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Zehntes Kapitel.
Ein vertraulicher Bericht

Da diese Vertröstung auf die Zukunft unsern Lesern jedoch vermuthlich etwas zu allgemein gehalten sein möchte, so schalten wir hier noch zum Schluß dieses Abschnittes das Bruchstück eines vertraulichen Berichtes ein, welchen Herr von Lehfeldt um diese Zeit an seinen Gönner, den Minister, schrieb. Wir haben früher einen Brief des Ministers an Madame Wolston mitgetheilt, der mancherlei Einblick in die Vergangenheit der Personen verstattete, mit deren Schicksalen wir uns hier beschäftigen; so wird dieser Bericht geeignet sein, uns nicht nur eine Uebersicht über die gegenwärtige Lage der Sachen zu gewähren, sondern auch einen Blick in die Zukunft wird er uns eröffnen und uns auf das zunächst Bevorstehende vorbereiten.

Wie recht hatten Sie doch, schrieb er, mein theurer, väterlicher Gönner, und wie oft in diesen Tagen wiederhole ich mir die Lehre, mit welcher Sie mich entließen: nämlich daß der Mensch keinen größern Feind hat als die Furcht, und daß wir uns vor nichts in der Welt fürchten sollen, als nur vor der Furcht selbst! Auch ich, Sie wissen es, übernahm den Auftrag, mit welchem Sie mir ein so kostbares Unterpfand Ihres Vertrauens gegeben haben, gleichwohl nicht ohne geheimes Widerstreben; nicht nur meinen Kräften mistraute ich, ob sie einer so vielfach verwickelten Aufgabe gewachsen wären, sondern es hatte mir auch überhaupt etwas Peinigendes, diese Gegend wieder zu betreten, an welche sich so düstere, so räthselhafte Erinnerungen für mich knüpfen. Auch tiefe Räthsel aufzulösen, habe ich noch nicht alle Hoffnung aufgegeben, wennschon die bekannte Hartnäckigkeit des Alten mir die Arbeit sehr erschwert. Allein auch ihn halten wir ja an Fäden, die gar nicht mehr Fäden sind, sondern in der That recht dauerhafte, recht handfeste Ketten. Er selbst hat eine Ahnung davon; ich sehe ihn Ihrer Vorschrift gemäß nur selten und stets ohne Zeugen. Aber es ergötzt mich in tiefster Seele, wie der alte graue Sünder sich da unter der Last seiner Furcht krümmt und windet; wäre es ihm möglich, ich glaube, er ergriffe gern die Flucht vor uns. Daß er das Werkzeug des Commerzienraths, wie in allen andern Dingen, so auch in der bewußten Angelegenheit, ist ohne Zweifel. Der Commerzienrath selbst scheint die Sache höher anzuschlagen, als wir es eigentlich im Sinne haben; auch scheint er sich persönlich nicht so gedeckt zu haben, wie ich es bei seiner sonstigen unleugbaren Klugheit vermuthete. Als ich ihn vor einigen Tagen, nur ganz scherzweise, an das Jägerhaus erinnerte, fuhr er innerlich zusammen: innerlich, sage ich, denn seines Aeußern ist er allerdings in hohem Grade Meister, und man muß ein so genaues Studium aus ihm gemacht haben und seine verwundbare Seite so kennen wie ich, um die Bewegung seines Innern überhaupt nur zu bemerken. Auch dieser sonst so feste, so besonnene Mann hat also seinen Herrn, vor dem er sich beugt: die Furcht, mit unserer Zollbehörde in eine etwas unangenehme Berührung zu kommen …

Zum Ruhme jedoch muß ich ihm nachsagen, daß dies auch die einzige Furcht ist, die er kennt, und daß er im Gegentheil übrigens durch den verwegenen Muth, mit dem er die Unzufriedenheit seiner Untergebenen herausfordert, uns unbewußter Weise aufs Glücklichste in die Hände arbeitet. Auch der Alte hat sich, freilich ebenfalls ohne es zu wissen, in dieser Hinsicht große Verdienste um uns erworben, und ich erlaube mir deswegen ihn zum voraus Ihrer Gnade zu empfehlen, wenn endlich die Mine platzen wird und unser guter alter Schelm zu seiner großen Verwunderung, statt zu prellen, vielmehr auf einmal der Geprellte sein wird. Er ist wie geschaffen dazu, Haß und Unzufriedenheit zu verbreiten; selbst eine geduldigere Bevölkerung als die hiesige würde es auf die Dauer nicht ertragen, von einem solchen Menschen gehetzt und geknechtet zu werden. – Das Ereigniß in der Nacht meiner Ankunft, von dem ich Ihnen in meinem ersten Bericht meldete, wirkt noch immer nach. Herr Wolston wollte eine große Untersuchung deshalb einleiten; aber die Saat ist noch nicht reif, und so habe ich jenen Vorsatz hintertrieben. Der sogenannte Meister wird von mir, Ihrer Anweisung gemäß, unterstützt, nicht eben reichlich, aber doch so, daß er das Leben dabei fristet und daß sein Trotz gegen den Fabrikherrn sich frisch erhält.

Hier jedenfalls muß der erste Schlag fallen; die abergläubische Ehrfurcht, mit welcher die Masse den Meister betrachtet, und diese, wie ich glaube, nicht ganz grundlosen Gerüchte von einem intimen Verhältniß, welches früherhin zwischen ihm und Herrn Wolston bestanden, prädestiniren ihn gleichsam, die Bresche für uns zu eröffnen.

Auch jener tolle Candidat, über den Sie bereits mehrmals Meldung von mir erhalten haben, sowie der Schwiegersohn des Meisters, ein nichtsnutziger, verlorener Mensch, voll Faulheit, Eitelkeit und Hochmuth, wirken, ein Jeder in seiner Art, vortrefflich für unsere Zwecke. Der Vagabond, mit seinem verlumpten poetischen Genie und seinen wahnwitzig abenteuerlichen Einfällen, ist von mir völlig zum Apostel des Aufruhrs angeworben. Mir persönlich traut er nicht, das merk' ich wohl: allein die Dinge, die ich ihm erzähle, sind so sehr nach seinem Sinn, und entsprechen so völlig seiner wüsten Einbildungskraft und den geheimen Wünschen seines ungebändigten Herzens, daß er sie mit wahrer Wollust verbreitet. Auch daß Konrad ihm zum Spion gesetzt ist, merkt er, wie ich glaube; allein so erbittert ihn das nur um so mehr und wird im entscheidenden Moment nur dazu dienen, die Verwicklung zu steigern. – Ueberhaupt, wenn unsere verschiedenartigen Veranstaltungen und Intriguen auch sonst noch keinen direkten Vortheil gebracht hätten, so haben sie uns doch den wesentlichen Dienst erzeigt, die Bevölkerung des Dorfes, durch diese geheimnißvollen, abenteuerlichen Beziehungen und Einwirkungen, die sie überall verspürt, in eine erwartungsvolle und aufgeregte Stimmung versetzt zu haben, eine Stimmung, die, wie ein langsam, leise gährender Most, mit Nothwendigkeit und schon ganz aus sich selbst eine plötzliche Explosion erzeugen muß.

Den größten Dienst von Allen aber (fuhr das Schreiben fort) leisten uns die Frauen. Eure Excellenz entsinnen sich des Berichtes, den ich früher über die socialistischen Umtriebe der Miß Angelica abgestattet. Es ist die reine kindliche Einfalt, mit der sie es thut; ja das Fräulein hat gewiß selbst gar keine Ahnung davon, was diese Dinge eigentlich bedeuten. Uns aber ist ein großer Vortheil daraus erwachsen, besonders seitdem Ihre Frau Cousine, meine hochgeehrte Gönnerin, sich dieser Pläne angenommen hat. Sie hatten mich hinlänglich auf den Charakter der Frau Commerzienräthin vorbereitet; so hat mich auch diese neueste Wandelung desselben nicht überraschen können. Ihre Frau Cousine – Eure Excellenz wollen meine Freiheit verzeihen – unterliegt dem allgemeinen Fluch der Sterblichkeit: sie wird mit jedem Jahre ein Jahr älter. Auch scheint Ihr Brief sie einigermaßen derangirt zu haben; es genügt ihr nicht mehr, bloß fromm zu sein, sie will auch gute Werke thun. Gute Werke, in der That! Denn wenn ich nicht ein Stümper bin in meinen Berechnungen, so wird gerade diese Warteschule, welche Ihre gnädige Cousine im Begriffe ist einzurichten, und mit der sie ein so christliches Werk zu thun gedenkt – gerade diese, sage ich, wenn nicht alle Berechnungen mich täuschen, wird uns die geeignetste Gelegenheit bieten, unsern langgehegten Plan zur Ausführung zu bringen und diese gesammte fromme Sippschaft, die Eurer Excellenz geprüfte Staatsweisheit vom Ohr des Fürsten zu entfernen droht, in ihrer ganzen unbehülflichen Ohnmacht darzustellen, den armseligen Menschen, den Waller, mit eingerechnet.

Auch die Speculation der Pfaffen ist in der ersten Anlage allerdings nicht falsch; auch sie rechnen auf die Furcht. Aber Menschenfurcht bekanntlich ist mächtiger denn Gottesfurcht. Die Schrecken des Jenseit, mit welchem unsere vortrefflichen Pfaffen Seine Durchlaucht ängstigen, sind weit; die Schrecken des Aufruhrs, die wir ihm zeigen werden, sind nahe. Die Partie steht in jedem Betracht günstig für uns, das Pulver ist ausgestreut – ein Wink von Ihnen, gnädigster Herr, und der Spectakel geht los, so lärmend, so furchtbar, für Diejenigen nämlich, welche überhaupt Furcht kennen, daß nicht blos Serenissimus selbst, sondern auch seine geistlichen Rathgeber froh sein sollen, sich unter Ihren Schutz flüchten zu dürfen! Daß es uns selbst an den nöthigen Mitteln nicht fehle, das Feuer, das wir angeschürt, auch zur rechten Zeit wieder zu löschen, dafür wird Ihre Weisheit Sorge tragen und vertraue ich in dieser Hinsicht ganz Ihren Veranstaltungen. Auch kann es gar nicht schaden, wenn die Gluth unsern Nebenbuhlern erst ein bischen auf die Nägel brennt; so wird man die Finger in Zukunft nicht wieder so weit ausstrecken. Ich komme mir vor wie der Commandant eines Branders; geben Sie denn das Zeichen und seien Sie um mein eigenes Schicksal unbesorgt. –

Zuletzt kam noch eine Nachschrift, die wir unsern Lesern ebenfalls nicht vorenthalten wollen.

Indem ich, schloß Herr von Lehfeldt seinen Bericht, die letzten Worte noch einmal durchlese, muß ich der Warnung gedenken, mit welcher Sie so gütig waren, Ihren letzten Brief zu schließen. Ja wohl, mein väterlicher Gönner, ist das Feuer eines schönen Weiberauges das gefährlichste, in dem wir stehen können; aber wenn es mir jemals möglich wäre, mich über die Ueberlegenheit zu täuschen, welche Ihr Genius behauptet, das Verhältniß, auf welches Sie hier anspielen, würde gerade geeignet sein, meinen Wahn zu zerstören und mich aufs Neue daran zu erinnern, welch ein Schüler ich bin gegen Ihre Meisterschaft! Es wäre Ihnen eben genehm, schreiben Sie, wenn ich mir die Beschwerden dieses Winterfeldzugs, wie Sie es nennen, durch ein zärtliches Abenteuer versüßen wollte. Zärtliches Abenteuer – o theuerster Meister, was sind wir junge Generation doch für ein schwerfälliges Geschlecht, daß wir den Zauber dieses Wortes gar nicht mehr verstehen! Wollte ich Ihre gütige Erlaubniß benutzen, es würde der einzige Punkt werden, in dem auch ich mich dem allgemeinen Dämon Furcht ebenfalls unterwerfen müßte – der Furcht nämlich, daß es nicht bei dem zärtlichen Abenteuer bliebe, sondern daß (o beschämendes Geständniß) eine ganz ernstliche Leidenschaft daraus würde …

Und die, wie Eure Excellenz mir oft gesagt haben, ist ja doch das Hauptsächlichste, wovor ein Diplomat sich hüten muß.



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