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Siebentes Kapitel.
Ein Empfehlungsschreiben

Schon hatte Angelica an der Seite ihres Vaters die geschmackvolle, mit Statuen und Gemälden reich verzierte Galerie erreicht, die zu den Gemächern der Baronesse führte, als Herr Wolston plötzlich ihren Arm losließ und, auf eine Gestalt deutend, die halb im Schatten hinter einem der Pfeiler lauerte:

Entschuldigen Sie mich, rief er, nur auf wenige Minuten, dort sehe ich eben einen Aufseher, dem ich noch in einem wichtigen Geschäft Bescheid zu ertheilen habe, ich stehe Ihnen sogleich wieder zu Diensten …

Angelica war dem Blick des Commerzienraths gefolgt – es war ihr lieb, daß er ihren Arm bereits losgelassen, so fühlte er doch wenigstens das Zittern nicht, das sie ergriff, als sie in der Gestalt, die jetzt frei zwischen den Säulen hervorkam, den – Sandmoll erkannte, den nächtlichen Gefährten ihres Vaters, der aber auch bei Tage, wie es schien, sehr unentbehrlich war in diesem Hause …

Während Angelica einstweilen in den Garten ging, winkte der Commerzienrath den Alten zu sich, stieg mit ihm herab in sein Cabinet, verriegelte vorsichtig die Thür.

Was hattest du oben zu schaffen, alter Schelm? herrschte er den Aufseher an.

Was wird's sein? Weibersachen, erwiderte der Angeredete mit seiner treuherzigsten, einfältigsten Miene, der gnädige Herr wissen ja, wie die gnädige Frau sind, alle Tage was Neues und alle Tage besorgt um das Seelenheil eines armen alten Mannes – ich kann sie gar nicht alle behalten, setzte er tückisch hinzu, die schönen Gebete und Sprüche, die ich hier im Hause lerne, auf meine alten Tage noch.

Aber so behalte jetzt dies, unterbrach ihn der Commerzienrath voll Ungeduld: es gibt zu thun für dich, paß auf, alter Schelm, daß du mir keine Verwirrung anrichtest. Ich habe dem jungen Mädchen Erlaubniß ertheilt, das Haus da drüben zu besuchen; hätte ich es ihr auch nicht erlauben wollen, so hätte sie es ja doch heimlich gethan – verstehst du meine Absicht, Alter?

Sandmoll grinzte und knackte vor Behagen.

Es ist zu viel Ehre, sagte er, daß ich die Gedanken des Herrn Commerzienraths errathen soll, wiewohl mir schon so etwas zu dämmern beginnt …

Mit dem Prozeß gegen den Meister, fuhr der Commerzienrath fort, und der Haussuchung, von der wir heute früh sprachen, ist es, bei reiferer Ueberlegung, noch in weitem Felde. Aber es bedarf dieser Mittel auch gar noch nicht; schon mit viel einfachern, viel geräuschlosern werden wir zum Ziele kommen. Existiren jene Schriften, welche wir vermissen, wirklich und befinden sie sich, wo du vermuthest, so ist kein Zweifel, daß sie damit um so unvorsichtiger herausrücken werden, je freiern Zutritt Angelica in dem Hause hat. Paß du also auf, und da du nach dem gestern Vorgefallenen nicht gut selbst so bald wieder das Haus betreten kannst, so stell deine Alte an – sie ist zuverlässig?

Sandmoll, statt aller weitern Antwort, begnügte sich, die unendlichen Arme betheuernd in die Höhe zu schwenken und mit drohender Geberde die Fäuste dazu zu ballen; vermuthlich wollte er damit ausdrücken, daß, wenn seine Lore einmal nicht zuverlässig sein sollte, es um sie geschehen wäre.

Gut, sagte Herr Wolston, so weißt du nun, wofür du zu sorgen hast. Wegen des Herrn von Lehfeldt, oder wie er hier heißen will, des Maler Schmidt, mach dir keine Gedanken weiter, es ist ganz gewiß nur ein Vorwand, wenn er sagt, er sei des Schmuggelns wegen da, ich glaube vielmehr, der junge Fant will sich selbst einschmuggeln irgendwo. Aber da, wie du gestern sagtest, einige Vorsicht immer gut ist, so sorge, daß bei Zeiten die richtige Botschaft nach dem Forsthause kommt, du weißt schon, was ich meine, nach der alten Baracke dort oben, wo Ihr Gaudiebe Euer Wesen treibt – Ihr seid, setzte er hinzu, indem er den Alten mit roher Vertraulichkeit auf die Schulter klopfte, doch nur dumme Teufel allzusammen, und wenn sie Euch heute kriegten, wie Ihr da seid, gegen mich könnte nicht einer von Euch zeugen, das merke dir, Alter, falls dir einmal ein Gelüste käme …

Angelica inzwischen hatte im Garten, wo sie die Rückkehr des Commerzienraths erwartete, eine unvermuthete Gesellschaft gefunden; kaum daß sie in den ersten Gang einbog, hörte sie sich bei ihrem Namen angeredet und – Herr von Lehfeldt stand vor ihr.

Unmittelbar aus dem Cabinet des Commerzienraths hatte Herr von Lehfeldt sich zur Baronesse begeben, um ihr, als Herrin des Hauses, ebenfalls seine Aufwartung zu machen.

Doch war es keineswegs diese gesellige Rücksicht allein gewesen, was ihn zu ihr führte: sein Gönner, der Minister, hatte den jungen Mann ganz ausdrücklich und auch in dem, was den persönlichen Zweck seiner Reise bildete, dem Schutz und der Fürsorge der Baronin empfohlen. Schon am frühen Morgen, vom Gasthof aus, hatte er sich durch ein eigenhändiges Schreiben des Ministers bei ihr angemeldet; der Inhalt desselben war vortrefflich geeignet, das lebhafteste Interesse für den Empfohlenen hervorzurufen. Ja so lebhaft war dasselbe gewesen, daß die Baronin sogar den gewohnten Kirchgang darüber versäumt hatte.

Sie sind, theuerste Cousine, schrieb der Minister, eine kluge, einsichtsvolle Frau, welche, wiewohl Sie Sich jetzt, wie ich höre, einigermaßen in die himmlische Domaine zurückgezogen haben, doch auch den Lauf der Welt und die sündige, aber ach, so süße Schwachheit der Menschen kennen. Wir sind jetzt beide allmälig in die Jahre gerathen, von denen es heißt, sie gefallen uns nicht – oder wenigstens, da dies allerdings eine Offenherzigkeit ist, die sich nicht einmal der Cousin gegen die Cousine darf zu Schulden kommen lassen, in die Jahre, wo unser Blut kälter fließt, nur zu kalt vielleicht – wo wir Mitleid haben mit den Thorheiten unserer Jugend und davon wieder gut zu machen wünschen, was sich noch gut machen läßt. Bei alledem, sie waren süß, diese Thorheiten, nicht wahr, theuerste Cousine? Ach, unter uns gesagt, es ist doch eine elende Welt jetzt, und solch heißes Blut, solche wilden Streiche, solch seliger Leichtsinn, wie vor zwanzig Jahren in unserm Kreise, gibt es jetzt gar nicht mehr. Noch jetzt, trotz meines grauen Kopfes, mit einem Entzücken, das Sie, geehrte Freundin, ohne Zweifel sehr sündhaft finden werden und für das ich auch in der That mit Nächstem Buße thun will, so wie ich einmal Zeit dazu habe, gedenke ich noch jenes tollen Frühlings, den ich – vor wie lange ist es jetzt doch? vor zwei-, dreiundzwanzig Jahren, gleich nach dem Kriege, in Ihrer Nachbarschaft verlebte. Ich setze voraus, daß weder Ihr Beichtvater, noch auch (was das Allerschlimmste wäre) Ihr Mann Ihre Correspondenz zu sehen bekommt; dazu, bei aller Frömmigkeit, sind Sie doch wohl noch immer eine viel zu gebildete Frau, und darf ich es daher diesem Blatt wol immer anvertrauen: wir waren beide arge Weltkinder damals, sehr arge, theure Cousine, und ließen, da natürlich weder der Vetter der Muhme, noch die Muhme dem Vetter zum Sittenrichter gesetzt ist, Einer den Andern seine tollen Streiche so ziemlich ungehindert treiben. Wie schön Sie damals waren, Cousine! wie die Sonne! und freigebig wie die Sonne, mit derselben Gerechtigkeit gegen Hohe wie Niedere, vertheilten Sie damals auch die Zeichen Ihrer Gunst …

Nun gut denn, fuhr der Briefsteller fort: ich, wie Sie wissen, unterließ nicht einem so liebenswürdigen Beispiel zu folgen; die glühende, zündende Atmosphäre, welche Sie damals, gleich einem Feuerkreis, um sich verbreiteten, erfaßte, umgekehrt, wie in der Geschichte vom Jupiter und der Semele, auch mein sterbliches Gebein. Ich kann nicht erwarten, daß Sie Sich meiner Aventuren von damals im Einzelnen erinnern sollten, auch dürfte vielleicht, aller Ihrer Nachsicht ungeachtet, Einiges hinter Ihrem Rücken begegnet sein: oder Sie selbst, fromme Freundin, hatten wohl auch an Anderes und doch so Aehnliches zu denken – Genug, man wird, wie ich schon einmal sagte, alt, und da die Ehe mit meiner verstorbenen Frau, wie Sie Sich entsinnen, ohne Kinder geblieben ist, so wäre es mir ganz angenehm jetzt, wenn ich von den lebendigen Spuren, welche mein Aufenthalt damals in Ihrer Gegend zurückließ, noch Einiges wieder entdecken könnte.

Ja, ich glaube fast, die Entdeckung ist bereits gemacht. Sie kennen, wenigstens dem Gerüchte nach, die abenteuerliche Jugendgeschichte des jungen Mannes, dessen Wohl und Weh jetzt von dem Interesse abhängt, dessen Sie diesen meinen Brief würdigen werden; Sie erinnern Sich auch, in Folge welcher Ereignisse er in mein Haus aufgenommen worden ist. Gestehe ich Ihnen nur offen, daß gleich damals, da ich, als Präsident des Gerichtshofs, diese Sache unter Händen hatte, ein Argwohn in mir aufstieg, ob der kleine struppige Vagabond mir nicht näher angehörte, als irgend Jemand ahnte, und ob ich nicht, wie jener glückliche Vater eines Schweinetreibers, von dem das Evangelium uns erzählt, sollte ein Kalb schlachten lassen und jubeln, daß der verlorene Sohn sich gefunden. Zwar das Gleichniß, wie ich so eben selbst bemerke, paßt nicht ganz. Allein, theure Cousine, mein Studium der Bibel ist auch noch ziemlich neu und macht keinen Anspruch darauf, so gründlich zu sein, wie das Ihre: weshalb Sie das unpassende Citat entschuldigen wollen.

Jedenfalls (hieß es im Briefe weiter) wissen Sie genug jetzt, um das eigentliche Ziel meines Anliegens zu errathen. Ich vermuthe, daß der junge Mann, den ich unter dem Namen des Herrn von Lehfeldt in meinem Hause erzogen, und den ich in der That als einen Sohn meines Geistes betrachten darf, auch wirklich mein Sohn ist. Ja ich vermuthe es nicht blos, ich wünsche es auch: theils weil ich ihm wirklich einen bessern Ursprung gönne, als von den Landstreichern und Spitzbuben, aus deren Händen ich ihn empfangen, theils, weil ich, wie schon erwähnt, mich nach einem Erben meines Namens und meines Einflusses sehne, – und endlich zum Theil auch deshalb, weil, bei der Richtung, welche Serenissimus bekanntlich seit einigen Jahren eingeschlagen, es mir sogar nur zur höchsten Empfehlung gereichen und mich in der Gunst Sr. Durchlaucht nur befestigen könnte, wenn ich Gelegenheit fände, eine derartige Jugendsünde mit einigem Eclat wieder gut zu machen. Da nun der junge Mann, gewisser anderer Geschäfte halber, ohnedies in Ihrer Gegend zu thun hat, so hielt ich es jetzt für den geeignetsten Moment, die betreffenden Nachforschungen anzustellen. Mein Schützling, der nun hoffentlich auch bald der Ihre ist, wird sich Ihnen unter dem Namen eines Maler Schmidt vorstellen; es ist das ein Incognito, welches gewisser politischer Absichten halber nöthig ist, und das ich daher sowohl Sie, als Ihren Gemahl und Ihre übrige Umgebung ersuche, aufrecht zu erhalten. Er selbst ist mit dem allgemeinsten Inhalt dieses Briefes nicht unbekannt, wenn auch nur freilich mit dem allgemeinsten; er wird Ihnen in Allem, was Sie zur Sache thun möchten, an die Hand gehen, zumal da es ja sein eignes, allernächstes Interesse ist, um das es sich handelt. Ob und welche anderen Interessen ihn noch in Ihre Nähe ziehen, lasse ich dahingestellt, und wird er Ihnen am Besten selber beichten, sobald diese Beichte nöthig sein sollte. Die Jugend hat nun einmal ihre Thorheiten, und zwar will Jeder seine eigenen begehen; gönnen wir denn, theure Cousine, den jungen Leuten die ihren, und freuen wir uns, daß wir die unsern gehabt haben und noch jetzt am Gedächtniß derselben unser frostiges Alter erwärmen dürfen.


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