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15.

Detektiv Armstrong kam ins Zimmer und meldete, daß die Photographen und die Beamten vom Erkennungsdienst ihre Arbeit abgeschlossen hätten.

»Dann sollen sie sofort nach Scotland Yard zurückkehren und die Aufnahmen entwickeln und auswerten«, entgegnete Crawford. »Bitte, kommen. Sie mit, Belling, wir wollen noch einen Rundgang durch das Haus machen.«

Die beiden stiegen die Treppe hinauf und traten in das Arbeitszimmer. Der Tote war inzwischen fortgeschafft worden, und nur der große, häßliche Blutflecken auf dem hellgrünen Teppich erinnerte noch an die furchtbare Tat.

Crawford nahm die Schußwaffe in die Hand und betrachtete sie genauer. Auf dem Griff war der Name einer Waffenhandlung eingepreßt – dort mußte man Nachforschungen anstellen lassen. Die Pistole hatte einen außergewöhnlich langen Lauf, der fast zwei Zentimeter über den Mantel vorragte. Daran war ein kurzer Schalldämpfer befestigt.

Der Inspektor trat zum Schreibtisch, nahm einen Federhalter aus der Bronzeschale, zog sein Taschentuch heraus, wickelte es um das hintere Ende und führte es in die Mündung der Waffe ein. Als er den Federhalter zurückzog, war das Taschentuch schmutzig von Pulverschleim.

»Die Waffe ist benützt worden. Damit stimmt auch überein, daß sie entsichert war, als sie gefunden wurde.«

Er drückte auf den Griff und nahm das Magazin heraus, dann schob er den Mantel zurück, so daß auch die nichtabgeschossene Patrone ausgestoßen wurde. Darauf wandte er sich an Armstrong, der sie auch begleitet hatte.

»Haben Sie das Geschoß gefunden?«

»Ja.

»Wo war es?«

»Es lag in den Falten des großen, grünen Plüschvorhangs am Fenster.«

»Bitte, geben Sie es mir.«

Vorsichtig nahm der Detektiv ein Kuvert aus seiner Brieftasche und reichte es dem Inspektor.

»Die Waffenprüfstelle soll sofort untersuchen, ob das Geschoß aus dieser Pistole abgefeuert wurde. Sorgen Sie dafür, daß ich morgen früh das Resultat erhalte.«

Crawford machte nun einen Rundgang durch das ganze Haus und sah sich besonders die eiserne Wendeltreppe an, die durch eine Geheimtür mit der Bibliothek und der Straße verbunden war. Dann stieg er mit seinen Begleitern ins Laboratorium hinunter. Am Fuß der Treppe machte er halt, und bemerkte gelben Sand in einer Ecke des engen Treppenhauses. Dann trat er durch eine Tür ins Laboratorium und drehte das Licht an. In der Mitte des Raumes lag ein Linoleumteppich, und an den Seiten zogen sich Tische und Regale mit Retorten und Schmelztiegeln entlang. An der einen Wand war ein Schmelzofen eingebaut.

»Der Fußboden ist aufgewischt, aber die Werkzeuge und Apparate stehen noch herum, als ob eben jemand hier experimentiert hätte.«

Crawford ging weiter in den Raum hinein und trat an einen der Tische. Die Glasbehälter waren mit Staub bedeckt.

»Nach seiner Rückkehr scheint Sir Richard noch nicht hier gearbeitet zu haben. Wo ist denn der Eingang zu den anderen Kellerräumen?« wandte sich der Inspektor an Armstrong.

»Das Laboratorium ist nur durch die Wendeltreppe zugänglich. Wenn man die anderen Keller erreichen will, muß man zum Seiteneingang gehen.«

Crawford stieg mit seinen beiden Begleitern wieder nach oben. In der Halle begegnete er Pemberton, der eben vom Savoy-Hotel zurückgekehrt war.

»Nun, haben Sie Miß Bonati nach Hause gebracht?«

»Ja.«

»Haben Sie auch die Leute dort ausgefragt?«

»Das Personal vom Tagesdienst war meistens schon abgelöst, daher konnte ich nur einzelne Angestellte sprechen. Immerhin hatte ich Glück, denn das Zimmermädchen im ersten Stock, in deren Bereich die Räume von Miß Bonati liegen, hatte Nachtdienst. Miß Boinati wohnt seit nicht ganz drei Wochen im Hotel und hat im ganzen drei Zimmer, die nach der Straße hinausliegen.«

»Hat das Zimmermädchen etwas Besonderes beobachtet?«

»Ja. Aber ich habe vor allem auch festgestellt, daß Sir Richard dort Wohnung genommen hat. Seine Zimmer sind nur durch den Korridor von den ihren getrennt, und die Eingangstüren liegen sich gegenüber.«

»Das war zu erwarten. Was haben Sie sonst noch erfahren?«

»Es hat in der letzten Zeit mehrmals heftige Auftritte zwischen beiden gegeben, aber sie haben sich immer wieder vertragen. Sie muß wohl sehr eifersüchtig auf ihn gewesen sein. Besuch haben sie im Hotel niemals gehabt. Das Personal im Empfangsbüro und in der Halle sagte übereinstimmend aus, daß sie sich immer danach erkundigte, wohin er gegangen wäre.«

Belling sah nach der Uhr.

»Wie spät ist es?« fragte Crawford.

»Halb eins.«

»Dann wollen wir für heute Schluß machen. Viel könnten wir doch nicht mehr erreichen, und morgen haben wir einen langen Tag vor uns. Die Zeugen können nach Hause gehen. Sergeant Pemberton, Sie ordnen die Bewachung des Hauses an. Es soll dauernd ein Beamter in der Nähe des Telephons bleiben, der auf eventuelle Anrufe von Scotland Yard antworten kann.«

Crawford ließ das Auto vorfahren und stieg mit Belling ein, den er nach Hause bringen wollte.

»Die Bonati ist eigentlich immer noch eine fabelhafte Erscheinung«, meinte er unterwegs. »Aber ihr Charakter ist weniger erfreulich – wetterwendisch, hysterisch, gefallsüchtig. Immer will sie im Mittelpunkt stehen. Die geborene Schauspielerin! Mit ihren abgrundtiefen, rätselhaften Augen hat die Frau schon viel Unheil angerichtet!«

»Ja, sie ist eine interessante Frau, aber ich traue ihr nicht recht. Ich habe immer das Gefühl gehabt, daß sie nicht die Wahrheit sagt. Sie macht uns und sich und anderen ein Theater vor. Ob Richmond sich wirklich mit ihr verlobt hat?«

»Wir werden sie noch weiterverhören müssen. Sehen Sie zu, daß Sie morgen von den Angestellten in der Oper noch etwas erfahren.«

»Vor allem ist auch Stetson noch wichtig«, entgegnete Belling. »Ich glaube, daß er uns viele Aufschlüsse über Sir Richard geben kann.«

»Wann haben Sie Carley eigentlich kennengelernt?«

»Ich war mit ihm auf der Universität zusammen und kenne ihn seit etwa zehn Jahren.«

Belling berichtete kurz, was er von der Jugend und der Studienzeit seines Freundes wußte.

»Sir Richard hat also darauf bestanden, daß er Ingenieur wurde?«

»Ja. Carley mußte dem Wunsch nachkommen, weil er finanziell von ihm abhängig war.«

»Er sagte ja auch, daß er in dem Haus seines Onkels wohnte, bevor er in die Tropen ging. Können Sie mir etwas mehr über das Verhältnis zwischen den beiden mitteilen?«

»Carley erhielt das Diplom als Zivilingenieur, nahm aber zunächst keine Stellung an. Als er noch im Hause seines Vaters war, wurde er knappgehalten. Erst als er zu seinem Onkel kam, hatte er mehr Geld und stürzte sich in einen Strudel von Vergnügungen.«

»Wollen Sie damit sagen, daß er viel in Gesellschaft von Frauen war?«

»Das weniger. Aber bei jedem sportlichen Ereignis war er zu finden. Sir Richard wurde das zuviel, und er war nicht damit einverstanden. Oft machte er Carley Vorhaltungen, und ich weiß, daß er damals schlecht auf ihn zu sprechen war.«

»Hat sich das später geändert?«

»Die Beziehungen zwischen den beiden spitzten sich immer mehr zu, so daß Carley schließlich froh war, als sein Onkel ihm eine Stellung bei den Birmanischen Staatsbahnen verschaffte. Gestern abend erzählte er mir, daß sich von da ab das Verhältnis zwischen ihnen dauernd besserte. Er hatte sogar einen regen Briefwechsel mit seinem Onkel, und sie schienen ausgezeichnet miteinander zu stehen. Um so mehr war er natürlich enttäuscht, als er dann drei Monate lang nichts mehr von ihm hörte und hier in London den Eindruck gewinnen mußte, daß Sir Richard ihm aus dem Weg gehen wollte.«

»Carley war nun viereinhalb Jahre lang in den Tropen – hat er sich Ihrer Meinung nach in seinem Charakter geändert?«

»Nein, nicht im mindesten. Er ist noch der alte Draufgänger wie früher, und obwohl wir so lange nicht zusammengewesen sind, haben wir uns gleich wieder gut verstanden. Ich halte ihn für einen unbedingt zuverlässigen, ehrlichen Menschen.«

»Neigt er denn nicht zum Jähzorn?«

»Das ist wohl etwas zuviel gesagt, immerhin braust er leicht auf. Wenn er sich aber zu übereiltem Handeln hinreißen läßt, tut es ihm nachher sehr leid.«

Crawford dachte einige Zeit nach.

»Unparteiisch betrachtet, ist er bisher schwer belastet. Ich will ja in seinem Interesse hoffen, daß sich der Fall anders aufklärt.«

Belling wollte etwas zugunsten seines Freundes sagen, aber Crawford legte ihm die Hand auf den Arm.

»Ich weiß schon, daß Sie von seiner Unschuld überzeugt sind. Nun, wir werden ja weitersehen. Morgen früh bin ich um acht im Büro. Versuchen Sie, Rechtsanwalt Stetson morgen möglichst bald zu erreichen, und verabreden Sie etwas mit ihm. Am liebsten wäre es mir, wenn er nach Scotland Yard käme.«

Der Wagen hielt vor Bellings Wohnung in der Guildford Street.

»Also, auf Wiedersehen.«

Belling reichte dem Inspektor die Hand und stieg aus.


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