Joseph Richter
Bildergalerie katholischer Misbräuche
Joseph Richter

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Drittes Kapitel.

Ueber die Christnacht, und die dabey vorgehende Misbräuche.

Jedermann weis, welchen Widersprüchen die Lehre Christi bey ihrer Entstehung ausgesetzt war, und welche Verfolgungen die Anhänger dieser göttlichen Lehre von den Unglaubigen ertragen mußten.

Sie waren also gezwungen, um den Nachstellungen ihrer Feinde zu entgehen, sich im Finstern zu versammeln, und in verborgnen entlegenen Gemächern ihren Gottesdienst zu feyern.

Was aber bey den ersten Christen Nothwendigkeit war, ist bey uns nicht nur überflüssig, sondern wird durch die Unordnungen, die unumgänglich mit solchen Nachtandachten verbunden sind, zu einem tadelhaften Misbrauch, und unsre Nachkömmlinge werden es ebenfalls unter die unglaublichen Dinge zählen, wie Christen, die frey und ungehindert, so viel und so oft sie wollen, ihre Andacht bey hellem Tage verrichten können, sich dazu die dunkle Mitternacht wählen mochten.

Daß von diesen Nachtandachten Unordnung und ärgerliche Auftritte unzertrennlich seyen, wird wohl Niemand in Abrede stellen, der in seinem Leben auch nur einmal der Mette beygewohnet hat. Auferbaulich ist es wenigsten nicht, wenn Leute, die sich Christen nennen, gleich betrunknen Bachanten in die Kirche taumeln, und (vermuthlich weil sie hörten, daß Christus in einem Stall gebohren wurde) auch aus dem Bethhaus einen Stall machen wollen.

Um unsern Nachkommen eine Idee von so einer Nachtandacht zu hinterlassen, wollen wir versuchen, die Scenen, 17 die sich am heiligen Abend und zur Zeit der Mette ereignen, so viel es der Raum erlaubt, in ein Gemälde zu bringen.

Kaum kehrt uns die Sonne den Rücken, so suchet jeder seine Geschäffte vom Hals zu kriegen. Der Schuster verläßt seinen Dreyfuß – der Schneider die Nadel – der Kaufmann seine Boutike, und der Beamte endigt mit dem Schlag 6 Uhr seinen Bericht bey dem Komma, und läßt das Punctum auf morgen.

Die Gässen wimmeln von Ständchen. Nüsse und Aepfel, die schon Makulatur sind, werden hier für kurrente Waare verkauft. Dort stehen Krippen, Christkindchen, Hanswurste und Pantalons neben einander; gleich neben ihnen eine Heerde von kleinen Ochs- und Eselein, die die Grossen ihren Kindern nach Haus bringen.

Kaffee- und Methhäuser, Wein- und Bierschenken strotzen von andächtigen Christen, die sich, jeder nach seiner Art, zu der Mette vorbereiten. Diese spielen Billard, andre ein Woyta; die gemeinere Klasse brandelt oder trapelirt – Einige spielen um Nüsse, andere um Geld, zahlen aber gemeiniglich mitMit Nüssen auszahlen ist eine Redensart, die unter dem gemeinen Volk sehr gang und gebe ist, und eben so viel bedeutet, als Schläge austheilen. Nüssen aus.

In den Privathäusern und feinern Gesellschaften unterhält man sich ebenfalls mit einem Kommerzspiel, wobey (wie es überhaupt beym Kommerz zu geschehen pflegt) oft die spekulativsten Köpfe Bankrut machen.

Die jüngere Welt spielt um Pfänder, die gewiß pünktlicher eingelöset werden, als die Pfänder im Versatzamt. Ein Theil beschäfftiget sich mit Wachs- und Bleygießen. Brennende Herzen bedeuten eine glückliche Liebe. – Sieht der Bleyklumpen einem Baum oder einer Laube ähnlich, so ist 18 es ein Zeichen, daß bald ein junger Landedelmann um die schöne Bleygießerinn anhalten wird – Sind Schwerter, Flinten und Spieße dabey, so ist es ein hübscher Hauptmann, mit einer noch hübschern Kompagnie; finden sich endlich zerstückte Hände und Füsse darunter, so gilt es für einen Beweis, daß der Herr Hauptmann zum Feldmarschall avanzirt. Die jungen Stutzer sind bey dieser Gelegenheit sehr erfinderisch, aus jedem unförmlichen Bleybrocken die Gestalt eines Kindchens in der Wiege heraus zu bringen – Da wird nun zwar von der Gegenseite protestirt; aber doch im Stillen der Wunsch gethan, daß der Ausleger doch wahr reden, und bald einen Heurathsantrag machen möge.

Indessen diese Auftritte in den innern Zimmern vorgehen, sind die Bedienten in den Antichambern, und die Mägde in der Küche ebenfalls mit Lesseln beschäftiget. Ein vielbedeutendes Spiel der letzteren ist besonders das Schuhwerfen. Die Mägde sitzen mit dem Rücken gegen die Thüre, und werfen ihren Schuh über den Kopf weg. Steht die Spitze der Thüre zu, so ist es ein Zeichen, daß sie noch in diesem Jahr als Bräute hinauskommen – Es trift auch diese Prophezeyung manchmal im Hauptpunkt ein, und sie müssen oft früher zum Haus hinaus, als ihnen lieb ist.

Diese Spiele und Freuden gehen nun ihren Gang fort, bis in den Kirchen das Zeichen zur Mette gegeben wird – Da raft sich dann alles auf – Die Chapeaus langen um ihre Hüte, die Mädchen um ihre Pelzchen; man hängt sich Arm in Arm, neckt sich auf den Treppen, treibt Spasse, hüpft trillernd über die Gasse, wirft sich mit Schneeballen, und langt endlich vor Lachen halb ausser Athem, auf dem Ball – – nein! in der Kirche an.

Da geht es aber eben so lustig her als zu Haus. Die Lebensgeister sind nun einmal durch Wein und Spiel 19 erhitzt. Man drängt und kneipt sich, macht sich durch die andächtige Gemeinde mit dem Ellbogen Platz, und flüstert im Vorbeygehen den Mädchen, die man kennt und nicht kennt, Zotten ins Ohr. Dort pflanzt sich einer an den Weihbrunnkessel hin, und macht sich das Vergnügen die Vorbeygehende reichlich mit Wasser zu segnen. Ein andrer taumelt, unbewußt, daß ihm seine Freunde beym Pfandspiel einen Bart mit Kork angeschmiert haben, zwischen den Bänken herum, und erregt lautes Gelächter – Hier übersieht einer, von vielen Lichtern geblendet, die Altarstuffe, und fällt zur Freude der versammelten Christen, so schwer und lang er ist, die Erde hin. – Kömmt dann endlich die zum Tanz einladende Musik dazu, so geht es vollends unter und über. Die Füsse gerathen in Bewegung, und treten den Takt; einige wiehern laut die Arie mit, und es fehlte nur noch, daß man die Bänke auf die Seite schafte, um das Gotteshaus augenblicklich in einen Tanzsaal zu verwandeln.

Die Kirchenmusik, sobald sie über die Schranken des ernsten Feyerlichen hinausgeht, ist tadelhaft. Opernarien und Trios sind unanständig und ärgerlich; aber wie es den Kirchenvorstehern einfallen konnte, das Hayda-popayda aus der Kinderstube in die Kirche zu bringen, und der christlichen Gemeinde Hirten- und Hüterstücke vorzuspielen, läßt sich nicht begreifen, oder wir müßten nur annehmen, daß sie uns würklich selbst für eine Heerde Schafe, Kühe, oder Böcke halten.

Die Scherze, die dann im Nachhausgehen getrieben werden, wollen wir lieber errathen lassen, als erzählen – – Soviel ist gewiß, daß die Mette bey Mancher ein Notabene zurückläßt.

Aus diesem kleinen Gemälde werden die lebenden und nachkommenden katholische Christen das unschickliche dieser Nachtandacht selbst einsehen, und uns den Wunsch, daß 20 sie eingestellt werden möge, gerne verzeihen. Das Gemäld ist freylich nicht sehr reizend ausgefallen; allein wir mahlten nach der Natur.

Es giebt schon itzt manch braven katholischen Hausvater, der es ungern sieht, daß seine Töchter um Mitternacht aus dem Haus gehen; allein die Mutter ist selbst eine Freundinn nächtlicher Andachten – Um also keine Mette im Haus zu bekommen, muß er sie wohl zur Mette gehen lassen.

Die Geburt des Heilands kann freylich nicht anders als freudenreich für uns seyn, und der orthodoxeste Theolog kann es nicht misbilligen, wenn wir durch unschuldige Spiele und Unterhaltungen unsre Freude auszudrücken suchen.

Schon in den frühesten Zeiten der Kirche wurde die Geburt Jesu Christi als der Anfang eines neuen goldenen Zeitalters angesehen; aber warum müssen wir dieses Freudenfest, wobey statt Milch und Honig, Champagner und Burgunder geflossen ist, mit einer nächtlichen Kirchenceremonie beschließen, und, so zu sagen, eine Komödie, die wir zu Haus anfiengen, in der Kirche ausspielen?? 21

 


 


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