Joseph Richter
Bildergalerie katholischer Misbräuche
Joseph Richter

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Siebentes Kapitel.

Ueber die Ohrenbeicht.

Manchem Katholiken dürfte es vielleicht auffallen, in der Galerie katholischer Misbräuche auch die Ohrenbeicht zu erblicken.

Diesen wollen wir vorläufig zu ihrer Beruhigung melden, daß wir in diesem Kapitel keineswegs von der Ohrenbeicht selbst, sondern nur von ihrem öfters verfehlten Endzweck reden werden.

Ohne uns hier in eine Untersuchung einzulassen: ob die Urkunden des christlichen Alterthums von der Ohrenbeicht Erwähnung thun, nehmen wir die Ohrenbeicht als einen wesentlichen Lehrsatz der katholischen Kirche an; man erlaube uns nur zu untersuchen, ob der Endzweck, den die Kirche bey der Ohrenbeicht jederzeit vor Augen hatte, erreichet werde, oder nicht.

Dieser Endzweck konnte wohl kein anderer seyn, als die Verbesserung unsers moralischen Zustandes. Daher nennet man die Geistlichen, die zum Unterricht der katholischen Gemeinde angestellt sind, Seelsorger, und Seelenärzte, so wie sie selbst ihre Ermahnungen und geistlichen Strafen Seelenarzneyen nennen.

Wir finden diese Vergleichung sehr anpassend, und wollen die Ohrenbeicht auch bloß aus diesem Gesichtspunkte betrachten.

Allein, so wie ich von einem geschickten Arzt fordre, daß er mit den Grundsätzen seiner Wissenschaft genau bekannt, den Zustand seines Pazienten sorgfältig untersuche – dem Gange der Krankheit nachspüre – durch unrecht gewählte 36 Mittel der wohlthätigen Natur nicht entgegen arbeite – die trügerischen Symtomen einer anscheinenden Besserung von den ächten unterscheide – und dann endlich aus niedrigem Eigennutz keine grössere Zahl Pazienten annehme, als er zu übersehen im Stande ist – so setze ich auch von einem wahren Seelenarzt voraus, daß er das menschliche Herz genau kenne – seinen moralischen Pazienten nicht allemal als einen höchst strafbaren Sünder, sondern auch als einen unglücklichen, leidenden Bruder behandle – die Leidenschaften, ohne die der Mensch aufhörte Mensch zu seyn, nicht ausrotten wolle, sondern ihnen ihre wahre wohlthätige Richtung gebe – vorzüglich aber, daß er das Temperament des Kranken fleissig studiere – die chronischen Uebel von einem vorübergehenden hitzigen Fieber wohl unterscheide – bey seinen Pazienten weder auf Stand noch Würden sehe – und endlich gleich dem Leibarzt nicht mehr Kranke übernehme, als er zu übersehen im Stande ist.

Kein ächter Katholik wird diese Forderung übertrieben nennen; auch wäre es traurig, wenn es nicht mehrere Beichtväter gäbe, die diese Eigenschaften besässen; aber was ist ihre Zahl in Vergleichung mit der grossen unübersehbaren Menge von Pazienten, die leider nicht selten an unerfahrne Seelenärzte überlassen sind, die oft kaum so viel von der Seelenkur verstehen, als mancher Dorfbader von der Medizin.

Viele dieser Seelenärzte sind als Kinder in die Klöster gestecket worden – wie können sie, ohne die Welt zu kennen, über die Sünden der Welt richten, und Krankheiten, die sie nur dem Namen nach aus den Büchern, öfters auch gar nicht kennen, praktisch kuriren?

Manche von ihnen hat das Unglück getroffen, daß sie oft selbst an schweren Krankheiten der Seele darnieder liegen; und ist es dann nicht ungereimt, wenn ein Pazient den andern 37

Man erzählt von einem Arzt, daß er an jedem Morgen verschiedene Rezepte in einen Sack warf. Wenn er dann zu einem Pazienten kam, grif er den Puls, dann in den Sack, und das Rezept, das ihm in die Hand fiel, wurde verschrieben.

Gleichen nicht viele geistliche Aerzte diesem weltlichen Quaksalber? Sie haben gleich ihm in ihrer Arzneykammer einen Vorrath von Rosenkränzen – Vaterunsern – Salvereginen – Avemarien – Psaltern u. s. w. die sie ihren Pazienten, wie sie ihnen in die Hände kommen, als Seelenarzneyen verordnen; und so fügt es sich dann öfters, daß einer gefährlichen jungen Pazientinn eine kleine Dosis von Avemarien verschrieben wird, indessen eine weniger gefährliche alte Patientinn einen ganzen Psalter verschlucken muß – Durch den nämlichen Zufall kömmt oft der sündige Verwalter mit einem Vaterunser davon, indessen dem armen Bauer, der ohnehin wenig zu essen hat, ein Fasttag auferlegt wird.

Man erzählt, und zwar in öffentlichen Schriften, manch' ärgerliche Anekdote: so sagt man z. B. daß oft die unschuldigsten Mädchen im Beichtstuhl mit Sünden bekannt werden, von denen sie nie gehört hatten – daß die Mönche das Zutrauen ihrer Beichtkinder misbrauchten, um die Privatgeheimnisse, öfters auch Staatsgeheimnisse zu erfahren – und daß endlich manche Seelenärzte sich nach Art einiger andern Aerzte weniger um die Heilung ihrer Pazienten, als ihren eigenen zeitlichen Vortheil bekümmern.

Allein alle diese verleumderische Beschuldigungen können eben so wenig etwas wider die Ohrenbeicht beweisen, als die vielen fehlgeschlagenen Kuren einiger unerfahrner Mediker wider die Medizin, und wenn wir so wenig thätiges Christenthum, so wenig Moralität in der katholischen Gemeinde antrefen, und den Endzweck der Kirche: unsren moralischen Zustand durch die Ohrenbeicht zu verbessern, 38 bisher gänzlich verfehlet sehen, so trift der Vorwurf nicht die geistliche Arzneykunde, sondern nur diejenigen, die sie ausüben.

Daher hat Joseph, der schon so viel für die Menschheit gethan hat, auch auf diesen vernachlässigten Zweig der Seelsorge sein Vateraug gerichtet, und durch Errichtung geistlicher Pflanzschulen dem Uebel entgegen gearbeitet. Er weiß, wie sehr dem Staat an aufgeklärten, verständigen und menschenfreundlichen Seelenärzten gelegen seyn müsse, und daß die heilsamste Arzney in den Händen des Unerfahrnen zum Gift werde.

Möchte doch der Himmel seine fromme Absicht segnen! Möchten doch aus diesen Pflanzschulen so viele würdige Seelenärzte hervorgehen, als die ungeheure Anzahl von Pazienten erfordert; denn da der Weiseste siebenmal des Tags fällt, so ist wohl jeder Katholik ein Pazient! – – – 39

 


 


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