Joseph Richter
Bildergalerie katholischer Misbräuche
Joseph Richter

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Zwölftes Kapitel.

Ueber das Geläute der Glocken.

Wenn gleich die Giesserey schon unter Moises Zeiten (wie man aus dem goldnen Kalb schliessen sollte) mag existiret haben, so liest man doch nirgends, daß die Juden, und in spätern Zeiten die Heiden Glocken in ihren Tempeln gehabt hätten; aber mehr als wahrscheinlich ist es, daß sie sich bey ihrem Gottesdienst irgend eines Zeichens zur Versammlung der Gemeinde bedienten.

Ob nun dieses Zeichen darinn bestand, daß sie in ein Horn bliesen, oder an Steine oder Metallklumpen schlugen, oder mit einer Holzklapper Lärm machtenDie Glocken sollen gegen das vierte Jahrhundert in Campanien seyn erfunden worden. Im Jahre 530. wurden Sie in Frankreich, und 571. zu Konstantinopel eingeführt. Vorher berufte man die Leute zum Gottesdienst durch Anschlagen an gewisse Bretter, die deswegen die heiligen Bretter genannt wurden., das galt Gott und der Gemeinde gewiß gleich viel, genug, wenn durch dieses Zeichen der Endzweck, nämlich die Versammlung der Gemeinde, erreichet wurde.

Wären unsre Glocken, was sie vermög ihrer Bestimmung seyn sollten; dienten sie noch immer bloß dazu, die Gläubigen zur Andacht und zum Dienst des Herrn zu versammeln, so hätten wir gewiß zu viel Ehrfurcht für sie und ihre heilige Weihe, um sie unter die Misbräuche der Kirche zu setzen. So aber gieng es ihnen wie der Kirchenmusik, die, 58 wie schon gesagt worden, von der einfachen feyerlichen Orgel zu einem rauschenden Orchester angewachsen ist.

Die Geistlichkeit, die Trotz ihres Cälibats, wenn es auf irgend eine Art von Gewinn ankömmt, sehr viel auf das Vermehren hält, hat dieses Prinzipium bis auf ihre Kirchthürme ausgedehnet, und, obschon zur Einberufung der Gemeinde eine einzelne Glocke hinlänglich wäre, solche mit unzählichen Glocken bevölkert.

Wer aber nur obenhin mit dem Wirthschaftsgeist dieser Herren bekannt ist, wird sich leicht bereden, daß sie bey Vermehrung der Glocken die Vermehrung ihrer Einkünfte nicht werden vergessen haben; obwohl ohnehin neue Bevölkerung und neue Abgaben mit einander verbunden sind.

Die Glocken wurden also, ausser ihrer ursprünglichen Bestimmung, bald zu wichtigern und einträglichern Diensten gebraucht. Damit aber die Layen die schuldige Ehrfurcht, und wahres Vertrauen gegen die Glocken hegten, fiengen die Glockenherren damit an, daß sie solche tauftenIn einer grossen Pfarrkirche erhielt die grosse Glocke in der H. Taufe den Namen Schustermichel. Damit nun unsre Nachkommen diesen Heiligen nicht vergebens im Kalender suchen, wollen wir ihnen hiemit kund und zu wissen thun, daß dieser Schustermichel kein Heiliger, sondern ein Schuster war, der diese grosse Glocke in die Kirche gestiftet hat, und das Kloster Seine Dankbarkeit nicht besser auszudrücken wußte, als daß es in der Tauf der Glocke seinen Namen gab. und weiheten. Durch diese Weihe erhielten die Glocken, so wie die Lukaszetteln und Amulette, eine geheime Wunderkraft, die vorzüglich darin bestand, die fürchterlichsten Gewitter, die nach dem Vorgeben dieser gelehrten Männer sehr oft von bösen Geistern und Hexen komponiret werden sollen, zu entzaubern, und unschädlich zu machen. Da dessen ungeachtet der Blitz sehr oft in unsre Häuser, am öftesten aber in 59 die Kirchthürme und geweihten Glocken selbst fuhr, so sollte man vermuthen, daß diese Herren entweder das Weihen oder die Physik nicht verstanden.

Daher ist auch durch eine weise Verordnung (bis sie beydes besser werden erlernet haben) das Läuten bey Gewittern eingestellet worden.

Die Glocken hatten aber nebstbey noch viele andere Verrichtungen. Die Eitelkeit der Layen, die der Geistlichkeit die Begräbnisse so einträglich machte, kam ihr auch hier treflich zu statten.

Wer der erste unruhige Kopf war, der am Tage seiner Begräbniß seinen Tod durch den Klingklang der Glocken verkünden ließ, ist uns nicht bekannt; aber so viel wissen wir, daß das sogenannte Ausläuten auch bey nur halb vermöglichen Bürgern zur Gewohnheit geworden, daß sie diese Ehre mit theuerm Gelde bezahlten, und daß die armen Glocken, die eigentlich zum Besten der Lebendigen eingeführet wurden, am meisten für die Todten arbeiten mußten.

Aber ihr Haupt oder so zu sagen, ihr Hofdienst war an grossen Festtägen. Hier wurde aber das strengste Etiquette beobachtet. Die kleinste Glocke machte den Anfang; dann folgte die grössere – dann die Viertel, dann die halbe, und endlich die grosse Pume. Jede von ihnen ließ sich anfänglich solo in einem Konzert hören, dann folgten Duetten und Terzeten, bis es endlich in eine betäubende Simphonie ausbrach.

Die Mönche, die sich schon durch Kapuze und Skapulier von der regulären Geistlichkeit zu unterscheiden suchten, wollten auch beym Geläute der Glocken etwas besonders haben. Da aber die Unterscheidungszeichen der Mönche gemeiniglich in einem höhern Grad von Dreistigkeit bestehen, so trieben sie auch hier diese Dreistigkeit so weit, daß sie uns mit ihrem Geläute nicht nur den Tag hindurch belästigen, sondern uns auch bey Nacht um das bischen Ruhe bringen. 60

Kein Vater unser wird in Klöstern gebethet, das sie uns nicht durch Läuten der Glocken bekannt machen. Sie stürmen an der Glocke zur Matutin, zur Terz, zur Sept, zur Non, zur Vesper und zum Complet. Heißt aber dieß nicht mit seiner Andacht pralen?

Die Ursache des nächtlichen Geläutes wollen wir nicht untersuchen. Vielleicht geschieht es, weil sie uns um unsern ruhigen Schlaf beneiden; vielleicht auch um unsre Herzen zum Mitleid für diejenigen aufzufordern, die bey Nacht für uns bethen, weil wir am Tag für sie gearbeitet haben; aber wenn uns diese Herren glauben möchten, so würden wir ihnen rathen, dieses nächtliche Geläute zu ihrem eigenen Besten einzustellen, sollte es auch nur deswegen seyn, um uns wenigstens bey Nacht vergessen zu machen, daß sie noch da sind.

Doch was wir von der Politesse der Mönche uns wohl nicht leicht versprechen können, das können wir von einer weisen Regierung erwarten. Ihr liegt das Wohl und die Ruhe des Bürgers am Herzen. Sie wird es gewiß nicht länger ungeahndet dulden, daß die arbeitende Klasse von der bloß bethenden aus der so nöthigen Ruhe gestört werde. Da es aber zugleich bewiesen ist, wie gefährlich das Läuten der Glocken besonders zur Zeit eines Gewitters sey, und die Misbräuche, die damit zum Nachtheil des StaatsEs kann dem Staate doch nicht gleichgiltig seyn, wenn die ohnehin überspannten Begräbnißkosten durch das sogenannte Ausläuten noch vermehret werden; denn diese Herren läuten ihre Glocken eben so wenig umsonst, als sie umsonst bethen. und der Religion getrieben werden, zu offenbar vor uns liegen, so dürfte wohl überhaupt mit den Glocken eine Generalreformation vorgenommen werden, und so könnt' es sich fügen, daß 61 wenn sie wieder einmalWenn Gerichtsferien sind, so gehen die Räthe über Land; wenn aber die Glocken ihre Ferien haben, so gehen Sie nach Rom. So nennt das Volk die Pause, die sie vom grünen Donnerstage bis Charsamstag machen. nach Rom gehen, sie wohl auf immer dort bleiben dürften.

Müssen sich itzt die Dorfkirchen, deren Gemeinde öfters ausgebreitet, und entlegen ist, mit einer einzigen Glocke behelfen, so könnten sich die Stadtkirchen, wo die Pfarren so nahe beysammen liegen, um so leichter damit begnügen. Die Glocken wären dadurch wieder auf ihren ursprünglichen Endzweck zurück geführt, und der Gottesdienst würde durch ihre Reduzirung eben so wenig verlieren, als durch Abschaffung der rauschenden Kirchenmusik. Die Todten würden wieder begraben werden, ohne die Lebendigen, wie ein gewisser Dichter sagt, durch das Geläute umzubringen. Die EifersuchtSo wie sich manche Orden der Kapuze oder des Skapuliers wegen haßten, so haßten sich Pfarren und Klöster des Geläutes wegen. Sie suchten einander an Harmonie und Anzahl der Glocken zu übertreffen, und thaten sich ungemein viel darauf zu Guten, wenn sie zum Gottesdienst ein hübsches Glockenspiel hatten., zu der die grössere oder kleinere Anzahl der Glocken besonders unter den Mönchen Anlaß gab, würde ihr End nehmen, und was das Beste wäre, wir könnten wieder ruhig und ungestört schlafen. 62

 


 


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