Joseph Richter
Bildergalerie katholischer Misbräuche
Joseph Richter

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Dreyzehntes Kapitel.

Ueber die Opfer und Opfertafeln.

Alles, was den Menschen umgiebt, zeugt von einem höhern Wesen; aber dieses Wesen stellt uns die Einbildungskraft bald gütig und wohlwollend, bald aufgebracht und fürchterlich vor. Wir glauben, daß uns im Sonnenschein und fruchtbaren Regen die Gottheit geneigt sey, und daß sie auf uns zürne, wenn Sturm und Hagel unser Fruchtfeld zerschlägt. Daher war es sehr natürlich, daß der Mensch auf Mittel dachte, die gute Gottheit sich geneigt zu erhalten, und die erzürnte zu versöhnen. Weil aber der Mensch von Natur eigennützig ist, so glaubte er seinen Endzweck am sichersten durch Geschenke zu erreichen – – Aber wie diese Geschenke der Gottheit in die Hände bringen? Doch man bemerket, daß der Rauch gegen Himmel steigt – Die Gottheit kann nirgend als im Himmel wohnen: nun war das Geheimniß gefunden. Man verbrannte seine Geschenke, und so entstand das Brandopfer – So opferte Abel ein Lamm, so Kain Feldfrüchte, und es ist keineswegs zu zweifeln, daß Gott, der nur auf das Herz sieht, mitleidig auf den Opfernden wird herabgesehen haben. Eines dieser Opfer gab Gelegenheit zu dem ersten Todschlag. Kain, der sein Opfer vermuthlich nicht mit Andacht verrichtete, faßte Groll im Herzen wider Abel, dessen Opferrauch gerade in die Höhe stieg; er schloß daraus, daß die Gottheit seinem Bruder geneigter sey, und erschlug ihn – Und dieser Brudermord war vielleicht eine traurige Voraussagung von dem Menschenblut, das in spätern Jahrhunderten 63 wegen der verschiedenen Art, zu opfern, und Gott zu dienen, geflossen ist.

Die Heiden, die die Zahl der Gottheiten vermehrten, vermehrten auch die Opferarten. So gab es Götter unter ihnen, die sehr gutartig waren, und sich durch gute niedliche Speisen (die ihnen freylich ihre Priester öfters vor dem Maul wegassen) gewinnen liessen. Einige konnte man durch Gold und Silber auf seine Seite ziehen; viele waren aber so unerbittlich grausam, daß sie nicht anders als durch Menschenblut konnten versöhnet werden.

Doch endlich erschien eine wohlthätigere Religion an der Hand der Vernunft, und riß den blutdürstenden Priestern das Schlachtmesser aus den Händen.

Christus kam, und lehrte uns, daß Gott kein anders Opfer als unser Gebeth und unser Herz verlange; er verwarf die tadelhaften Gebräuche der Heiden, und führte einen reinern Gottesdienst ein.

Aber so wie man in spätern Zeiten in vielen Stücken von der ersten Einfalt der Religion abwich, so glaubte man auch es in Ansehung der Opfer nicht so genau nehmen zu dürfen.

Das Gebeth mit aufrichtigem Herzen mochte freylich Gott ein angenehmes Opfer seyn; aber dieses Opfer ließ die Hände seiner Priester leer; und da sie vom Altar leben müssen, so glaubten sie sich berechtiget, auch von diesem geistlichen Opfer einen zeitlichen Vortheil zu ziehen.

Sie suchten also den frommen Christen nach und nach beyzubringen, daß zwar das Gebeth an sich ganz gut wäre, daß es aber Gott noch wohlgefälliger seyn würde, wenn sie solches durch sinnliche Opfer begleiteten. Vorzüglich liessen sie es sich angelegen seyn, ihnen eine übertriebene Verehrung der Heiligen an das Herz zu legen, weil diese immer um den Thron Gottes wären, und man durch ihren Vorspruch alles erhalten könnte, was man verlangte. Damit sich aber die 64 Heiligen um so leichter an unsre Bitte erinnerten, so hielten sie es für eine sehr kluge Vorsicht, an ihre Altäre den Inhalt ihres Petitums in einer allegorischen Figur von Gold oder Silber pro memoria hinzuhängen.

Der Mensch, der von Natur gern nimmt, giebt auch von Natur gern, wenn er seinen Vortheil sieht, und so ließ er sich den Wink zu diesen Opfern nicht zweymal geben. Ein Fuß von Fleisch und Blut schien ihm für einen Fuß von Silber und auch von Gold immer ein sehr vortheilhafter Tausch. So dachte der Blinde in Ansehung seiner Augen, der Taube in Ansehung seines Gehörs, der Lahme in Ansehung seiner Glieder, und so sah man bald die Altäre von oben bis unten mit Händen, Füssen, Augen, Zungen, Brüsten, Nasen und andern Theilen des menschlichen Körpers behangen, wodurch manche Gotteshäuser freylich das eckelhafte Ansehen einer Anatomiekammer erhielten.

Es ist auch mehr als wahrscheinlich, daß bey der ungeheuren Menge von Supplikanten nicht alle erhöret wurden, und daß manches silberne oder goldene Opfer fruchtlos dargebracht wurde; um indessen einen Beweis zu geben, wie uneigennützig die Geistlichen bey diesen Opfern zu Werke giengen, und daß sie ferne davon seyen, von diesen kostbaren Schätzen für sich einen Gebrauch zu machen, so haben sie es jedem Supplikanten frey gestellt, jährlich mit seinem krummen Beine nach den sogenannten Gnadenörtern zu reisen, und dort seinen geopferten silbernen oder goldenen geraden Fuß in Augenschein zu nehmen.

Wider diese sehr scheinbare Uneigennützigkeit ließ sich freylich die Frage aufwerfen, wie es möglich sey, daß Leute, die von Schätzen keinen Gebrauch zu machen suchen, doch alles darauf anlegen, solche täglich zu vermehren?

Diese kitzliche Frage würde noch eine kitzlichere nach sich ziehen: für wen sie nämlich diese ungeheuren Schätze sammeln? Für die Heiligen unmöglich; denn diese können 65 an Gold und Silber unmöglich einen Gefallen finden. Für sich selbst? Das wäre freylich so etwas; aber wie vertrügen sich Millionen mit dem Gelübde der Armuth?

Doch wir wollen diese Fragen von denjenigen thun lassen, die sie mit besserem Nachdrucke thun können; aber schädlich ist es immer, daß diese Schätze schon durch Jahrhunderte der allgemeinen Cirkulation entrissen sind.

Wir kennen zwar die Gründe, durch welche diese Herren ihre Schatzkammer und Opfer zu entschuldigen, und in ein weniger nachtheiliges Licht zu setzen suchen.

Wir zwingen diese Opfer Niemanden ab, sagen sie. Die andächtigen Christen geben sie uns aus guten Herzen, und geben sie freywillig: und man würde es uns als armen Bettlern sehr übel nehmen, wenn wir sie ausschlügen; ja wir könnten uns leicht sogar die Ungnade der Mutter Gottes und der Heiligen zuziehen, wenn wir die Opfer zurückwiesen, die uns ihnen zu Ehren eingehändiget werden: warum lassen die Layen ihre Opfer von Gold und Silber verfertigen, da wir ihnen durch unsre wächserne OpfermännchenMan lese über diesen Gegenstand die vortrefliche Broschüre: Herr und Frau von Wachs, die 1782 herauskam. Wir wollen der Nachkömmlinge wegen nur so viel erinnern, als nöthig ist, ihnen einige Idee von diesen wächsernen Opfermännchen zu geben. Diese Opfer bestanden aus Herren mit grossen Perücken, aus Bauern, Weibern verschiedener Klasse, Kindern, Häusern, Ochsen, Händen, Füssen, Brüsten, Ohren, Nasen, Herzen, kurz aus allen Theilen des menschlichen Körpers. Sie waren von dünen Wachs gegossen, und nicht über eine Spanne lang. Alle diese Opfer waren der Aufsicht des Kerzelweibs anvertraut, bey der man das Stück, nachdem nämlich das Anliegen war, für 3 kr. lösen konnte. So opferte der Hausherr sein baufälliges Haus – der Mann sein krankes Weib – der Bauer seinen kranken Ochsen – der Blinde ein paar Augen u. s. w. Das Etiquette dabey war, daß der Opfernde, nachdem er den Groschen erlegt, seine wächserne Frau, oder Kind, oder Haus, oder Ochsen vorher küßte, und dann eigenhändig ex voto auf den Altar stellte, von dem sie aber durch den Sakristaner nach wenigen Minuten wieder abgeholet, und nach ad notam genommener Anzahl abermal an das Kerzelweib eingeantwortet wurden; denn so wie das Kerzelweib der Obereinnehmer war, so war der Sakristaner der Kontrolor. Es war eine Zeit, wo man auch lebendige Tauben für 3 kr. lösen konnte, und Sie ebenfalls mit gebundenen Füßchen auf den Altar legte – Seitdem aber einige lose Vögel die Tauben, statt auf dem Altar zu opfern, zur obern Kirchenthüre hinaustrugen, und im Wirthshaus braten ließen, hat die Periode der Wachsopfer ihren Anfang genommen, wobey die weise Vorsicht getroffen worden, daß ein Männchen nie den Werth von einigen Kreuzern übersteige. selbst den Fingerzeig gaben, wie sie sich mit wenigen Kreuzern ihrer Gelübde entladen können? – – – 66

Auf diese Gründe wird aber ein gut unterrichteter Katholik antworten, daß man in den ersten Jahrhunderten der Kirche von solchen sinnlichen Opfern nichts wußte; daß das heilige Meßopfer, an dem jeder Christ mit seinem Herzen und frommen Gebethe täglich unentgeltlich Theil nehmen kann, Gott das wohlgefälligste Opfer wäre; daß also diese Opfer von Gold und Silber von Menschen erfunden und eingeführet worden, deren Herzen nicht an Gott, sondern ebenfalls an Gold und Silber hiengen. Hätte nun dieser gut unterrichtete Katholik noch zum Ueberfluß eine kleine Portion satirischer Laune, so würde er vielleicht hinzusetzen, daß eben die so unschuldig scheinende wächserne Opfermännchen gerade die einträglichsten Unterthanen dieser geistlichen Grundherren seyen, und daß sie den schändlichsten Wucher damit trieben; denn obschon sie sich, so oft so ein Opfermännchen gelöset wird, nur 3 kr. bezahlen lassen, so ergiebt sich doch nach einer noch ziemlich ring angeschlagenen Berechnung, daß so ein wächserner Unterthan jährlich 450 Gulden eintrug. 67 Es scheint unglaublich; aber die Sache ist gewiß. Freylich ist hier nur die Rede von grossen sogenannten Gnadenörtern, die durch das ganze Jahr besuchet werden.

Wer nur immer einer Wallfahrt beygewohnet hat, wird bemerket haben, daß so ein wächsernes Opfermännchen nie über eine halbe Viertelstund auf dem Altar Wache stand, ohne abgelöset zu werden; lassen wir ihm nun auch eine halbe Viertelstund zum Ausruhen, so hätte es doch die Reihe zum Aufmarschiren von 6 Uhr früh bis 6 Uhr Abends 48mal treffen können.

        Doch wir wollen die gewissere Zahl von 25 annehmen, welches also täglich 25 Groschen
betrüge. Die multiplicirt mit 360

giebt 9000 Groschen
oder 450 fl.
Nehmen wir nun abermal an, daß sich die Zahl dieser Opfermännchen nur auf 50 belief (obwohl sie vielleicht über 100 stark waren) so geben diese 50
multiplicirt mit 450

2 500
20 000

ein Quantum von 22 500 fl.

und folglich in 10 Jahren eine baare Erträgniß von zweymal hundert fünf und zwanzig tausend Gulden. Doch wir wollen so billig seyn, und annehmen, daß diese Oerter nur durch 6 Monate besucht werden, so bleibt immer das beträchtliche Quantum von 112 500 Gulden. Ob nun die geistlichen Herren bey der uns angerühmten Uneigennützigkeit, auch von dieser Summe nichts anrührten, wollen wir nicht untersuchen. Aber wir hoffen, daß jeder gute Katholik, der diesem Gegenstand reifer nachdenkt, und besonders in Ueberlegung 68 zieht, daß diese ungeheure Summe gerade aus dem Säckel der ärmern Klasse (denn nur diese opferte Wachs) gezogen worden, gewiß die weise Regierung segnen wird, die nun auch diesen Misbräuchen Einhalt thut, und die übertriebene Verehrung gegen die sogenannten Gnadenbilder und Heiligen in die gehörigen Schranken zurückweiset.

Wie glücklich werden unsre Nachkommen, wie glücklich werden vielleicht wir selbst noch seyn, wenn wir das Haus des Herrn besuchen können, ohne uns an den eckelhaften Händen, Füssen, Zähnen, Nabeln, Haarzöpfen und Krücken ärgern zu dürfen, und die Verkäufer und Verkäuferinnen der Opfermännchen, nach dem Beyspiel Christi, werden aus dem Tempel hinausgejagt seyn. 69

 


 


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