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27.

Belling und Crawford beobachteten Ria Bonati scharf. Sie rang mit einem schweren Entschluß.

»Werden Sie mich nicht verhaften, wenn ich Ihnen alles sage?«

»Das hängt ganz davon ab.«

Wieder preßte sie die Lippen aufeinander, und ihr Widerstand schien sich zu versteifen.

»Geben Sie doch nach und erzählen Sie uns alles. Sie werden selbst einsehen, daß sehr schwere Verdachtsgründe gegen Sie vorliegen. Es ist in Ihrem eigensten Interesse, die Sache aufzuklären und alles mitzuteilen, was zu Ihren Gunsten spricht. Ich will noch einmal zusammenfassen, was ich eben sagte, damit Sie sehen, wie ernst die Lage für Sie ist.«

Ria Bonati wollte etwas erwidern, und ihre Mundwinkel zuckten, aber im letzten Augenblick hielt sie die Worte wieder zurück.

»Sie sind wenige Minuten vor dem Mord vor dem Haus gesehen worden. Sie biegen in den Seitengang ein, an dem die Nebentür zum Haus liegt, und kommen dann nicht wieder auf die Straße zurück. In Ihrem Besitz wird ein Schlüssel zu einem Geheimeingang gefunden – das läßt doch die Schlußfolgerung zu, daß Sie auch Schlüssel zu den anderen Eingängen gehabt haben. Ferner ist einwandfrei festgestellt, daß Sie vor einem halben Jahr die Waffe hier in London gekauft haben, aus der der tödliche Schuß gegen den Ermordeten abgegeben wurde.«

Crawford machte eine Pause und sah sie fragend an.

»Sie sind als Meisterschützin in den Vereinigten Staaten aufgetreten, verstehen also, mit Schießwaffen umzugehen. Was liegt da näher, als daß man Sie für die Täterin hält? An Motiven hat es Ihnen nicht gefehlt. Sie sind im höchsten Grad eifersüchtig gewesen und haben noch kurz vorher einen heftigen Streit mit dem vermeintlichen Sir Richard gehabt. Außerdem konnten Sie Ihrer Meinung nach nur durch den Tod des Mannes gewinnen, denn er hat Ihnen, wie Sie selbst sagen, ein Legat zum Geschenk gemacht, und Sie mußten annehmen, daß Ihnen dieses im Fall seines Todes ausgezahlt würde. Wenn dieser Sachverhalt bei einer Gerichtsverhandlung den Geschworenen vorgetragen wird, brechen sie unbedingt den Stab über Sie. Helfen kann Ihnen nur, wenn Sie mir die volle Wahrheit sagen und alles, was zu Ihrer Entlastung dienen könnte.«

Er hatte absichtlich nicht zu scharf die möglichen Schlußfolgerungen gezogen, aber sie hatte vollkommen begriffen, was auf dem Spiel stand, denn sie sah ihn entsetzt an. Ihre Augen weiteten sich, ihre Hände zitterten, und es war, als ob sich etwas in ihr löste. Sie sank in sich zusammen.

»Fragen Sie mich – ich will alles sagen.«

Sie sprach so leise, daß Crawford sie kaum verstand. Endlich war sie genügend erschüttert. Er kannte diese Art Frauen. Nachdem sie gefühlt hatte, daß sie durch ihre äußere Erscheinung nicht auf ihn wirkte, war ihre Widerstandskraft gebrochen.

»Vor allem muß die Sache mit der Pistole aufgeklärt werden. Sie bestreiten doch nicht, daß Sie die Waffe gekauft haben? Das würde Ihnen auch wenig nützen. Die Polizei könnte Sie dem Waffenhändler, Mr. Cleveland, gegenüberstellen, und der würde Sie dann wiedererkennen. Er besinnt sich auf den Verkauf noch sehr genau, Sie sind ja schließlich auch keine alltägliche Erscheinung. Und die Beschreibung, die er von Ihnen gab, stimmte genau. Sie geben doch zu, daß Sie diese Waffe unter Ihrem eigentlichen Namen Maud Mason gekauft haben?«

»Ja.«

»Und wie erklären Sie, daß der vermeintliche Sir Richard damit erschossen wurde?«

»Das kann ich mir nicht erklären.«

»Sie hatten die Waffe doch für sich selbst gekauft?«

»Ja.«

»Sicher haben Sie für Ihre Vorführungen Gewehre, Pistolen und Revolver gebraucht?«

»Ja. Aber die habe ich in Paris in meinen Koffern gelassen.«

»Und nur diese eine Waffe haben Sie auf die Reise mitgenommen?«

»Ja.«

»Warum haben Sie denn einen Schalldämpfer darauf?«

»Ich habe manchmal im Hotel nach der Scheibe geschossen und wollte die anderen Gäste nicht durch laute Geräusche stören.«

Crawford sagte nichts dazu, obwohl ihm diese Art Training sehr merkwürdig vorkam. Aber schließlich war einer Frau wie Ria Ronati das zuzutrauen.

»Sie hatten die Waffe während der ganzen Reise bei sich?«

»Ja – nein –« erwiderte sie stockend.

»Was ist denn nun richtig – das Ja oder das Nein?«

»Ich hatte sie zuerst, aber in Kairo hat er sie mir im Hotel des Pyramides abgenommen, und seit der Zeit hat er sie behalten.«

»Warum hat er das getan?«

»Weil – weil –«

Sie konnte sich nicht aufraffen, eine Antwort zu geben.

»Weil Sie ihn mit der Waffe bedroht haben und ihn erschießen wollten?« fragte der Inspektor.

»Nein!«

»Wie war es dann?«

»Ich fürchtete, er wollte mich verlassen, und da wollte ich Schluß machen.«

»Bitte, erklären Sie das etwas genauer. Sie waren also wieder eifersüchtig?«

»In dem Hotel in Kairo trafen wir eine Dame, für die er sich stark interessierte.«

»Und Sie haben vermutlich die Dame und ihn erschießen wollen?«

Einige Zeit sagte sie nichts.

»Ich konnte es nicht ertragen, daß ihn mir eine andere wegnahm«, entgegnete sie schließlich trotzig. »Ich wollte ihn und mich erschießen.«

»Vorher kam es aber zu einer Auseinandersetzung?«

»Ja. Als er sah, daß ich die Waffe aus der Handtasche zog, war er schneller als ich und drehte mein Handgelenk um, so daß ich sie fallen lassen mußte. Dann hat er sie in seinen Koffer eingeschlossen.«

»Sie haben die Waffe also nachher nie wieder in der Hand gehabt?«

»Nein. Hier in London bin ich einmal allein in seinen Zimmern gewesen und habe seine Sachen durchsucht. Aber die Pistole habe ich nicht gefunden. Er muß sie in sein Haus in der Bruton Street mitgenommen haben.«

»Nun kommen wir zu dem anderen schweren Verdachtsmoment. Geben Sie zu, daß Sie ein bis zwei Minuten vor neun vor dem Haupteingang des Hauses in der Bruton Street standen?«

»Ja«, erwiderte sie kaum vernehmbar.

»Haben Sie versucht, die Haustür aufzuschließen?«

Sie nickte.

»Warum sind Sie denn zu dem Nebeneingang gegangen?«

Sie antwortete nicht gleich, und Crawford ließ ihr Zeit.

»Ich hatte den Schlüssel, den Sie mir abnahmen, in einer seiner Taschen gefunden«, entgegnete sie stockend und zögernd, aber allmählich fiel ihr das Sprechen leichter.

»Das war doch aber nicht der Schlüssel zur Haupttür.«

»Ich dachte es.«

»Warum sind Sie denn überhaupt zu dem Haus gegangen?«

»Als er nicht zur Oper kam, glaubte ich, daß er seine Sekretärin dort treffen wollte.«

»Und Sie wollten die beiden überraschen?«

»Ja.«

»Sind Sie ins Haus gegangen?«

»Nein.«

»Aber Polizist Granter, der Sie beobachtete, hat längere Zeit vor dem Haus gestanden und Sie sind nicht auf die Straße zurückgekehrt.«

»Der Seitengang neben dem Haus führt auf den Hof und von dort geht eine Tür auf das dahinterliegende Grundstück. Die Tür stand auf, ich ging hindurch und kam dann auf die Straße, die hinter der Bruton Street liegt.«

»Wollten Sie denn nicht durch den Seiteneingang ins Haus gehen?«

»Ja, aber er war verschlossen.«

»Wie wollen Sie das beweisen?«

»Von dort bin ich mit einer Taxe zum Theater zurückgefahren.«

»Hat Sie denn niemand gesehen?«

Sie dachte einige Zeit nach.

»Ja. An der Ecke von Bruton Place und Berkeley Square ist ein Halteplatz für Taxen. Als ich auf den Wagen zuging, kam der Zeitungshändler, der dort seinen Stand hat, auf mich zu und bot mir ein Abendblatt an. Er öffnete auch die Wagentür. Ich gab ihm ein Geldstück und nahm die Zeitung, dann fuhr ich ab.«

»Nun, das läßt sich ja alles nachprüfen.« Der Ton seiner Stimme klang nicht mehr so schroff wie vorher. »Ich werde das veranlassen. Sie waren also eifersüchtig, und vorher hatten Sie schon einen Verdacht. Deshalb haben Sie auch dem vermeintlichen Sir Richard heftige Vorwürfe gemacht, als er Sie zu Ihrer Loge begleitete.«

»Ja«, sagte sie bedrückt.

»Wenn Ihre Aussagen stimmen, wäre ja damit die Rolle aufgeklärt, die Sie in der kritischen Stunde gespielt haben. Ich hoffe in Ihrem Interesse, daß sich Ihre Angaben bestätigen lassen. Aber nun ist wahrscheinlich nicht nur der vermeintliche Sir Richard Richmond ermordet worden, sondern auch der wirkliche. Und beide Verbrechen müssen aufgeklärt werden. Sie haben in Paris die Bekanntschaft von Alec Maxwell gemacht, der in der Rolle von Sir Richard auftrat?«

»Ja. Ich weiß bestimmt, daß er derselbe war, den ich auf seiner weiten Reise begleitete, mit dem ich nach London zurückkehrte, und der am Montagabend in der Bruton Street erschossen wurde.«

»Wie haben Sie denn seine Bekanntschaft gemacht?«

»Er kam mit einer Empfehlung von Anwalt Stetson zu mir.«

Crawford war so erstaunt, daß er unwillkürlich aufstand. Auch Belling sah zu ihr hinüber, als ob er seinen Ohren nicht trauen dürfte, und hörte einen Augenblick auf, zu protokollieren.

»Ich war der festen Überzeugung, daß es niemand anders sein könnte als Sir Richard Richmond. Ich habe später seinen Paß gesehen, ebenso seinen Kreditbrief, auch schrieb er die Schecks stets unter dem Namen von Sir Richard Richmond aus, und die Banken honorierten sie. Deshalb habe ich nie an der Glaubwürdigkeit seiner Person gezweifelt.«

»Wie erklären Sie es sich denn, daß in London der wirkliche Sir Richard abreist und in Paris der falsche sich bei Ihnen mit einer Empfehlung von Anwalt Stetson einführt?«

»Es muß eben ein Unglück oder ein Verbrechen auf der Reise geschehen sein. Jedenfalls trugen die Koffer und das Gepäck die Buchstaben RR. Auch das Monogramm in seiner Wäsche lautete so.«

»Ist Ihnen dann an seinem Wesen nichts aufgefallen?«

»Nein. Er hat sich stets so benommen, daß ich ihn für Sir Richard Richmond halten konnte.«

»Sie haben also nur ein- und denselben Mann während der ganzen Reise gekannt?«

»Ja.«

»Was wissen Sie von der Schönheitsoperation, der er sich unterzogen hat?«

»Die war schon ziemlich verheilt, als ich ihn kennenlernte. Ich sah bald, daß er es getan hatte, um die Falten im Gesicht zu entfernen. Die Männer sind in der Beziehung ja noch eitler als die Frauen.«

Crawford staunte, daß sie schon wieder solche Bemerkungen machte, und Belling konnte ein Grinsen nicht unterdrücken.

»Aber die Operation hat auch nicht viel genützt, denn jetzt, nach einigen Monaten, zeigten sich schon wieder die alten Falten in verstärktem Maß.«

»Hat er Ihnen etwas darüber erzählt, daß er eine Narbe an der Stirn gehabt hätte?«

»Nein, davon habe ich erst durch die Verhandlung erfahren.«

»Hat er Ihnen gegenüber einmal den Namen von Mr. Carley erwähnt?«

»Er sagte am Montagmorgen, daß dieser aus Burma zurückgekehrt wäre und ihn durchaus sprechen wollte. Er schimpfte dann und sagte, daß er für dergleichen Zeug keine Zeit hätte.«

»Als Sie die Bekanntschaft von Maxwell machten, hatte er bereits die Persönlichkeit von Sir Richard angenommen?«

»Ja.

»Und den wirklichen Sir Richard haben Sie niemals gesehen oder kennengelernt?«

»Nein. Auch seinem Namen habe ich erst vor wenigen Monaten in Paris erfahren.«


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