Joseph Richter
Bildergalerie katholischer Misbräuche
Joseph Richter

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Neunzehntes Kapitel.

Ueber Fronleichnamsumgänge.

Der Ursprung der Prozessionen verliert sich in das graue Alterthum. Sie müssen uns also wenigstens als Antike ehrwürdig seyn.

Wenn ganze Gemeinden in Reihen dem Tempel zuwallen, um Gott den Herrn bey anhaltender Trockne um fruchtbaren Regen, und bey überschwemmten Fruchtfeldern um Sonnenschein, und folglich um ihre Erhaltung zu bitten, so ist es gewiß löblich, und am löblichsten, wenn ihr Gebeth den vernünftigen Inhalt hat: Herr dein Wille geschehe!

Wenn aber diese Prozessionen ohne wichtige Beweggründe angestellt, und ohne Ursache gehäufet werden; wenn sie überdieß den arbeitsamen Bauer und Bürger in seinen Geschäfften hemmen, zu Ausschweifungen den Weg öffnen, und endlich in Maskeraden und Possenspiele ausarten, soverdienen sie, wie die übrigen Misbräuche, die Geißel der Satire.

Wir haben im zehnten Kapitel über Landprozessionen und Wallfahrten bereits unsre Meynung gesagt, um dieses Bild vollständig zu machen, fehlt nur noch eine kleine Schilderung der Stadtumgänge.

Wenn man den Vater kennt, so kann man sich beyläufig eine Idee von den Söhnen und Töchtern machen. Deswegen übergehen wir die ungeheure Anzahl von Bruderschaftsumgängen, Klosterprozessionen u. s. w. und stellen hier bloß das Bild des so berühmten Fronleichnamumgangs zum ewigen 100 Angedenken in unsrer Galerie auf; aber nicht so wie er nun ist, sondern wie er war –

Noch eh der Tag anbrach, war bereits die halbe Stadt aus den Federn; denn alles freute sich auf diese Prozession. Die Köchinn putzte sich so gut möglich zusammen, um dem Fleischerknecht, der heute die grosse Fahnenstange dirigiren wird, Abends beym Tanz Ehre zu machen. Der Schuhknecht schwitzte unter der Hand des Haarkrausers, der ihm ein paar Locken an den Kopf hindoppelte, und gröber mit ihm umgieng, als dieser mit dem Leder; denn an diesem Tag gab es wohl keinen Handwerksbursch, der nicht, wenigstens am Kopf, einem kleinen Kavalier ähnlich gesehen hätte.

Gegen 4 Uhr versammelten sich Meister und Gesellen bey ihren Zunftfähnen. So eine Zunftfahne kostete öfters 5 bis 6 tausend GuldenDiese Summe läßt sich nun weit löblicher zum Besten armgewordener Mitmeister, vaterloser Waisen, kranker Gesellen u. s. w. verwenden.. Sie waren alle aus Seidenstoff, und reich von Gold gewirket. In Mitte der Fahne sah man den Schutzpatron der Zunft, unter ihm das Handwerkszeichen – Und so stand also auf der Fahne der Fleischhacker der Ochs unter dem Heiligen.

Jede solche Fahne hatte 10 bis 12 Träger, von denen einer die Mittelstange und also gleichsam das Steuerruder regierte.

Es konnte auch auf dem größten Kriegsschiff nicht leicht ein grösserer Lärm unter den Matrosen gehöret werden, als hier unter diesen Fahnträgern.

Spaß war es freylich nicht, eine viele Zentner schwere Maschine, die bis über das zweyte Stockwerk ragte, auf den Schultern durch alle Hauptgässen der Stadt zu tragen. 101

Der kleinste Windstoß konnte sie zu Boden stürzen. Darunter hätte das point d'honneur des ganzen Handwerks gelitten. Bey so einem Fall hätten wohl auch einige Zuschauer können erschlagen werden; allein das gehört nicht zum Handwerk.

Zu den Trägern wählte man aus jeder Zunft die handfestesten Bursche. Diese waren nach ihren verschiedenen Zünften in Uniformen. Unter diesen zeichneten sich die Metzger vorzüglich aus. Sie waren in seinem rothen Tuch, mit Silber besetzt, gekleidet, trugen rothseidene Strümpfe, Schürzchen vom feinsten Nesseltuch mit Spitzen besetzt – grüne Mützchen mit Federn geschmückt, hatten silberne Messer in der Schürze stecken – grosse runde Locken, wie sie kaum ein junger Abbe tragen kann, liefen ihnen um den Nacken her – Kurz ihre Maske hätte für eine Redoute allerliebst ausgesehen – – aber bey einer Fronleichnamsprozession???

Um vier Uhr gemeiniglich begann der Zug. Die Zünfte folgten sich nach ihrer festgesetzten Ordnung. Einige, die keine Fähne hatten, trugen ihre Handwerksinsignien auf Stangen, und diese waren wirklich die Vernünftigsten.

Den Fähnen folgten die Gesellen, den Gesellen die Meister mit reichgalonirten Mänteln.

Je breiter die Mäntel mit Gold besetzt, je dicker die Bäuche waren, je reicher war die Zunft.

Einige ließen sich eine Bande von Bierfidlern vortreten, die ihnen (bey einer Prozession?) verschiedene Marsche vorspielen mußten, und wenn sie dessen ungeachtet im Marschiren kein Tempo hielten, so war es kein Wunder, denn die Därmkratzer hielten selbst keines.

Nachdem die Zünfte vorüber waren, nahm endlich der Hauptumgang seinen Anfang, und dieser war in mancher Rücksicht auferbaulich, und gehört also nicht in unsere Galerie; aber daß diese Prozession in der Stadt allein durch 102 8 Täge wiederholet wurde, daß man Leuten, die wichtiger Geschäfte wegen durch die Gässen gehen und fahren mußten, den Weg mit Brettern verlegte, Wachs und Gras unnützerweise verschwendete, bey der Prozession der wohlehrwürdigen Patern Franziskaner aus Schulbuben Engeln machte, und das Hochwürdigste selbst durch ein 8tägiges Spazierntragen profanirte, das gehört allerdings in unsre Bildersammlung, so wie der Misbrauch, den die Vorstädte mit eben dieser Fronleichnamsprozession durch verschiedene Wochen wechselweise trieben, wodurch diese an sich löbliche Andacht zum wahren Nebenbild der Johannesandachten wurde.

Wir reden nur von vergangenen Dingen. Gegenwärtig wird dieser sogenannte Fronleichnamsumgang mit Auferbaulichkeit und Anstand gehalten; obwohl er seines grossen Umfanges wegen Manchem nur für Leute eingerichtet scheint, die gut auf den Beinen sind.

Doch man zwingt ja Niemand dabey zu erscheinen. Wem das Gehen zu beschwerlich wird, der kann ja zu Hause bleiben, und von den Fenstern zusehen. 103

 


 


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