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24.

Kaum war Inspektor Crawford am nächsten Morgen in sein Büro getreten, als Sergeant Farland vom Erkennungsdienst sich meldete.

»Nun, ich dachte, Sie wären zum Schauhaus gefahren, um den Toten noch einmal genauer zu betrachten?«

»Ich war schon dort. Die Haare sind tatsächlich schwarz gefärbt, aber ich habe es nicht sofort feststellen können. Er hat ein sehr gutes Mittel gebraucht – am deutlichsten war es an den Augenbrauen zu sehen. Ich habe mit einer Pinzette verschiedene entfernt und unter das Mikroskop gelegt. Nach der Personalbeschreibung sollte er ja auch blonde Augenbrauen besitzen. Dicht über der Wurzel waren sie blond, sonst gefärbt. Die anderen Kennzeichen stimmen genau. Das Gesicht war mit einer Hauttinktur bräunlich gefärbt, die ich mit Watte und Spiritus entfernte, dann wurde es blaß und bleich. Schauspieler haben ja gewöhnlich bleiche Hautfarbe, wie es auch in seinen Akten stand.«

Sergeant Belling kam herein.

»Nun, was bringen Sie Neues?« fragte Crawford. »Ich war in der Bruton Street und habe dort Bilder von Sir Richard gefunden. Sie steckten in einem Album in der Bibliothek. Die besten habe ich mitgebracht.«

Er legte einen starken, gelben Briefumschlag auf den Tisch.

»Gut. Heute scheinen wir schnell vorwärtszukommen.«

Der Inspektor nahm die einzelnen Photos heraus und legte sie nebeneinander auf die Schreibtischplatte. Alle drei betrachteten sie.

»Die Ähnlichkeit ist sehr groß. So etwas ist mir selten vorgekommen. Auch jetzt, nachdem ich weiß, daß der Tote nicht Sir Richard ist, könnte ich kaum einen Unterschied erkennen«, sagte Farland. »Jedenfalls ein verwegenes Gaunerstück.«

»Man fragt sich immer noch, wie das möglich war«, pflichtete Beling bei.

»Auf das Aussehen allein kommt es nicht an – er muß auch seine Rolle sehr gut gespielt haben,, wenn so kluge Leute wie Stetson sich von ihm täuschen ließen«, erwiderte Crawford nachdenklich.

Dann zog er sein Notizbuch heraus und stenographierte etwas hinein.

»Farland, nehmen Sie diese Photos und verwahren Sie sie in dem Aktenstück Maxwell.«

Der Sergeant legte die Bilder in die Mappe und verließ das Büro.

»Wir haben noch eine wichtige Sache vergessen, die eigentlich gestern hätte erledigt werden müssen.«

Belling sah seinen Vorgesetzten fragend an.

»Die Totenschau ist zu früh gekommen. Das habe ich gestern schon gesagt.«

»Wir haben noch nicht einmal die Wohnung des vermeintlichen Sir Richard im Savoy-Hotel besichtigt. Kommen Sie, wir wollen sofort dorthin.«

Bald darauf saßen sie im Dienstwagen und fuhren am Themseufer entlang, bogen bei der Waterloo-Brücke nach links in die Wellington Street ein und hielten gleich darauf vor dem Haupteingang des Savoy-Hotels.

Fast alle Morgenzeitungen hatten die aufsehenerregende Totenschau auf der ersten Seite in großer Aufmachung gebracht, und als die beiden Beamten nach dem Geschäftsführer fragten, wußten die Angestellten sofort, worum es sich handelte. Sie wurden gleich empfangen.

»Es ist uns sehr peinlich, daß der falsche Sir Richard in unserem Hotel gewohnt hat, aber daran läßt sich nun leider nichts ändern. Selbstverständlich stehe ich Ihnen zur Verfügung. Ich werde alles tun, um Sie bei Ihren Nachforschungen zu unterstützen.«

»Ich möchte die Zimmer des Ermordeten sehen.«

»Ja. Sergeant Pemberton ist am Montagabend sofort in die Räume gegangen und hat einen Kriminalbeamten hier gelassen, der sie bis jetzt bewacht hat. Wir haben gebeten, daß er sich innerhalb der Zimmer aufhält, um kein Aufsehen bei unseren Gästen zu erregen.«

»Dagegen ist nichts einzuwenden.«

Der Geschäftsführer brachte sie ins erste Stockwerk und führte sie zu den betreffenden Räumen.

Auf das Klopfen öffnete der Kriminalbeamte.

»Kann ich Ihnen noch irgendwie behilflich sein?« fragte der Geschäftsführer.

Crawford bedankte sich und entließ ihn.

»Es ist alles genau durchsucht worden, und ich habe ein Verzeichnis der Dinge aufgestellt, die ich hier gefunden habe«, erklärte Detektiv Watt.

Der Inspektor überflog die umfangreiche Liste.

»Zeigen Sie mir, was Sie an Schriftstücken haben.«

»Das ist leider nur wenig. Hier ist die Liste. Ich habe alle Papiere in die rechte Schreibtischschublade gelegt.«

Watt schloß auf und reichte dem Inspektor den Inhalt.

Eifrig sah Crawford die einzelnen Blätter durch. Es waren einige Hotelrechnungen und ein paar lose Zettel, die mit Zahlen beschrieben waren – offenbar ziemlich oberflächliche Abrechnungen von Ausgaben. Dann ein Telegramm: »Sende anbei tausendzweihundert Pfund, mehr im Augenblick nicht möglich. Sofortige Rückkehr London zwecks Aussprache erforderlich. Stetson.«

Crawford runzelte die Stirn. Er hatte erwartet, daß Stetson größere Summen geschickt hatte. Jedenfalls hatte er das nach der bisherigen Sachlage annehmen müssen. Er schüttelte den Kopf und reichte Belling das Formular. Als der Sergeant es gelesen hatte und zurückgab, steckte der Inspektor es ein. Er fand dann noch zwei Scheckbücher – eins von der Banc du Midi in Paris, das andere von der Westminster-Bank in London. Außerdem einen Reisekreditbrief, ausgestellt von der Hongkong- und Schanghai-Bank.

Crawford rief Belling zu sich.

»Notieren Sie die genauen Adressen der Depositenkassen sowie die Kontonummern.«

Als er den Kreditbrief öffnete, sah er zu seiner Überraschung, daß noch über tausend Pfund von der Summe nicht abgehoben waren.

Crawford und Belling sahen dann noch die Kleider und die Wäsche durch, und überall bemerkten sie das Monogramm mit den beiden verschlungenen RR. Maxwell schien vollkommen die Persönlichkeit Sir Richards angenommen zu haben.

Als der Inspektor die wenigen Schmuckstücke betrachtete fiel ihm ein gebrauchtes Zigarettenetui auf, das stark vergoldet war. An den Kanten war es durchgescheuert, und auf der Vorderseite waren die Buchstaben »A. T.« eingraviert.

Crawford steckte es ein. Im Augenblick sah er nicht, wie es ihm weiterhelfen konnte, aber er glaubte kaum, daß Maxwell ein so billiges Ding in Besitz hatte, nachdem sonst alles auf größten Luxus abgestimmt war.

Auf dem Frisiertisch standen mehrere Flaschen, und lächelnd zeigte er Belling eine Tinktur zum Braunfärben der Haut und die Mittel zum Färben der Haare.

Schließlich fanden sie noch eine gute Aufnahme von Maxwell aus Paris, die Crawford auch mitnahm.

»Viel Neues haben wir hier nicht herausgebracht«, meinte er. »Wie wäre es, wenn wir jetzt noch der großen Ria Bonati unsere Aufwartung machten?«

Belling lächelte ironisch.

»Ob sie zu dieser nachtschlafenden Zeit schon auf ist?«

Sie kehrten in die Halle zurück und wollten sich anmelden lassen, erfuhren aber zu ihrem Erstaunen, daß sie bereits vor einer halben Stunde ausgefahren war.

»Es hat keinen Zweck, hier eine Filiale von Scotland Yard zu gründen«, sagte Crawford. »Wir wollen noch einmal hinaufgehen und die Bude schließen.«

Oben gab er Detektiv Watt den Auftrag, die Sachen einzupacken und nach der Bruton Street zu bringen.

»Wollen wir nicht auch noch einmal dorthin fahren und das Haus genauer durchsuchen?« schlug Belling vor. »Vielleicht finden wir einen Geheimsafe, in dem Sir Richard seine wichtigen Dokumente aufbewahrt hat.«

Der Inspektor verabschiedete sich vom Geschäftsführer, und dieser war sehr erfreut, als er hörte, daß die Polizei die Wohnung des Ermordeten freigab.

Auf einen Wink des Portiers fuhr der Dienstwagen vor, und kurze Zeit später hielten sie vor dem Haus in der Bruton Street.

Detektiv Armstrong öffnete ihnen. Er berichtete, daß das Haus noch einmal durchsucht worden war, aber man hatte keine wichtigen Schriftstücke gefunden.

»Haben Sie die Waffe und Munition mitgenommen?« wandte sich Crawford an Belling.

»Ich habe schon heute morgen mit Armstrong die Versuche durchgeführt. Die Schüsse werden allerdings derartig abgeschwächt, daß man sie in der Bibliothek nur dann leise hört, wenn man vorher weiß, um welche Zeit sie fallen, und genau darauf achtet. Und selbst dann muß der Betreffende ein feines Gehör haben. Armstrong hat einen Schuß überhört, ich vier. Im ganzen hat jeder von uns sechs Schuß abgegeben.«

Die beiden machten noch einen Rundgang durch alle Zimmer; in der Bibliothek untersuchten sie alle Bücherschränke, aber sie fanden nichts. Crawford hoffte immer noch, ein Geheimfach zu entdecken, aber er sagte sich, daß die Spezialbeamten der Kriminalabteilung ihr Bestes getan hatten, und daß es keinen Zweck hatte, sie übertreffen zu wollen.

Als sie ins Speisezimmer traten, fiel ihnen ein prachtvolles, großes Grammophon auf, das mit dem Radioapparat in Verbindung stand.

»Sind alle Wände abgeklopft worden?« wandte sich der Inspektor an Armstrong, der sie begleitete.

»Nicht nur die Wände sind untersucht worden, sondern auch alle Fußböden. Die Fensterbretter und die Paneelverkleidungen in der Bibliothek und im Arbeitszimmer sind besonders scharf kontrolliert worden.«

Plötzlich kam Crawford ein Gedanke.

»Belling, rufen Sie doch einmal die Westminster-Bank an und fragen Sie, ob Sir Richard dort einen Safe gemietet hat?«

Während der Sergeant den Auftrag ausführte, unterhielt sich Crawford mit Armstrong.

»Die Dienstboten sind noch nicht entlassen worden. Rechtsanwalt Stetson rief heute an und sagte, daß er damit warten wollte, bis die Polizei die Untersuchungen abgeschlossen hätte.«

»Das ist sehr zuvorkommend. Wir könnten also den Butler, die Köchin und das Zimmermädchen noch einmal verhören, aber ich glaube, ihre Aussagen sind nicht weiter wichtig. Die Leute sind ja alle erst seit kurzer Zeit hier. Wenn Maxwell Sir Richard beiseiteschaffte, tat er es sicher irgendwo! in Paris oder sonstwo, jedenfalls während Sir Richard sich auf Reisen befand, auf keinen Fall nach seiner Rückkehr nach London.«

Belling kam zurück.

»Jetzt werden wir wohl bald die gesuchten Papiere haben. Sir Richard hat bei der Westminster-Bank einen Safe.«

»Dann wollen wir gleich hinfahren«, sagte der Inspektor eifrig.

»Das ist nicht so einfach. Ich habe eben darüber mit einem der Direktoren gesprochen. Er sagte mir, daß er den Safe nicht ohne weiteres öffnen könnte, selbst wenn wir Beamte von Scotland Yard wären. Es muß ein besonderer Befehl dazu vorliegen.«

»Dann müssen wir uns eben die Vollmacht beschaffen. Das ist ja auch nicht schwierig. Aber dazu müssen wir nach Scotland Yard zurück.«

»Ich habe auch erfahren, daß Sir Richard den Safe erst seit Ende Juni gemietet hat.«

»Ich hätte an seiner Stelle meine Papiere auch bei einer Bank hinterlegt, wenn ich eine so weite Reise machte.«


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