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Tanjore

4. Dezember. Ich sitze auf dem Balkon vor unserm Zimmer und schreibe. Eichhörnchen und Ratten huschen über den Boden; Geier, graue Tiere, wie große Gänse, spazieren auf der Umfassungsmauer des Balkons herum. Alfred und Graf Lippe sind in die Stadt gegangen, aber bei der außerordentlichen Hitze ist es unmöglich, mehr als ein paar Schritte zu machen und sie kommen eben mit einem Wagen zurück.

Um elf Uhr reifen wir nach Tanjore weiter. Die ganze Gegend, durch die wir fahren, steht unter Wasser; der Reis fängt eben an, aufzugehen. In der weiten grünenden Ebene sehen wir oft kleine Tempelbauten, riesige Steinelefanten und Plattformen mit Figuren, wohl alles Reste von Tempeln aus vergangener großer Zeit. Den Bahndamm entlang führt eine Aloehecke, hinter dieser fällt derselbe ab, um unten durch ein Drahtgitter abgegrenzt zu werden, an dem sich ein schmaler Pfad hinzieht, der wieder an einer Aloehecke hinläuft. Wahrscheinlich sind all diese Einzäunungen, die durch ganz Indien die Bahn begleiten, errichtet, um diese vor Beschädigungen der Eingeborenen und Tiere zu schützen. – Die Stationen, an denen wir vorüberfahren, werden durchwegs mit hohen, schwarzen Gittern gegen das Land hin abgetrennt. An diesen klettern die außenstehenden Natives herauf, kreischen, schreien und winken. Gewöhnlich liegt dicht hinter dem Gitter eine Zisterne mit mächtigem, nie still stehendem Rad, durch welches das Trinkwasser heraufgezogen wird.

In Tanjore kommen wir um drei Uhr nachmittags an und fahren sofort in einer höchst wunderlichen Kutsche zur Besichtigung der großen Pagode, wie die Tempel in Südindien heißen, eine Bezeichnung, die man in Nordindien nicht kennt. Ein kleiner, zweirädriger Karren mit einer Kokosnußmatte bogenförmig überspannt, ist unsere Droschke. Als wir in das sonderbare Gefährt kriechen, in dem man nur mit untergeschlagenen Beinen kauern kann, senkt unsere Schwere den Karren nach rückwärts. Das arme Zwergpony hängt zwischen der Gabel in der Luft und strampelt hilflos mit den Beinen. Um das Gleichgewicht herzustellen, müssen wir ganz nahe auf unsern Kutscher rücken, der wie aus Bronze gegossen auf der vorderen Kante des Wagens sitzt. Leider ist es jedoch nicht kühles Metall, dem wir uns nähern, sondern der heiße nackte Körper eines mit Narben und Pusteln bedeckten Tamilen, welcher einen penetranten, ranzigen Oelgeruch ausströmt. Aengstlich vermied ich jede Berührung, aber bei den holprigen Straßen flog man im Karren ohne Zedern von einer Seite zur andern und stieß dabei entsetzt an den gefürchteten Schwarzen. Alfred fluchte wie ein Heide und mir war das nahe Zusammensein mit einem so ekeln Menschen höchst unheimlich. Bald aber vergaßen wir Pest und Cholera und gaben uns ganz dem Zauber der lieblichen Gegend hin.

Tanjore (24 000 Einwohner) liegt im Garten Südindiens. wir fahren an üppigen, mit prachtvollen Bäumen geschmückten wiesen, an Teichen, bedeckt mit weißen und roten Wasserlilien vorbei. Die Landstraße wird durch Palmyrapalmen eingefaßt, und Rizinushecken markieren die Feldgrenzen. Nach einer halbstündigen Fahrt halten wir vor einer bunt bemalten Gopura. Sie scheint, wie aus Holz geschnitzt. Ornament an Ornament, Götterbild an Götterbild bedeckt sie und läßt das Einzelne kaum erkennen. Durch Tore, über welchen sich stets diese reich verzierten pyramidenartigen Türme erheben, blicken wir in eine glanzvoll leuchtende Ferne. Grüne Bäume, farbige, blaue und gelbe Pfeiler verbinden die einzelnen Vorhöfe. Schön drapierte Wächter stehen ernst und still am Wege, den wir betreten. Als Abschluß dieses malerischen Blicks gewahren wir die Nandihalle, unter der der heilige Stier, dem Heiligtums zugekehrt, sich die Schnauze leckend, behaglich ausgestreckt, ruht. Der fünf Meter lange Stier (Nandi) ist aus einem einzigen, schwarzen Granitblock gearbeitet und steht der guten ägyptischen Skulptur näher, als alle Menschenbilder der indischen Tempel.

Die rechte Seite des Hofes, in der die Nandihalle steht, wird durch einen Portikus begrenzt, in dem zwischen jedem Säulenpaar ein von Butter und Oel schwarz glänzender Lingam-Phallus (etwa hundert im ganzen) zur Anbetung aufgestellt ist. Hier werden die Opfergaben dargebracht. Auf der linken Seite des Hofes ziehen sich die Priesterwohnungen hin, kleine Häuser, die versteckt und heimlich in dichten Büschen liegen. Geht man um den sich frei und stolz zum Himmel erhebenden großen Shiwatempel herum, so steht man überrascht und bewundernd vor einem kleinen Schrein, der dem Shiwasohn Subrahmanya geweiht ist. Im Gegensatz zu allen andern Pagoden, die wir bisher besucht, herrscht hier heiliger Friede; die einsame Verlassenheit, welche diesen entzückenden Schrein umgibt, stimmt feierlich. Mieder, wie so oft in diesem Land der Wunder, wähnt man sich in »Tausend und einer Nacht«. Auf schlanken Palmen wiegen sich Papageien; Nachtigallen schlagen in dem Gesträuch; langgestreckte, stolze Pfauen schreiten gemessen mit weit ausgebreitetem, schleppendem, schillerndem Schweif über den geheimnisvollen, stillen Hof; Geier und Adler gleiten schweigend in den Lüften auf und nieder. In mildem Abendleuchten liegt der phantastische Bau. Die fremdartigen, kleinen Figuren, die in langer Prozession die Gopura umziehen, schimmern zart in goldenem Schein. Tief bewegt durch den wunderbar harmonischen Eindruck, waren wir unfähig, unserm Empfinden Worte zu verleihen.

Der Schrein des Shiwasohnes »Subrahmanya« ist nicht nur der älteste (er stammt aus der Blütezeit der indischen Kunst, 11.–13. Jahrhundert), sondern auch der schönste. Im reinen Drawidastil gehalten, bildet er ein wahres Schmuckkästchen dieser eigenartigen Architektur. Nicht überschwänglich in der Ausschmückung, erinnert er an Bauwerke aus der Zeit der Renaissance. Schlanke Säulen mit reichen Kapitälen umziehen den unteren Teil des Schreins, weiter oben stehen Gruppen von Säulen und Halbsäulen mit muschelartigen Aufsätzen gekrönt, in die Statuetten eingestellt sind. Zwischen diesen architektonischen Gliederungen sind einzeln und paarweise Gestalten aus der indischen Götterwelt eingeordnet. Nirgends aufdringlicher Bilderschmuck, alles maßvoll verteilt, sehr im angenehmen Gegensatz zu jenen Gopuren, an denen über- und durcheinander abstruse Götzenbilder aufgehäuft erscheinen.

In nächster Nähe des Tempels befindet sich der von einer hohen Mauer umgebene heilige Teich, aber das gelbe Lehmwasser wird nicht zum Baden, nein, nur zum Trinken benutzt. Wieder ein Beweis, daß beim Hindu materielle Reinheit sich nicht mit innerer Reinheit deckt. Das schmutzigste, übelriechendste Wasser, wenn es aus einem heiligen Teich geschöpft wird, reinigt den Menschen, während das reinste Quellwasser aus der Hand eines Mannes von niedriger Kaste als etwas Verderbliches mit Abscheu zurückzuweisen ist. In Gefäße gebracht, erscheint das Wasser dieses Tanks einigermaßen klar, was als ein besonderes Wunder betrachtet wird. Männer und Frauen füllen hier ihre Lotas, kleine Trinkgefäße aus Messing oder größere Tonkrüge, die sie gefällig auf den Hüften aufstellen oder stolz auf dem Kopfe tragen. Die Frauen sind schöne, stramme Gestalten, im Gegensatz zu dem schwächeren, männlichen Geschlecht. Die Weiber haben eine vorzügliche Haltung, einen intelligenten Gesichtsausdruck und hüllen sich in eine höchst malerische, meist rote Gewandung, deren eines Ende shawlförmig über die linke Schulter geworfen wird.

Am Ufer des eben erwähnten Teiches bietet die »Schwarzkirche« einen recht überraschenden Anblick. Schwarz war im 18. Jahrhundert hier Missionar, und seiner Verwendung bei der englischen Regierung verdankte der vorletzte Maharadja Scharfodschi, daß er nicht abgesetzt wurde. Der dankbare Regent stiftete ihm dafür eine Marmortafel, auf der zu lesen ist, daß »Herr Schwarz aus Preußen« bei Christen, Hindus und Moslim gleich beliebt war.

Von hier aus fuhren wir zum Palast des letzten Maharadja von Tanjore, der in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts starb und denselben seinen achtzehn Königinnen hinterließ, von denen noch vier am Leben sind. Es ist ein weitläufiges Gebäude. Durch ein Wirrsal von Toren, Gängen und schachtartigen Korridoren gelangt man zu der fünfstöckigen Residenz der alten Damen. Neben dem Palast wird in einem eigenen Gebäude die sehr bemerkenswerte Bibliothek verwahrt, die achttausend höchst interessante Palmblattbücher besitzt. Ein solches Buch besteht aus einer Reihe linealförmiger Palmblätter, in welche der Text mittels eines Griffels eingeritzt ist; sie werden übereinandergelegt, auf einen Faden gereiht und dann zwischen zwei Holzplatten gepreßt. Außerdem besitzt diese Bibliothek, die reichste Indiens, noch achthundert Manuskripte in Sanskrit. Nun folgt die Schatzkammer, auf die unser Führer sehr stolz schien, in der aber wenig zu sehen war. Die kostbaren silbernen Howdahs – die von Elefanten getragenen Pavillons – sind nach Delhi verschickt und die paar zurückgebliebenen Elefantengeschirre, Sternschilde mit daraus hervorspringendem Schwert, erscheinen minderwertig; nur die goldenen Ringe und Hülsen für die Zähne der Prunkelefanten dürften als wertvoll erachtet werden. Die Ecken und Nischen dieser »Schatzkammer« sind mit sehr komischen kleinen Bildern, Farbendrucke in glatten, verblichenen Mahagonirahmen aus dem Anfang des vorigen Jahrhunderts ausgeschmückt.

Außerdem bleibt noch der Tulugu-Durbar zu sehen, ein großer Empfangssaal, der mit verblaßten, europäischen Möbeln ärmlich ausgestattet ist. An den Wänden hängen die Porträts der Maharadjas von Tanjore, das Hauptkunstwerk ist aber die von Flaxman ausgeführte große Granitfigur des Fürsten Scharfodschi, die mit gefalteten Händen auf der Estrade steht. In einem andern Saale, der bei weitem festlicher aussieht als der Tulugu-Durbar, gewahrt man eine große, weiße Marmorstatue des Missionars Schwarz – ob die Farbe des Materials wohl die des Modells andeuten soll? Hinter einer der hohen Mauern, die einen engen Hof umschließen, erklingt traurige Musik. Es sind die »Gärten« der vergessenen Königinnen, in denen die »Hofkapelle« spielt, wir begegnen einer der armen Damen, deren Vermögensverhältnisse sehr reduziert sein sollen, als sie eben von ihrer täglichen Spazierfahrt im Schritt heimkehrt. Sie sitzt in einem zweirädrigen, geschlossenen, gelben Kasten, der mit weißen Ochsen bespannt ist. Neugierig lugt sie durch die Spalte der Läden, die den kleinen Fenstern vorgeschoben sind. Der Palast der Königin liegt im Fort. In einem äußeren Hofe wird exerziert und kaum bekleidete Eingeborene machen ihre Reitübungen auf sehr gut gehaltener Bahn. Beim Verlassen des Palastes und der Festung kommen uns die Elefanten der Königinnen entgegen, acht ungeheure Tiere; ihre Wärter, die Mahouts, sitzen hinter ihren Ohren auf dem Halse. Die Elefanten wiegen sich auf ihren Riesenbeinen hin und her und strecken den Rüssel weit vor, was soviel als Bakhschisch heißen soll.

Auf den Bahnhof zurückgekehrt, nahmen wir in dem neuen, ganz vortrefflich eingerichteten Stationshause ein Bad, und fanden die Zimmer von überraschender Reinlichkeit. Unser »Dinner« bekamen wir im Wartesaal des alten Stationsgebäudes serviert. Hier hätten sich Händler mit allen Erzeugnissen der Stadt eingefunden. Besonderes Interesse erregten höchst feine Schnitzereien von Tempeln und Phantasietieren, die auf den ersten Blick aus Elfenbein gefertigt zu sein scheinen, aber aus dem Mark eines Baumes hergestellt werden. Dieses » pith«, wie es englisch heißt, ist dasselbe Material, aus dem auch hier die leichten Tropenhelme angefertigt werden.

Mit dem Abendzug um elf Uhr verließen wir Tanjore, um nach Madras zu fahren. Wir hatten versäumt, dem Beispiel der Frau von R. zu folgen, und nicht, wie sie, ein ganzes Coupé bezahlt, sondern gehofft, wie bisher, auf unsere drei Billetts allein in einem Abteil untergebracht zu werden. Aber der Zug war überfüllt. Ich mußte mich in ein Coupé II. Klasse stecken und als eine Reisende zweiter Güte behandeln lassen. Es war eine entsetzliche Reise. Die ganze Nacht hindurch befand ich mich, zusammen mit einer englischen Dame, die sich als Gouvernante auf fünf Jahre nach Bangalore verpflichtet hatte, in einem Verteidigungszustand gegen all die Eindringlinge, welche Platz bei uns suchten. Bald stürzte ein Europäer in das Compartiment, mit einigen Verwünschungen wieder aussteigend, weil es das Damencoupé, bald sauste ein Paket durchs Fenster, bald ein Bettballen durch die Türe, gefolgt von einem beturbanten Mohammedaner oder einem halfcast. Halfcast und Eurasier = Halbblut. Abkömmlinge von Asiaten und Europäern. Jedesmal sprangen wir kampfbereit aus unsern Betten, ergriffen das Gepäck und schleuderten es zum Fenster wieder hinaus. Mitten in der Nacht, als wir das Licht verdunkelt hatten und eingeschlafen waren, hörten wir ein Geräusch, erwachen und sehen eine weiße Gestalt in unser Coupé kriechen, die plötzlich hoch und lang vor uns aufsteht. Mir erheben ein furchtbares Geschrei, der Eingeborene flüchtet, und wir verbarrikadieren nun die Ausgänge mit allem, was wir an Gepäck haben, und binden mit einem langen Shawl die sich gegenüberliegenden, ausnahmsweise nach außen sich öffnenden Türen an den Klinken fest. Aber von Schlafen war gar keine Rede mehr, und wir verplauderten den übrigen Teil der Nacht. Die arme Gouvernante erzählte mir, daß sie direkt von England käme und vollkommen fremd ohne irgendwelche Vorstellung über die sie erwartenden Verhältnisse zu einer englischen Familie reise, welche in Bangalore, einer südindischen Bergstadt, wohne. Der Gehalt der Gouvernante ist sehr hoch; aber so ein armes Geschöpf muß in seiner Stellung fünf Jahre ausharren, will es Anspruch auf Vergütung der Rückreise erheben.

 


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