual; hier, wo jeder Blick ein Bild erschließt und immer neue, ungeahnte, einzige Situationen sich zur Aufnahme bieten.

Bei unserer Rückkehr fanden wir überdies einen unserer Boys schwer erkrankt. Ein heftiges Fieber schüttelte den armen Menschen, der im Freien vor unserer Schlafzimmertür liegen mußte. Diese zarten Kinder des Südens leiden hier im nördlichen Klima trotz der für sie angeschafften warmen Kleider ganz ungemein. Außerdem ist auch für die Leute sehr schlecht gesorgt. Sie bekommen im Hotel keine Verpflegung. Um aber von Secrol in die native town zu kommen, müssen sie mindestens dreiviertel Stunden weit laufen. Es ist unmenschlich, was diesen niederen Kasten zugemutet wird, und doch läßt sich ihnen ihrer Anschauung halber nicht helfen.

 

6. Januar. Besuch von Sarnath. Sarnath bezeichnet die Stelle, auf der Benares vor 2500 Jahren stand, und wo sich der Gazellenhain befand, in dem Buddha mit seinen fünf Schülern in Zurückgezogenheit lebte. Es werden hier verschiedene historische Stellen gezeigt, wo dieser Glaubensheld seine erste Rede hielt, wo er badete, wo er die Gefäße seiner Mönche spülte, wo er seine Wäsche reinigte usw. Zu sehen ist wenig; ein paar Türme, sogenannte Stupen, die man ursprünglich wohl als Königsgräber erbaute, später aber an jenen Orten errichtete, die durch Buddhas Anwesenheit geheiligt worden waren. Zwei Buddha-Statuen, von denen die eine in einer Grube liegt, die andere einen schönen Torso darstellt, um dessen Brust die heilige Brahminenschnur »Dschaneo« hängt, sind ganz interessant. – Die Gegend ist außerordentlich fruchtbar. Endlos wogende, smaragdgrüne Reisfelder dehnen sich nach allen Seiten der Landstraße aus.

Nach dem Tiffin besuchten wir den Basar. Auf der Fahrt dorthin sahen wir ein Wesen, das mit flatternden Haaren und fliegenden Gewändern an den Häusern entlang huschte und von einer Schar Kinder begleitet war. Unser Führer sagte, das Mädchen behaupte, die Materie durchdringen zu können, d. h. sie sei imstande, einen noch so fest verschlossenen Raum ohne Benutzung des Fensters oder der Tür verlassen zu können. Wir fuhren der kleinen Närrin nach, Chatung Lall fing sie ein und brachte sie uns an den Wagen. Sie war ein armes, niedliches Ding mit großen, flackernden Augen und von unstetem Wesen. Im Zipfel ihres Schleiers trug sie zusammengebunden eine Handvoll Reis. Sie steckte ein Dutzend Körner in den Mund, die sich sofort in Kupfergeld verwandelten, das ihr dann massenweise aus dem Munde rollte. Das Geld verteilte sie unter die Kinder, die ihr jubelnd folgten. Wir verstanden den » trick« nicht, da sie das Geld doch immer gleich fortschenkte. Leider kam sie zu der versprochenen Séance nicht.

Der hiesige Basar unterscheidet sich in keiner Weise von denen der andern indischen Städte. In dem dichtesten Menschengewühl einer engen Gasse tauchte plötzlich eine Anzahl Europäer in funkelnagelneuen Tropenanzügen auf. Es war die Stangensche Reisegesellschaft, die wie Globetrotters aus dem Lustspiel aussahen.

Die Hauptindustrie von Benares besteht in ziselierten und glatt polierten Messinggefäßen, Lotas, Vasen, Tellern und Krügen, aber die neue Ware erreicht bei weitem nicht die schöne Arbeit der Alten. Gute Bronzen sieht man selten. Die am häufigsten dargestellten Götter sind Ganesha mit dem Elefantenkopf, der Gott der Weisheit, und die tanzende Kali, die Gattin Shiwas. Die indische Mythologie stellt jedem der drei großen Götter, der »Trimurti« (Dreifaltigkeit), eine »Sakti«, d. i. eine weibliche Gottheit, zur Seite. So hat Brahma zur Sakti die Saraswati, Vishnu die Lackschmi, Shiwa, »die auf den Bergen hausende« Durga, die »Unzugängliche« genannt. In ihren verschiedenen Modifikationen: als Kali, »die Finstere«, als Parvati oder Bhowani, »die Huldvolle«, empfängt Durga blutige Tieropfer. Durch einen über ihre Feinde errungenen Sieg war die Göttin so entzückt, daß sie vor Freude auf dem Schlachtfeld tanzte, tanzte, daß das Weltall bebte und die Götterthrone wankten. Voll Entsetzen sandten die Götter Shiwa zu seiner toll tanzenden Gattin, um sie zu beruhigen. Er fand kein anderes Besänftigungsmittel, als sich selbst unter ihre Füße zu werfen. Alle kleinen Bronzefiguren geben nun den Augenblick wieder, in dem sie, starr vor Staunen, gewahr wird, daß sie auf dem eigenen Gatten tanzt. Sie steht auf einem Bein, das andere hebt sie in wilder Tanzbewegung in die Luft und streckt dem zu ihr aufblickenden Gatten die Zunge heraus, soweit sie reicht, d. h. bis in die Magengegend. Ihre vier Arme wachsen aus den Schultern und den Seiten heraus. Sie tragen ein Schwert und einen abgehauenen Kopf, während die beiden andern Arme ihrem ungeheuren Heere Befehle erteilen. Ihre Ohrringe sind Leichen, ihr Halsband aneinandergereihte Schädel. Ueber das kurze Röckchen fällt ein Gürtel, an dem die Hände gefallener Riesen hängen, und wallendes Haar umgibt das angenehme Götterbild. Bei Neumond, um die mitternächtige Stunde, werden der finsteren Göttin in schwarzer Nacht blutige Opfer gebracht. Sie wird in orgiastischen Festen mit wahnsinnigen Tänzen gefeiert.

Neben diesen Bronzen fertigt man auch Marmorfiguren der Götterwelt an. Sie sind mit Farben bemalt und mit Gold verziert, sehen dekorativ und reizvoll aus, besitzen aber keinen Kunstwert.

Als wir den Basar verließen, wurden wir von unzähligen Armen begleitet und eingeengt, so daß wir kaum unsern Wagen erreichen konnten. Besonders ein nackter Bettler mit einem Palmblattfächer bedrängte uns furchtbar. Er teilte die Menge, sprang zwei Schritte vor uns her, schlug sich den Körper, warf sich heulend auf den Boden, schnellte wieder auf, trat uns fächelnd dicht unter das Gesicht, kurz, simulierte Besessenheit, weil, wie der Führer erklärte, die Fremden »dergleichen« gerne sähen und interessant fänden. Ein sonderbarer Geschmack. Mit Mühe und Not bestiegen wir den Wagen, in den sich Dutzende von dürren Armen mit gelben, kralligen Händen hineinstreckten. Wir gaben, was wir hatten; dann aber mußte uns Kutscher und Führer mit Peitsche und Stock befreien, damit wir abfahren konnten.

 

7. Januar. Noch einmal wollten wir, ehe wir das heilige Benares verließen, um es wohl niemals wiederzusehen, den Zauber einer Morgenfahrt auf dem Ganges genießen. Wir schifften uns heute an den Palasttreppen ein und glitten langsam den Fluß hinab. Wie das erstemal, lagen die amphitheatralisch aufgebauten Ufer in herrlich glänzender Fracht vor uns, überflutet von den warmen Sonnenstrahlen, welche die Nebel zerteilten. Den Stromrand entlang zieht sich eine ununterbrochene Kette von betenden Gestalten hin. Unter all diesen verzückt der Sonne zugekehrten Adoranten saß ein einziger Mensch, tief in sich zusammengesunken, von ihr abgewandt. Schwere Schuld mußte den Büßenden belasten, der es nicht wagte, den Blick zu dem leuchtenden Tagesgestirn aufzuheben.

Heute sollten wir noch das Observatorium und den »Heiligen« besuchen, den einzigen lehrenden Asketen, der in Benares Fremden zugänglich ist.

Am Dasashwamedh Ghat, einem der fünf heiligsten Badeplätze von Benares, verließen wir das Boot. Ein steiles Ghat mit hohen, geraden Stufen müssen wir erklimmen. Wir kommen vorbei an allen möglichen seltsamen Göttergestalten, an Satschi, der Schützerin der Kinder, die mit einem Kinde im Arm auf einer Katze reitet; an Hanuman, dem Affengott, einer schreitenden, roten Männergestalt mit dem verzerrten Gesicht eines Affen; an einem Baum, unter dem die Schlange verehrt wird; an einem Götzenbild, das die Pocken heilt; an einer Durga mit zehn Armen und an einem Brunnen, dessen Trunk gegen Dysenterie schützt. Kurzum, alles ist heilig und, überall geschehen Wunder im heiligen Benares. Auf einer der Terrassen des Ghat liegt ein kleiner Tempel mit höchst merkwürdigen Dachträgern. Lauter männliche und weibliche Figuren, letztere mit einem Kinde an der Brust, alle mit Engelsflügeln, flatternden Gewändern und erstaunlich langen Nasen.

Jetzt betraten wir eine enge, finstere Gasse, die zwischen mächtigen Wehrmauern ins Innere der Stadt führt. Rechts und links steigen schwindelnd hohe Paläste empor, dunkel und ernst führt der Weg über halb verfallene Stufen aufwärts.

Ein Sonnenstrahl fällt licht und golden in ein kleines, offenes Heiligtum, das an der steilen Gasse liegt; ein Stück tiefblauer Himmel leuchtet von oben herein. – Wir stehen am Gitter und blicken in den engen Raum. – Ein altes Weib mit ekstatischen Gebärden rennt, den Rosenkranz zwischen den zitternden Fingern, in atemloser Hast um den Altar herum, vor dem in weltvergessener Eingebung eine liebliche Frauengestalt steht. Der duftige Schleier umrahmt mit echt indischer Grazie die klaren, schönen Gesichtszüge. Unbeirrt von allem, was rings um sie vorgeht, bringt sie dem Götterbild ihr stilles Blumenopfer dar. Man sieht, die heilige Handlung ist ihr zur Gewohnheit, doch nicht zu weiheloser Alltäglichkeit geworden, und voll inniger Andacht führt sie die kleinen, zarten Zeremonien ihres Bittgebetes aus. Mit zierlichen Büscheln aus Dharbargräsern befeuchtet sie das Götterbild und den Altar und netzt sich Augen, Mund und Stirn mit dem abrieselnden Wasser. Voll zärtlicher Sorgfalt nimmt sie die Körner, die Blumenblätter und Halme aus einem blinkenden Messingkästchen, legt mit rührender Anmut das Lotosblatt auf diese, den Halm auf jene besondere Stelle, beugt sich zu ehrfurchtsvollem Kusse, neigt sich flüsternd über die heiligen Blumen, immer wieder Augen, Mund und Stirne mit Daumen und Ringfinger durch heilige Tropfen nässend. Wie ein sinniges Gedicht empfanden wir das Walten des holdseligen Mädchens, und ganz gefangen von dem poetischen Eindruck, schritten wir weiter aufwärts.

Das Observatorium, zu dem wir nach dem steilen Anstieg gelangten, hat eine höchst majestätische Fassade, die einen prachtvollen Hintergrund für das vor ihm liegende Ghat bildet. Das Gebäude wurde von Jay Sing errichtet, demselben, der jene von Jaipur, Delhi, Agra und Muttra schuf. Das Innere des Gebäudes ist verfallen. Die von großen Bäumen beschatteten, ungeheuren astronomischen Apparate, die Wunder ihrer Zeit, sind ruinenhaft und längst außer Gebrauch gesetzt.

Der Blick über den Fluß und die belebten Ghats ist einzig schön, aber von unten tönt unausgesetzt störendes Hundegekläff. Als wir uns der Stelle nähern, von welcher der wüste Lärm kommt, finden wir natürlich heilige Hunde, die sich so unwürdig benehmen. Neben einem steinernen Riesenhund hängen und stehen unter einem kleinen Zeltdach zahllose Zuckerhündchen als Opfer für das Idol, den Koswal, welcher sozusagen ein unsichtbarer »Sicherheitsbeamter« ist, allnächtlich auf unsichtbarem Hunde durch die Gassen reitet und die Stadt bewacht. Die sichtbaren heiligen Hunde werden von einem Gosain oder Gosvani und seinen Dienern mit eigens zubereiteten, »delikaten« Kuchen aus Gerstenmehl, Butter und Zucker gefüttert. – Hier treiben sich auch Brahminen herum, die Pfauenwedel zum Verkauf anbieten, welche die Eigenschaft besitzen, alle bösen Geister zu verscheuchen.

Wieder müssen wir eine Anzahl Stufen aufwärts steigen, um endlich an einen Tempel zu gelangen, dem eine freie Terrasse mit herrlicher Aussicht über die Stadt, den Ganges und die weite Ferne vorgebaut ist. Hier ruht unter einem Zeltdach, neben dem mit großen und kleinen Idolen überladenen Altar, auf dünner Matte, in feierlicher Ruhe der Heilige von Benares. Sein Schüler – Tschela – und drei Schülerinnen umgeben ihn. Der Heilige ist ein schöner, kräftiger, wohlgebauter Mann von etwa 45 Jahren. Hunderte von dünnen, langen Flechten, die alljährlich einmal gelöst und geflochten werden, legen sich ihm zu einem Turban um den edeln Kopf. Das braune Haar ist an den Schläfen grau meliert, während die Spitzen einen gelblichen Ton haben. Die ungeheure Masse seines Haares deutet, wie der Glaube geht, auf des Büßers große Heiligkeit. Die drei Frauen kauern auf einem Teppich vor einem kleinen Weihrauchbecken. Zwei davon sind uralte, verrunzelte Weiber, die mit näselnder, dünner Stimme aus dicken, auf Pulten liegenden Büchern Sprüche singen. Die dritte ist eine schöne Frau, welche ihre reichen Flechten wie eine Krone trägt. Sie wirkt gleich einer Königin durch Blick und Haltung und sitzt dem »Heiligen« zugewendet, über das Buch weg nach ihm hinschauend. Voll Eingebung sieht sie auf den vor ihr ruhenden Mann und scheint in seinem Anblick zu leben. Aeußerlich hat derselbe nichts von einem Asketen; ruhige, milde Schönheit spricht aus seiner Erscheinung. – Man ist geneigt, zu glauben, daß dieses stolze, stille Weib den weltflüchtigen Weisen einst über alles liebte, ihn nicht mehr lassen konnte, ihm auf seinem Bußweg nachfolgte, um dann, selbst zur Büßerin geworden, anzubeten, wo sie einst geliebt. – Der »heilige Mann« ist durch sein Leben auf dem Stachelbett berühmt. Dicke, spitze Dornen ragen aus Sitz und Lehne des Lagers hervor. Das Bett selbst steht neben der Matte, auf welcher der Büßer liegt. Als wir ihn baten, sich auf sein Marterlager zu begeben, erhob er sich sogleich und erfüllte unsern Wunsch mit einfacher Liebenswürdigkeit. Mit einer gewissen Vorsicht bestieg er das seltsame Ruhebett. Er benutzte ein Kissen im Kreuz, und auf seine angezogenen Knie legte er die heiligen Schriften. Wenn er auch den Körper aufstützte, so ruhte er doch immerhin mit seiner ganzen Schwere auf dem Stachelbett. Die Sache machte nicht den Eindruck des Qualvollen oder gar Unerträglichen. Inwieweit aber sein Lager schmerzhaft ist oder nur als Nahmen für den lehrenden Asketen gilt, ist eine Frage, die ganz hinter dem Eindruck zurücktritt, den dieser Mensch als Persönlichkeit ausübt. Man wird durch dieselbe fasziniert. Ferne von fanatischer Verzücktheit, macht sie einen abgeklärten, in sich gefestigten Eindruck. Ein klares, hinter die Welt schauendes, wunderbar mildes, offenes Auge blickte uns lebensfremd, aber menschenfreundlich an. Wohlwollend beantwortete er mit bereitwilliger Güte unsere neugierigen Fragen und betrachtete mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen unser großes Staunen. So wie dieser Mann, mag wohl ein Mahatma wirken, wie jene Seher heißen, von denen die Gläubigen erzählen, daß jeder Sterbliche, der sich ihnen nähert, vor ihrem Blick erbebt und sich ihm beugen muß. Alle, die um den »Heiligen« saßen, schienen, ganz erfüllt von beglückendem Glauben, in harmonischer, weltabgewandter, hoffnungsreicher Sicherheit zu leben. Mit freundlichem Nicken des Kopfes entließ uns der »Heilige«. Er schien es zu bedauern, daß er nicht englisch verstand. Wir bedankten uns schüchtern und legten bescheiden ein Geldstück in die Nähe seiner Füße. Er beachtete es nicht, wohl aber sah das schöne Weib die Gabe. Ihre Augen leuchteten einen Augenblick in irdischer Freude auf. Dankend grüßte sie herüber. Wir gingen. Der Weise sprach aus den Blättern, die vor ihm lagen, weiter. Er blickte nicht in dieselben, sondern trug seine Lehren den Schülern frei vor.

Der Besuch hinterließ einen tiefen Eindruck in unserm Gemüt. Niemals ist mir Anbetung und Gebet so beseligend erschienen, wie hier in Benares. Die Welt ist Schein und Trug, dort, wohin das lichttrunkene Auge blickt, dort liegt die Wirklichkeit. Niemals sah ich solch tiefe, glühende Andacht, nie Menschen, die so losgelöst von der Umgebung, unzugänglich aller Zerstreuung waren, Gebete sprechen. – Ist die Frömmigkeit hier inniger, sind die Gedanken reiner, die in brünstigem Gebet zu den Göttern steigen, oder scheint uns dies nur so? Weckt die tiefe Versunkenheit der Pilger, dieses Verlorensein im Gebet, dies Trachten, verträumt nichts zu denken, den Schein höchster Andacht, oder ist das die wahre Andacht, die sich ins Unfaßbare, Undenkbare gedankenlos versenkt und auflöst?

Benares, die heilige Stadt, verdient ihren Namen: kaum eine Stätte in ihrem Umkreis, die nicht heilig wäre. Alles, was hier atmet und lebt, hat den Blick auf transzendentale Fernen gerichtet.

Das Ghat hinabgehend, kommen uns Scharen von Pilgern in weißen Gewändern entgegen. Sie ziehen den Strom entlang und treten die Pilgerfahrt auf der »Pantsch-Kosi-Straße« an, wie der heilige Kreis heißt, der fünfzig Meilen umschließt, und den sie, unterbrochen durch Bäder und Opferungen, in höchstens fünf bis sechs Tagen zurückzulegen haben. Weiter unten mußten wir an den Markanika-Brunnen treten, der alle beiden heilt und alle Sünden tilgt. Ihn hat Vishnu einst selbst gegraben und mit seinem Schweiß gefüllt. Shiwa begehrte den Brunnen, kämpfte um ihn mit seinem Rivalen und verlor dabei seinen Ohrring – Markanik. Dem Wasser werden göttliche Ehren erwiesen. Berge von Blumen und allerlei Unrat verbreiten einen schauderhaften Geruch. Wir fliehen diese Stätte und fürchten den entsündigenden Segen, welchen der dort stehende Priester mit einem Aspergil erteilt, das er in den verpesteten Brunnen getaucht hat. Die Gläubigen aber trinken sogar das Wasser mit Entzücken.

Manchmal will es mir geradezu ein Rätsel scheinen, wie es nur möglich ist, so oft zu sündigen, um all die Ablässe zu verdienen, die hier erteilt werden. Da ist zum Beispiel ein Fest zu Ehren der Ganga, das »Dashara«, dessen gewissenhafte Begehung allein die Sünden von zehn Wiedergeburten tilgt. Schließlich kommt noch bei diesen Ablässen ein Minus an Sünden und ein Plus an Reinkarnationen heraus, und man muß wiedergeboren werden, um die Sünden zu begehen, die im voraus getilgt wurden.

Zwischen den Tempelchen und Türmchen sitzen auf erhöhten Stufen unter Matten die eben dem Bade entstiegenen Pilger, damit beschäftigt, sich das »Upanga« (aus farbigen Strichen, Punkten und Kreuzen bestehende Sektenzeichen) auf Stirne, Brust und Arme zu zeichnen oder malen zu lassen. Unter einem kleinen Schirm sitzt ein ernster Mann. Geschickt behandelt er mit feinen Hölzchen und Stäbchen Nägel und Ohren der eben aus dem Bade kommenden Hindus. Ueberall wird massiert, um die durch stundenlange Bäder erstarrten Glieder zu beleben, oder es werden als Schutzmittel gegen die Kälte des bevorstehenden Bades die Körper mit Oel eingerieben. Der vermögende Hindu hat immer seinen eigenen Diener bei sich, der die Körperpflege besorgt, wie denn auch jede bessere Familie ihren besonderen Hausgeistlichen, ihren »Puorhit« hat, der die zahlreichen religiösen Pflichten überwacht, den Gottesdienst abhält und die tägliche Beichte empfängt.

Wir besteigen wieder unser Boot. Die Hauptbadezeit, die erst gegen Mittag abnimmt, um den niederen Kasten die Mutter Ganga zu überlassen, ist noch nicht vorüber.

Unmöglich läßt sich hier über alle die Formen berichten, welche die Wege zur Heiligung des Sünders ebnen. Man staunt ob der Fülle der Arten, in denen Gebet und Opfer zum Ausdruck kommen. Von allem aber, was wir sahen, wird das rührende Bild des opfernden Mädchens an dem lichten Altar zwischen finsteren Palästen zu unsern lieblichsten Erinnerungen gehören.

Noch einen letzten wehmütigen Abschiedsblick senden wir über den stillfließenden, heiligen Ganges hinab. – Ein großes Leuchten strahlt von dem geheimnisvollen Strome aus, es glänzt bis in die fernsten Lande, es senkt sich tief in die Menschenbrust und erfüllt Millionen mit tröstender Zuversicht.

Langsam steigen wir die Stufen des Ghat empor. Um ein glimmendes Feuer sitzt eine kleine Schar Fakire; sie kühlen die Asche, mit der sie ihre Nacktheit bedecken. Mit Blumen geschmückte Brahminen umringen uns, sie schlingen Guirlanden um unsere Hüte, werfen uns Blumenketten um die Schultern und öffnen die Hände zum Backhschisch.

Wir steigen in den Wagen, der Ganges entschwindet unserm Blick. Schon jetzt erscheint uns alles Geschaute wie ein Traum. – Was werden wir aber erst empfinden und denken, wenn wir übers Jahr in Schnee und Sturm unter dem grauen Himmel der Heimat frieren! Werden wir noch glauben, daß wir drüben im fernen Wunderlande waren,

»Wo schöne, stille Menschen
Vor Lotosblumen knien.«

 


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