Joseph Richter
Bildergalerie katholischer Misbräuche
Joseph Richter

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Erstes Kapitel.

Arme-Seelen Andacht.

Mit dem Anfange des Kirchenjahres fangen auch die Kirchenmisbräuche an. Das erste Bild unserer Galerie soll also die Andacht für die armen Seelen seyn. Die katholische Kirche befiehlt für unsere verstorbene Mitbrüder zu bethen; aber sie befiehlt nicht, für sie eine so grosse Menge von Messen lesen zu lassen – Das Opfer der heiligen Meß wird zwar Gott immer höchst gefällig seyn; allein das Gebeth des Layen, der unbezahlt für die Erlösung seines Bruders bittet, muß doch auch Gnade vor ihm finden können. Die Mönche wissen das genau; weil ihnen aber nicht so sehr um die Erlösung der armen Seelen, als um ihr zeitliches Interesse zu thun war, so haben sie das Privatgebeth der frommen Christen verdächtig zu machen gesucht, und ihnen das Meßopfer (wenn sie es nämlich gut bezahlen) beynahe als den einzigen und sichersten Weg zu ihrer und ihrer Brüder Seligkeit empfohlen.

Jeder Mensch will gern die Peinen des Fegfeuers vermeiden oder lindern, keiner sieht es gern, daß jemand aus seiner Familie dort leide; es war also natürlich, daß sie 10 gutwillig ihr Geld zu ihrer und ihrer Brüder Seligkeit an die Mönche hingaben. Dadurch wurde die heiligste Handlung zu einer Goldgrube, aus der die schlauen Mönche, besonders am Armen-Seelentage, die reichste Ausbeute machen.

Der wurde für keinen ächt katholischen Christen gehalten, der nicht an diesem Tage für seine verstorbene Eltern, oder Verwandte, oder auch als ein Präservativmittel für seine eigene arme Seele, so viel er konnte, und öfters mehr als er konnte, auf Messen hintrug. Daher glichen auch an diesem Tage die Sakristeyen dem Steueramte, nur mit dem Unterschied, daß die Steuereinnehmer sehr höflich mit den Leuten umgiengen, und die Kontribuenten viel williger ihre Abgaben hier doppelt entrichteten, als sie ihrem Landesherrn die Hälfte davon abtrügen. So schwach ist der menschliche Geist, wenn ihn einmal die Bande des Aberglaubens umschlungen haben! Viele Väter entzogen ihren Kindern das liebe Brod, um der Mutter, die sie schlecht erzogen hat, an diesem Tage eine Messe lesen zu lassen – Hier versetzte ein armes Weib ihren Rock, um den Mann, der ihr die Welt zur Hölle gemacht hatte, aus dem Fegfeuer zu erlösen – Dort sparte sich eine Küchenmagd vom Marktgeld einen halben Gulden auf eine Meß für die Seele eines verstorbenen Grenadiers zusammen, und glaubte eben ein so gutes Werk dadurch zu thun, als der heilige Schuster Krispin, der das Leder stahl, um armen Leuten Schuhe gratis zu machen.

Die Mönche suchten diese frommen Triebe durch verschiedene sinnliche Gegenstände und geistliche Gaukelspiele lebhaft zu erhalten. Mahler und Bildhauer mußten auf einige Zeit die übrigen Heiligen und Mutter-Gottes Bilder bey Seite legen, und arme Seelen machen. Die meisten fielen auch so aus, daß sie Mitleiden erregen mußten. Diese Bilder wurden sodann in allen Kirchen und Kreuzgängen aufgestellt, und die mitleidigen Christen durch eine in das Aug 11 fallende Geldbüchse, und die Worte: Erbarmet euch unser, zu einem Donum gratuitum aufgefordert. In vielen Kirchen wurden den armen Seelen sogar Altäre errichtet. Da man nur Heilige zur Verehrung auf die Altäre stellt, die armen Seelen aber, eben weil sie im Fegfeuer sind, Sünder seyn müssen, so werden es unsre Nachkommen unglaublich finden, daß wenigstens die Herren Ordinarii diesen die Religion entehrenden Misbräuchen nicht Einhalt thaten – –

Vorzüglich aber wurde die Sache immer am Armen-Seelentage übertrieben; denn dieser Tag war den Mönchen, was ungefähr den Hausherren Georgi und Michaeli seyn mag – Die Kirchen und Altäre wurden mit schwarzen Tapeten behangen – in der Mitte prangte eine mit schwarzem Tuch überzogene Todtentruhe auf einem erhabenen Gerüste zwischen Waxfackeln – Die Priester waren in schwarzes Gewand gehüllet, und lasen kürzere Messen; dann wurde auf der schwarzen Kanzel eine eben so schwarze Predigt gehalten. Die Zuhörer sahen handgreiflich die Peinen des Fegfeuers abgemahlt, sahen hier die Geliebte im feurigen Hemd herumspringen, dort ihre theure Ehehälfte aus einem glüenden Kessel gucken – kurz die Prediger suchten alle Bilder hervor, die die Einbildungskraft erhitzt, das Gemüth weich, den Geist furchtsam, und die Hand freygebig machen konnten; denn der Hauptinhalt aller Predigten war: Lasset Messen lesen, wenn ihr wollt selig werden.

Nicht minder ungereimt war, was an dem nämlichen Tage auch unter dem freyen Himmel vorgieng. – Kein Ort schien ihrer Absicht geschickter als die Gottesäcker, die Einbildungskraft der Andächtigen zu erschüttern, weil hier gleichsam schon die Gräber zu den Lebendigen reden. Die Menschen versammelten sich da zu tausenden, um eine schlechte Predigt zu hören, von der kaum hundert was verstehen konnten. Es ist schon an sich selbst unschicklich, den Gottesdienst unter dem freyen Himmel zu halten, wenn man geräumige 12 Kirchen hat; aber unverzeihlich ist es, und der strengsten Ahndung würdig, eine christliche Gemeinde auf Gräbern zu versammeln, deren giftige Ausdünstung mit der Ausdünstung so vieler Lebendigen vermischet, leicht die Pest über die ganze Nation bringen könnte – gleich als wäre die Absicht dieser Herren gewesen, dem Fegfeuer einen Nachwuchs von armen Seelen zu verschaffen?Aus dem allegorischen Kupferstiche können sich unsre Nachkömmlinge eine Idee von so einem geistlichen Schauspiele machen. Die Gruppen sind nach dem Leben gezeichnet – nur hat man, um Frommen Aergerniß zu ersparen, gewisse anzügliche Szenen hinweggelassen.

Ein Theil dieser Misbräuche ist nun aufgehoben – aber es scheint nur der Nachwelt vorbehalten, zu sagen: Wir leben glücklich – unser Gottesdienst ist rein – unsre Priester dienen Gott mit ihren Herzen – Sie bethen für ihre und unsere verstorbene Mitbrüder; aber sie bethen nicht mehr für Geld. 13

 


 


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