Joseph Richter
Bildergalerie katholischer Misbräuche
Joseph Richter

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechzehntes Kapitel.

Ueber Ablässe, und besonders über den sogenannten Portiunkulaablaß.

Der Ablaß ist nach der Erklärung vernünftiger Theologen eine Nachlassung der Kirchenstrafen.

Schon in den ersten christlichen Jahrhunderten finden sich Spuren von solchen Ablässen. Anfänglich wurden sie nur einzelnen Sündern, dann mehreren Christen mitsammen ertheilet.

Unter Viktor dem dritten wurde aus der Nachlassung der Kirchenbussen eine Nachlassung der Sünden.

Das war freylich wider den Geist der Kirche; aber es wurde noch ärger. Man ließ nicht nur die Sünden nach, die einer begieng, sondern sogar die Sünden, die er hätte begehen und nicht begehen können; denn man ertheilte Ablässe auf hundert und mehrere Jahre, und erstreckte also die Gewalt zu lösen und zu binden, (ebenfalls wider den Geist der Kirche) bis jenseits des Grabes.

Man gieng noch weiter. Der päbstliche Stuhl, der seinen Vortheil selten aus den Augen ließ, ertheilte nach und nach Ablässe auf geweihte Rosenkränze, Amulete, Agnusdei, Bilder, Statuen, Altäre, Bruderschaften u. s. w. und die Mönche, die um diese Ablässe anhielten, trieben wieder ihren Wucher damit, und so waren diese Ablässe endlich die traurige Ursache, daß sich Christen von Christen trennten, und Sekte auf Sekte entstand. 82

Von allen Ablässen aber war der sogenannte Porziunkulaablaß das Kapo.

Wir wollen die wunderbare Entstehung dieses Ablasses erzählen, so wie sie in der neuverbesserten Legende S. 714. und also von einem Mitglied des Francisciorden erzählt wird. Wenn wir hie und da Anmerkungen einstreuen, so sind es bloß solche, die aus dem Text selbst entspringen, und zur bessern Beleuchtung der Legende dienen.

Man vernehme uns mit Geduld! – –

»Im Jahr 1223. klopfte der H. Franziskus abermal kräftig an die Thüre der Barmherzigkeit, da erschien ein Engel, und befahl ihm der Porziunkulakirche zuzueilen, weil dort Christus sammt seiner werthen Mutter, und einer grossen Anzahl von Engeln auf ihn wartete. (Kapuziner und Franziskaner machen kurze Toilette) Der Mann Gottes lief also eiligst der Kirche zu, wo er auch wirklich den Herrn auf einem königlichen Thron sammt seiner Mutter, die ihm zur Rechten saß, und eine grosse Menge Engeln antraf.

Hier warf er sich zur Erde, und Christus sprach folgende (nicht am besten stilisirte) Worte: Wisse, o Franzisce, daß ich dein inbrünstiges Gebeth angehöret habe, und dieweilVon nun an sind allen Beamten ihre Dieweil, sintenmalen u. s. w. verziehen. ich weiß, mit was für Sorg und Eifer du und dein Orden dem Heil der Seelen nachstellen (dieser Ausdruck wird nun bey uns nur im widrigen Verstande gebraucht; man sagt: der Jäger stellt dem Wild nach) so begehre eine Gnade von mir, so will ich es dir einwilligen. 83

Da antwortete der H. Franziskus (in eben so vielen Sprachschnitzern) O Herr Jesu Christe, ich elendiger unwürdiger Sünder begehre mit allerhöchster Reverenz von deiner göttlichen Majestät, du wollest dem ganzen christlichen Volke diese Gnade thun, und einen Generalablaß und Verzeihung aller Sünden verleihen denen so gebeichtet und bereut, und zu dieser deiner Kirche kommen werden. Gleichfalls bitte ich dich allerreineste Jungfrau, heiligste Mutter, und unsere Fürsprecherin! du wollest meiner und aller sündigen Christen bey deinem allerliebsten Sohne eine treue Fürsprecherinn seyn.

Durch die Worte wurde die allerseligste Jungfrau bewegt, und sprach zu ihrem Sohn, der das Begehren des Heiligen übertrieben fand: O allerhöchster Herr und Sohn, ich bitte euch, ihr wollet diesem euern treusten Diener diese Gnad bewilligen, welcher mit solchem Eifer der Seelen Heil begehrt. Bewilliget ihm diese Gnad, in diesem meinem Tempel zu eurer Ehre, und zur Auferbauung eurer heiligen Kirche.

Der Herr sprach hierauf: O Franzisce, die Gnad, so du begehret hast, ist ziemlich groß; aber diese den Meinigen gleichförmige Begierden verdienen noch viel mehreres. Derohalben bewillige ich dir, was du begehrt hast; geh aber hin zu meinem Statthalter, (Was sagen Sie nun, meine Herren? Werden Sie sich nun noch länger dem Rekours nach Rom in Dispens und Ablaßangelegenheiten widersetzen? Heißt nicht Christus selbst den H. Franziskus zu seinem Statthalter gehen, und ist nicht dadurch die unumschränkte Macht des päbstlichen Stuhls bewiesen?) 84 dem ich hier auf Erden (also nicht auch jenseits des Grabes) aufzulösen und zu binden Gewalt gegeben, und begehre in meinem Namen, daß er dir solche gebe.

Diesem Gespräche hatten viele fromme Patres (da die Thüre geschlossen war, vermuthlich durch das Schlüsselloch) zugehört, und also ist an dem Faktum gar nicht zu zweifeln.

Der heilige Franziskus dankte auf das demüthigste für diese grosse Gnade, und reisete eigends nach Perus ab, wo sich damals der römische Hof aufhielt. (Zu Zeiten der Aposteln wußte man nichts von einem Hof.)

Als der Mann Gottes vor dem Pabst kam, sprach er: Heiligster Vater, ich habe eine alte verwüstete Kirche, St. Maria von Porziunkula genannt, nahe bey Assisi erneuert und aufgerichtet, in welcher euere mindere Brüder wohnen. Itzt bitte ich eure Heiligkeit durch die Liebe unsers Herrn Jesu Christi, seiner glorwürdigsten Mutter, und wegen des Heils der Seelen, ihr wollet derselben völligen Ablaß und Verzeihung der Sünden ohne anders Almosen gnädig verleihen.

Dem PabstDer Zeitrechnung nach mußte es Honorius der dritte seyn, der den Klarisserinnen so gut war, und den Karmeliterorden bestättigte. kam dieses Begehren fremd vor; indessen fragte er ihn doch, auf wie viele Jahre er diesen Ablaß begehre. Hierauf antwortete der Heilige: Heiligster Vater, ich begehre keine Jahre, sondern Seelen (eine Antwort, die freylich nicht auf die Frage paßte) Wie? Seelen? versetzte der Pabst – Der H. Franziskus antwortete: Ich begehre sie dergestalt, 85 daß ein jeder Christ, so gebeicht und bereut kommen wird, diese Kirche zu besuchen, soll aller seiner Sünden, die er vom Tag seines Taufes an bis dorthin begangen hat, und von der Schuld und Strafe hie auf Erden und dort im Himmel entlediget werden. Und dieß begehre ich nicht in meinem, sondern im Namen unsers Herrn Jesu Christi, der mich hieher zu eurer Heiligkeit gesandt hat.

Nun gieng dem heiligen Vater auf einmal durch die Gnade des heiligen Geistes das Licht auf; er glaubte alles, was der Mann Gottes sagte, und sagte mit heller Stimme dreymal: Ich bewillige alles, wie du begehret hast.

Die Kardinäle widersetzten sich zwar dieser Bewilligung, (vielleicht weil sie solche wider den Sinn der Kirche fanden) der Pabst aber antwortete, er wolle diesen Ablaß nicht widerrufen. Die Kardinäle sagten: er soll doch eine Zeit bestimmen, und einen gewissen Tag im Jahr dazu verordnen. Darauf sprach der Pabst: Wir bewilligen allen glaubigen Christen, welche wahrhaftig bereuet und gebeichtet in die Kirche St. Maria der Engeln eingehen werden, von Schuld und Strafe der Sünde entlediget zu werden: und wollen, daß solches ein Tag im Jahre zu ewigen Zeiten seyn soll.

Wer war nun fröher als der H. Franziskus. Er küßte dem Pabst die Füße, und wollte nach empfangener Benediktion davon laufen. Allein der Pabst schrie ihm nach, und sagte: Du einfältiger Mensch, wo gehst du dann hin? Was hast du dann für ein Wahrzeichen mit dir, daß du den Ablaß erlanget hast? (das wollte ungefähr auf gut deutsch sagen: hast 86 du dir die Bulle schon ausfertigen lassen, die Taxen entrichtet, und dich mit meiner Hofkanzley abgefunden?) allein der Mann Gottes zeigte, daß er kein einfältiger Mensch sey, und antwortete dem Pabst: daß ihm schon sein Wort genug wäre, und daß er keine andere Bulle verlange, als die allerseligste Himmelsköniginn Mariam, Christum den Herrn zu einem Notario, und die heiligen Engel zu Zeugen (dieß sind die eignen Worte der Legende).

Nach diesem zog er davon, und kehrte unterwegs in einem Siechenhaus ein, allwo ihm vom Herrn geoffenbaret wurde, daß sein eben erlangter Ablaß bereits in den Himmeln bekräftiget worden.

Aber nun war noch der Tag für den Ablaß zu bestimmen übrig. Der heilige Mann hat aus lauter Eile vergessen, diesen Hauptpunkt mit dem Pabst ins reine zu bringen. Allein als der Heilige sich kurze Zeit nach der Rückkunft in seinem Kloster in einem stechenden Dornbusch herumwälzte, um die Begierden des Fleisches, zu denen ihn, wie die Legende sagt, der Teufel anreizte, zu unterdrücken, kam abermal ein himmlische Bote zu ihm, der ihm die Nachricht brachte, daß der Herr seiner in der Kirche warte. Der heilige Franziskus fand sich in einem Nu angekleidet, und sah zum Erstaunen aus dem Dornbusch (es war im Monat Jenner) schöne weiße und rothe Rosen hervorwachsen. Er pflückte also zwölf von jeder Art, und eilte durch die Engeln, die zu beyden Seiten Spallier machten, seinem geliebten Herrn zu.

Hier warf er sich ihm zu Füssen, und präsentirte seinem Heiland, der abermal mit Marien auf dem Hochaltar saß, die 12 rothe und weiße Rosen. Zugleich bat er ihn, einen Tag zu dem ihm ertheilten vollkommnen Ablaß allergnädigst zu ernennen. 87

Der Herr antwortete: Ich bin zufrieden deinem Begehren ein Genügen zu thun, und benenne also den ersten Augusti von seiner Vigil an bis zu Niedergang der Sonne des folgenden Tags nach dem Fest, an welchem ich meinen Apostel Petrum aus den Ketten erlediget habe. Zugleich hieß er ihn abermal zu seinem Statthalter gehen, und einige Rosen mit sich nehmen, bey deren Anblick er ihm gewiß den Tag bestättigen, und den Ablaß verkündigen lassen würde.

Der heilige Vater nahm also drey weiße und drey rothe Rosen mit sich, und begab sich mit drey frommen Patern, die die Erscheinung mit angesehen hatten, geradenwegs nach Rom. Hier erzählte er dem Pabst den ganzen Verlauf der Sache, nahm seine Gesellen zu Zeugen, und gab Sr. Heiligkeit die gemeldten frischen weißen und rothen Rosen – – –

Rosen? rief der Pabst bey ihrem Anblick mit Verwunderung aus: Rosen im Monat Jenner? Dieß allein versichert mich, daß du wahr geredet hast, und so wurde fortan der Tag und der ewige vollkommene Ablaß bestättiget.«

Man verzeihe uns, wenn wir etwas weitläuftig waren; allein wir glaubten den Misbrauch des Porziunkulaablasses nicht besser in sein wahres Licht setzen zu können, als wenn wir den mehr als fabelhaften Ursprung dem Volk aufdeckten.

Wie kann aus einer trüben Quelle reines Wasser fliessen? Und doch wurde dieser Ablaß auch von einigen nachfolgenden Päbsten bestättiget, mit neuen Privilegien versehen, und in allen Ländern, wo Seraphs Abstämmlinge einwurzelten, eingeführt und ausgebreitet.

Doch die mit diesem Ablasse getriebene Misbräuche sind größtentheils abgeschaffet. Die Seelsorger bestreben 88 sich in die Wette dem Volke richtige Begriffe von diesem und von allen Ablässen beyzubringen, und so dürfen wir uns auch hier bald reinere Bahn versprechen.

Die armen Beichtväter werden nicht mehr an einem Tage so unmenschlich von Seelenpazienten überlaufen werden, und die arbeitende Klasse wird sich nicht mehr mit Mühe durch die müssig gehende Ablaßholer auf den Strassen am Porziunkulatag durcharbeiten dürfen – Vielleicht wird einst mit dem Kleid des H. Franzisci sogar die Idee dieses Ablasses verschwinden. 89

 


 


 << zurück weiter >>