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Darjeeling

Neun Stationen liegen zwischen Siliguri und Darjeeling. In Kurseong, etwa fünftausend Fuß hoch, steht ein lunch für uns bereit, das ganz außergewöhnlich schmackhaft aussieht und es auch tatsächlich ist.

Die Bahn führt mitten durch den Ort Kurseong, und groß und klein ist zusammengeströmt, um uns anzugaffen. Aber wie sehen die Menschen hier aus, welch ein Gegensatz zu den bisher gewohnten, schönen, ernsten Hindus!

Die Buthias, denen wir hier zum erstenmal begegnen, sind ein Bergvölkchen, das im Osten des Bezirkes Darjeeling haust. Wir haben es mit einem Mongolenstamm von abschreckender Häßlichkeit, aber mutwilligem und ausgelassenem Charakter zu tun. » Slam, Sab, Bocksiss« (Salâm, Sahib, Backhschisch) ruft es von allen Seiten. Das sämtliche Bettelvolk ist reich mit Schmuck behängt. Alle bieten alles zum Kaufe an, als ich aber einer Frau, die höchst aparte lange Türkisohrringe trägt, statt der vierzig Rupien, die sie verlangt, zwanzig biete, streckt sie mir, zum Hauptspaß der Mitreisenden, ihre ungeheure Zunge heraus und schlägt sich höhnend auf – die breiten Hüften. Uebrigens soll das Herausstrecken der Zunge in Tibet eine ehrfurchtsvolle Begrüßungsform bedeuten! – Endlich setzt sich der Zug in Bewegung, und die ganze Dorfgesellschaft begleitet ihn noch eine Weile, indem sie bettelnd und schreiend nebenherläuft!

Obwohl lange Wärmflaschen in die verschiedenen Wagen geschoben worden sind, empfinden wir die Kälte bitter. Ein dichter Nebel hüllt uns ein, so daß wir kaum das Nächste unterscheiden können. Bäume beginnen zu fehlen. Ueber die Berge dehnen sich Teeplantagen; die Pflanzen gleichen bukettartigen Büschen, die in regelmäßigen Abständen gesteckt sind, d. h. aus Saatkörnern gezogen werden. Die Teestauden liefern nach drei Jahren ihre erste Ernte. Sie werden sehr alt, haben ein der Kamelie ähnelndes Blatt und eine stark duftende, der Orangenblüte verwandte, weiße Blume. Von April bis November werden die frisch sprossenden Blätter mit einem Gartenmesser »gepflückt«, dann gewiegt und auf einem gedeckten Boden über Bambusgittern getrocknet. Während einer Nacht bleiben die gewiegten Blätter zum Welken liegen, dann werden sie gerollt und schließlich über Holzkohlenglut auf einem Drahtsieb gedörrt. Der Himâlayatee besitzt vielleicht zu viel Aroma, und durch einen Zusatz von Suchongtee mag er für viele wohlschmeckender werden. Eine Adresse für vorzüglichen Tee ist: Mr. Livermoor, Nagi Spur, Himâlaya. Der Tee hält sich am besten in Kisten, welche aus dem Holz der eschenähnlichen indischen Zeder angefertigt werden.

Immer noch von dichten Wolken umgeben, hören wir plötzlich den Ruf » the snows«, und aufblickend gewahren wir, hoch über uns in blauen Lüften schwebend, gleich einer Vision, die weiß leuchtende Schneekette des Kinkingjunga. Noch ehe wir die Herrlichkeit recht erfaßt hatten, war sie auch schon wieder in den treibenden Nebeln verschwunden. – Mittags gegen zwei Uhr fahren wir in die kleine Bahnhofshalle von Darjeeling ein. Starr vor Kälte, klettern wir aus dem Wagen. Der Manager des Hotels, in dem wir Quartier bestellt hatten, ein höflicher Engländer, erwartet uns. Die Kulis, die sich wie die Wilden auf unser Gepäck stürzen, sind höchst merkwürdige Gestalten, lauter tibetanische Weiber, breitknochig, stumpfnasig und schmutzig! Die stämmigen kleinen Frauen türmen die Koffer in ihre Tragkörbe, oder sie schlingen einen breiten Gurt um ihre Last und legen das Tragband wie ein Diadem um die Stirne, auf diese Weise den Nacken mit der ganzen Schwere belastend, während Brust und Schulter frei bleiben. In dieser Gegend, wo kaum hundert Schritte ebener Boden zu sehen sind, mag solche Art des Lastentragens sehr praktisch sein.

Als wir aus der Bahnhofshalle ins Freie traten, fiel ein Sonnenstrahl durch die Nebel und beleuchtete flüchtig das liebliche Bergstädtchen. Wir besteigen die bereitstehenden Rickshaws und werden von je drei Männern den stark aufsteigenden Pfad hinaufgezogen und geschoben. Die Kulis schnaufen und stöhnen mir fürchterlich in die Ohren. Ich wäre gerne zu Fuß gegangen, doch trug ich meine ganze Garderobe auf dem Leibe und hätte mich nur schwerfällig einherwälzen können. Aber trotz der vielen Kleider friere ich. Wir fühlen uns wie an den Nordpol versetzt, obwohl das Thermometer zwölf Grad Wärme zeigt. Die Hitze und dumpfe Schwüle Kalkuttas liegt uns noch in den Gliedern.

In schnellem Tempo brachten uns die Kulis an das »Woodland Annexhotel«, einen weiß und rot gestrichenen, freundlichen Sommerbau mit Erkern, Balkons und großen, hohen Fenstern, nicht viel anders als das Hotel eines Schweizer Luftkurortes. Leider waren die Zimmer, die man im Parterre für uns bereit hielt, feucht, finster und kalt. Das Feuer, das im Kamin brannte, erwies sich als ein Schaustück! Wir lehnten es sofort ab, diese Zimmer zu beziehen, worauf jedoch die Managerin mit aller Liebenswürdigkeit, aber auch Entschiedenheit erklärte, daß ein Wechsel erst morgen möglich sei. Diese Hausdame war das merkwürdigste Exemplar einer englischen Miß, das mir je vorgekommen. An ihr gewahrte man nichts von der gleichgültigen Ruhe ihrer Landsleute, die zu allem »Aoh« hauchen. Ebenso gewalttätig als fürsorglich dekretierte sie, daß wir uns vor dem Tiffin nicht mehr zu waschen hätten, riß flugs die Leintücher aus den Betten, um sie am Kamin zu trocknen und zu wärmen, und wartete an der Tür, bis wir kamen. Staunend und völlig entwillt, folgen wir ihrem Befehl und eilen zum Tiffin, das uns im Nebenhaus in einem großen Saal serviert wird. Ueberall in den Lese-, Billard- und Speisesälen lodern in Feuerstellen mächtige Holzscheite. Viele kleine Tische stehen in dem geräumigen Speisesaal verteilt, alle reinlich gedeckt und mit grünen Blättern freundlich geschmückt, wären wir nicht die einzigen Gäste in dem weitläufigen, kalten Hause, hinge nicht ein Nebelschleier vor den kolossalen Fenstern und verhüllte alle Aussicht, pfiffe nicht ein eisiger Wind vom Himâlaya herab, es könnte hier ganz gemütlich sein.

Nach dem Tiffin gingen wir hinter dem Hotel die Hauptstraße, die »Mall«, hinauf. Wir hofften auf der Höhe des Berges, wo das Observatorium liegt, einen Sonnenblick zu erhaschen, um endlich eine Vorstellung von der Gegend zu empfangen, in der wir uns befanden. Als wir aus dem kleinen Garten des Hotels traten, stürzten von allen Seiten höchst fragwürdige Gestalten auf uns zu. Waren es Weiber, waren es Männer, wer konnte aus diesen schmutzigen Chinesen- und Kalmückengesichtern das Geschlecht erkennen, da es der Anzug nicht unterschied. Es waren Händler, von denen jeder uns einen andern fremdartigen Gegenstand unter die Nase hielt. Jeder zog etwas neues aus seinem Kittel, der sich über dem Wagen hoch aufbauschte. Dolche, Messer, Gebetsmühlen, Heiligenhäuschen, Türkise, Ringe, Kolliers und Ohrgehänge und vieles andere lag in diesem Magazin verborgen.

Nicht ganz mühelos gelangten wir auf den schmalen Berggrat, der nach beiden Seiten steil, ja, beinahe schroff ins tief unten liegende Tal abfällt, und auf dem der einzige bequeme Spaziergang in Darjeeling angelegt werden konnte. Während der Saison, von April bis November, spielt hier » the band«, d. h. die Musikkapelle, zu der sich die Sommerfrischler versammeln. Ein wenig höher liegt die meteorologische Station, kurzweg »Observatorium« genannt, von der aus man eine herrliche Rundsicht haben muß, wenn die Ferne nicht durch die Nebel verhüllt ist. Heute sahen wir nur die nächsten Höhen und Täler und das reizende Darjeeling, das über den langen Berg hin weit ausgedehnt liegt, und dessen zierliche Holzvillen und Bungalows am Berghang oder auf kleinen Felsterrassen malerisch, halb versteckt zwischen prachtvollen Bäumen und leuchtenden Blütenranken, vorlugen. Schöne Tannen, Eichen, Birken und Ahorne stehen überall in den Gärten. Die Laubbäume sind entblättert und zeigen, daß es Winter ist, was man aber nur schwer glaubt, denn Magnolien, Geranien, Fuchsien und Rosen blühen, und blaue Veilchen stehen am Wege.

Von unserm Stadtpunkte aus fällt ein großes, mit einem roten Dach und gelben Veranden umzogenes Gebäude vor allem ins Auge: das Sanatorium für Militärs und Beamte. Wieder höher als dieses liegt der Palast des Bischofs und seitlich die Paulskirche. Aufgeregt standen wir auf der Höhe, fieberhaft hoffend, die Schneekette möchte sich uns zeigen. Doch vergebens! Wir mußten uns mit dem Blick hinab ins Tal begnügen, in welchem 2000 Meter unter uns der Randschidfluß den Fuß des Himâlaya bespült. Hinter dieser gewaltigen Bergkette liegt im Norden Tibet, das höchste Bergland der Welt, das geheimnisvolle Priesterreich des Dalai Lama (Priesterozean). Seit fünfhundert Jahren ist Lhassa die Residenz des Dalai Lama, der für eine immer sich erneuernde Inkarnation Buddhas gehalten wird und, umgeben von fünfundsiebzig Priestern, in einem herrlichen Palast, quasi als Gefangener, lebt. Inzwischen wurde der Dalai Lama durch seine priesterliche Leibwache entführt, während die Engländer in großer Anzahl das geheimnisvolle Land, die verbotene Stadt aufsuchten, allein wenig von der sagenhaften Pracht und Herrlichkeit, dagegen desto mehr Schmutz und Unreinlichkeit vorfanden. Der jetzige Dalai Lama ist sechsundzwanzig Jahre alt, ein großer Heiliger, der sich all seiner früheren Wiedergeburten auf Erden erinnert. Er lebt im Zölibat. Doch wird dasselbe nicht allzu streng geübt, denn es gibt für ein Mädchen keine größere Ehre, als wenn es durch seine Gunst beglückt wird.

Der Distrikt Dar-rgjas-glin, d. h. auf tibetanisch »Land des diamantenen Donnerkeils des Lama«, das die Engländer Darjeeling aussprechen, liegt auf den südlichen Vorbergen des Himâlaya und schiebt sich schmal zwischen vier andere Staaten ein. Im Norden liegt außer Tibet der kleine britisch-indische Schutzstaat Sikkim mit seinen Teufelsanbetern; im Westen das unabhängige Königreich Nepal; im Osten das geistliche Fürstentum Bhutan, in dem Vielweiberei herrschen soll. Von letzterem haben die Engländer einen Streifen annektiert.

Die Wolken senken sich von neuem, und wie Inseln schwimmen die Gipfel der Riesentannen auf dem Nebelmeer. Es steigt höher und höher und hüllt uns schließlich ganz in grauen Dunst. Auf abschüssigem Weg gingen wir nun den Berg hinab, an dem unterhalb des Hotels sich Laden an Laden reiht, gerade wie in einem Badeort. Zunächst dem Gasthof steht ein Haus, das den stolzen Namen »Museum« trägt, und vor dem ein kleiner Hindu in einem roten Affenfrack auf und ab spaziert. Wir treten neugierig in das »Museum«, entdecken aber bald, daß wir uns in einem gewöhnlichen Antiquitätenladen befinden, wo echte und falsche Sachen zu ungeheuren Preisen zu kaufen sind. Doch wird hier nur auf die Amerikaner und ihre Kauflust spekuliert, wie uns Herr Möbius, ein Berliner Kind und Eigentümer des Ladens, ganz offen bekannte. Als Friseur begann der Herr seine Laufbahn, jetzt ist er Antiquar und Buddhist und hofft, einst als »Lama« – als »Führer zur Weisheit« – in Tibet einzudringen, vorerst beabsichtigt er übrigens, mit seinem Lehrer, einem anerkannten »Mahatma«, eine Vortragsreife durch die Welt zu machen. Möbius ist ein amüsanter Schwadroneur und hat uns gewiß furchtbar angelogen. Er zeigte uns in seinem Laden höchst seltsame Gefäße und Instrumente, die in Tibet gebraucht werden. Da hing z. B. eine Trompete, die aus dem Schenkelknochen eines Lamas gefertigt sein sollte; ein Affenschädel, der dazu dient, die Asche von Lamas aufzunehmen; ein Tam-Tam aus den Schädelknochen eines gesteinigten Ehebrecherpaares und dergleichen angenehme Schauderdinge mehr. Ich kaufe mir ein dreischneidiges Teufelsmesser, dessen sich die Lamas zur Beschwörung der Dämonen bedienen. Herr Möbius zeigt uns auch eine Schürze, auf der, geheimnisvolle Zeichen bildend, Menschenknochen in allen möglichen Farben aufgemalt sind. Der Medizinmann legt sie an, wenn er Kranke besucht. Reizende Schmucksachen waren in großer Auswahl ausgestellt: Kostbare Waffen, Kostüme, Stickereien und ungeheure silberne Teekannen, wie sie bei den großen » receptions« der Lamas verwendet werden, wenn die Gläubigen diesen Priestern alljährlich an bestimmten Tagen ihre Opfergaben zutragen.

Leider wird es schon um halb sechs Uhr dunkel. Um die kalten Abende zu verkürzen, ist die Speisestunde auf sieben Uhr anberaumt. Wir machten trotz des Verbots der herrischen Miß Toilette, von dem allabendlichen Bad aber sah ich hier oben in den Bergen ab. Erfüllte es mich doch schon mit Schaudern, nur die Tür des sogenannten Baderaumes zu öffnen, der nichts anderes als ein Luftschacht ist, welcher durch das ganze Haus geht, und aus dem eine eisige Kälte herabsinkt. Zugedeckt und bekleidet mit allem, was wir hierzu Verfügbares hatten, krochen wir bald nach dem Dinner in die ungewohnt weichen Betten. Aber ich konnte nicht schlafen. Immer wieder sprang ich aus dem Bett, um zu sehen, ob der Mond die Wolken noch nicht zerstreut habe, die Berge noch nicht sichtbar würden. Da, gegen vier Uhr, fällt ein heller Lichtstrahl in unser Zimmer. Der Mond stand leuchtend am Himmel. Ich ergreife eine Decke und laufe auf die andere, dem Himâlaya zugewandte Seite des Hauses und stehe, sprachlos vor Bewunderung, einem märchenhaft schönen Anblick gegenüber. Aus weißem Nebelmeer ragt, lichtüberflutet, in erhabener Größe die majestätische Schneekette des Kinchinjunga silberflimmernd hervor. Dieser erste Anblick des stolzen, unermeßlichen Gebirgszuges war überwältigend, und es ist unmöglich, durch eine Schilderung auch nur annähernd eine Vorstellung des Eindrucks zu wecken, den er auf mich machte.

 

11. Januar. Sonntag. Wir haben unser Zimmer gewechselt und wohnen gegen täglich zehn Rupien wahrhaft fürstlich. Im Vorzimmer, das unsere Miß freilich »Salon« nennt, kampiert auf einem kleinen Ecksofa die Aya, welcher der Boden zu kalt geworden ist. Wo der Boy seine Nächte verbringt, weiß der Himmel; ich fürchte, im Dorf bei Spiel und Whisky, weil er des Morgens so sehr verträumt und verschwollen aussieht. Ueberhaupt scheint es mir, als ob Boy und Aya am liebsten durchgingen, fehlte ihnen nicht das bare Geld hierzu. Sie frieren aber auch wirklich zu furchtbar.

Heute ist der große sonntägliche Markt. Von nah und fern strömt die Landbevölkerung herzu, und die Arbeiter der Teeplantagen kommen von den Bergen herab, um sich für die Woche zu verproviantieren. Wie alle Wege in Darjeeling, führt auch der zum Basar steil hinunter, und der Markt selbst ist der einzig nennenswerte, horizontale Platz der ganzen Umgegend. Eingeborene, wie Fremde benutzen, um die Auf- und Abstiege bequem zu überwinden, irgend eine Fahr-, Reit- oder Traggelegenheit. Neben den Rickshaws ist der mit einem verstellbaren schwarzen Wachstuchdach versehene Tragstuhl – Dandy genannt –, in dem man halb liegt, halb sitzt, ein beliebtes Transportmittel. Außerdem stehen an den steilsten Berghängen kräftige Ponys in Bereitschaft, deren sich auch die Eingeborenen bedienen.

Begleitet von der gestrigen Händlerschar, die den ganzen Morgen auf unsern Ausgang lauerte, wählten wir, um den Basar schneller zu erreichen, einen Abkürzungsweg, der einer Bergpartie gleichkam. Viele Reihen parallel erbauter kleiner Läden, alle mit runden Wellblechdächern gedeckt, erstrecken sich rings um den Marktplatz. Aber welch ein Getümmel und Gewimmel herrscht hier! Welch ein Gemisch von Typen steht da in Gruppen zusammen! »Leptschas« aus Sikkim, Mann und Weib in gleichem Gewand, der Mann bartlos wie ein Weib, nur daß er zum Unterschied von seiner Frau Gemahlin einen langen Chinesenzopf statt zweien den Rücken herabhängen hat. »Lopos«, auch aus Sikkim gebürtig, klein und dunkel wie schwarze Gnomen. Nepalesinnen mit großen Ringen durch die Nase, die Brust über und über mit lang herabhängenden Ketten geschmückt. Tibetaner, hohe, helle Mongolen mit langem Zopf und wenig Bart. Ihre Weiber tragen die farbige Schürze rückwärts, um sich beim Niedersetzen nicht zu beschmutzen. Die Schürzen werden von entzückenden Gold- oder Silberketten um die Taille gehalten und linksseitig durch einen fein ziselierten Pfau geschlossen. Die Hauptzahl der Marktbesucher aber bilden die Bhuttas, die auf der andern Seite unseres Bergrückens wohnen. Es sind buddhistische Mongolen, breitknochig und kräftig. Sie tragen einen langen Zopf, einen runden Filzhut, dessen Krempe nach aufwärts gestülpt ist, weite Hosen, eingewickelte Beine, Sandalenschuhe und ein langes, farbiges Blusenhemd. Sie sind furchtbar schmutzig, aber von ausgelassenster Heiterkeit, die einen nach all dem sorgenvollen Ernst des Hindu wohltuend berührt. Es wirkt verblüffend komisch, wenn die Schönen von Bhutta – gedrungene Weibergestalten – mit der Fußspitze nach einer Flaumfeder, die sie in die Luft geblasen haben, wie nach einem Ball schlagen und nun trachten, sie so oft wie möglich zu treffen. So ein breitschädeliges Weib im Sonntagsstaat mit ihrem glattgescheitelten Haar, hinter den Ohren angeflochtenen Zöpfen, großen, dekorativen Türkisohrringen, silbernen Halsreifen, Perlenschnuren, buntem Rock, weiten Chinesenärmeln und nackten Füßen, sieht trotz ihrer grotesken Erscheinung, wenn sie sich dem Flaumballspiel hingibt, in ihrer plumpen Derbheit und harmlosen Munterkeit ganz sympathisch aus. Ihr Frohsinn artet freilich oft in Balgerei aus, und wenn sie sich unter Lachen, Schreien und Fluchen in den Haaren liegen und an den Zöpfen zausen, gleichen sie dicken Wildkatzen.

Abscheulich ist das von den hiesigen »Damen« angewandte Heil- und Schönheitsmittel. Sie beschmieren sich nämlich das Gesicht mit Schweinsblut. Dies gilt einerseits als beliebtes Sympathiemittel gegen Neuralgie, anderseits wird es als » cold cream« benutzt, um die Lederhaut der Schönen schmiegsam zu machen. Possierlich sind die heiratslustigen Witwen, die, um ihre Wünsche zu offenbaren, sich die Nase schwarz lackieren.

Das Gedränge zwischen den Buden ist geradezu toll. Alles, was der Eingeborene bedarf, kann er hier haben: Obst, Oel, Eier, Süßigkeiten, Milch; letztere ist in dicke, ausgehöhlte Bambusröhren eingefüllt. Es gibt Kleider, Regenschirme, Pelze und anderes mehr. Abseits von den Buden, auf Tüchern ausgebreitet, liegen Haufen von blauen Perlen oder, vorsichtig auf Kistendeckel sortiert, echte oder unechte Türkise – chi lo sa? – in allen Tönen und Größen. Ueberall hocken ganze Familien, den Säugling in einem Holzkasten unter dem Arm oder im Tragkorbe auf dem Rücken. – Durch die Menge drängt sich ein tibetanischer Bettler, seinen großen Stock in der einen, die Gebetsmühle in der andern Hand. In einem Sack, der um die Schultern hängt, sammelt er die milden Gaben der Marktweiber und verschmäht auch nicht den Backhschisch der Fremden. Und dort? Mas stampft da für ein Riesenweib in hohen Schaftstiefeln und weißem Schafpelz als Mantel über den Platz? Ist das wirklich eine Frauensperson mit dem Buschmannskopf und dem kleinen Matrosenhut schief auf dem Ohr? Und das alte Wesen hier? Lebt es noch? Es ist die Hexe von Lhun, über hundert Jahre alt, mit hunderttausend Falten im Gesicht und noch mehr Lappen um den dürren Leib. Hoch zu Roß drückt sich ein Lamapriester zwischen den Verkaufsständen hindurch. Mit seinem kahlen Schädel und seinem durchtriebenen Gesicht sieht er wie ein »Schwerverbrecher« aus. Um den Hals trägt er ein kleines Kapellchen, in dem ein Buddha sitzt; sein gelbes Gewand macht ihn als Tibetaner kenntlich, während ein anderer Lama zu Fuß, mit einem kleinen Diener hinter sich, beide im roten Rock, aus Bhutia Busti (Dorf) kommen. Wir sind umringt von Männern und Weibern, die ihr ganzes Vermögen in aneinandergereihten Münzen um den Hals tragen und außerdem mit Korallen-, Bernstein- und Türkisketten schwer behängt sind. Alles ist ihnen feil. Reizende kleine, mit Türkisen besetzte, achteckige Amulette, »Ghaus« genannt, die Pergamentstreifen mit besonders wirkungsvollen Gebeten enthalten, wurden uns angeboten. Ferner zeigte man uns kleine Charivari, die auf der Schulter eingehängt getragen werden und aus Schaber, Ohrlöffelchen und Schere bestehen. Wir wurden schier erdrückt. Jeder will verkaufen, jeder uns betrügen, und besonders ein schönes Bhutiamädchen hatte es auf die Herren abgesehen, die Ring auf Ring von ihr erhandelten. Graf Lippe machte durch seine Erscheinung und durch seinen zarten Teint Furore. Alles drängte sich um ihn. Wenn die Gesellschaft gar zu aggressiv wird, richte ich mein Objektiv, das sie fürchten wie den »bösen Blick«, auf sie; die Leute fliehen, aber nicht, ohne daß sie die Hand nach rückwärts strecken und »Bocksis« rufen, um sich dann, unbekümmert um die Folgen, für eine Anna photographieren zu lassen.

Unterhalb des Marktes resp. des Basars liegt der schöne botanische Garten.

Nachmittags gesuchten wir das Dorf Bhutia Busti, das auf der andern Seite des Darjeeling-Berges liegt. Bei tausend Fuß steigt man hinab. Auf halbem Wege kommt man an einer Dagoba oder Stupa vorbei, die von einer weißen Mauer umgeben ist. Sie wird überragt von einem flach gewölbten Kuppelbau mit goldener Spitze. Ihr Inneres enthält wohl eine kostbare Reliquie. Von dem europäischen Witz aber wird sie als das Grab eines Lamà bezeichnet, der sich einmal in seinem Leben badete und daran starb. Hinabsteigend, begegneten wir noch vielem Volk, das zu Markte zog: Kuliweiber mit schweren Lasten, unaufhörlich die Gebetsmühle schwingend; behäbige Männer auf flinken Ponys und ein reizendes Bhutiamädchen, das in vollem Sonntagsstaat, eine Dienerin hinter sich, mit gefalteten Händen züchtig den Berg hinaufschritt.

Den Hauptanziehungspunkt des Dorfes bildet sein Tempel. Die in Tibet übliche Form der buddhistischen Lehre ist korrumpiert durch das hier eingewurzelte Schamanentum. Die tibetanischen Priester heißen wie jene von Bhutia, Lamas. Ihre Würde erbt sich von Geschlecht zu Geschlecht fort; man findet unter ihnen ebenso die gelehrteste, wie die unwissendste Geistlichkeit. Die Exemplare von Lamas, die wir hier sahen, gehören gewiß zu den niedrigsten ihrer Gattung.

Der Tempel ist ein baufälliges Bretterhaus, rings von hohen Bambusstangen umgeben, an deren Spitzen kleine Wimpel im Winde flattern; auf ihnen stehen Gebete geschrieben, die, so oft sie der Luftzug bewegt, demjenigen als gesprochenes Gebet zugute kommen, der das Fähnchen gehißt hat. Man betritt den Tempel durch eine schmale Halle, welche Luft und Licht durch die Tür empfängt. Vor der Tür stehen ein paar große Gebetsmühlen aus bunt bemaltem Holz, in denen auf Papierstreifen der Spruch »Om mani padme hum«, zu deutsch »O Du Edelstein auf dem Lotos, Amen«, sich unzählige Male wiederholt; jede Umdrehung wird dem Gläubigen, wie bei jenen im Winde flatternden Bändern, als selbstgesprochenes Gebet angerechnet. In der Halle hängen rechts und links zwei große Trommeln zum Gebetrufen. Der am Eingang sitzende Mann ließ sie uns zu Ehren ertönen. Ein schöner Klang scholl in die Weite. Das Innere des Tempels ist ein viereckiger, dunstiger Raum und schien mehr einem Tändlerladen als einem Götterhaus zu gleichen. Vor einem vergoldeten Buddha, der, müde lächelnd, hinter Glas und Rahmen sitzt, brennen ein paar tauchende Oellichter, die einen entsetzlichen Geruch verbreiten. Auf einem schmalen Altarbrett stehen Reis- und Butteropfer. In einer goldenen Schale schwimmt in Oel und Butter ein brennender Docht, und die von dieser ewigen Lampe aufsteigende warme Luft treibt eine über ihr hängende Windmühle, auf der wiederum Gebete geschrieben stehen. Vor der Schüssel steht der gebrechliche Lehnstuhl des Oberlamas, dem der Schädel seines Vorgängers als Trinkgefäß dient, um ihm hierdurch die Vergänglichkeit alles Irdischen stets gegenwärtig zu halten.

Der Eindruck des Tempels ist nicht erhebend, wir waren daher froh, ihn bald verlassen zu können. Als wir ins Freie traten, verrichtete eben ein halbes Dutzend Bhutiaweiber ihre Andacht, indem sie sich dreimal auf die Knie warfen und mit der Stirne den Boden berührten. Dann rannten sie fort, schnell noch im Vorüberlaufen ein paar Gebetsmühlen für sich in Bewegung setzend.

Ins Hotel zurückgekehrt, trafen wir zwei Münchener Herren, denen wir schon in Benares begegnet waren. Sie erzählten von einer projektierten Tour in das benachbarte Sikkim. Als wir von diesem Plane hörten, entschlossen wir uns zu Gleichem, änderten aber unsern Sinn auf Anraten der energischen Miß. Sie empfahl dringend einen Ausflug in den Himâlaya und meinte mit Recht, Städte und Menschen aller Art hätten wir gesehen, aber Berge, Täler und Riesenketten, wie sie die Tour nach Phallut uns zeigen werde, gäbe es auf der Welt nicht wieder. Also auf nach Phallut! Wir setzten die Expedition auf Mittwoch, den 14. Januar fest, engagierten einen Koch, der Führer und Dolmetscher zugleich ist, siebenundzwanzig Kulis, um den Proviant, die Betten und mich selbst zu transportieren, da ich den Ausflug in der Dandy zu machen gedenke. Der Koch erhält täglich zwei Rupien, jeder Kuli acht Annas. Meine Dandy kostete im ganzen zweiundzwanzig Rupien, Alfreds Pferd (mit Wechsel) vierzig und, die Verpflegung eingerechnet, soll sich die Tour für sieben Tage auf zirka zweihundertsechzig Rupien = dreihundertvierundsechzig Mark stellen.

Im Hotel haben sich große Veränderungen ergeben. Alle Fenster sind beleuchtet, und es wimmelt von Menschen. Eine aus zwanzig Personen bestehende Stangensche Reisegesellschaft ist wie eine wilde Horde über den Gasthof hereingebrochen. Ein Unsichtbarer schreit seine Beschwerden aus jeder Tür auf den Korridor und schlägt diese dann wütend zu, weil die Klagen ungehört verhallen. Im Speisesaal herrscht großes Leben. An den kleinen Tischen hat sich die Gesellschaft in Gruppen zusammengefunden oder separiert, denn es scheint nicht lauter Glück und Eintracht unter diesen durch den Zufall zusammengeführten Menschen zu herrschen. Nur drei nette alte Herren, die »gedreßt« hinter einer Flasche Rotspon und einer Bulle Sekt sitzen, machen den Eindruck vergnügter Leute, wenn auch mit nobler Reserve. Aber trotz des vollen Saales war es nicht behaglicher, nicht wärmer als vorher, denn die Muselmänner, welche Kellnerdienste versehen, laufen wie der Sturmwind um die Tische herum, zwischen Küche und Saal hin und her, bringen eisig kalte Luft herein und verursachen mit ihren langen Kaftans einen Zug, daß man fröstelnd noch näher an den Kamin rückt, um dann auf der einen Seite zu schmoren, während die andere erstarrt.

 

12. Januar. Um sechs Uhr früh werden wir durch ein hundertfaches »Boy«rufen geweckt. Doch, wo soll ein Boy herkommen, wenn man keinen mitbringt? Von der ganzen Gesellschaft hat ja nur das österreichische Ehepaar einen Diener bei sich. Die »Stangenschen« wollen heute nach »Tiger-Hill«, dem besuchtesten Aussichtspunkt von Darjeeling, reiten, um endlich einmal den Kinchinjunga in seiner ganzen Glorie zu erblicken. Hoffentlich sehen sie mehr, als wir hier, die kaum einen flüchtigen Blick von den stolzen Majestäten erhascht haben. Nachmittags erscheint Leutnant K…, einer der deutschen Herren, und berichtet, daß er und sein Freund die anfänglich geplante Tour aufgeben mußten, weil die englische Behörde keine Garantie für sichere Rückkehr übernimmt und sehr warnt, Leben, Gut und Geld aufs Spiel zu setzen. Sie gehen deshalb nur nach Sikkri, das aber auch außerhalb des englischen Gebietes liegt. Leutnant K… bat uns um unsern Revolver, doch siehe, es stellte sich dabei heraus, daß wir die Waffen, die wir pflichtschuldigst durch ganz Indien geschleppt, in Kalkutta gelassen hatten. Ein alter »Schießprügel« konnte im Hotel aufgetrieben werden und vielleicht ist dieses weithin sichtbare Feuerrohr sogar besser, als ein kleiner, unscheinbarer Revolver.

Nach dem Dinner soll ein sogenannter »Lamatanz« stattfinden.

Es hat kaum drei Grad Wärme, trotzdem sitzen wir im Freien. In dem kleinen Vorgarten des Hotels sind Teppiche auf den Kiesboden gelegt, Sofas, Sessel und Stühle aufgestellt. Alles ist mit Fahnen, Lampen, Lampions, kleinen Oellämpchen und großen Windlichtern verziert und beleuchtet. Um neun Uhr erschallt eine seltsame, mißtönende Musik. Wir eilen hinaus. Bis an die Nase eingewickelt, nehmen wir dicht gedrängt auf den Sitzen Platz.

Auf der ansteigenden Wiese steht ein halb Dutzend Sänger und eben so viele Musikanten. Sie leiten den Tanz durch einen wüsten Gesang mit Trommelbegleitung ein. Es sollen Lamas sein, welche singen, die Trommeln und Tam-Tam schlagen, während der jetzt beginnende Reigen ein Volkstanz der Bhutias ist, der durch Kulis ausgeführt wird. Zuerst tritt ein Mann mit einem Knaben oder einem Mädchen auf. Wer kennt hier die Geschlechter auseinander?! Sie drehen sich ruhig im Kreise, Zwiegesänge einfügend, die mit einem lang ausgehaltenen Ton schließen. Dann folgen die Produktionen zweier gehörnter Lindwürmer, welche aus je zwei Männern hergestellt sind, die durch ein langes Fell verbunden werden. Ihre Bewegungen sind höchst merkwürdig, und man glaubt ein Fabeltier zu sehen. Die Leute sind außergewöhnlich geschickt und voller Humor. Nachdem sich die Lindwürmer abgewälzt haben, stolziert ein kolossaler Pfau auf dem Platze umher. Ueber ein großes Drahtgestell hängen gelbe und blaue Tuchstreifen herab, die das Gefieder darstellen, kleine Flügelchen flattern dem Vogel hilflos an den Seiten, der Schweif ist durch ein paar dünne Stäbe und durch eine einzige lange Pfauenfeder markiert. Der bewegliche Hals reckt und biegt sich hin und her, und der Kopf hat einen ganz außerordentlich charakteristischen Ausdruck. Ein Kuli steckt in dem Gestell und versteht es wundervoll, die Gebärden des Pfaues nachzuahmen. Er schreitet sehr gravitätisch, pickt im Schoß der Umsitzenden gierig nach Backhschisch, legt seinen Kopf lauernd auf die Seite, putzt sich die »Federn«, kratzt ein Loch in den Sand, läßt sich nieder und flieht erschreckt, als ein wild brummendes Löwentier auf ihn zukommt, mit dem er dann Bekanntschaft macht und befreundet abzieht. Als Schluß erschienen die vierbeinigen, gehörnten Lindwürmer noch einmal. Es galt einen Wettkampf! Ein auf dem Boden liegendes Band soll mit den Hörnern aufgespießt werden. Man kann sich von der Drolligkeit der Stellung, die hierbei die ungeheuren Tiere einnehmen, keine Vorstellung machen. Da die Hinterbeine nicht immer im organischen Zusammenhang mit den vorderen Extremitäten bleiben, so entstehen phantastische Verrenkungen von unwiderstehlicher Komik. Die Musik zu dieser Aufführung ist eigentlich ganz modern. Jedes Tier hat sein Leitmotiv, welches dasselbe kennzeichnet und sein Auftreten begleitet. Es waren noch weitere Ueberraschungen vorgesehen, aber die Temperatur erlaubte kein längeres Verweilen im Freien, und es dauerte mehrere Stunden, bis wir wieder warm werden konnten.

 


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