Joseph Richter
Bildergalerie katholischer Misbräuche
Joseph Richter

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Fünftes Kapitel.

Ueber den Kalvarienberg in Hernals
– Kreuzzieher,
und andere Fastenprozessionen.

Kaum hatten die Faschingslustbarkeiten und Mummereyen ihr Ende erreichet, so nahmen die geistlichen Spektakel und Maskeraden ihren Anfang. Man finde ja diesen Ausdruck nicht gotteslästerisch! Sie waren noch mehr als Maskeraden, sie waren ärgerliche der Religion und dem Staate schädliche Gaukelspiele, bey denen das Volk betrogen, die Impresarien aber reich wurden.

Viele schwache und schlecht unterrichtete Christen hörten, daß man, um die ewige Seligkeit zu erlangen, dem Stifter unsrer heiligen Religion nachfolgen müsse; allein sie nahmen diese Nachahmung blos allein im körperlichen Verstand, und weil sich unsre damaligen Prediger mehr bey dem Leiden unsers Erlösers, als bey seiner göttlichen Lehre aufhielten, so glaubten sie, die Nachfolge Christi bestünde in nichts andern, als daß sie sich geißelten, und ein Kreuz auf ihren Rücken lüden.

Es wäre freylich die Pflicht der Seelsorger gewesen, dieser unrechtverstandenen Nachfolge Christi eine andere Richtung zu geben: aber theils wußten sie selbst nicht, 27 was das sagen wolle, Christo nachfolgen, theils fanden sie zu sehr ihren zeitlichen Vortheil dabey, um dem Volke ächte Begriffe beyzubringen. Daher suchten sie vielmehr die anvertrauten Schafe auf dieser Distelweide herumzuführen, und gaben sich alle Mühe dieses Possenspiel in seinem Flor zu erhalten.

Sie lieferten den Schauspielern die Kleider, schaften die Dekorationen und andere Theaterbedürfnisse herbey, hatten eine prächtige Garderobe von Büsserkutten, Kapuzen, Geißeln, Stricken und Kreuzen von jedem Kalibre, suchten die Akteurs durch kraftvolle Missionspredigen im Feuer zu erhalten, zeigten ihnen gewisse Vortheile und Handgriffe, und zogen endlich mit ihrer wohl abgerichteten Truppe durch die Stadt nach dem Kalvarienberg. Die Auftritte, die dann bey diesen Fasten oder vielmehr Faschingsprozessionen vorfielen, waren so komisch-ärgerlich, daß es unsern Nachkömmlingen, und selbst uns ein Räthsel seyn muß, wie sie eine gesunde Polizey toleriren konnte.

Hätte nicht unter diesen ärgerlichen Misbräuchen die Religion, und mit ihr die Sitten gelitten, so könnte man sagen, daß es gewiß der lustigste Anblick war, zu sehen, wie hier ein Nachfolger Christi von seinen Lehrjungen betrunken nach Haus geführt wurde, dort der Bruder Kreuzzieher sich mit dem Bruder Geißler herumschlug; an einem andern Tisch der Schulmeister als Christus mit den Juden Bruderschaft trank.

Doch wir wollen dieses lächerlich-eckelhafte Bild nicht vollenden. Unsre Nachkömmlinge können sich aus diesen wenigen Zügen die übrigen Scenen hinzudenken – Genug, wenn wir ihnen sagen, daß die Folgen dieser Farzen endlich die Aufmerksamkeit der Regierung auf sich zogen. Theresie, die viele andere kirchliche Misbräuche abschafte, machte auch diesem Possenspiele ein Ende. Alle diese Maskeraden, Kreuzzieher und Geißlerprozessionen, 28 Missionsharlekinaden, LeidenchristikomödienSchon in dem Wort selbst liegt alle mögliche Ärgerniß. Eine Komödie vom Leiden Christi. Und doch existirte dieser Misbrauch durch eine grosse Reihe von Jahren. Wenn sich eine Bande lüderlicher Komödianten nichts zu verdienen wußte, so zog sie im Land herum, und spielte das Leiden Christi. Viele hatten ihr Theater in der Hauptstadt aufgeschlagen; aber statt ihren Bassisten zu kreuzigen, kreuzigten sie die Zuschauer. Nach und nach gesellte sich auch Bettelvolk und Diebsgesind zu ihnen, und da geschah es denn öfters, daß derjenige, den Sie heute pro forma kreuzigten, nach einigen Wochen in optima forma gehenkt wurde. Ihre Magdalenen waren gemeiniglich die größten Sünderinnen, und in diesem Punkte blieben sie der Geschichte getreu. Viel weniger gewissenhaft waren sie in Ansehung der Maria, der Martha, und der übrigen heiligen Frauen, denen ihre gesegneten Leibesumstände oft kaum ihre Rolle vollenden ließen. Man denke sich nun die übrigen Scenen hinzu, die sich natürlicherweise unter den Gliedern dieser heiligen Gesellschaft ereignen mußten, und verzeih' es uns, wenn wir für unsern Theil die Kortine vor dieser Komödie herablassen. u. s. w. wurden eingestellt – Die Mönche murrten darüber; aber es blieb, wie befohlen wurde.

Die Geißler, bey denen Blutvergiessen nun fast schon einmal zur Nothwendigkeit geworden, ließen sich dafür entweder schrepfen, oder zur Ader; die Magdalenen kehrten entweder in ihre Bierhäuser zurück, oder übernahmen bey irgend einem Marionettentheater die Rolle der Kolombine, und die Kreuzzieher begnügten sich mit – ihrem Hauskreuz.

So sehr auch der ächte Katholik die vortrefliche Theresia für die Abschaffung dieser Misbräuche in seinem Herzen segnen muß, so bleibt ihm doch der Wunsch zurück, daß Joseph das Werk vollenden möge. 29

Wir haben zwar keine Maskenprozessionen, keine Geißler und Kreuzzieher mehr; aber der Ort, wo diese Possenspiele aufgeführet wurden, existirt noch bis auf diese Stunde, und die Akteurs scheinen sich nur umgekleidet zu haben.

Statt ein hölzernes Kreuz auf seinen Schultern nach Hernals zu schleppen, führt man nun sein geputztes Mädchen am Arm dahin. Man sieht zwar keine als Juden maskirte Christen mehr beym Zug, aber um so mehr als Christen gekleidete Juden, die dem Feste beywohnen. Der fürchterliche Ritter Longinus hat sich nun in artige Kavaliers und geputzte Kaufmannsdiener verwandelt, die sich auf ihren Rappen herumtummeln, und sich wenig um Seitenwunden bekümmern – Und wenn noch jemand dabey gegeißelt wird, so sind es die armen Pferde – – oder auch mancher arme Christ, der den raschen Pferden nicht schnell genug aus dem Weg tritt.

Was im Sommer der Augarten und Prater ist, das ist Hernals in der Fasten – Man sieht hier die ganze schöne Welt beysammen – daher wird Hernals von einigen Spöttern auch die kleine Redoute genannt. Fremde, die diesen Ort zum erstenmal besuchen, müssen sich nicht wenig wundern, wenn sie oben am Kalvarienberg Christus am Kreuz erblicken, und dann die unzählichen Boutiken von Würsten, Zuckerwerk, Hernalserkipfeln, wälschen Salamien, Käß und andere Viktualien am Fuß des geheiligten Berges sehen – Wenn sie hier ein altes Weib rufen hören: Das Lied zum Leiden Christi um 1 kr., und gleich neben diesem ein anderes Weib ruft: Meine Limonien, meine Feigen um 1 kr.; werden sie nicht glauben, daß auf dem Kalvarienberg Christen, am Fuß des Berges aber Heiden wohnen?

Wenn sie dann erst tiefer in das Dorf hinein kommen, oder das neue Lerchenfeld besuchen, und ihnen aus allen Bierschenken das Geklirre der Gläser, und lautes 30 Jauchzen entgegen schallt, werden sie sich wohl bereden, daß sie unter Christen seyen, die eben ihre Andacht zum Leiden Christi verrichtet haben, oder müssen sie nicht vielmehr auf den Gedanken kommen, daß sie sich unter zügellosen Bachanten befinden?

Es wäre unbillig den Menschen zu verbieten, daß sie sich durch einen angenehmen Spaziergang während der Fasten vergnügen. Körper und Geist wollen Erholung. Allein warum muß gerade der Spaziergang nach dem Kalvarienberg gehen – oder warum müssen wir einen Kalvarienberg haben?

Wir haben schon im Anfang dieses Kapitels den Fehler der vormaligen Prediger gerüget, die aus gewinnsüchtigen Absichten sich bloß bey dem Leiden Christi aufhielten. Von unsern dermaligen aufgeklärtern Predigern und Seelsorgern haben wir Ursache zu hoffen, daß sie nicht minder die Lehre Christi als sein Leiden ihren Zuhörern zur Nachfolge vorstellen werden. Dann werden mit den richtigen Begriffen unsrer heiligen Religion alle diese ärgerliche Misbräuche von selbst verschwinden – Wir werden gute Christen seyn, ohne Stationen zu besuchen, ohne Fastenprozessionen anzustellen, und ohne einen Kalvarienberg zu haben. 31

 


 


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