Joseph Richter
Bildergalerie katholischer Misbräuche
Joseph Richter

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Letztes Kapitel.

Ueber die grosse Kinderlehre.

Nachdem die erwachsenen Leute sich mit Wallfahrten und Prozessionen genug unterhalten hatten, so war es sehr billig, daß man auch den Kindern eine kleine Freude ließ. Giebt man ihnen im Karneval Kinderbälle, warum soll man nicht auch zu ihrem Vergnügen Kinderprozessionen anstellen?

Wenn man also die vormaligen grosse Kinderlehrprozessionen aus diesem Gesichtspunkte ansieht, und sie bloß als Kinderey betrachtet, so tragen sie allerdings ihre Entschuldigung mit sich. Obwohl man auch hier einwenden könnte, daß man mit Prozessionen keine Kinderey treiben soll.

Allein wir haben einen ganz andern Beweggrund vor uns, warum wir diese Kinderlehren in unsre Bildergalerie aufnehmen.

Nach unsrer Ueberzeugung hatten sie den schädlichsten Einfluß auf die Gesundheit der Kinder, und folglich auf den Staat selbst.

Es ist uns bis diese Stunde ein Räthsel, wie die so gelehrten Jesuiten, die vermög ihrer ausgebreiteten Litteratur doch auch von der Medizin Kenntnisse gehabt haben mußten, gerade um die Zeit der Hundstäge den Kindern diesenKinder-Lehre konnte man diesen läppischen Aufzug doch nicht nennen. Denn wir wüßten wahrhaftig nicht, was die Kinder sollten dabey gelernet haben: es müßte nur das Trinken seyn. Spaß machen konnten. 104 Es mußte ihnen doch bekannt seyn, daß jede Erhitzung schädlich sey, und durch einen schnell gethanenen Trunk wohl auch tödtlich werden könne.

Wie konnten sie also zugeben, daß die künftigen Bürger des Staats, deren Unterricht und Erziehung ihrer weltbekannten Weisheit gleichsam ausschliessungsweise anvertrauet war, in Staub und Sonnenhitze, wie eine Heerde Schafe, zur Stadt getrieben, und von ihren Schulmeistern durch die Gassen gejagt wurdenBey einer Menge von einigen tausend Kindern, war es nicht möglich zu vermeiden, daß nicht das eine oder das andere in die Hitze getrunken hätte. Daß sich aber viele Krankheiten, und wohl den Tod selbst, auf den Hals tranken, das könnte mancher noch lebende Medikus bezeugen.? Wie konnten sie zugeben, (sie, die ihren Gottesdienst immer reiner als die übrigen Mönche hielten) daß die albernsten und wohl oft eckelhafte Statuen zu Dutzenden von schwachen Mädchen auf ihren Schultern daher geschleppt wurden? Wie konnten sie endlich zugeben, daß ihre Studenten mit Lebensgefahr an fast haushohe Bühnen angegürtet, schlecht gruppirte Scenen aus der biblischen Geschichte vorstellten, und zur Schande des Geschmackes die elendeste Verse rezitirten?

Wir wissen zwar, und haben es mit unsern Ohren gehöret, daß einige Patres der Gesellschaft Jesus selbst wider diese grosse Kinderlehre loszogen, allein wir wissen auch, daß eben dieselben Patres ihr das Wort sprachen, sobald sie eine andere Art von Menschen vor sich hatten. So viel ist gewiß, daß diese Prozession von ihrem Kloster ausgieng, daß die grossen Bühnen in ihrem Haus gemahlt und aufgerichtet wurden, daß die Komposition der biblischen Vorstellung, so wie die elenden Verse, gemeiniglich die Geburt ihres Kinderlehrpaters waren, und daß sie endlich diese grosse 105 Kinderey nicht aus freyem Antriebe, sondern auf höhern Befehl einstellen mußten.

Wir haben dieses Gemälde vorsetzlich zum Beschluß gelassen, und gleichsam im Dunkeln aufgehangen, weil es uns von einem Orden kömmt, der selbst noch gern im Dunkeln operirt.

Es gibt noch verschiedene katholische Misbräuche, denen wir aber, aus Furcht das Werk durch die vielen Kupferstiche zu kostbar zu machen, kein eigenes Kapitel widmen wollten.

Solche Misbräuche sind die sogenannten Kontreverspredigten, die unsre Glaubensgegner nur verstockter machen. –

Die vormaligen Kirchendisputationen de lana caprina bey denen die Trompeten und Pauken Recht hatten.

Die sogenannten geistlichen Exerzitien, die, wie ein Spötter bemerkte, den Teufel längst von Haus und Hof gejagt hätten, wenn sie nur halb so viel werth wären, als die militärischen.

Der Blasiussegen, den die P. P. Kapuziner ihren Freunden und Freundinnen für einige Pfund Schokolate gratis austheilen, und wobey durch die geweihte Kerzen manche Haube derangirt, und manche Perücke verbrannt wurde.

Die Messen an mehrern Altären zugleich, wo man bey den Aufwandlungen unumgänglich dem einen oder andern Altar den Rücken zeigen mußte.

Der geweihte Johannestrunk, der so gut als der ungeweihte trunken machte, u. s. w.

Doch da sie überhaupt mehr lächerlich als schädlich sind, so wollen wir noch viele andere mit Stillschweigen übergehen, und unsere Bildergalerie beschliessen.

Die Urtheile, die man darüber fällen wird, lassen sich ohne prophetischen Geist errathen.

Viele werden uns platterdings unter die Ketzer zählen, und verdammen – 106

Einige fanatische Mönche werden die ganze Bildergalerie sammt uns in das Feuer wünschen, aber sich wohl hüten uns zu widerlegen; denn widerlegen ist schwerer als verbrennen.

Besser unterrichtete Katholiken dürften uns schon günstiger beurtheilen; aber manchen von diesen dürfte die Einkleidung zu spöttisch, zu beissend scheinen; diese belieben sich gütigst zu erinnern, daß der bekannte Streit zwischen den Molinisten und Jansenisten in Frankreich vielleicht in einen Bürgerkrieg ausgeartet wäre, wenn nicht die witzige Pompadour dem König, der die Sache immer ernsthaft behandelte, den glücklichen Rath gegeben hätte, beyde Partheyen lächerlich zu machen. Man brachte sie auf das Theater, spottete am Hof darüber, und der Streit hatte ein Ende –

Spott ist für eingewurzelte Misbräuche, was der lapis infernalis für das faule Fleisch ist. Gewisse schwarze und braune Herren schreyen wider ihn, weil er ihnen weh thut, so wie sie auf den Witz schimpfen, weil sie keinen haben.

Wir wollen übrigens gern zugeben, daß wir auf manches Gemälde etwas dicke Farben aufgetragen haben; allein man darf sich nur an einen gewissen Standpunkt stellen, um den wahren Effect zu fühlen.

Es ist sonst die Gewohnheit die Zahl der Gemälde in den Galerien zu vermehren – Gegenwärtige aber wünschten wir immer mehr und mehr vermindert zu sehen – und dann kömmt noch zum Beschluß unser warmer Wunsch, daß unsre Nachkömmlinge nie nöthig haben mögen, so eine Bildergalerie zu errichten. Amen. 107

 

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