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Agra

In Agra kamen wir, statt um sieben Uhr, um neun Uhr nachts an. Der Babu, der Manager des Hotels, und unser Boy, warteten seit sechs Uhr auf unsere Ankunft. Eine ungeheure Menge ergoß sich aus dem Zuge. Aus der dritten Klasse stieg ein weibliches Wesen, das sofort unter einem kolossalen Regenschirm verschwand, der wie ein Zelt aussah. Am Dach des Schirmes waren ringsum lange, bis auf den Boden reichende Vorhänge angebracht, zwischen denen ein ganz kleines, rundes Loch sehr beschränkten Ausblick erlaubte. Das Wandelzelt bedurfte der Führung eines kräftigen Armes, um nicht samt seinem »Geheimnis« überrumpelt zu werden. Ein Mann trug den Schirm, und umgeben von einer Menge Dienerinnen, schleifte die gewiß vornehme Mohammedanerin mit den Füßen, um nicht zu stolpern. Mühsam, wie eine Blinde, bewegte sie sich zum Ausgang des Bahnhofes hin, wo ein mit zwei Ochsen bespannter Karren sie erwartete; die vergoldeten Hörner der blendend weißen Tiere schimmerten im Dunkeln. Unter dem Schutz des Zeltschirmes kroch die Unsichtbare in den reich gestickten Palankin, der auf dem Karren aufgebaut war, und fuhr im Schritt davon.

In Delhi hatte ich höchst seltsame Sänften beobachtet, in denen die Haremsdamen spazieren getragen wurden. Manche scheinen nur ein Paket, das zwischen zwei Trägern baumelt, und doch sitzt ein lebendiges Wesen in diesem Bündel. Andere sind schwere, kofferförmige Holzkisten, »Dulis«, die von vier Männern transportiert werden. Ferner sieht man bullockcarts, auf denen von schlanken Säulen getragene Pavillons stehen, die, mit roten Vorhängen umzogen, keinen Einblick gestatten. Zahllos sind die Formen der Tragstühle und Wagen, welche die Frauen hier benützen.

Todmüde kamen wir in Agra an, stiegen in einen entsetzlichen, fensterlosen Rumpelkasten, der sich Droschke nannte, und fuhren zum »Lauries Hotel«, wo wir das übliche »indische Zimmer«, aber ohne das übliche Ankleidekabinett, sondern nur mit einem Nebenraum, der Badekammer und »W. C.« zugleich ist, erhielten.

 

20. Dezember. Indem wir beabsichtigen, zehn Tage hier zu bleiben, benutze ich den ersten Morgen, um unser Zimmer so gründlich reinigen zu lassen, wie es mit dem indischen Personal überhaupt möglich ist. Es befindet sich in einem unbeschreiblich verwahrlosten Zustand. Der Bodenteppich ist voll großer Löcher, das Moskitonetz besteht aus lauter kleinen Flecken, und eine Staubwolke fliegt auf, wenn man es berührt. Unsere Waschtischgarnitur sieht aus, als hätte man unter Scherben noch ein paar einigermaßen brauchbare Stücke ausgesucht; schwarz ist das Innere der Kannen, trübe die gesprungene Wasserflasche und zerbrochen das alte rosa Trinkglas. Den Waschtisch muß ich natürlich selbst säubern, denn mein Pavian von Aya putzt kaum ein Glas reinlich aus, tut überhaupt nur das Notwendigste und das oberflächlich. Je kälter es wird, desto nachlässiger ist die schöne Johanna, und ihre Hauptbeschäftigung besteht darin, zwischen jeder Bewegung den karierten Schal fester um die Schultern zu ziehen. Dabei läßt sie aber immer den Mittelpunkt ihres Leibes als Dekoration sichtbar, und ist nicht zu bewegen, sich etwas besser zu bedecken, um weniger zu frieren. Sie meint stets » oh, very nice«. Der einzige Vorteil, den ich aus ihrer Anwesenheit ziehe, und der ist ja wirklich groß, beruht darin, daß ich auf der ganzen Reise noch nichts verloren, noch nichts liegen gelassen habe.

Unser Hotel ist ein weitläufiger Bau. Es besteht aus einem Haupthaus mit mehreren Dependancen. Jede derselben enthält nur ein Parterre, vor dem sich eine Säulenhalle entlang zieht, in die alle Zimmer münden und in der die Boys und Ayas nachts schlafen, während die eingeborenen Schneider bei Tage hier vor der Nähmaschine kauern und europäische Kleider fertigen. Die Häuser liegen um einen gut gehaltenen Garten herum, in dem gegenwärtig mehrere Zelte aufgeschlagen sind. Englische Familien kampieren dort bis zum zweiten Januar, dem Hauptfesttage in Delhi. Die Nacht vor dem Festzug fuhren sie nach Delhi, um am Abend des gleichen Tages hierher zurückzufahren. Die Rückseite der Gebäude begrenzt einen umfangreichen Hof, der wohl ein paar Tagewerke groß sein mag. Hier sind die Pferdeställe und die Wagen des Hotels untergebracht, hier spielt sich das Leben der Eingeborenen ab, hier schlafen sie, und hier richten sie ihr einfaches Mahl zu. Jeder Hindu hat sein eigenes Kochgeschirr, und jeder bereitet sich seine Speise (eine Hand voll Reis) selbst, ängstlich darauf bedacht, daß auch nicht der Schatten eines Andersgläubigen darauffalle und sie verunreinige. – »Lauries Hotel« ist überfüllt, und es war sehr schwer, unterzukommen. Wir zahlen die sogenannten Durbarpreise, zehn Rupien per Tag.

Wie in Jaipur, liegt das europäische Viertel eine gute halbe Stunde vor der Stadt und deren Sehenswürdigkeiten entfernt, so daß die Benutzung eines Wagens unumgänglich notwendig erscheint. Selbst zum Taj Mahal, dessen Entfernung vom Hotel keine übermäßig große ist, muß man fahren. Die hinausführende Straße, welche im »Jahre der großen Hungersnot« erbaut wurde, wäre wohl prachtvoll, allein der enorme Staub und die schwere, warme Luft ermüden so, daß alle Genußfähigkeit schwindet. – Wir hatten mit unserer Gesellschaft beschlossen, den »Taj« nicht gemeinsam zu besuchen, um, ungestört und unbeeinflußt durch Wechselreden, den Eindruck des Mausoleums auf uns wirken zu lassen, welches Shah Jehan seiner geliebten Gattin und Königin errichtet hat. Arjman Banu, Mumtaz Mahal genannt – Stolz des Palastes – war die Nichte jener durch Schönheit und Herrschsucht berühmten Kaiserin Nur-Jehan, die ihrem Gatten so verhängnisvoll wurde. Mumtaz Mahal starb im Wochenbett, nachdem sie ihrem Gatten sieben Kinder geboren hatte.

Mühselig brachte uns das matte Pferd unseres Einspänners, dessen Geschirr die armen dürren Knochen blutig rieb, vorwärts. Leichenzüge eilten an uns vorbei, dem Verbrennungsplatz der Hindus zu, der unweit des Taj an den Ufern des Jumna liegt und Tag für Tag seine Rauchsäulen gen Himmel sendet. Die Leute bewegten sich im Laufschritt; ihre traurige Last liegt auf einer aus Bambusrohr leicht zusammengefügten Bahre, welche auf der Schulter von zwei Trägern ruht, die von Zeit zu Zeit von andern, atemlos folgenden Männern abgelöst werden. Die Leiche ist in rote Tücher gehüllt und mit Bändern vielfach umwunden, welche sie zugleich an die Bahre befestigen. Ein Gefühl des Schauderns durchzuckt uns bei dem widerwärtigen Anblick dieses dahinstürmenden Leichenzuges, den keine Leidtragenden begleiten, dem nur ein paar zerlumpte Gestalten mit Tonkrügen und Messinggefäßen keuchend nachlaufen.

Wir nähern uns dem Taj. Wie viel hat man nicht schon von diesem Bau gehört!? Wie oft ist er nicht besungen worden! Die Glücklichen, die ihn sahen, nannten ihn »eine begeisterte, steinerne Elegie«, oder schreiben »es ist das schönste, was man auf der Welt erschauen kann«, oder schildern ihn als »eine Vision in Marmor, gezeichnet von Titanen, ausgeführt von Juwelieren«. All diese Worte höchster Begeisterung empfindet man als berechtigt, wenn man das berückend wirkende Denkmal »hoher Gattenliebe« zum erstenmal sieht.

Ehe man den »Taj Mahal« selbst erblickt, tritt man in einen weiten, mit Mauern aus rotem Sandstein umschlossenen Hof, aus dem ein in herrlichen Proportionen gehaltenes Tor über breite Stufen hinab zu dem den Taj umgebenden Garten führt, einen Durchblick von geradezu überwältigender Schönheit gewährend.

Wir stehen im Dunkel der Torhalle. Im Rahmen des großen Torbogens steigt blendendhell, in lichtblauen Aether getaucht ein Traumbild auf. Feierlich erhaben, schwebt ein silberschimmernder Tempel von leuchtender Pracht in den Lüften. Strahlendes Licht strömt uns entgegen, alles Denken, alles Fühlen des Beschauers aufsaugend. Gebannt, verzückt kann man den Blick nicht wenden. Man schaut und staunt und zittert, dieses Gebilde von Feenhand möge sich in Nebel lösen und unsern Augen entschwinden.

Die Anlage, welche den Taj umgibt, ist mit unvergleichlich feinem Verständnis für den gewünschten Eindruck behandelt und darauf berechnet, alle Sinne und Gefühle auf den sich vor uns erhebenden schneeweißen Marmordom zu lenken. In gerader Linie, dem Mausoleum zustrebend, führt ein Doppelweg. Er wird durch Marmorbecken getrennt, deren Ränder mit zierlichen Zypressen bepflanzt und von Wiesenstreifen begrenzt sind. Zu beiden Seiten dieser hellgrünen Bänder steigen die tiefdunkeln Bäume eines dichten Parkes auf, aus dem schlanke Zypressen wie Säulen hervorragen. Eingeengt durch das hohe Grün des Parkes, geleitet durch die ununterbrochene klare Linie der einfachen Anlage, ist das Auge sofort gefangen, der Blick mit zwingender Gewalt auf den geheimnisvollen Palast gebannt, der ohne sichtbaren Eingang, bloß durch einen silbernen Wasserstreifen mit der Erde verbunden scheint.

Die Sonne sinkt. Der Abendwind trägt zarten Blütenduft über den Marmorpfad. Vögel fliegen dem Dickicht zu, zwitschern leisen Nachtgesang und verstummen. Alles schweigt. Nur von weit her tönt ein seltsam dumpfer Klang, gleich verhaltenem Schluchzen aus gequälter Menschenbrust. Es ist der Wehgesang der Totenklage. Doch wie nur aus weiter Ferne der Ton unser Ohr erreicht, so erfaßt unser Gemüt nur schwach den Sinn der Trauerklage. Umgeben von dieser Zauberpracht, verliert man den Zusammenhang mit der Welt, die jenseits dieses paradiesischen Gartens liegt.

Und die Sonne schwindet. In ihren letzten Strahlen leuchtet und glänzt der Wunderbau. Goldene Töne lösen sich in rosiges Licht, wandeln sich in weißen Glanz und scheidend prägt das Tagesgestirn tiefe Schatten auf den geisterhaft schimmernden Silberdom. Doch die herabsinkende Nacht gleicht auch diese dunkeln Töne aus, und, als ob der Taj im Schein des Mondes schwimme, schwebt magisch leuchtend leicht und beinahe durchsichtig das Zauberbild auf dem dämmernden Abendhimmel.

Ich näherte mich dem Grabmal heute nicht. Ich wollte den empfangenen Eindruck nicht abschwächen, wollte im Wahn befangen bleiben, in »Tausend und einer Nacht« geweilt zu haben. Sehr raffinierte »Feinschmecker« würden überhaupt am besten tun, an diesem Anblick sich genügen zu lassen, der etwas so Märchenhaftes an sich hat, daß durch das Näherkommen viel von dem Zauber schwinden muß, da dann die gröbere Wirklichkeit zur Geltung kommt.

 

21. Dezember. Wir leben hier in Verhältnissen, die sich ein Europäer nicht träumen läßt und kaum für möglich hält. Gestern hatte es abends, als ich in unser Schlafzimmer kam, nur vier Grad Wärme, und ich fand die Aya auf dem Boden, dicht an meinem Bette hocken. Dicke Tränen standen ihr in den Augen, und als ich frug, was los sei, heulte sie: » poor childern; aya die.« Was wollte sie doch wieder mit ihren Kindern! Ich schüttelte bedenklich den Kopf, worauf sie jammernd wiederholte » poor childern – mother die – aya not sleep outside – aya sleep bathroom.« Nun wurde es mir klar, denn immer, wenn sie mich rühren wollte, führte sie ihre fernen » poor childern« ins Feld. Wenn sie faul und nachlässig war, erklärte sie, es sei das Heimweh nach jenen Kindern, das sie an der Arbeit hinderte, während der Boy behauptete, daß diese Kinder gar nicht existierten. Gern hätte ich ja den fraglichen Kindern die Mutter erhalten, allein das » bathroom« war »W. C.« zugleich, das Arrangement somit für die Aya ganz unmöglich, und doch wollte ich das arme Geschöpf nicht erfrieren lassen. Ich ging also zum »Babu«, wie der Direktor des Hotels genannt wird, fand denselben aber völlig abgeneigt, meiner Aya entgegenzukommen. »Alle Ayas schlafen outside, also könne es meine auch«, sagte er; wenn sich aber »irgendwo« ein freier Raum fände, dürfe sie sich hinlegen. Unser Nachbarzimmer war frei, und so brachte ich sie dort unter. Doch nicht lange sollte das Glück dauern, denn nach kaum einer halben Stunde stand die Aya plötzlich wieder vor mir, heulte und schrie; ein Gast sei gekommen, und man habe sie aus dem Zimmer geworfen. Nun machte sie Anstalten, sich an das Fußende meines Bettes zu lagern. Alles lieber als dies, denn der Pavian schnarcht und – riecht nicht gut. Als ich mich gegen diese Niederlassung wehrte, erklärte sie rund und bündig: » Lady not good – aya not sleep outside – aya sleep bathroom«, stand auf, nahm ihr Bettzeug und schritt stolz in die Toilette. Ich war sprachlos. Aber »Da kanscht nix mache«, sagt der Schwabe! Ich wollte nochmals mit der Aya unterhandeln und ging in die Kammer. Doch da lag sie schon. Sie hatte den Handtuchständer als spanische Wand neben sich gestellt und meinte » master all right – aya not see.« Keine Macht der Welt hätte sie entfernen können, Hier lag sie und hier blieb sie. – Als sich die Aya so energisch »Recht« verschafft hatte, mußte ich unseres armen Boys gedenken, der draußen vor der Tür auf einer Strohmatte lag, nur durch eine dünne Wolldecke gegen den Frost geschützt. Er war von einem großen Paket nicht zu unterscheiden, bloß ein leises Wimmern drang aus demselben und deutete darauf hin, daß etwas Lebendes da zusammengerollt lag. Jammernd klang es immer wieder an mein Ohr » cold, very cold«. Wie sollte ich dem armen Kerl helfen? Von unsern Sachen konnte ich ihm aus hygienischen Gründen nichts geben, selbst wenn ich überflüssige Decken gehabt hätte. Das einzige, was ich daran wagen konnte, war unser großer Sack für Stiefel und schmutzige Wäsche. In diesen kroch Charley, so heißt unser Boy, buchstäblich ganz hinein, zog ihn über den Kopf und war verschwunden. – Obwohl ich wie eine Mumie eingewickelt im Bette lag und drei Decken aufgelegt hatte, konnte auch ich kaum warm werden. Der Gegensatz der Tag- und Nachttemperatur ist eben zu groß, denn bei Tag haben wir fünfundzwanzig Grad Reaumur Hitze, bei Nacht kaum einen Grad. Außerdem sind die Parterrezimmer, in die nie ein Sonnenstrahl dringt, empfindlich kalt.

 

22. Dezember. Nach dem »warmen« Frühstück, das von Anfang bis Ende »kalt« war, fuhren wir in Begleitung eines Kutschers, Käufers und Führers nach der Stadt. Agra liegt auf der rechten Seite der Jumna und kam erst durch mohammedanische Herrscher zu seiner Bedeutung. Vor dieser Zeit, also vor dem 16. Jahrhundert, ist nach Murray über den Ort wenig bekannt. Er zählte Mitte des 16. Jahrhunderts eine halbe Million, heute hat er nur noch einhundertundsiebzigtausend Einwohner. Abgesehen von den unvergleichlich herrlichen Baudenkmälern, besitzt Agra für die Engländer große, militärische Wichtigkeit, dann bildet es zugleich den Mittelpunkt für den Handel und hat einen bedeutenden Markt für Pferde und Kamele. Mit seinen breiten, gepflasterten Straßen und schönen zwei- bis dreistöckigen Häusern gilt es als die reinlichste Stadt Indiens. An einem großen, freien Platz liegt das »Fort«, das mit seiner stumpfzackigen Festungsmauer aus rotem Sandstein einen imposanten Eindruck macht. Es wurde 1586 von Akbar erbaut.

Durch das mächtige, finstere Delhi-Tor gelangt man auf einer in den Felsen gehauenen steilen Fahrstraße bis zu dem Mittelpunkt der Festung. Hier liegen, eng gedrängt neben- und übereinander, eine Anzahl herrlichster, von den Kaisern Akbar, Shah Jehan und Aurangzeb errichteter Prachtbauten. Aus den Marmorhallen des Divan-i-Am, des öffentlichen Audienzsaales, führen tieferliegende Korridore in den Divan-i-Khas (Privathalle). Bevor man den »Matschi Bhawan«, den Fischteich, betritt, besucht man erst die »Naginah Moshid«, die Juwelenmoschee, welche von Shah Jehan als Privatmoschee für die Damen seines Hofes erbaut wurde. Dicht neben dieser befindet sich auf hübscher Plattform ein in zweifarbigem Marmor eingelegtes Schachbrett, auf dem der Kaiser mit lebendigen Figuren spielte, eine Spielweise, der die Großen des Reiches heute noch huldigen, von hier aus steigen wir hinunter an den »Matschi Bhawan«. Er ist auf drei Seiten von einer zweistöckigen Mauer eingefaßt. Durch Bogen und Säulen verbunden, laufen zwei Galerien der Mauer entlang. In diesen gedeckten Wandelgängen promenierten die Schönen des Palastes und fischten mit goldenen Angeln in dem Teich, der heute nur noch einen grünen Rasenplatz darstellt, in dessen Mitte ein uralter, großer Baum steht. Die vierte Seite der Mauer, die den ehemaligen Teich umzieht, hat statt eines zweiten Stockwerkes eine geräumige Terrasse.

Von hier aus schweift das Auge über die ruhig fließende Jumna bis dahin, wo in duftiger Ferne der Taj in zitternder Sonnenluft schimmert. Auf der Terrasse, nahe am Geländer, über das hinab man auf die prachtvolle Straße blickt, liegt ein ungeheurer Granitblock, der »schwarze Thron« genannt. Ein tiefer Sprung spaltete den Stein und Blut färbte seine Ränder, als einst ein Usurpator ihn bestieg. Die Blutspuren sind natürlich Eisenoxyd. – Direkt unter dieser Terrasse befand sich einst der Zwinger, in dem die Tierkämpfe zwischen Tigern und Elefanten ausgefochten wurden. Ueber demselben, dem Strome zugekehrt, auf mächtigen Mauern vorgebaut, ragt der »Khas Mahal«, der Privatpalast mit den Zimmern des Shah Jehan empor. Dem Flusse zunächst ist das Sterbezimmer Shah Jehans, ein oktogonaler, von einer luftigen, offenen Säulenhalle umgebener Raum. Hier, mit dem Blick auf den Taj, das Grabmal seiner geliebten Königin, gab der gefangene Fürst seinen Geist auf.

Die Dynastie Akbars steht unter dem Zeichen aufständischer Söhne. Wie einst Jehangier und Jehan gegen ihre Väter konspiriert und rebelliert hatten, so wurde auch Jehan das Opfer seines ehrgeizigen Sohnes Aurangzeb (1657), der ihn des Thrones beraubte, um diesen selbst zu besteigen. Obwohl der Regierungsantritt Jehans seinerzeit durch ein Blutbad gekennzeichnet wurde – er tötete seine Brüder und alle Verwandten, bei denen er Ansprüche auf die Krone vermutete –, war Jehan als Kaiser gerecht und mild. Er führte ein tadelloses Leben, bewies sich sogar als guter Haushalter, trotzdem der Glanz seines Hauses das Staunen der Welt bildete. Sein berühmter Pfauenthron, dessen Vogel von echten Rubinen, Smaragden und Saphiren erglänzte, hat, wie schon gesagt, Millionen gekostet, von seinen übrigen prachtvollen Bauten in Delhi und Agra ganz zu schweigen. – Unter Jehan erscheinen die Maharatten, ein arisches Hinduvolk, das die Gebirge von Gwalior bis Goa bewohnt, zum erstenmal in der Geschichte Indiens. Sie sind es, die im nächsten Jahrhundert (18.) dem Reiche der Großmoguls ein Ende machen.

Der »Khas Mahal« stößt mit seinem Wasserbassin und Springbrunnen an einen reizenden Bau, an den »Anguri Bagh«, den »Traubengarten«. Inmitten von Büschen und Bäumen steht eine kleine Halle mit unendlich feinen, zarten, spitzenartigen Skulpturen, so duftig und doch so klar in der Zeichnung, daß man Brüsseler »Points« zu sehen glaubt. Ebenfalls an den »Anguri Bagh« anstoßend, liegt der »Shish Mahal«, Spiegelpalast, zwei dunkle Zimmer umfassend, deren Wände über und über mit kleinen Spiegelstückchen belegt sind, die im Kerzenglanze lustig funkeln. Einst fiel hier eine Kaskade über Lämpchen in ein Bassin mit hübschem Wellenprofil als Einfassung. Aber die Lämpchen sind erloschen, die Kaskade rauscht nicht mehr, und so ist der Eindruck ein ärmlicher. – Durch den »goldenen pavillon« gelangt man nun zu den Privatgemächern der Hauptsultanin, die im »Saman Burj«, dem »Jasminturm«, liegen. Geschmückt sind diese Bäume mit exquisitester Marmorarbeit, die aber leider durch das Einschlagen von Kugeln sehr beschädigt ist. Im »goldenen pavillon« selbst befinden sich die Schlafzimmer der königlichen Damen. Die Wände dieser Gemächer sind rings mit kleinen Löchern von etwa vierzig Zentimeter Tiefe versehen, die zur Versenkung und Aufbewahrung von Schmuck und Juwelen dienten. Diese Behälter wurden, um Diebstahl zu verhindern, so eng gehalten, damit nur ein schlanker Frauenarm in solch seltsamen, diebessicheren Schmuckkasten gelangen konnte.

Mit »Saman Burj«, den Gemächern der Sultanin, wird der Divan-i-Khas, die Privataudienzhalle des Herrschers, ein Meisterwerk musivischer Technik und poetischer Zeichnung, durch eine Treppe verbünden. In weißem Marmor sind hier Blumen und Früchte eingelegt. Reiche, in kostbaren, bunten Steinen ausgeführte Guirlanden ziehen sich leicht und graziös über die leuchtenden Marmorsäulen, Wände und Decken hin. – Nun folgt der Mittelpunkt des Forts, die »perle der Moscheen«, das »lieblichste Bethaus der Welt«, die Moti Musjid, welche größer als die gleichnamige von Delhi und zugleich ganz verschieden von derselben ist. Ihr Dach schmücken zahllose Türmchen, luftige Pavillons, die von schlanken Säulen getragen werden. Der Boden der Halle ist in sechshundert Betplätze eingeteilt. Jeder Gläubige kniet auf seinem eigenen, in Marmormosaik nachgebildeten, prachtvoll ausgeführten Gebetsteppich, der eine nach Osten gerichtete Kibla darstellt. An der Schmalseite dieser Halle schließt sich der den Frauen reservierte Raum an. Er wird durch zierliche, reizvolle Gitter, die wie Marmorschleier wirken, von dem Männersaale getrennt und ist, wie die ganze Moschee, wunderbar und unvergleichlich rein und fein im Stil. – In der Mitte des Hofes liegt ein kleiner Tank mit Marmoreinfassung.

Außer diesen Gebäuden wäre im Fort nur noch der Palast Kaiser Jehangiers zu nennen, den von den Bauten Jehans eine Anzahl Badeplätze und Springbrunnen trennt. Jehangiers Residenz ist aus rotem Sandstein aufgeführt, teilweise außen mit grell grünen und blauen Platten eingelegt, zwischen denen man auf weißen Marmorschildern das Freimaurerzeichen gewahrt. Der Palast hat zwei Stockwerke, aber die Fenster sind so unregelmäßig angebracht, daß man die Ventilation und Beleuchtung der einzelnen Räume nicht begreift. Im Parterre überrascht eine Säulenhalle durch reiche Kapitäle. Die Träger des Plafonds, große dicke Riesenschlangen, die sich aus dem Maul der seitlich angebrachten Elefantenköpfe über die Decke hin winden, sind sehr interessant. Eine zweite Pfeilerhalle liegt dieser gegenüber. Ihre Säulen stehen eng zusammen und bilden schmale, kurze Korridore, in deren Gewinkel der Kaiser mit seinen Damen »verstecken« spielte. Hier wurde uns auch ein großer Raum als »Bibliothek« bezeichnet. Die Bücherstellagen sind quadratische, kleine Mauerhöhlen, in welche die Bücher gelegt oder gestellt wurden. Im Souterrain des Palastes diente ein Labyrinth von kellerlochartigen Zimmern vor Zeiten als » buen retiro« während der heißen Jahreszeit. Heute aber wird es als Schlupfwinkel von Schlangen und eklem Getier ängstlich gemieden.

Jehangier, der Schöpfer dieses Bauwerkes, war der Lieblingssohn Akbars gewesen. Er hieß eigentlich »Salim«, nahm aber bei seinem Regierungsantritt seinen späteren Namen Jehangier, d. h. »Eroberer der Welt«, an (1605-1627), obwohl er die Welt nicht eroberte, das von Akbar überkommene Reich sogar nur um sehr weniges vergrößerte. Seine Regierung bestand aus Kämpfen gegen seinen rebellischen Sohn Jehan, in maßlosem Steigern der Machtsphäre seiner Gemahlin und in einem haltlosen, schwelgerischen Leben. Den Mittelpunkt seines Daseins bildete die Kaiserin, die ihn ganz beherrschte. Eine vornehme und bildschöne, arme Perserin hatte das Herz des jungen Prinzen einst gewonnen. Durch Akbars Machtspruch wurde dieselbe an einen Soldaten verheiratet, von dem sie nach des Vaters Tod auf Befehl des Kaisers Jehangier wieder geschieden wurde. Nach einer Zeit keuscher Zurückgezogenheit, die sie im Palast verbrachte, tauchte sie als »Nùr Jehan« = »Licht der Welt« und Kaiserin wieder auf. Aber sie zeigte sich als gefährliche Intrigantin, die gegen ihren Gemahl konspirierte, was den Kaiser um den Thron brachte und sie ins Privatleben zurückversetzte. – Jehangier war nach dem Tode seines Vaters Akbar zum mohammedanischen Glauben zurückgekehrt, den dieser mit der selbstgeschaffenen »Ilahi-Religion« vertauscht hätte. Obwohl wieder Moslem, befolgte jedoch der Herrscher nur scheinbar die Satzungen des Koran, war innerlich ohne alle Frömmigkeit. Er verbot zwar den Genuß des Weines, gab sich aber selbst dem Trunke maßlos hin und ließ seine Spießgesellen totprügeln, wenn sie sich in seiner Gegenwart unterfingen, auf die gemeinsamen nächtlichen Orgien anzuspielen. Im übrigen bemühte er sich, gerecht zu sein. So hing zum Beispiel eine goldene Glocke in seinem Privatzimmer, deren Kette bis hinab auf den Hof reichte, und an der jeder läuten durfte, welcher den Kaiser ohne Mittelsperson sprechen wollte. – Europäische Abenteurer (auch Austin de Bordeaux) waren an seinem Hofe gern gesehen. Er schützte ihre Kunst und Religion. Zwei Neffen von ihm nahmen mit seiner Einwilligung sogar das Christentum an.

Der Eisenbahn gegenüber, steht außerhalb des »Fort«, auf einer erhöhten Plattform, die »Jumna Musjid«, welche Shah Jehan 1644 im Namen seiner Tochter Jehanara erbaut, die sein trauriges Los getreulich teilte, als ihn sein Sohn Aurangzeb bis zum Tode gefangen hielt. Diese Moschee hat drei Kuppeln und besteht aus fünf, durch ein schönes Tor mit dem großen Mittelhof verbundenen Teilen. Ihre Eigenart bilden ballonartige Kuppeln ohne Hals und ungemein feine Sandsteinarbeiten. Die Geländer sind so durchsichtig behandelt, daß man ein durchbrochenes Eisengitter zu sehen glaubt.

So müde wie heute, hatten wir uns auf der ganzen Reise noch nicht gefühlt. Es waren aber auch der Eindrücke zu viele gewesen, und mehr als nur eine oberflächliche Beschreibung von all den Palästen, Tempeln, Gärten, Moscheen und Hallen zu geben, die im »Fort« in- und aufeinander gebaut sind, ist mir unmöglich. Erschien mir doch das »Fort« mit all seinen Treppen, Korridoren, Galerien, unter- und oberirdischen Gängen wie ein riesiger Irrgarten.

Lange vor Sonnenuntergang fuhren wir wieder hinaus zum »Taj Mahal«, der von neuem einen berückenden Eindruck machte. Der Glanz, die Skala der Farbentöne, in die er sich allabendlich taucht, sind wirklich überwältigend. – Ich muß nun auch sagen, wie der Taj gebaut ist. Heute schritt ich die Stufen hinab, die von der Torhalle » great gateway« zu den Marmorwegen führen, und gelangte, dem »silbernen Wasserstreifen« folgend, durch einen versteckten Torbogen in den Unterbau, auf dessen Plattform das Mausoleum ruht.

Der Taj ist ein quadratischer Bau mit großer, achtzig englische Fuß hoher Kuppel. An den Ecken stehen in einiger Entfernung vier isolierte Minarets. Die Kunst, mit welcher der Bau in den Raum gestellt, erscheint bewunderungswürdig. Das prachtvolle Kolorit des Gesteins, der Reichtum an filigranartiger Marmorarbeit, der leuchtende Farbenschmuck eingelegter kostbarer Steine, dies alles wirkt blendend. Die entzückende Harmonie der Anlage, der üppige Garten mit tropischen Bäumen und die feierlich vorbeifließende Jumna ergreifen den Beschauer mächtig, und doch steht dies alles in gar keinem Verhältnis zu jener Empfindung, welche uns beherrscht – überwältigt und über alle Wirklichkeit hinweghebt, wenn man den Taj zuerst aus der Torhalle von weitem erblickt.

Sein Inneres erscheint reich geschmückt. Ein wundervolles Marmorgitter teilt den Raum ab. Hinter dieser durchsichtigen Wand steht ein kleiner Sarkophag aus gleichem Material. Er ist mit eingelegten Arbeiten verziert, wie sie seit Akbars Zeit für die Ausstattung der Bauwerke unter den Großmogulen charakteristisch sind. Unter diesem Sarkophag in der Krypta schlummert die über alles geliebte Königin »Mumtaz Mahal« – der Stolz des Palastes. Wie das Baptisterium zu Pisa, hat der Taj eine seltsame Akustik. Das halblaut, aber klangvoll ausgerufene »Allah« des Führers hallt erst undeutlich, dann klar und lauter werdend, als es gesprochen wurde, zurück und verklingt hierauf wieder zart und melodisch.

Der Hauptbaumeister des Taj ist unbekannt, aber es scheint, als wäre Austin de Bordeaux an seiner Ausführung oder doch wenigstens an den herrlichen Mosaiken in Florentiner Art beteiligt gewesen.

Als wir abends ins Hotel zurückkehrten, fanden wir die Aya und den Boy zum erstenmal einig. Sie hatten sich im Frieren gefunden. Gemeinsam erklärten sie, ich müsse ihnen ein warmes Kleidungsstück kaufen. Nun hatten zwar beide in Colombo zwanzig Rupien bekommen, um sich auszustatten, doch beide hatten natürlich das Geld verjubelt, und es blieb mir nichts übrig, als die Sachen anzuschaffen, sollten die beiden Leute nicht noch dümmer werden, als sie bereits sind. Denn seit sie frieren, haben sie den letzten Rest von Intelligenz eingebüßt.

 

23. Dezember. Zusammen mit Baron Gemmingen besuchen wir das Grabmal von I'timadu-daulah, dem Vater der Nur Jehan, jener ehrgeizigen, ränkesüchtigen Gattin des Kaisers Jehangier. Es liegt an der Jumna und ist ein viereckiges, kleines Gebäude mit achteckigem Turm, in dem sieben Grabmale aufgestellt sind. Das Mausoleum zeichnet fabelhaft feine Marmorarbeit aus. Tüllschleier scheinen die Fenster zu verhängen. – Arbeiter waren hier mit Reparaturen beschäftigt. Das meiste, was auf Wunsch der verschiedenen Gouverneure renoviert wurde, ist verständnislos gemacht. Unser Führer, ein brustkranker, ewig betelkauender Muselmann mit feurigen Augen und hektischen Wangen, steht mit dem Englischen auf einem feindlichen Fuß, und bei allen restaurierten Gebäuden, Marmor- und Mosaikarbeiten versichert er grimmig » government is repaired«, dabei blitzen seine brennenden Augen boshaft, gerade als ob er sich freue, wenn sich das » government« seine Kunstschätze ruiniert und sich dabei blamiert. Ueberhaupt sind die Mohammedaner der englischen Regierung unfreundlich gesinnt, und bestände nicht Haß und Neid zwischen den Moslims und Hindus, die noch lieber ihren Unterdrückern gehorchen, als sich gegenseitig zu einer Machtstellung verhelfen wollen, es wären die Engländer längst aus Indien verjagt.

Chini ka Roza, eine Grabkirche, die irgendwo auf dem freien Felde außerhalb Agra liegt, ist nach dem sie zierenden Fayence-Mosaik genannt. Ihre Farbe hat sich prachtvoll erhalten und kann in gleicher Schönheit heutzutage nicht mehr hergestellt werden.

 

24. Dezember. Um neun Uhr fahren wir ins » jail« – das Gefängnis von Agra. Der Direktor empfing uns am Tor, da wir bereits gestern den Besuch angemeldet hatten. Er ist ein liebenswürdiger Beamter und ein Mann von kolossaler Schulterbreite.

Dieses Gefängnis erschien mir als der reinlichste Ort Indiens, wenigstens der reinlichste, den wir bisher sahen. Eine turmhohe, unübersteigliche Mauer – die aber doch oft überstiegen wird – umgibt die ganze Anlage, die Gärten und Gebäulichkeiten. Der außerordentlich weitläufige Bau umschließt große Höfe und luftige Schlafsäle, nur darf man sich unter letzteren nicht etwa Räume mit Betten oder Pritschen vorstellen. Es sind lediglich große, kahle, verschließbare Hallen, in denen mit kleinen Zwischenräumen Steinbänke ohne Lehnen und mit geringer Erhöhung für den Kopf eingebaut sind, kaum so lang und breit, daß sich ein Mann auf ihnen auszustrecken vermag. – Ausgedehnte Gärten liegen um das eigentliche Gefängnis herum. Sie befinden sich in gutem Stande, und es scheint auch wirklich etwas in ihnen zu wachsen.

In der Strafanstalt sind meist zweitausend Gefangene inhaftiert. Diejenigen, welche auf Lebensdauer verurteilt wurden, bleiben nur vorübergehend hier. Die Sträflinge weilen unter Tags in einem, von hohen Mauern umgebenen Hof. In langen Reihen hocken sie, die Füße an Pflöcke gefesselt da und haspeln Wolle. Wenn man sich ihnen nähert, müssen sie auf ein Zeichen des Wächters à tempo in die Hände klatschen, zum Beweis, daß sie keine Instrumente zwischen den Fingern halten. Hauptsächlich in der Abteilung für Teppichknüpferei ist das wichtig, weil hier die Gefangenen, auf beiden Seiten des Webstuhles sitzend, zur Arbeit Nadeln, Scheren usw. bedürfen und es schon oft vorgekommen ist, daß sie diese nach den vorbeigehenden Wärtern warfen oder nach ihnen stachen. Da die Teppiche in geschlossenen Räumen angefertigt werden, muß man an den Leuten sehr nahe Vorbeigehen und ist ihrer Bosheit ausgesetzt. Die »Lebenslänglichen« sehen bei flüchtiger Beurteilung ganz harmlos und gutmütig aus. Bei näherer Betrachtung, und nachdem mich der Direktor auf den Ausdruck ihrer Augen aufmerksam gemacht hatte, sah ich jedoch, welch eigentümlichen Blick solche Verbrecher fast übereinstimmend haben. Er mag daher wohl im Rechte bleiben, wenn er sagt, daß er es bei den übrigen Gefangenen vorausbestimmen kann, ob sie noch »Lebenslängliche« werden, weil dieser eigenartige Blick »angeboren« sei.

Im übrigen sitzen sehr viele Gewohnheitsverbrecher im Gefängnis, die beim Verlassen desselben den Direktor bitten, ihnen doch das » berth«, wie sie ihre Steinbank schmeichelhaft nennen, aufzuheben, denn sie kämen ja doch bald wieder. Mir schien es, als ob der Direktor für seine Stammgäste ein gewisses Wohlwollen empfände, denn er meinte, sie könnten es ja doch nirgends besser als bei ihm haben und nirgends besser untergebracht sein. Die Gefangenen sind sehr gut gepflegt, werden jede Woche zweimal gewogen, und »wenn sie im Gewicht abnehmen, bekommen sie mehr zu essen und weniger zu tun«, sagt der Herr Direktor, der ein Witzbold zu sein scheint. Die Kuchen, welche die Gefangenen zu ihren Mahlzeiten erhalten, werden merkwürdig reinlich, geradezu appetitlich zubereitet. Ich versuchte sie, und fand sie, wenn auch keine Delikatesse, doch verlockender als jene, welche die Hindus an den Straßenecken backen. Es liegen mehrere Küchen nebeneinander, und man nimmt bei der Zubereitung der Speisen darauf Rücksicht, für wen dieselben bestimmt sind. Die verschiedenen Kasten versorgen Sträflinge (Köche) der gleichen Kaste, damit die religiösen Anschauungen der Gefangenen nicht verletzt werden. Jeder Sträfling bekommt zehn Kuchen, die wie dicke Matzen aussehen, jedoch nicht hart sind. Abends reicht man Suppe und Gemüse mit Curry. Die Leute sind danach wirklich besser verpflegt, als sie es meist gewohnt waren, wenn man der elenden Gestalten in den Straßen gedenkt, wo eine Steppdecke, die sich an zwei dürren, dunkeln Stecken bewegt, das Bild eines Menschen darstellt, dann möchte man all diesen armen Heimatlosen für die Wintermonate ein Unterkommen im » jail« wünschen.

In die Frauenabteilung warfen wir nur einen flüchtigen Blick. Sie zeichnete sich durch wirres, gräßliches Durcheinanderschreien aus. Die Zellen für Einzelhaft gleichen ganz kleinen Käfigen für wilde Tiere; jene, welche unter dem Erdboden liegen, wurden uns nicht gezeigt, falls solche überhaupt vorhanden sind. Eine sehr traurige Abteilung im » jail« bilden die Höfe, in denen ganz junge Burschen oder Mädchen weilen, die wegen eines Diebstahls gefaßt wurden und nun von ihrer Familie für immer ausgestoßen bleiben. Diese Knaben und Mädchen sind, wenn sie ihre Strafe abgebüßt haben, dem Verbrechen und Laster preisgegeben, da sie ohne alle Hilfsmittel entlassen werden und ohne jeden Familienanschluß sich nicht anders als mit erneuten Diebstählen fortbringen können. Um die Jugend zu schützen, hat die englische Regierung jetzt Besserungshäuser gegründet, in denen die entlassenen Sträflinge eine Zeitlang bleiben, bis sie als Arbeiter untergebracht werden können.

Dr. Hankins, an den wir durch Professor Hahn empfohlen waren, der aber leider gleich nach unserer Ankunft nach Delhi zum Durbar fuhr, erzählte, daß voriges Jahr ein Mann im » jail« saß, der versucht hatte, eine ganze Stadt mit Datura (Stechapfel) zu vergiften. Er begann mit ganz kleinen Dosen, um eine Krankheit vorzutäuschen, und steigerte dann die Gaben, bis die Todesfälle zur Epidemie anwuchsen und Dr. Hankins durch Untersuchung der Leichen das Gift feststellte. – Ferner erzählte uns Dr. Hankins eine sehr merkwürdige Geschichte von zwei deutschen Leutnants, die im letzten Winter hier gewesen waren, hoffentlich ist die Erzählung eine böswillige Erfindung. Die beiden Herren trafen den Direktor des Gefängnisses bei Herrn Weiland, einem Deutschen, der hier eine große Teppichfabrik hat. Sie erkundigten sich, ob und wie oft Hinrichtungen im Gefängnis stattfänden. »Ach deren haben wir viele«, sagte der Direktor, »und wenn es Sie interessiert, dann lasse ich Ihnen morgen zwei hängen.« Unsere beiden Offiziere folgten der Einladung, und richtig, es wurden zwei gehängt! – In einem artigen Briefe drückten die Herren ihren Dank aus. Eine zufällig für diesen Morgen bestimmte Exekution bot wohl den Anlaß zu diesem derben Scherz.

Im » jail« ist eine bedeutende Teppichmanufaktur, und der deutsche Kaiser hat hier wiederholt größere Bestellungen gemacht. Die durch die Gefangenen angefertigten Teppiche sollen unverwüstlich sein und den Erzeugnissen der Weilandschen Fabrik gleichkommen. Herr Weiland beschäftigt in seiner Weberei, die wir auch besuchten, sehr viele Kinder von acht bis elf Jahren. Es ist rührend und reizend zu sehen, wie die kleinen Fingerchen zwischen den Fäden sicher und geschickt hin- und herhuschen. In Indien werden die Teppiche nicht nach vorgezeichneten Mustern geknüpft, sondern nach vorgelesenen Anweisungen. Ein Erwachsener ruft bei jedem neuen Knoten die Farbe des Fadens aus und wie viele Knoten von gleicher Farbe nebeneinander geschlungen werden sollen. Die Kinder wiederholen gleichsam zur Kontrolle ihrer Arbeit mit singendem Tonfall das Verlesene.

Auf dem Heimweg nahm ich noch ein paar Straßenbilder auf. Was ist da nicht alles zu sehen! Auf den Dächern fette, große Affen, in den Straßen dürre, schmächtige Menschen mit zerlumpten Fetzen, auf dem Kopf als teuersten Besitz die zusammengerollte Steppdecke tragend. – Da liegt in der Sonne ein Weib, dem ein anderes den geschwollenen, hochaufgetriebenen Leib massiert. Dort wird ein Bub geölt, um die Haut gegen die Kälte zu schützen. Hier sitzt ein Mann in der Sonne, wird rasiert und hält dazu einen winzigen Scherbenspiegel in der Hand, wie die Chinesen auf dem »König Albert« aufmerksam jede Bewegung des Barbiers beobachtend. Neben einem Milchtopf werden nasse Haare mit engem Kamm frisiert; in einem Fruchtladen durchsucht ein Kind mit unglaublicher Geschicklichkeit die Frisur seiner Mutter. In heißer Asche werden gleichzeitig die Hindukuchen gebacken und zum Abkühlen in den Staub gelegt. Alle Häuser sind mit »Bierfilzeln« verziert, welche die fünf Finger zeigen. Dafür sieht man auch nirgends Kuh- oder Pferdedünger, denn tausend geschäftige Hände sammeln, kneten und kleben ihn an die Häuser. Aeußerst geschickt verstehen die Frauen, während sie einen Korb auf dem Kopf balancieren, den vorher mit den Füßen aufgerollten Kuhfladen mit der gekrümmten Fußsohle zu fassen, der Hand zu reichen, die ihn dann in den Korb schleudert. – Oft wird der Kuhdung mit Wasser zu einem dünnflüssigen Brei angerührt, und mit diesem der Boden und die Wände des Hauses bestrichen, eine Maßregel, welche das Ungeziefer fern halten soll. Hauptsächlich aber wird der Dünger als Brennmaterial benützt und man sieht lange Züge wehmütig blickender, ganz kleiner Eselchen eilig durch die Straßen trippeln, alle mit ungeheuren Lasten dieses Feuerungsmaterials beladen.

Auf der Schattenseite der Straße liegt ein Kamel und stirbt; vorwurfsvoll blickt das arme, aufs Blut geschundene Tier um sich. In der Sonne lagert, unter Staub begraben, ein büßender Bettler wie tot, aber er lebt – über ihm häuft sich Staub auf Staub, er wehrt sich nicht. Nur von Zeit zu Zeit reckt sich ein grauer, dürrer Arm aus der Staubmasse hervor und öffnet die Hand; der Vorübergehende läßt eine Münze hineinfallen – die Hand schließt sich und verschwindet im Staub. Welch schrecklicher Anblick, jammervoll und ekelhaft! – Entsetzliche Krüppel, die alle Menschenähnlichkeit verloren haben, hüpfen und kriechen über die Straße. Ein fürchterlicher Wasserkopf von riesigen Dimensionen sitzt auf schauerlichem skelettartigen Körper, aus dem die Rippen eckig herausstehen und die Aermchen und Beinchen haltlos hängen. Das elende Wesen hockt grausam verstoßen in einem kleinen Karren ohne Stroh und glotzt aus ein Paar großen, blöden Augen stier in die Welt. Ein halbverhungertes Bübchen zieht den Wagen durch die Menge. Scharen von Kindern wälzen sich im Staube, als gälte es ein erfrischendes Bad zu nehmen. Grau und verklebt sehen Haare und Augen aus, und die armen kleinen Wesen sind voll von häßlichem Ausschlag. Das Elend, das man hier ringsum erblickt, ist nicht zu schildern.

Wenn ich es nicht in mein Tagebuch schriebe, ich würde es vergessen, daß wir heute den heiligen Abend feiern. Es ist uns so gar nicht weihnachtlich zumute. Nichts in unserer Umgebung erinnert an das Fest, und wir haben keine Zeit daran zu denken. Gleichwohl beabsichtigen wir heute eine gemeinsame Feier, d. h. wir wollen unser Dinner zusammen an einem Tisch nehmen – sonst speist jede Partei für sich – auch Frau von R. und Herr Federer kommen aus ihrem Hotel zu uns herüber. Anfänglich hatten wir große Pläne, wir wollten uns gegenseitig beschenken, eine Lotterie arrangieren, gaben aber alles auf, denn das kostet Zeit und Mühe, und diese kann man hier besser anwenden als »Bescherung« zu spielen.

Nachmittags Fahrt durch die Stadt und zum Basar, dem Markt der Hindus, der in Indien jedoch selten ein großer freier Platz ist, sondern meist ein Gewinkel, ein Netz von Straßen, Gassen und Gäßchen darstellt. Hier in Agra sind die Straßen verhältnismäßig breit, gut gepflastert und ziehen sich zwischen mehrstöckigen Häusern hin. Die Läden aber und Werkstätten sind deshalb doch alle zu ebener Erde und gegen die Straßen zu völlig offen. Eine Ausnahme macht das größte Kaufhaus in Agra, Ganeshi Lall, dessen Laden im ersten Stock liegt, an den sich Terrassen anschließen, auf welchen Dutzende von Männern vor Stickrahmen sitzen und die denkbar kunstvollsten und kostbarsten Gold- und Silberstickereien ausführen. Mit großer Geschicklichkeit werden farbige, echte und unechte Steine in den Blumen- und Pfauenmustern verwendet. Eine Robe mit Rad schlagenden kleinen Pfauen ist in Arbeit. Die Pfauen sind wundervoll gestickt, die Augensterne der Schweiffedern schimmern tiefblau als echte Saphire. Ganeshi Lall nannte eine fabelhafte Summe, die ein unsinnig reicher Hindu in Kalkutta dafür zahlt. – Frauen werden niemals als Stickerinnen oder Teppichknüpferinnen in Fabriken verwendet. Alle Arbeiten, die von ihnen stammen, sind in den Zenanas, in den Frauengemächern gefertigt, wo die Weiber ihr ganzes, freudloses Leben zubringen.

Jeder Besuch in einem Laden nimmt eine ungeheure Menge Zeit in Anspruch. Man wird wirklich wie ein Besuch behandelt, muß sichs »bequem machen«, sich auf das Sofa setzen. Der Kaufherr hockt sich auf den Boden, schlägt vor, was man kaufen soll, erzählt, was er besitzt, und schleppt immer Neues herbei, lauter Dinge, die man nicht will, trotzdem er genau weiß, was man wünscht. Mit unendlicher Sorgfalt wird alles aus Blechkoffern ausgepackt und mit gleich großer Vorsicht wieder hineingelegt, bis endlich die Geduld reißt und man aufsteht und gehen will. Dann ist das, was man gewünscht, zur Hand, und nun beginnt nochmals ein endloses Hin- und Herhandeln. Meist verläßt man ein paarmal den Laden, bis der Handel zum Abschluß kommt. Mich versicherte Herr Ganeshi Lall » you are very clever«, als ich sechs Stück Türkisen von sechzig auf zweiundzwanzig Rupien herunterhandelte – » you are very clever« war Hohn, denn die Steine waren imitiert, wie sich späterhin herausstellte. Hier im Laden des Ganeshi Lall sah ich auch jene prachtvollen Bochara-Decken, die, wenn sie echt, wirklich ganz einzig schön in Farbe und Arbeit sind. Gewöhnlich findet man bei uns nur solche, die fabrikmäßig hergestellt wurden, und nicht jene Stücke mit dem feinen engen Stich, den die Bochara-Jungfrauen anwenden. Jede dieser echten Decken stellt die Arbeit eines Mädchens bis zum Tage ihrer Verlobung dar. Von da ab wird kein Stich mehr an der Stickerei gemacht. Deshalb findet man sehr selten fertige und noch seltener reich gestickte Decken, da dies immer eine sehr lange Jungfernschaft bedeuten würde.

Ueber dem Handeln war der ganze Nachmittag hingegangen. Als wir unsern Wagen wieder bestiegen, hatte man bereits die Lichter in dem Basar angezündet. Alles glitzerte, leuchtete, flimmerte und blitzte, der Goldflitter, die bunten Gewänder, die feurigen Augen, die Goldspangen um Hals und Arme und die vielen tausendfarbigen Dinge, die in und vor den Buden ausgelegt waren. – Wir wollten ein paar Blumen kaufen, um unsern Weihnachtstisch zu schmücken, fanden aber keinen Laden. Zu unserm größten Erstaunen hörten wir von dem Führer, daß » there was only one man made here for flowers and he stands at the station, that's all.« Der Hallunke wollte uns natürlich zu einem Freund am Bahnhof bringen, von dem er einen Backhschisch bekam, aber wirklich so » clever« waren wir nun nachgerade doch geworden. Wir befahlen energisch, im Basar einen Blumenladen zu finden, und er fand ihn sogleich. Wir bekamen reizende, zu dicken runden Girlanden gewundene levkoyenartige gelbe Blumen, mit denen die Brahminen und die heiligen Kühe bekränzt zu werden pflegen; fanden entzückende schlanke rote Blüten mit Blättern wie Weinlaub und anderes mehr. Wir füllten den Wagen mit all den reizenden Kindern Floras, erfreut, unser Ziel erreicht zu sehen. Baron Gemmingen kaufte eine heilige Kuh aus Papiermaché, während Alfred ein Christkind erstand, das aber ein Buddha-Baby war, welches auf untergeschlagenen Beinen saß und eine moderne blonde Haarfrisur hatte. Außerdem fanden wir noch eine fünfzig Zentimeter hohe Zypresse aus grüner Baumwolle, die sich freilich mehr zu einem Lampenputzer als für einen heiligen Christbaum eignete.

Höchst befriedigt durch unsere sonderbaren Einkäufe kehrten wir ins Hotel zurück, bekränzten zum Erstaunen der Engländer den Tisch, machten zur Ehre des Abends ganz besonders feine Toilette, und bemühten uns, eine feierliche Stimmung zu finden. Doch wollte dies nicht recht gelingen, trotzdem wir immer davon sprachen, daß Weihnachten sei, und wir am blumengeschmückten Tisch vor einem buddhistischen Christkind und einem baumwollenen Christbaum saßen. Unsere Gläser erklangen, wir gedachten der Lieben daheim. Recht »weihnachtlich« wurde uns aber gleichwohl nicht zumute. Der Eindruck der Gegenwart mit all dem Neuen und Fremden war zu stark. Wir konnten uns den brennenden Weihnachtsbaum, den heimischen Tannenduft und den Geruch der ausgeblasenen Wachskerzen nicht vorstellen. – Um zehn Uhr lagen wir bereits – beinahe hätte ich gesagt »in den Federn« – und doch ist dieses Ruhelager nur ein Drahtnetz mit einer dreifingerdicken zusammengelegenen Wollmatratze.

 

25. Dezember. Eine Musikbande Eingeborener in rotem Jagdfrack spielte europäische Weisen, aber nicht etwa zur Feier des Tages. Unser Boy bringt uns einen Teller mit Bananen und Trauben als Festgruß, während die vornehme Aya sich damit begnügt » Happy Christmas« zu wünschen. Sie ist nämlich aus einer »höheren Kaste«. Sie reist mit mir durch Indien, nur weil sie das Land kennen lernen möchte, und hält es für eine große Gunst, die sie mir erweist, wenn sie zum Beispiel warmes Wasser holt. Jedesmal macht sie mir heftige Vorwürfe über die Entfernung der Küche, denn ihre Kaste erlaubt nicht – so sagt sie – mit einer Kanne über den Hof zu gehen.

Nachmittags Ausflug nach Sinkandarah, wo sich das Grabmal Akbars befindet.

Akbar der Große kam mit vierzehn Jahren auf den Thron, nachdem er schon unter der Regierung seines Vaters Humayum die Afghanen besiegt und den Thron wieder in Delhi aufgerichtet hatte, wodurch er der eigentliche Gründer des Mogulreiches wurde, das dreihundert Jahre bestand und das er fünfzig Jahre lang (von 1556-1606) regierte. Akbar ist somit ein Zeitgenosse der Königin Elisabeth von England, was man sich immer gegenwärtig halten muß, um ungefähr eine Vorstellung von der Zeit zu haben, in der all die großartigen Bauten aufgeführt wurden. Man neigt nämlich leicht dazu, das, was man hier sieht, für viel älter zu halten, als es ist. vielleicht, weil uns die Geschichte Indiens überhaupt ferne liegt oder, weil man von einem »Wunderlande« auch märchenhafte Vergangenheit annehmen zu dürfen glaubt.

Akbar war ein großartiger Politiker. Sein Reich erstreckte sich vom Kerzen Afghanistans bis nördlich von Orissa und Sind. Seine siegreichen Feldzüge waren meist gegen rebellische Provinzen zur Befestigung des Mogulreiches gerichtet, dem er Guzerat, Kashmir und andere Gebiete einverleibte, vor allem aber suchte er durch Heiraten und Allianzen seine Herrschaft zu sichern. Während seiner ganzen Regierung verfolgte er versöhnliche Prinzipien. Er hob das »Jaziah«, die Kopfsteuer für den Nichtmuselmann auf, interessierte sich für die indische Religion und Politik, zollte den Gesetzen der Hindus Achtung, verbot aber ihre unmenschlichen Satzungen. Die »Prüfung durch Gottesgericht«, Wasser- und Feuerproben, die Tieropfer und Rinderheiraten vor der Pubertät untersagte er, legalisierte dagegen die Wiederverheiratung der Witwen. Mit letzteren Maßnahmen erzielte er nur wenig Erfolg, und ganz unmöglich war es ihm, die Witwenverbrennung auf dem Scheiterhaufen des Gatten zu beseitigen. Er konnte nur darauf dringen, daß man sich versichere, ob der Schritt der Witwe auch ein freiwilliger sei. Die barbarische Sitte der Witwenverbrennung bestand fort bis zum Jahre 1875, wo in Lucknow die letzte »Sutti« oder »Sati« stattfand.

Von den verschiedenen Frauen Akbars war eine die Tochter des Maharadja von Jaipur, die andere, seine Lieblingsgattin, die portugiesische Christin Maria, welche auch in Sinkandarah begraben liegt. Akbar war in religiöser Beziehung ungemein weitherzig und pflegte am Freitag, dem Sabbath des Islam, Gelehrte aller Religionen um sich zu versammeln und den Disputen zwischen Brahminen, Muselmännern, Feueranbetern, Juden und Jesuiten unparteiisch zuzuhören. Er ging vom Grundsatz absoluter Toleranz aus, und hatte begonnen, seine eigenen überkommenen religiösen Anschauungen zu kritisieren. Dies führte ihn zur Gründung einer neuen Staatsreligion, des »Ilahiglaubens«, welcher auf einer Zusammenfassung der nach seiner Meinung besten Satzungen der verschiedenen Religionen beruhte. Akbar selbst war das Haupt dieses eklektischen Systems. Jeden Morgen betete er die Sonne, als das Symbol der göttlichen, belebenden Kraft des Weltalls, an, und ließ sich dann vom Volk selbst göttliche Verehrung zollen. – Die wirtschaftlichen Verhältnisse seines Landes ordnete der Kaiser mit großer Umsicht. Er teilte das Reich in Provinzen ein, und die Grundsätze, nach welchen Akbar die Steuern bestimmte, sind heute noch in Geltung. Danach mußte ein Drittel von dem Ertrag eines jeden Ackerlandes an den Kaiser abgegeben werden, wenn man den Unterschied im Geldwert des Silbers von einst und jetzt in Betracht zieht, so betrugen die Steuern unter Akbar das Dreifache von heutzutage.

Eine gute, breite, zu beiden Seiten mit schattenspendenden Bäumen besetzte Landstraße führt nach Sinkandarah. Nach halbstündiger Fahrt sieht man durch die Bäume ein imposantes Tor aus rotem Sandstein mit reicher, weißer Mosaikarbeit schimmern. Durchschreitet man das Tor, ist man aufs Höchste überrascht, sich in einem großen, herrlichen Garten zu befinden, in dem sich ein Grabbau erhebt, wie wir bisher noch keinen ähnlichen gesehen hatten. Er soll teils nach buddhistischen, teils nach arabischen Zeichnungen ausgeführt sein, welch eigenartig gemischte Architektur auf den unreinen Glauben des Erbauers zurückgeführt wird. Das Mausoleum stellt einen sich verjüngenden Terrassenbau dar. Vier luftige, auf feinen Säulen ruhende Stockwerke erheben sich pyramidenartig übereinander; jedes derselben umgibt eine Terrasse, auf die kleine nischenartige Räume münden, gerade so groß, daß ein Mensch darin liegen kann. Den Zweck dieser kleinen Vertiefungen konnten wir nicht ergründen, doch vermuten wir, daß sie einst Schlafstellen von Pilgern gewesen sein mögen. Diese vier Stockwerke sind auf einer großen, ausgedehnten Plattform erbaut und wirken ungemein graziös. Mittels entsetzlich steiler Treppen gelangt man zu den höheren Gelassen. Die oberste Etage ist nur durch einen dunkeln Schacht zu erreichen, der aber auf eine überraschend schöne Terrasse mündet, welche von einer Mauer aus weißem Marmor umgeben wird. Die Mauer wird rings durch Fenster abgeteilt, deren Füllungen in herrlicher Durchbruchsarbeit ausgeführt sind; es sind Vierecke, von denen jedes ein verschiedenes Muster zeigt. Die Wirkung dieser Terrasse ist edel und ruhig.

In der Mitte steht ernst und feierlich der Prunksarkophag Kaiser Akbars, wie er ihn selbst einst angeordnet hat. Die Sprüche »Gott ist der größte«, »Möge sein Ruhm leuchten« sind in die Seitenwandungen eingemeißelt. Im Erdgeschoß, gerade unterhalb der Stelle, an welcher wir den Prunksarkophag oben sehen, ruht unter einer kuppelförmigen Wölbung, die durch die ganze Höhe des vierstöckigen Bauwerks geht, von einem einfachen Grabstein bedeckt, die Hülle des gewaltigen Kaisers. Die Kuppel macht einen überwältigenden, beängstigenden Eindruck. Man fürchtet, sie könne einstürzen und weilt nicht gerne in dem Raum. Ein paar Fuß von dem Prunksarkophag entfernt steht eine weiße Marmorsäule, in der, von Gold umrahmt, einst der berühmte Kohinoor eingesetzt war. Der persische Eroberer, Nadir Shah, entführte ihn nach Delhi; später kam er in englischen Besitz.

In einem zweistöckigen, in ähnlichem Stil wie Akbars Mausoleum gehaltenen Nebengebäude, »Begam Miriam« genannt, liegt Akbars christliche Gattin Maria begraben. Das Gebäude wird jetzt zu einem Waisenhaus verwendet. Die bettelnden Kinder haben hierzulande eine seltsame Art und Weise, ihre Wünsche und Bitten auszudrücken: sie halten die Hände bittend vors Gesicht, deuten dann mit einer Hand auf den Magen, ziehen hierauf schnell ihr Hemdchen in die Höhe, lassen es wieder fallen, und hören erst dann mit diesem Manöver auf, wenn man ihnen etwas gibt. Bis zu dieser Stunde hatte ich, wie gesagt, solche Bettelform nur bei Kindern beobachtet, heute aber, als wir schon im Wagen saßen, trat ein altes Weib an uns heran, machte die oben geschilderten Handbewegungen und entblößte dann einen fürchterlichen Leib, der so entsetzlich aufgetrieben war, daß er zu bersten drohte. Nie sah ich so etwas Häßliches und zugleich so Jammervolles, nie einen so verzweifelten Hungerblick.

Baronin Gemmingen liegt zu Bett mit Schnupfen und Fieber, was bei dieser Temperatur auch kein Wunder ist. Ich staune allabendlich über die Engländerinnen, die trotz der kühlen Temperatur zum Dinner in einer Weise ausgeschnitten und ärmellos erscheinen, als wären wir in den heißesten Tropen. Mich fröstelt, wenn ich die Damen ansehe, obgleich ich ganz in Wolle gekleidet bin und Gummischuhe trage, um mich gegen die Kälte des Fußbodens zu schützen.

 

28. Dezember. Gestern reisten Baron Gemmingens nach Kalkutta ab. – Wir beabsichtigten heute eine Partie nach Gwalior zu machen. Nach zweieinhalbstündigem Warten auf dem Bahnhof erklärt der » stationmaster«, es sei zweifelhaft, ob der Zug heute überhaupt noch käme. Niedergeschlagen kehren wir ins Hotel zurück. Ganz Indien steht während des Durbars auf dem Kopf, alles strömt nach Delhi, und die Züge, die nicht nach Delhi fahren, halten stundenlang auf freiem Felde, um die unendlichen Wagenreihen vorbeizulassen, welche die Gäste des Vizekönigs, die übrigen Fremden und die halbe Bevölkerung Indiens nach der Feststadt befördern.

 

29. Dezember. Diese Nacht dachte ich, Räuber und Mörder würden uns überfallen, ein so entsetzlicher Ton drang plötzlich an mein Ohr. Meine Aya schlummerte bereits unter dem Handtuchständer, und so stürze ich an die Türe, wo aber das Knäuel, der Boy, der sonst hier zusammengerollt zu ruhen pflegt, verschwunden ist. Statt dessen taucht eine weiße Riesengestalt aus dem tiefen Dunkel empor und grinst mich an. Es ist der Nachtwächter des Hotels, der »Tschaukidar«, der seinen Rundgang macht und zur Beruhigung von Mensch und Tier diesen schauerlichen Warnungsruf ausstößt. Ich hatte den Ton schon öfters aus der Ferne gehört, der, aus der Nähe kommend, das Blut in den Adern gerinnen läßt.

Graf Lippe ist von seinem »Ausflug« nach Peshawar sehr befriedigt zurückgekehrt, wenn er auch unter Kälte und Staub gelitten hat und alle Züge überfüllt fand.

Heute morgen, um acht Uhr, fuhren wir mit einem Zweispänner für achtzehn Rupien nach dem zweiundzwanzig Meilen entfernten Fatehpur Sikri. Wir starteten mit sehr guten Pferden, die aber leider halbwegs gegen zwei alte Mähren vertauscht wurden, bösartigen Durchgängern, welche sich kerzengerade auf die Hinterbeine stellten, im Kreise drehten, nicht anziehen wollten, heimdrängten, und mich in Todesangst versetzten. Es war die reine Zirkusszene, nur amüsanter für die Zuschauer, als für uns selbst. Unsere beiden Läufer mußten bald die Räder des Wagens anschieben, bald die Deichsel führen oder gegen dieselbe drücken, um den Wagen aufzuhalten, wenn es den Berg hinunterging, oder sie standen hinten auf dem Wagen, und begannen ein entsetzliches Geschrei, um Fuhrwerke und Menschen zum rechtzeitigen Ausweichen zu veranlassen. Man hörte sein eigenes Mort nicht mehr! »Hatta, hatta« brüllten sie uns unaufhörlich in die Ohren. Die Sprache hat lauter A, und man meint, die Leute rezitierten immerzu Mahabharata und Ramayana.

Durch fruchtbare Gegend führte eine schattige Allee nach Fatehpur Sikri. Ueberall sieht man wogende Reisfelder, Weizen, Hirse, alles gut bestellt und sorgfältig bewässert. Immer wieder gewahrt man plötzlich Ochsenköpfe aus dem Erdboden ragen, was stets das Merkmal für einen tieferen Brunnen ist. Das Heraufbefördern des Wassers geschieht in ganz eigenartiger Weise. Ueber dem Brunnen ist, von zwei Pfosten gehalten, eine Rolle aufgehängt. Das über die Rolle laufende Seil trägt an einem Ende einen großen, ledernen Kübel, an dem andern Ende einen Haken, der leicht am Joch des Ochsen ein- und ausgehängt werden kann. Neben dem Brunnen ist ein Behälter errichtet, in den das geschöpfte Wasser eingegossen wird. Von ihm führen Kanäle in das zu bewässernde Land. Dem Behälter gegenüber schließt sich an den Brunnen die Bahn für die Zugochsen an, sie ist am Brunnen hoch aufgemauert, am andern Ende in den Boden tief eingegraben. Die Ochsen ziehen, vom Brunnen abwärts schreitend, den vollen Masserkübel herauf, während sie umwenden, gießt der bedienende Kuli das Wasser in den großen Behälter und der Kübel sinkt leer in die Tiefe, derweil die Ochsen den Berg wieder heraufsteigen.

Nach etwa dreistündiger Fahrt sahen wir Fatehpur Sikri auf einem kleinen Hügel vor uns liegen. Es wurde von Akbar zur Erinnerung an die Siege über Guzerat erbaut, und war als »Siegesstadt« kurze Zeit seine Residenz. Doch Wassermangel einerseits und anderseits die vorteilhaftere Lage Agras an dem schiffbaren Flusse Jumna, veranlaßte den Kaiser, seinen Sitz wieder nach dort zurückzuverlegen. Fatehpur Sikri besteht ganz aus rotem Sandstein, der aus den nahen Brüchen stammt. Der Stadt liegt ein von Akbar selbst entworfener Plan zugrunde, welcher, weil nachträgliche englische Einbauten zu praktischen Zwecken fehlen, noch heute erkennbar ist. Die einstige »Siegesstadt« wird jetzt nicht mehr bewohnt. Akbars »Haus der Träume«, sein und seiner Hindufrauen »Schlafpalast«, bildet gewissermaßen den Mittelpunkt aller königlichen Paläste. Er ist durch einen unterirdischen Gang mit allen wichtigen Gebäuden der Stadt verbunden, und der Monarch konnte ungesehen seine gelehrten Günstlinge, seine christliche Gattin, seine mohammedanischen und Hindufrauen besuchen oder die Regierungsgebäude erreichen.

Durch den Divan-i-Am fuhren wir in die Stadt ein. Auf einem mächtigen Steinblock sitzend, hielt hier Akbar einst seine öffentlichen Versammlungen ab, vor dem Dack Bungalow verließen wir den Wagen, Hier erwartete uns der Führer. Es war der hohe Priester der Moschee, ein verschlafener, ekelhaft vornehm tuender Bursche, der uns immer wieder versicherte, welche Ehre es für uns bedeute, daß er selbst die Wege weise. Aber seine Hoheit und Würde verschwand, sein gemeines »Ich« zeigte sich, als er beim Abschied den empfangenen Backhschisch für zu gering erfand. – Unsern Rundgang eröffneten wir mit dem Besuch der prachtvollen, tadellos erhaltenen Moschee, die in ihrer Anlage jener von Mekka nachgebildet ist. Durch das »königliche Tor« traten wir auf einen großen viereckigen Platz, der von einer schönen Säulenhalle umschlossen wird.

Auf der rechten Seite dieses Moscheenhofes befindet sich das Grabmal des heiligen Scheiks Selim Tschisti, der einzige weiße Marmorbau in ganz Fatehpur Sikri. Das edle Material ist wieder geradezu unvergleichlich kunstvoll duftig und zart behandelt. Ein paar alte Bäume beschatten das weißleuchtende zierliche Mausoleum, um das herum sich eine ungeheure Menschenmenge versammelt hat. Das Volk feiert durch eine »Mela« – heiliger Jahrmarkt – den Todestag des Heiligen. Acht Tage lang strömt von nah und fern Hindu und Moslem zum Feste. Auf den Stufen des Grabmales steht ein halb Dutzend nackter Musikanten mit ihren »Nagaras« (Trommeln), ihren tieftönenden Mirdangas, ihren Zymbeln und Tam-Tams und vollführen einen Höllenlärm, zwischendurch immer Handbewegungen machend, als wollten sie sagen: »Bitte, nur hereinspaziert!« Und wir spazierten herein und schauten in die Halle, wo der Sarkophag des heiligen Mannes steht. Der ganze Raum ist mit Girlanden bekränzt, das Grab über und über mit duftenden bunten Blumen geschmückt, der Boden bestreut: Alles »Nuzzure« – Geschenke – von Hindufrauen und Mohammedanerinnen, bei denen der heilige Scheik gleich große Verehrung genießt.

Selim Tschisti lebte zu Akbars Zeit, und als dieser Zwillinge verlor und wieder ein Kind erwartete, tötete der Scheik sein sechs Monate altes Söhnlein, damit das Kind, das dem Kaiser geboren werden sollte, am Leben bleibe. Es wurde ein Sohn geboren, der später als Kaiser Jehangier lebte und regierte. Seit diesem »Wunder« wurde der Scheik von allen kinderlosen, kinderwünschenden Frauen verehrt, und das Gitter eines der Fenster seines Grabmales trägt die Zeichen der an ihn gerichteten Bitten. Doch welch seltsames Symbol ist hier gewählt! Wie in der katholischen Kirche für einen Wunsch eine Kerze geopfert wird, so knüpft man hier kurze wollene Fäden von allen Farben in das Marmorgitter. Jeder Faden bedeutet die Bitte um einen Sohn. Bei diesem Anblick fiel mir ein anderer seltsamer Gebrauch ein: Ist nämlich ein Mann auf der Reise gestorben und wurden seine Gebeine nicht aufgefunden, so wird als Sinnbild seines Leichnams aus dreihundertundsechzig wollenen Fäden eine Gestalt gebildet. Nach bestimmten Zahlenverhältnissen reiht man verschiedene Teile des menschlichen Körpers aneinander, und diese »Figur« faßt man mit einem Riemen aus dem Fell einer schwarzen Antilope und einem wollenen Faden zusammen; das Ganze wird mit einem Teig aus Wasser und Reismehl überstrichen und als Sinnbild des in der Fremde Verstorbenen auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Dutzende und aber Dutzende von Frauen hocken betend vor dem geschwärzten Marmorgitter des Grabfensters. Mohammedanerinnen wiegen sich, Koransprüche murmelnd, vor- und rückwärts. Ein ungemein farbiges und originelles Bild bietet der weite Platz, den wir von den Stufen des Grabmales aus überblicken. Unter den Bäumen liegen ganze Familien; sie essen, beten und schlafen. Gruppen bilden sich um Fakire, wie die mohammedanischen Büßer heißen, um Sannyasis, wie sich die Hindubüßer nennen, die über und über mit Asche beschmiert sind, ihre Haare gelb beizen, und deren einzige Bekleidung das an einem grauen Faden hängende Feigenblatt ist. Wie versteinert stehen sie da, mit hochgehobenen Armen, die Augen verdrehend und Sprüche flüsternd. Unter den Säulenhallen sitzen Verkäufer, die Ware » made in Germany« vor sich auf dem Boden ausgebreitet, mit Wort und Gebärden handelnd und feilschend. Von draußen tönt der Klang einer verstimmten europäischen Drehorgel, die uns in dieser Umgebung ganz eigentümlich berührt.

Am andern Ende des Platzes, gegenüber dem Grabmal, führt das »Siegestor« ins Freie. Wir gingen die dem Portal von außen vorgelegte Treppe hinab, und betrachten Don hier das herrliche »Buland Darwazah«, das unter den schönen Toren Nordindiens das weitaus mächtigste und vornehmste ist. Man übersieht eine weite Ebene und eine Reihe von Gebäuden, unter andern die »türkischen Bäder«, die insofern interessant sind, als man in ihnen die Knabenschulen untergebracht hat, in denen Hindustanisch, Urdu, Englisch, Arabisch und Persisch gelehrt wird. Auch ein Brunnen wird gezeigt, der sechzig Fuß tief ist, und in den zu springen ein Haufen Leute sich gegen Backhschisch herzudrängen. Wir ließen aber nicht nach Backhschisch »springen«, weil dieser Sport wirklich einen widerwärtigen Anblick darbietet.

Zurückkehrend, gehen wir durch den Moscheenhof zu einem kleinen grünen Winkel, in dem das geopferte Knäblein des Heiligen begraben liegt. Unser hoher Priester tat diese Stelle mit einer verächtlichen Handbewegung und der zornigen Bemerkung: »Lüge« ab, da nie ein Muselmann seinem Gott ein Menschenopfer dargebracht habe. – Nun folgte ein Besuch der Pferde-, Elefanten- und Kamelställe. Letztere waren durch Lichtluken erhellt, groß genug, daß das Kamel seinen Kopf hindurchstecken konnte, um auf dem Dach des Hauses Luft zu schöpfen, womit nicht gesagt sein soll, daß die Luken eigens zu diesem Zweck ausgespart wurden.

Eine Gattin Akbars, die Sultanin Rukia, hatte hier zunächst ihren Palast »Jodh Bai« mit originellen Kuppeln und blau emaillierten Einlagen und Verzierungen. Daneben liegt »Birbalshaus«, »das größte Schatzkästlein, wäre es nicht der zierlichste Palast«. Nun folgt »Miriamshaus« – reizend vor einem Fischtank gelegen. Hier soll an der Außenwand des Hauses, durch eine Veranda geschützt, eine »Verkündigung Mariä« zu sehen sein, welche sich die christliche Frau Akbars zu ihrer Erbauung malen ließ. Wir gewahrten wohl ein paar Flügel, aber auch ein fürchterliches Ungetüm, das einem Hippopotamus glich. Es ging mir beim Betrachten dieser Farbenklexe wie beim Betrachten phantastischer Wolkengebilde: man konnte herausfinden, was man wollte.

Auf einem gewundenen Weg erreichten wir das Elefantentor, den »Hathi Pol«. Zwei große Elefanten bilden den Bogen. Außerhalb desselben erhebt sich ein merkwürdiger, runder, etwa siebzig Fuß hoher, ringsum mit abgesägten, in Stein imitierten Elefantenzähnen gespickter plumper Turm. »Hiram Minar« ist das Grabmal von Akbars Lieblingselefanten. Der Turm wird von einem Pavillon gekrönt, den Kaiser Akbar als »Anstand« benutzte, um von ihm aus das herangetriebene Wild, Antilopen, Gazellen usw. abzuschießen. Durch zahlreiche Palasthöfe gehend, fiel uns als besonders reizvoll der im Stil an Akbars Grab erinnernde »Panch Mahal« auf, ein fünfstöckiger Kolonnadenbau. Der erste Stock ruht auf sechsundfünfzig verschiedenen Säulen. Auf einer derselben ist ein früchtesammelnder Mann dargestellt, zwar mit abgeschlagenem Kopf, aber doch immerhin eine menschliche Figur, was an einem mohammedanischen Architekturwerk eine ganz außergewöhnliche Erscheinung ist. Der Moslem hält ja die Abbildung des Menschen für eine schwere Sünde. Anschließend an diesen leicht und luftig gehaltenen, mit einem graziösen Kiosk (als fünftem Stockwerk) geschmückten Palast, betraten wir einen Hof, der schachbrettartig belegt ist, und auf dem der Großmogul mit lebendigen Figuren seine Partie spielte.

All die zahllosen und mannigfaltigen Bauten der »Siegesstadt« einzeln zu beschreiben, würde zu weit führen, und ich will nur noch jener Erwähnung tun, die mir ganz besonders bemerkenswert erschienen. Da ist zunächst noch das »Haus der Königinnen« zu nennen. Freilich blieb nur ein kleiner Raum von ihm übrig. Aber seine Wände sind mit einem vier Fuß hohen Marmorsockel – Dado – verkleidet, der Beachtung verdient. Er zeigt Jagdszenen, um die sich Blätter und Blumen von so feiner künstlerischer Auffassung und Ausführung ranken, wie wir ähnliches kaum vorher gesehen haben.

Der Divan-i-Khas ist in seiner Art nicht weniger bemerkenswert wie das »Königinnenhaus«. Von außen betrachtet, scheint die Privat-Audienzhalle ein zweistöckiger Bau zu sein, tritt man aber in dieselbe ein, so befindet man sich in einem hohen Raum, in dessen Mitte eine gewaltige Säule steht. Das pavillonartige Kapitäl derselben, welches sich mit schlangenartigem Motiv in die vier Ecken der Halle auslädt, bildete den Thron des Kaisers bei den Beratungen mit seinen Ministern. Die vier Ecken waren durch eine Galerie mit durchsichtiger Balustrade verbunden, so daß die hier sitzenden Beamten auf derselben zueinander gelangen konnten, aber immer unter den Augen des Herrschers blieben.

Mit dem Besuch des »Hauses der Träume« beschlossen wir unsern Rundgang. Sehr träumerisch sieht der Schlafpalast freilich nicht aus. Das Parterre ist ein großer, düsterer Raum. Auf zwei schön gearbeiteten Sandsteinsäulen ruht eine Plattform, Hier sollen die Hindupriester gewohnt haben. Im übrigen konnte ich nichts Interessantes an dem »Schlafpalast« bemerken. Allerdings hatte die Bezeichnung des Schlafpalastes als »Haus der Träume« ganz besonders phantastische Vorstellungen geweckt und die Erwartungen hochgeschraubt. – Mehrere schöne Tanks ziehen sich von diesem Palast dem Divan-i-Khas zu, und auch die Schmalseite des »Panch Mahal« liegt an ihnen. Hier werden wohl einst die höchsten und allerhöchsten Herrschaften ihr Morgenbad genommen haben, und so ekelhaft wie heute, dürfte das Wasser damals kaum gewesen sein. Mit ganz geringem, unterirdischem Zufluß – ich glaube nicht an denselben – und einem ebenfalls zweifelhaften minimalen Abfluß steht das während der Regenzeit sich ansammelnde Wasser drei bis vier Monate in ausgemauerten Bassins und dient nicht bloß zum Baden und Waschen, sondern heute, wie damals, auch zum Trinken.

Wir lohnten nun unsern Führer ab, der sich beim Empfang seiner drei Rupien höchst unpriesterlich benahm, wütend spuckte und schimpfte.

Im Dack Bungalow hatte der Boy das mitgebrachte Tiffin bereit gestellt, und der Frühstückskorb mit der Teemaschine leistete vorzügliche Dienste. Von dem Söller des Saales warfen wir noch einen Blick in die weiten Lande und über das Gebiet der einstigen Stadt, das von einer roten, stumpfzackigen Mauer umgeben ist, und fuhren dann, höchst befriedigt von dem Ausflug, nach Agra retour. Auf dem Rückweg begegneten wir langen Reihen von Frauen. Sie zogen, monotone Lieder singend, Hand in Hand nach dem heiligen Markt von »Fatehpur-Sikri«. – Das Bild, welches der Nachmittag bot, war von dem des Morgens ganz verschieden. Als wir heute früh durch die Dörfer fuhren, saßen die Menschen, in dicke Decken gehüllt, dumpf, still und verfroren vor ihren Häusern. Sie blickten verlangend nach Osten, der Sonne und ihrer wärmenden Strahlen harrend. Jetzt war alles reges Leben. Alt und jung ließ Drachen steigen und verfolgte deren Flug mit höchstem Interesse.

 


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