Joseph Richter
Bildergalerie katholischer Misbräuche
Joseph Richter

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Zehntes Kapitel.

Ueber Wallfahrten.

Es ist schon in der Vorrede gesagt worden, daß die Bildergalerie nicht bloß für die lebenden, sondern auch für die nachkommenden Christen geschrieben sey; daher wird man darinn öfters Bilder von Misbräuchen aufgestellet finden, die bereits abgeschaffet sind.

Vielleicht wird man uns einwerfen, daß es klüger wäre, alle diese Misbräuche in das Grab der Vergessenheit zu legen, und lieber gar nichts davon zu sagen; allein so wie es uns beym Anblick unsrer Städte und Gärten freuen muß, daß Deutschland (wie die Geschichte sagt) nicht mehr mit unbewohnbaren Sümpfen und Morästen bedecket ist, so muß es auch unsern Nachkömmlingen Vergnügen bringen, wenn sie ihren Gottesdienst von den vielen Mirakeln gereiniget sehen; aber würden sie wohl das Glück dieser wohlthätigen Verwandlung ganz fühlen, wenn sie nicht ebenfalls in der Geschichte die Schilderung der vorigen Misbräuche aufgezeichnet fänden?

Unter den nun zum grossen Theil abgestellten Misbräuchen der katholischen Kirche zeichneten sich besonders die Wallfahrten nach verschiedenen sogenannten Gnadenörtern aus.

»Man findet zwar auch schon in der ersten Christenheit Spuren,Man lese hierüber die Gedanken eines katholischen Pfarrers über die Wallfahrten. daß die Gläubigen abgelegene Oerter und 48 sogar fremde Länder besuchten, um ihre Sünden abzubüssen, und ihrer Andacht gegen Gott und seine Heiligen ganz besonders zu pflegen. Allein dieser Gebrauch hatte einen wahrhaft heiligen Eifer zum Grund – und obschon Gott überall gegenwärtig ist, und das Gebeth einer andächtigen Seele überall gleich angenehm in den Himmel aufsteigen wird, so kann es doch vielleicht seyn, daß Gott an einem Ort vorzüglich seine Gaben ausspenden wolle, oder auch, daß die Menschen vorzüglich sich geneigt finden, an einem andern die Gottheit anzuruffen.

Wir sehen ja oft, und merken es an uns selbst, daß gewisse Gegenden das Gemüth besonders aufheitern, und uns zum denken und empfinden geschickter machen; sollten also (nach den Eindrücken wenigstens, die wir in der Jugend davon bekommen) nicht gewisse Oerter vor andern vorzüglich die Stimmung geben können, Gott ein würdiges Opfer der Andacht zu bringen?«

Aber vermuthlich haben die ersten Wallfahrter diese heiligen Oerter zu Fuß besucht – haben nicht aus jedem Wirthshaus eine Station gemacht – bey ihrem Zug durch Städte und Dörfer mit ihrem Geschrey die Einwohner nicht an die Fenster gezogen, sondern ihre Andacht mit bußfertigen Herzen, und auferbaulichem Anstande verrichtet, und so waren sie freylich sehr von unsern heutigen Wallfahrtern unterschieden.

Wenn reizende Gegenden und schöne Aussichten das Herz vorzüglich zur Andacht stimmen, so wären freylich unsre meisten sogenannten Gnadenörter sehr geschickt dazu; denn sie haben gemeiniglich eine recht bezaubernde Lage, und beweisen, daß diejenigen, die diese Plätze für die Gnadenbilder auswählten, ein gutes Kenneraug hatten, und sich auf schöne reizende Gegenden verstanden. Wenn aber nun diese begeisternde Gegenden bey allen ihren Reizen das Herz unsrer heutigen Wallfahrter kalt und ungerührt 49 lassen, so mag es daher kommen, daß viele von ihnen bey ihrer Andacht ganz entgegengesetzte Beweggründe haben, die vielmehr darauf hinauszulaufen scheinen, die Zahl ihrer Sünden zu vermehren, statt sie abzubüssen.

Einige giengen nach Mariazell, um von den überladenen Kanzleygeschäften auszuruhn, und eine kleine Kommotion zu machen – viele um den ewigen Kontreverspredigten ihrer Junonen und Xantippen, oder auch dem Zudringen ihrer Gläubiger auszuweichen – manche, um sich wieder einmal an guten Forellen recht satt zu essen – die meisten aber giengen par compagnie.

Wenn unsre Nachkömmlinge so eine mit vier raschen Pferden bespannte Landkutsche vor irgend einem geistlichen Haus erblickten, und sehen sollten, wie hier ein Diener beschäftiget ist, drey tüchtige Flaschenkeller rückwärts aufzubinden, dort ein andrer ein Sitztrühchen mit Schünken, Kapaunen und verschiedenen Gebackenen ausfüllet, so würden sie sich es nicht einmal im Traume einfallen lassen, daß die Reise nach Mariazell gehe, und daß die dahin abfahrende Personen Sünder wären, die Busse thun, und ihre Andacht verrichten, ja wohl gar Bußprediger, die durch ihr Beyspiel die dahin Wallenden zur Andacht, Frömmigkeit und Abtödtung des Fleisches ermuntern sollten.

Würden sie dann erst die ganze Karavane in ihrem Zug sehen, oder zugegen seyn, wenn sie in irgend eine Station zum Mittagmahl einrücket, so müßten sie solche aus ihrem Betragen viel eher für eine Truppe Panduren, die aufs Rauben ausgehen, als für andächtige Wallfahrter halten.

Die Wirthe selbst fiengen an gegen diese büssende Sünder vorsichtig zu seyn, und überzählten pünktlich ihre Silberlöfel, bevor sie die Zeche machten, und diese Vorsicht war um so verzeihlicher, da es bekannt war, daß 50 selbst ErzdiebeMan sehe oben angeführte Broschüre des katholischen Pfarrers Seite 25. nach Mariazell reiseten, um bey dieser Gnadenmutter zur Dankbarkeit des so glücklich ausgefallenen Raubes ein Hochamt halten zu lassen – –

Beym Nachtquartier gieng es noch auferbaulicher her. Da lagen oft in einem Zimmer gegen 50 und mehr Menschen, Männchen und Weibchen, wie das liebe Vieh auf Stroh beysammen. Der Teufel, der die frommen Christen nie ungehudelt läßt, trieb auch hier sein saubers Spiel, und da hatte der Gaudieb seine herzliche Freude, wenn sich die andächtigen Wallfahrter aus Lieb' und Eifersucht auf dem Stroh herumbalgten, und sich mit Stuhlfüssen abprügelten – und wenn dann bey so bestellten Wallfahrten doch ein Mirakel gewirket wurde, so ist gewiß dieß, daß bey diesen Auftritten nicht einige todt geschlagen wurden.

Endlich kam man an das sogenannte Gnadenort; und da that ein jeder, als wenn es ihm um die Andacht wahrer Ernst wäre. Man drängte sich in die Kirche – erhielt Rippenstösse, und gab Rippenstösse – bahnte sich mit vielen Brummen, Stossen und Schelten einen Weg zum Beichtstuhl, lud da die Last seiner Sünden ab – verrichtete seine Busse – opferte ein paar wächserne Männchen – ließ einige Messen lesen – wohnte den auferbaulichen Predigten bey – ließ sich aber bey allen diesem frommen Bußleben an Essen und Trinken nichts abgehen, und trat endlich nach einigen Rasttägen, an Leib und Seele gestärkt, seine Rückreise an.

Die Vermöglichern bestiegen ihre Postchaisen und Landkutschen, die Geistlichen ihren GeheimnißwagenZu dieser Benennung mögen vielleicht auch die geheimen Fächer Gelegenheit gegeben haben, die mit Kapaunen und Schünken gefüllt sind. ein 51 Theil der Mittelklasse ließ sich gleich den Kälbern auf Zeiselwägen ladenIm Winter führen diese Wägen den Unrath aus der Stadt; im Sommer aber bringen sie die andächtigen Wallfahrter nach Maria Zell, und Maria Taferl.; weil aber immer Kreuz und Leiden der Antheil der ärmsten Klasse ist, so blieben auch hier die armen Fußgeher beym Kreuz.

Auf dieser Rückreise wurde wie beym Hinzug gebethet, gesungen, gegessen, getrunken, gezankt und geprügelt. Bey der Annäherung gegen die Stadt zog den Wallfahrtern eine andere Prozession entgegen, die sie einführte. Hier bekomplimentirten sich Muttergottes und Muttergottes – öfters Kristkindl und Muttergottes – Die Wallfahrter sangen beym Einzug ihren schönen Gruß von Mariazell und brachten gemeiniglich ihrer Familie als die ganze Frucht ihrer Wallfahrt, ein blaues Aug, und einen leeren Beutel.

Es war eine Zeit, wo nach Mariazell allein jährlich von fünf Hauptkirchen der Stadt Wallfahrten angestellt wurden, ohne die vielen Nebenprozessionen nach dem Sonntagberg, Mariataferl, Klein Mariazell, Mariabrunn, Ebersdorf, Hiezing, Enzersdorf, Lanzendorf, Purkersdorf, Eisenstadt, Klosterneuburg, Lainz, Kahlenleitgebn, nach Korneuburg zum Blut Christi, nach Azgersdorf zum Fieberkreuz u. s. w. in Anschlag zu bringen.

Diese öffentlichen Wallfahrten sind nun zwar durch weise Verordnungen größtentheils eingestellt worden; allein was vermag die weiseste Gesetzgebung über die Privatandachten einzelner Bürger?

Diese wallen noch immer, bald allein, bald in grössern Gesellschaften nach diesen Oertern; aber Niemand besucht sie häufiger, als gerade diejenige Klasse, die vermög 52 ihrer häuslichen Geschäfften am wenigsten Zeit zu Besuchen haben sollte – –

Viele haben aus einem falschen Andachtstrieb ein Gelübde gethan, so lang sie leben, jährlich der Muttergottes eine gewisse Summe auf Messen in eigner Person nach Mariazell zu überbringen, und diese machen sich weniger ein Gewissen daraus, Weiber und Kinder darben zu lassen, als ihr Gelübde zu brechen.

Doch wir versprechen uns von der alles heilenden Zeit, daß auch diese Misbräuche nach und nach verschwinden werden. Viel, sehr viel können unsre aufgeklärtern Seelsorger und Prediger durch genauere Bestimmung des wahren Endzwecks der Wallfahrten zu dieser Kur beytragen; das meiste aber ließ sich von den Oberhirten der christlichen Kirche erwarten, wenn diese die Wunderwerke der besuchten sogenannten Gnadenörter genau prüfen ließen, und diejenigen Bilder, deren Mirakel nicht bewährt befunden würden, oder wo man vielleicht gar Betrug oder eigennützige Nebenabsichten vermerkte, auf die Seite schaften. – Möchte doch dieser Wunsch nicht unter die frommen Wünsche gehören! – – – 53

 


 


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