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Zehntes Kapitel.
Vor dem Hause des Meisters

Je näher Angelica dem verfallenen Hause des Meisters kam, desto lebhafter pochte ihr das Herz. Aber dieses Herzpochen selbst, wie verschieden von jenem, mit dem sie ihren Einzug in das prächtige Schloß ihres Vaters gehalten! Die Glocken läuteten eben den Gottesdienst aus, und auch dieser zufällige Umstand trug nur dazu bei, die feierliche, erwartungsvolle Stimmung zu erhöhen, in welcher Angelica sich befand. Es war ja der Gespiele ihrer Kindheit, der Freund ihrer Jugend, der Einzige, den sie neben ihrem Bruder gehabt hatte, den sie wieder begrüßen sollte! – Wie viel Veränderungen waren in ihrem eignen Innern vorgegangen, wie viel neue Menschen, neue Sitten, neue Ansichten hatte sie kennen gelernt, seit sie aus diesem kleinen, traulichen Kreise geschieden und er selbst aufgelöst war! Diese Armuth der Umgebung, diese, trotz der kirchlichen Feier, doch so unsaubern, so geräuschvollen Gassen, diese engen, kleinen Stege, wie kam ihr das so anders vor, als damals, wo sie ihre Mutter zum Krankenbett der armen Lene zu begleiten pflegte! Ob sie wohl noch lebte, die arme Dulderin? und wie wohl Reinhold sich inzwischen verändert hatte?

Denn nur wie ein Traum schwebte ihr das Abenteuer der gestrigen Nacht noch vor. Sie hatte wohl gehört und hatte es sich auch endlich wohl selbst wieder vor die Seele gerufen, daß es Reinhold gewesen, dem sie ihre Rettung verdankte: aber das Bild des Freundes selbst, wie er am Wagenschlag gestanden und sie mit kräftigem Arm und noch kräftigerem Wort vertheidigt, suchte sie vergebens vor ihr Gedächtniß zurückzuführen. – Mit tiefer Rührung erkannte sie die eigenthümliche Fügung des Schicksals, welche darin lag, daß gerade er bei jenem Auftritt zugegen gewesen, daß sie gerade ihm ihre Befreiung aus jener so mislichen Lage zu verdanken hatte. Ja gern überredete sie sich selbst, daß es nicht blos Schicksalsfügung gewesen, daß der werthe Jugendfreund vielmehr von ihrer Ankunft gewußt, daß er sie erwartet habe, und daß es ihm auf diese Weise möglich geworden, zu ihrem Schutz herbeizueilen.

Aber um so schwerer auch fiel ihr die Undankbarkeit aufs Herz, die sie sich im Augenblick ihrer Rettung gegen ihn hatte zu Schulden kommen lassen. Was er nur von mir denken muß, klagte sie bei sich selbst: er muß ja denken, ich wäre stolz und thöricht geworden in der fremden Stadt und hätte meines wackeren Gespielen vergessen! – Und darum nahm sie sich auch vor, doppelt freundlich gegen ihn zu sein und das alte Freundschaftsband mit doppelter Herzlichkeit wieder anzuknüpfen.

Eben, als Angelica an der Schenke vorüberging, stand die dicke Wirthin in der Thür; sie hatte schon lange darauf gewartet, Jemand aus dem Schloß zu sehen. Denn die Neugier stieß ihr fast das Herz ab.

Ah so, sagte sie, als sie das Engelchen den Weg zum Hause des Meisters nehmen sah: das Ding geht ja vortrefflich. Ja nun freilich, wenn solch eine junge Dame mit Federhut und seidenem Schleppkleid kommt, da freilich wird der alte Griesgram wol freundlicher sein können …

Nämlich sie selbst, in aller Frühe, war ebenfalls schon in der Wohnung des Meisters gewesen; sie hatte ihm das Geld überbringen wollen, welches der tolle Heiner zu diesem Zweck bei ihr zurückgelassen. Der lange Karrenschieber zwar, der trotz des Sonntagmorgens schon wieder im Wirthshaus saß, hatte gemeint, das wäre eine ganz überflüssige Mühe, und sie möchte doch nicht so sündhaft umgehen mit dem wackern Bischen Geld. Wenn er wäre wie sie, würde er es dem rothen Konrad bei der Verzehrung allmälig in Abrechnung bringen oder auch dem Vagabonden selbst; dem armen nüchternen Narren, dem Meister, thäte es ja doch kein Gut.

So sehr die Wirthin in diesem letzteren Punkt auch einverstanden war, so erlaubte die Ehrlichkeit, die sie bei alledem besaß, ihr dennoch nicht, dem Rathschlag zu folgen und dem Gelde eine andere Bestimmung zu geben, als der tolle Heiner ihr aufgetragen: wobei wir es unentschieden lassen, wie viel Antheil an dieser Ehrlichkeit die Furcht vor dem Jähzorn des Wahnsinnigen hatte.

In der That jedoch war es richtig so gekommen, wie ihr der Karrenschieber vorausgesagt. Der Meister, noch in fieberhafter Aufregung durch die Ereignisse der letzten Tage, hatte sich durch ihren Antrag aufs Tiefste gekränkt gefühlt; wie arm freilich, so arm, um die Almosen der Bettler und Wahnwitzigen anzunehmen, sei er doch noch lange nicht, noch werde er es jemals sein. Auch möge er kein Geld, das der Spielteufel zusammengekehrt, und an dem die Verzweiflung Derer hafte, die es verloren.

Auch Margareth, an welche die Wirthin sich demnächst gewendet, war zur Annahme des Geldes nicht zu bewegen gewesen: und so hatte die Wirthin es wieder mit sich nehmen müssen, sowohl zu ihrem lebhaften eigenen, als auch zum stillen Verdruß des rothen Konrad. Nach der Versöhnung jedoch, die so eben erst zwischen ihm und Margareth stattgefunden, durfte er sich nichts davon merken lassen und schluckte also, statt andern Frühstücks, seinen Aerger stumm herunter.

Daher also diese Empfindlichkeit der Wirthin, mit der sie das Engelchen vorübergehen sah. Gleichwohl, als Angelica sie nach ihrer freundlichen Art begrüßte, konnte auch sie dem Zauber des holden Kindes nicht widerstehen; halb geschmeichelt und halb noch voll Groll, unter tiefen Knixen, indem sie eiligst den Schürzenzipfel in die Höhe steckte:

Ein Engelchen ist sie, das ist wahr, brummte sie vor sich hin, aber leiden kann ich sie doch nicht …

Ueberhaupt befand die gute Frau Wirthin sich heut nicht in der rosigsten Stimmung. Sie hatte sich nicht wenig darauf gefreut, mit den beiden Gästen aus der Stadt, die sie gestern so spät noch bekommen, recht ein Erkleckliches zu schwatzen, und die Sonne ihrer wirthschaftlichen Majestät recht vor ihnen leuchten zu lassen. Allein, allein, wie zwischen den Leuten am Abend und den Leuten am Morgen wohl öfter ein gewaltiger Unterschied ist, so waren auch diese beiden gestern Abend so artigen, so gesprächigen Herren heute früh wie ausgetauscht. Der Junge, Blasse, der Maler, wie die Wirthin richtig herausgekriegt, war schon ziemlich zeitig auf Besuch gegangen, und auch der Andere, der Dicke, Vergnügliche, der ihr gestern so tapfer zugehört, hatte ihr heut kaum fünf Minuten Stand gehalten, so eilig hatte er es gehabt, seinem Gefährten nachzukommen.

Und richtig, was das Allertollste war und sie am Allermeisten ärgerte: alle Beide waren spornstreichs gelaufen – wohin? in das Haus des Meisters!

Das konnte nun, wie die Wirthin sich sogleich berechnete, Niemand anders gelten, als der schwarzäugigen Margareth, dem Kalkgesicht, von dem sie gar nicht begriff, was nur die Männer davon haben könnten, noch dazu solche vornehme Herren aus der Stadt, die sollten es doch besser gewohnt sein und mehr Geschmack haben …

Aber auch unser behaglicher Florus selbst war ein wenig verdutzt gewesen, als er, nach verschiedenen absichtlichen Um- und Seitenwegen, endlich glücklich vor das Haus des Meisters getrippelt kam – und wer stand in der Thür? und zählte dem Meister Geld in die hagere Hand? und sprach von den neuen Bestellungen, die er ihm aufgegeben? Herr von … Nein, bei Leibe nicht: Maler Schmidt, meinte Herr Florus.

Allein ob nun Herr von Lehfeldt oder Maler Schmidt, es ärgerte ihn immerhin abscheulich, sich in seinen besten Einfällen so von einem Andern überholt zu sehen. Denn gerade dasselbe hatte Herr Florus ja auch thun wollen!

Unsere Leser werden den guten Herrn Florus hoffentlich bereits hinlänglich kennen gelernt haben, um nichts Ueberraschendes in diesem Vorsatz zu finden, so sehr derselbe auch mit dem, was er bei dem Abenteuer des Engelchen geäußert hatte, in Widerspruch stand. Dieser Widerspruch war gerade eben die Natur des vortrefflichen Mannes: er verschwor regelmäßig, was er eben in Begriffe stand zu thun, und that, wogegen er selbst noch den Augenblick zuvor aufs Lebhafteste geeifert hatte. Nur daß dieser Widerspruch bei ihm mit so viel drolliger Unbefangenheit gepaart war, daß derselbe wirklich alles Anstößige dadurch verlor und nur noch als eine ergötzliche, ja liebenswürdige Schwäche erschien. – Je mehr Herr Florus über die nächtliche Scene nachgedacht, je mehr war seine natürliche Weichherzigkeit in ihm hervorgetreten. Er stellte sich gern hart und that, als ob er für nichts in der Welt Sinn hätte als für gutes Essen, gutes Trinken und allenfalls noch gute Cigarren und ein gutes Ecartéchen. In Wahrheit aber war er der weichherzigste und wohlthätigste Mensch, der Niemand ungetröstet leiden sehen konnte.

Dazu nun kam noch, daß er hier irgend einen vortrefflichen poetischen Stoff, irgend eine interessante abenteuerliche Verwicklung merkte. Die Erfindung war, wie bei den meisten heutigen Poeten, seine starke Seite nicht, und wenn er behauptete, in diese Gegend gegangen zu sein, nicht blos der ärztlichen Verordnung halber, sondern auch um Stoffe zu suchen für seine erschöpfte Phantasie, so war das nicht halb so übertrieben, als er selbst es gern darstellte.

Und endlich und zuletzt traf auch die Voraussetzung der Wirthin bei Herrn Florus allerdings ein: er, der seinen Worten nach solch bitterer Weiberverächter, konnte gleichwohl in Wahrheit keiner Schürze widerstehen, er befand sich im Gegentheil in einer fortwährenden Verliebtheit, wenn auch freilich alle Tage in einer andern und immer nur einer höchst platonischen. Auch die Augen der bleichen Margareth hatten es ihm angethan …

Voll Verdruß, von seinem Reisegefährten so überholt zu sein, kehrte er unbemerkt wieder um, lief hierhin und dorthin, guckte bald diesem, bald jenem Mädchen ins Gesicht, ging zuletzt sogar vor Langerweile ein Viertelstündchen in die Kirche – und fand sich endlich doch richtig wieder vor der Wohnung des Meisters, gerade in dem Moment, da Angelica darauf zugeschritten kam.

Auch Herr Florus war ein alter Bekannter Angelica's, man hätte sogar sagen können, ein alter Anbeter, wäre nicht die Art und Weise, wie Herr Florus anzubeten pflegte, wirklich ein wenig zu oberflächlich gewesen. Das junge muntere Mädchen hatte an dem schwerfälligen, drolligen Poeten tausend Spaß, und da Herr Florus, zu vielen Gebrechen, auch die seltene Tugend besaß, sich mit vielem Anstand und vieler wirklicher Liebenswürdigkeit aufziehen zu lassen, besonders von jungen hübschen Mädchen, so war das Verhältniß zwischen Beiden in der That ein höchst ergötzliches und anmuthiges.

Nun, da sieht man es ja gleich wieder, rief das Engelchen ihm lachend entgegen, wie Recht der Dichter hat: Nimmer, das glaubt mir, kommen die Götter, nimmer allein – kaum daß ich die Kunst der Malerei begrüßt habe, so wandelt hier leibhaftig, in gewohnter, angenehmer Fülle, auch die Dichtkunst vor meinen überraschten Augen! Sie sind doch mit dem Herrn – Maler Schmidt gekommen, nicht wahr, liebster Freund?

Wie? was? Maler Schmidt? brummte der verdutzte Dichter. Also Sie wissen auch schon? Nun ja, meinetwegen, Maler Schmidt – hören Sie, fuhr er fort, indem er noch immer in einiger Verlegenheit seine neue Brille bald so, bald anders rückte, das war ja eine ganz verwünschte Geschichte gestern, meine Gnädigste, in der Sie steckten? Ich habe es Alles mit angesehen, ja, von Anfang an, und ich wäre Ihnen ganz gewiß auch sogleich zu Hilfe gekommen, hätte nicht der Maler Schmidt – ach dummes Zeug, unterbrach er sich selbst, ärgerlich über die Lüge, in die er sich eben verhaspeln wollte, und die viel zu unwahrscheinlich war, um bei irgend Jemand, der Herrn Florus kannte, Glauben zu finden: ich weiß gar nicht, was das in dem vertrackten Neste hier ist, Alles geht Einem der Quere, selbst die Worte im Munde, und ich danke ordentlich Gott, daß ich Ihnen begegnet bin, theure Miß: es ist das erste honette Gesicht, das ich hier noch zu sehen kriege, wahrhaftig, das ist es.

Sie kommen auch wohl, fuhr er fort, indem er auf die Wohnung des Meisters deutete, sich bei dem jungen Schlingel, Ihrem Retter von gestern, zu bedanken? Nun, das wollte ich just eben auch – ein beneidenswerther Schlingel das, auf Ehre! hat eine Beredtsamkeit, einen Gestus – wer sollte das bei solcher Art Leuten suchen? Aber ich habe es mir gemerkt, ja, wörtlich gemerkt, und bringe es vor mit Nächstem auf dem Theater, Sie sollen sehen, theure Miß, die Wirkung –! Aber kommen Sie, schöne Miß, ich war, wie gesagt, auch eben auf dem Wege, dem jungen Helden meine Reverenz abzustatten. Denn Sie wissen ja doch, daß die schöne Angelica keinen ehrerbietigern, treuern Verehrer hat, als mich, und werden es daher vollkommen in der Ordnung finden, daß ich sogleich geeilt bin, Ihren Retter aufzusuchen?

Und wirklich, bei der Schüchternheit und dem Ungeschick, welche Herrn Florus im Umgang mit der sogenannten niedern Klasse eigenthümlich waren, und über die sich Niemand mehr ärgerte, als er selbst, ohne sie gleichwohl ablegen zu können, war es ihm höchst angenehm, an dem Engelchen gleichsam einen Empfehlungsbrief, ja einen Schutz zu finden, mit dem er sich in das Haus des Webers und in die Nähe der schwarzäugigen Margareth einschmuggeln konnte.

Viel weniger Freude hatte das Engelchen selbst an dieser unvermutheten Begleitung, so gut sie Herrn Florus im Uebrigen auch leiden mochte; es lag ihr sehr daran, das erste Gespräch mit der Familie des Meisters, und namentlich mit Reinhold, ungestört und ohne fremde Zeugen zu führen.

Dennoch erlaubten theils ihre Gutmüthigkeit, theils auch eine gewisse Verlegenheit ihr nicht, die angetragene Begleitung abzulehnen. Auch tröstete sie sich damit, daß das ihr wohlbekannte fahrige Wesen des Poeten ihn wohl bald wieder fortführen oder auch in eine Unterhaltung mit irgend einem Dritten verwickeln würde, in Folge deren es ihr möglich wäre, Reinhold allein und unbemerkt zu sprechen.


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