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Funfzehntes Kapitel.
Der Lauscher

Endlich, fuhr der Meister fort, nach jahrelangem, verzweifeltem Warten und Harren war der Tag erschienen, wo der Vater mit freudestrahlendem Gesicht in unsere Mitte trat und uns die Vollendung seines Werks eröffnete. Er war damals, durch die unaufhörliche geistige Anstrengung und die vielen Sorgen, mit denen er täglich zu kämpfen hatte, bereits in einen solchen Zustand der Aufregung gekommen, daß wir selbst kaum wußten, ob wir seinen Worten Glauben schenken sollten, oder ob die Erfindung, mit der er jetzt ins Reine gekommen zu sein behauptete, am Ende nicht blos eine Täuschung war. Denn eine Prüfung seiner Berechnungen und Entwürfe, wie ich dir bereits sagte, gestattete er Keinem von uns, auch mir nicht, von dessen Fähigkeit in diesem Punkt er überhaupt nur sehr gering dachte, – und ganz gewiß mit Grund, setzte der Meister bescheiden hinzu.

Aber dies siegreiche Lächeln und diese herzinnige, selige Freude, mit der er das Blatt, welches seine Zeichnungen und Anschläge umschloß, vor uns in die Höhe streckte, widerlegte jeden Einwand, vorausgesetzt, daß wir den Muth gehabt hätten, dergleichen zu erheben. Ihr habt genug jetzt gehungert, sagte er, nun ist das Elend am Ende, und wir werden nun alle reiche, reiche Leute.

Auch du, mein Sohn, wandte er sich zu mir, sollst deinen Antheil haben, nicht blos an dem Glück unserer Familie, sondern auch an der Arbeit, durch die es gegründet wird; ich weiß, daß dies Letztere dir zum Mindesten ebenso lieb ist wie das Erstere. Während Ihr noch dachtet – ja gesteht es nur, Ihr Schelme, Ihr habt es gedacht –! Euer Vater wäre am Ende wohl gar nur ein Faselhans und es könne solche Maschine gar nicht geben, wie die, über der ich brütete, habe ich bereits auch den zweiten, leichtern, doch noch immer nicht ganz leichten Schritt zu unserm Glücke vorbereitet. Auch er, trotz der schlechten Zeiten, ist mir gelungen. In der fernen Seestadt Hamburg habe ich ein Handelshaus aufgetrieben, welches mir meine Erfindung abkaufen und mich auch in Zukunft noch an dem Gewinne derselben will Antheil nehmen lassen. Daß die Herren meine Zeichnungen und Pläne vorher einsehen wollen und sich überzeugen, daß es wirklich so ist, wie ich ihnen geschrieben, versteht sich von selbst und muß ich selbst so in der Ordnung finden. Uebrigens ist die Sache – sie war schwer, wahrhaftig sehr schwer, schaltete er mit leuchtenden Augen dazwischen, und ich bin oft an mir selbst verzweifelt, ob ich sie nur glücklich zu Ende bringen würde! Gleichwohl, da sie jetzt auf dem Papiere steht, so ist sie so klar, so leicht, ein Kind könnte sie begreifen, auch du, mein Junge, der du, so wacker du sonst auch bist, deinem Vater das doch gewiß nicht nachmachen solltest, was er gemacht hat! Ich zeig' es dir auch nicht, nein, auch dir nicht, mein Sohn: in so etwas gibt es keine Verwandtschaft, wer das wissen will, der erfind' es sich selbst oder gedulde sich!

Aber es thut auch nichts weiter, setzte er begütigend und den früher begonnenen Satz wieder aufnehmend hinzu, du sollst doch auch deine Ehre bei der Sache einlegen. Nach Hamburg ist ein gar weiter Weg, die Kriegszüge, die durch das Land gehen, machen ihn doppelt mühsam und gefährlich, ich alter, kränklicher Mann tauge dazu nicht. Da mußt du für mich eintreten, mein Junge: du bist jung, wacker zu Fuß, und hast Kopf und Herz auf dem rechten Fleck. Da, indem er mir das Papier überreichte, nimm meinen Schatz, mein Alles, ich vertraue ihn dir! Ich weiß, daß du dir eher würdest das Leben nehmen lassen, als ihn. Und auch das weiß ich, daß mein einfaches Verbot hinreicht, dich von jedem vorwitzigen Blick in die Papiere abzuhalten; es soll sie durchaus Niemand sehen, Niemand, auch du nicht, als blos die Hamburger Herren, die sie mir abkaufen werden – hörst du, mein Junge? auch du nicht – schwör' es mir! auch du nicht!!

Ich kannte die Eifersucht meines Vaters und gelobte, was er verlangte. Gut, erwiderte er, du hast geschworen; nun geh, mein Junge, du trägst das Glück und die Zukunft deiner Familie, den Stolz der Kunst, den Ruhm oder die Verwerfung deines Vaters. Geh, geh, eile dich! Und wenn du dich auch am Ende hinbetteln mußt nach Hamburg: ein Wanderer, in Zeiten wie diese, kann auch wohl einmal betteln und zurück lassen dich die Hamburger Herren mit Extrapost fahren, ich sag's dir voraus, vor lauter Dankbarkeit und Freude –

Wieder horchte der Meister hier einige Augenblicke auf. Es muß, sagte er, ein Gewitter im Anzuge sein; es ist mir, als ob ich den Wind in den Bäumen gehen hörte …

Auch Reinhold horchte auf. Es wird die Katze gewesen sein, sagte er, die auf den Boden klettert.

Du begreifst, mein Reinhold, erzählte der Meister weiter, mit welchem Herzklopfen und doch welcher Bereitwilligkeit ich den Auftrag des geliebten Vaters übernahm. Es war meine erste Reise, die ich antreten sollte, noch nie war ich aus unserm engen Gebirg herausgekommen. Mein gutes Weib ging eben mit ihrem zweiten Kinde (hier bekam die Stimme des Meisters eine eigenthümliche Unsicherheit: doch war Reinhold viel zu gespannt auf die Fortsetzung der Erzählung, als daß er auf dergleichen hätte Acht haben können) – mit dir, mein Reinhold; ich verließ das Haus ungern. Auch war der Auftrag an sich schwierig und nicht ohne Bedenklichkeit. Allein mit Recht erinnerte der Vater dagegen, daß derselbe, bei der Lage unserer Familie, keinen Aufschub gestatte, und auch eine so wichtige Angelegenheit in fremde Hände oder wohl gar auf die Post zu geben, sei unthunlich, zumal in diesen Kriegszeiten.

So, fuhr der Meister in seiner Erzählung fort, machte ich mich denn auf den Weg, mit wenig Geld, du wirst es mir glauben, aber dafür mit einem Ueberfluß von Muth und Hoffnungen. Das theure Document, das uns Bettler, nach der Versicherung unsers Vaters, auf einmal zu reichen Leuten machen sollte, lag, wohl verwahrt, in einer fest zugeknüpften Mappe auf meiner Brust, dicht an meinem Herzen; wer es mir rauben wollte, mußte mir zuerst das Leben rauben. Doch brauchte ich in dieser Hinsicht keine Besorgniß zu hegen, da Niemand die Anwesenheit eines solchen Kleinods bei mir vermuthen konnte, eines Kleinods überdies, das nur dem Sachverständigen als solches gelten konnte, jedem Andern dagegen als eine zufällige, werthlose Schrift erscheinen mußte. Auch gehörte ich übrigens meinem Aeußern nach keineswegs zu der Art von Leuten, denen Räuber und Diebe nachzustellen pflegen.

Ich übergehe die Schilderung einer Reise, von der mir in der That fast nichts in der Erinnerung übrig geblieben ist, so sehr hat der endliche entsetzensvolle Ausgang alle anderen Eindrücke derselben hinweggewischt. Schon war ich seit geraumer Zeit ins flache Land herabgestiegen, schon war mein kleines Reisegeld längst verzehrt, und ich brachte mich kümmerlich weiter durch das Mitleid guter Menschen, meine Füße waren wund, ich war herzlich müde und sehnte mich unaussprechlich ans Ziel meiner Reise: als ich eines Abends – es war ein Sonntag wie heut, der Tag wird mir ewig, ewig unvergeßlich sein – bei sinkender Dämmerung an ein großes, breites Wasser gelangte. Das, sagten mir die Leute, wäre die Elbe, und die Thürme und Wälle dahinter am Horizont, das wäre Hamburg, das glückliche, reiche Hamburg, wo ja nun auch unser Glück und Reichthum beginnen sollte …

So mächtig wurden die Erinnerungen hier in dem Meister, daß er wiederum für einige Augenblicke verstummte; plötzlich fuhr er auf:

Es scheint doch wirklich, sagte er, ein Gewitter im Anzug zu sein, immer deutlicher höre ich den Wind draußen, du solltest doch lieber das Fenster schließen, Reinhold.

Aber Reinhold war zu sehr in Spannung über den Ausgang der Sache, er konnte den Vater nur mit stummer Bitte auffordern, in seiner Erzählung fortzufahren.

Ich habe, begann der Meister demnach von Neuem, viel Noth und Elend erlebt seitdem, du weißt es, mein Sohn. Aber wenn ich zehntausend Jahre alt würde und so fluchwürdig übrigens das Andenken dieser Reise mir auch ist, so werde ich doch niemals dies Gefühl von Behaglichkeit und Wohlsein vergessen, mit dem ich, an diesem letzten Abend meiner Reise, meine müden Glieder in den Sand am Ufer streckte und auf die Thürme mir gegenüber schaute, die mehr und mehr im Abendnebel verschwammen. Der Strom zu meinen Füßen fluthete majestätisch im Abendgold: ja fluthe nur, fluthe nur, dachte ich, flüssiges Gold, bald schwimme ich auf deinem Rücken heimwärts, und auch unsre arme Hütte alsdann soll überfluthet werden von Gold!

Sowohl die Spannung, mit welcher Reinhold zuhörte, als die Aufregung, in welche den Meister seine eigene Erzählung versetzte, wurde immer größer, die Pausen, die er machte, immer häufiger.

Es ist doch gewiß, sagte er nach längerem Schweigen, daß uns Niemand hier hören kann? weder der Vater, noch meine Schwester Lene, noch sonst ein Mensch? Denn ich komme nun, o Sohn, an ein Geständniß, welches Wunden aufdeckt in meiner Brust, die nicht verharscht sind, noch jemals verharschen werden; an ein Geständniß komme ich, o Sohn, das mich selbst vielleicht zum Schuldigsten macht in dieser ganzen unglückseligen Begebenheit, und das ich nach so viel Jahren noch, und selbst vor dir, mein Sohn, nicht ablegen kann, ohne daß jeder Blutstropfen erstarrt in meinen Adern und ich, in Verzweiflung und Reue, Hand anlegen möchte an mich selbst …!

Vielleicht! vielleicht! Gott allein sieht ja das Verborgene! setzte er nach einer Pause hinzu: Ich will gegen Niemand den Stein aufheben, so laut auch jeder Gedanke in meinem Hirn sich auflehnt gegen den Räuber unsers Glücks; auch du, mein Reinhold, wirst ihn nicht aufheben gegen mich, wenn ich schuldig bin. – Es war, wie ich dir erzählt habe, bereits am späten Abend, und da ich natürlich viel zu arm war, ein eigenes Schiff zu bezahlen, so mußte ich mich gedulden bis zum nächsten Morgen, wo wieder die Fähre gehen würde. Da die Nacht mild und stille war, so beschloß ich am Ufer im Freien zu übernachten. Ich hatte das schon häufig gethan auf meiner Reise, und fand diesmal um so weniger Bedenken, als ich obenein noch einen Schlafgefährten traf, einen jungen Mann, der sich mit mir in derselben Lage befand. Es war ein hübscher, wohlgewachsener Bursch, ungefähr in demselben Alter, wie ich, vielleicht auch einige Jahre jünger, mit offnem, frischem Gesicht und lebhaften, zutraulichen Augen. Redselig, wie er war, hatte er mir bald sein ganzes Schicksal und seine ganzen Pläne anvertraut. Stiefkind des Glücks gleich mir, ohne Aeltern, ohne Familie, hatte er den Vorsatz gefaßt, nach Amerika auszuwandern. Sein ganzes Gepäck bestand in einem kleinen Arzneikästchen, mit allerhand Flaschen und Schachteln, Pillen und Pulvern. Er verstehe zwar, sagte er mit der ihm eigenthümlichen Offenherzigkeit, auch nicht das Allermindeste von der Arzneikunst; da er jedoch gehört habe, daß man damit bei den einfältigen Leuten in Amerika am Besten fortkomme, so habe er sich für sein letztes Geld so einigen Kram der Art zusammengekauft. Helfe es nichts, so werde es ja wohl auch nichts schaden, und wem sein Tod bestimmt sei, der müsse ja doch sterben, sei es mit, sei es ohne Arzt.

So wenig mir das nun auch gefiel, so großes Gefallen hatte ich doch übrigens an der heitern, dreisten Weise meines Kameraden. Er war schon weit in der Welt umhergewesen und hatte tausenderlei Menschen und Verhältnisse kennen gelernt, von denen ich in meinem schlichten Sinn kaum eine Ahnung besaß. Auch in der schönen reichen Stadt Hamburg war er bereits gewesen, und wußte mir, da er hörte, daß hier das Ziel meiner Reise, mancherlei von ihren Herrlichkeiten zu erzählen. Ich im Gegentheil, schüchtern, wie ich von jeher gewesen, hatte große Bangigkeit vor der riesenhaften, fremden Stadt und dem Geschäft, das meiner daselbst harrte. Um so größer war meine Freude, da der neue Freund, als ich ihm den Namen des Handlungshauses nannte, an das der Auftrag meines Vaters lautete, auch dieses kannte und mir Straße, Wohnung und Persönlichkeiten gar deutlich zu schildern wußte. Das seien gar reiche, große Herren, sagte er, und seit er wisse, daß ich mit denen zu thun habe, bekomme er ordentlich Respect vor mir; kleine Geschäfte machten die nicht, das sei ihm wohl bekannt, und könne er mir daher nur Glück wünschen, mit solchen Leuten in Verbindung zu stehen. Wie so nun ein Wort das andere gab, ich in der Freude meines Herzens, das Ziel meiner Reise so dicht vor mir zu sehen und so viel Gutes zu hören von den Leuten, von denen unser Schicksal jetzt zunächst abhing und vor denen ich mich bisher im Stillen so sehr gefürchtet hatte …

O Reinhold, unterbrach der Meister sich hier selbst, du kennst mich seit so viel Jahren, wir haben uns so viel Tage und Wochen einander gegenüber gesessen am Webstuhl, jeder bei seiner Arbeit – sag mir, bin ich ein Schwätzer? gehöre ich zu den Leuten, die den Mund nicht zähmen können und ihre Geheimnisse auf der Zunge tragen?

Reinhold konnte nicht anders, als, der Wahrheit gemäß, das Gegentheil versichern.

Gut, nahm der Meister den Faden seiner Erzählung wieder auf, es ist so, ich selbst darf es sagen: denn ich bin so geboren, es liegt einmal in meiner Natur so, auch wenn ich selbst anders sein wollte. Aber bei alledem, sei es jene Freude meines Herzens, sei es die Stille der Nacht und das muntre, zutrauliche Wesen meines Reisegefährten, oder auch sei es die Fügung Gottes, der dieses Elend nun einmal über uns beschlossen hatte –: die ganze lange Reise hindurch war niemals auch nur das leiseste Wort über den Zweck meiner Reise von meinen Lippen gekommen; oft befragt von den gutmüthigen Leuten, die mir hier und da einen Zehrpfennig reichten, hatte ich mich lieber als Landstreicher ausschelten lassen oder hatte wohl auch zu einer Nothlüge meine Zuflucht genommen, als daß ich nur irgend etwas von dem Schatz verlautete, den ich bei mir trug. Aber jetzt, Reinhold, jetzt – begreifst du es? ich begreife es nicht –! jetzt wurde mir das Herz weich gegen meinen Gefährten. Was konnte es auch schaden? Wir waren beide so ein Paar arme Bursche in diesem Augenblick, kaum noch die paar Schillinge hatten wir zur Ueberfahrt. Er war auf dem Wege nach Amerika; ich wollte ihm mit meiner Erzählung gleichsam ein Unterpfand mitgeben auf seine weite, weite Wanderschaft, daß Gott, wenn man nur ernstlich ausharrt, am Ende doch noch hilft, und daß kein Elend so groß ist, es findet zuletzt doch noch seine Rettung. Er hatte mir von seiner Herkunft, seinen Abenteuern, seinen Plänen erzählt. Ganz so offenherzig war ich nun freilich nicht; vielmehr dachte ich meine Sache recht klug zu machen, nannte eine ganz andere Landschaft, aus der ich käme, ein ganz anderes Dorf, in dem ich zu Hause wäre. – Denn mein Vater hatte mich ja ernstlich verwarnt, Niemand mit meinen wahren Verhältnissen bekannt zu machen. – Aber gerade die Hauptsache, ach, elender Schwätzer, der ich war, die erzählt' ich ihm doch! Ich erzählte ihm, daß irgendwo von irgend Jemand eine Maschine erfunden, ein Geheimniß entdeckt sei, das ich bei mir trüge, mit dem ich nach Hamburg wollte und das für den, der es zu brauchen verstehe, ein wahrer Stein der Weisen werden müsse. Der junge Mensch nahm meine Nachricht ziemlich gleichgiltig, ja ungläubig hin. Zwar, sagte er, verstehe er vom Maschinenwesen nicht das Mindeste, schon wie ein bloßer Webstuhl aussehe, wisse er kaum, habe auch wahrhaftig keine Lust, sich dahinter zu setzen. Aber was ich ihm da erzähle, komme ihm doch ein wenig fabelhaft vor, eine Maschine mit solchen Erfolgen könne er sich gar nicht denken. Wie wenig Genaueres ich selbst nun auch von der väterlichen Erfindung wußte, so hielt ich mich doch verpflichtet, die Ehre meines Vaters gegen solche Zweifel zu vertheidigen, und plauderte also in meiner Jugendeinfalt Alles, was ich wußte und nicht wußte, bloß aus den gelegentlichen Aeußerungen meines Vaters mir im Stillen zusammengereimt hatte, ehrlich heraus. Meinem guten Gefährten schien es sehr leid zu thun, daß er mich so in Eifer gebracht. Wir wollten die Sache gut sein lassen, sagte er, ich müsse es ja besser verstehen als er, und so wolle er mir schon glauben, daß diese Erfindung, wohlbenutzt, allerdings eine Quelle des außerordentlichen Reichthums werden könne. Nur das nehme ihn Wunder alsdann, daß wir uns damit an ein Hamburger Haus gewendet, da er vielmehr immer gehört, daß es für dergleichen Unternehmungen nur Ein Land in der Welt gebe: England. In England allein hätten die Leute Geld und Muth und wüßten Erfindungen dieser Art zu benutzen; dahin hätten wir uns wenden sollen. Mit großer Herzlichkeit ermahnte er mich, ob ich das Papier mit den Zeichnungen und Anschlägen auch ja gut verwahrt habe, das sei, wie er ebenfalls gehört habe und wie es sich freilich auch denken lasse, eine Hauptsache bei solchen Dingen, daß sie geheim blieben in der Hand Eines Unternehmers.

Ueber diesen Punkt nun konnte ich ihn vollständig beruhigen. Ich trug das Document wohlverpackt, wie du gehört hast, unmittelbar auf der Brust, und keinen Morgen war ich aufgestanden, hatte keinen Abend mich hingelegt, ohne unvermerkt nach der Stelle zu fassen, wo es lag; ja wie oft selbst aus dem Schlaf war ich emporgefahren und hatte mich versichert, daß es noch da war! – Der junge Mensch schien an meiner Erzählung schließlich viel Freude zu finden; so sei es recht, sagte er, und er wolle sich meine Geschichte zum Troste dienen lassen, er werde ja auch irgendwo noch sein Stückchen Glück finden.

Unter diesen Erzählungen allmälig (berichtete der Meister weiter) war es völlig Nacht geworden. Doch schien der Mond hell, wir suchten eine Rinde Brod aus der Tasche, schöpften Wasser dazu aus dem Strom, und da die Nacht ein wenig kühl war und es uns zu frösteln begann, so nahm der Gefährte ein Fläschchen aus seinem Kasten, es sei Branntwein, sagte er, aber vom allerfeinsten, goß davon unter das Wasser und trank es mir zu auf gutes Glück. Es war ein wohlschmeckender kräftiger Trank, der neues Leben durch meine Adern goß. Bald darauf legten wir uns in den feuchten Sand, den gestirnten Himmel über uns; ich gedachte meines Vaters, meiner Frau, meiner Margareth und des zweiten Kindes, das meine Frau unter ihrem Herzen trug, dachte auch an Hamburg, an das Handelshaus, und wie gut es doch sei, daß ich diesen wackern Reisegefährten getroffen. So endlich schlief ich ein – –

Licht! Licht!! schrie der Meister und sprang entsetzt in die Höhe, indem er mit krampfhaft zitternden Händen sich das Hemd von der keuchenden Brust riß: Licht!! ich kann das nicht so im Dunkeln erzählen, es erstickt mich …!

Bestürzt fuhr Reinhold in die Höhe, zündete die Kienfackel an.

Endlich hatte der Meister Kraft und Ruhe genug gewonnen, seine Erzählung fortzusetzen. Ich entschlief, sagte er, und auch im Traum setzten die Gedanken, unter denen ich entschlummert, sich fort. Da plötzlich war es mir – und wenn in diesem Augenblick, mein Sohn, ein Engel Gottes mit dem Richtschwert vor mir stände, und ich sollte sagen, ob es Wahrheit oder Traum gewesen, was mir begegnete, ich weiß es nicht, ich armer, unglückseliger Mann –! Aber es war mir, während ich schlummerte, als würden die Kleider über meiner Brust langsam zurückgeschoben, siehst du, Reinhold, so – so – Eine leise, leise Hand faßte hin – löste das Band, an dem die Mappe auf meiner Brust hing – nahm sie fort …

Der Meister hatte die Augen weit aufgerissen bei dieser Erzählung, die Hände hielt er vor sich hingestreckt, als wolle er etwas Entsetzliches abwehren, seine Stimme war hohl, als käme sie aus dem Grabe –

Ich rang und stöhnte und wollte den Schlaf von mir wälzen, der mit entsetzlicher Gewalt, wie Alpdrücken, auf mir lag: aber all meine Glieder waren gebunden, ich wollte schreien, vermochte es nicht …

So unheimlich war diese Erzählung, zumal in dieser einsamen Mitternachtsstunde, daß Reinhold dicht an den Vater gerückt war und ihn mit beiden Händen umklammerte –

Wie es weiter mit mir geworden, sagte der Meister, und wie ich wieder in ruhigeren Schlummer gerathen, weiß ich nicht. Als ich endlich erwachte, war mein erster Griff nach der Brust, unter das Hemd – Gottlob, es war nur ein Traum gewesen! da fühlt' ich ja den Schatz noch, fest und sicher, wie zuvor! Die Sonne stand schon hoch am Himmel, mein Gefährte wusch sich Gesicht und Hände im Strom, munteres Leben von Ab- und Zugehenden erfüllte den Strand, der Fährmann stieß vom Ufer; nach einer kurzen Stunde war ich mitten im Gewühl von Hamburg.

Leider war im Gedränge des Hafens mein guter Reisegefährte mir von der Seite gekommen. Ich bedauerte das, weil ich ihm noch meinen Dank schuldig war für die liebe Gesellschaft und für so manchen nützlichen, praktischen Rath, den er mir ertheilt. Aber immerhin, so wußte ich nun doch Straße und Haus meiner Handelsfreunde und hatte sie auch bald, nach kurzem Suchen, richtig erfragt. Es war ein schönes, blankes Haus mit hohen Scheiben und glänzenden Messinggriffen an den Thüren. Das Herz wollte mir wieder ganz klein werden, als ich in das hohe, gewölbte Comtoir geführt ward, wo die vielen Pulte standen und die Federn dahinter so ämsig kritzelten. Allein ich gedachte des theuren Vaters, wie stolz dem das Herz pochen würde, wenn er mich hier stehen sähe, und auch meines wackern Kameraden von gestern Abend gedachte ich, der sich ja noch so viel größere Dinge in der Welt versuchen wollte. Wie ich meinen Namen gesagt hatte, und woher ich käme, und daß die Herren wohl schon selbst wüßten, was meine Angelegenheit wäre, wurde ich in ein kleines Seitengemach geführt, wo die eigentlichen Principale saßen. Es waren ein Paar große wohlgenährte Herren, mit runden glänzenden Gesichtern, die mich verwundert von Kopf bis zu Füßen maßen und meinen schlichten Rock, meine zerrissenen Schuhe und die schlechte, abgetragene Kappe halb spöttisch, halb mitleidig betrachteten. Auch nahmen sie keinen Anstand, ihren Gedanken sogar Worte zu geben. Es sollte mich doch wirklich wundern, sagte der Eine zum Andern, wenn an der Sache etwas wäre und von diesen armen bäurischen Leuten wäre ein Geheimniß entdeckt worden, an dem unsre besten Mechaniker sich bis jetzt noch den Kopf zerbrechen. Indessen, wer weiß, man hat der Beispiele mehre …

Laß dir dein eignes Herz sagen, lieber Reinhold (fuhr der Meister fort), was das meine empfand, als ich den Herren das Document wohlverschlossen überreichte, als ich das Papier rauschen hörte, als ich sah, wie die beiden Herren sich begierig in den Inhalt vertieften …

Hier schwieg der Meister.

Nun? und dieser Inhalt?! fragte Reinhold athemlos.

Mit entsetzlicher Lache –:

Weißes Papier! rief der Meister, leeres, weißes Papier, nichts weiter!!

Reinhold taumelte entsetzt zurück …

Ob, sprach sein Vater weiter, indem er, in Gedanken vertieft, die glatten, dünnen Haare einzeln durch die Finger gleiten ließ, der Wahnwitz meines Vaters schon damals heimlich zum Ausbruch gekommen war, als er seine Maschine erdacht zu haben glaubte, ob das Document, schon da er es mir übergab, nichts weiter enthielt als leeres Papier, oder was damit vorgegangen in der letzten Nacht, da jener entsetzliche Traum mich quälte – ich weiß es nicht! wage es nicht zu wissen, so furchtbarer Argwohn mir auch oft zuraunt, ich wüßte es –! Und ja, ja, ich weiß es ja doch, unterbrach er sich selbst: o mein armer Kopf – ich werde wahnsinnig, gewiß, ich auch!! –

Die Handelsherren, hub er endlich aufs Neue an, zeigten sich sehr beleidigt, wie wir uns unterfangen dürften, solch kindisches Spiel mit ihnen zu treiben. Nur auf mein jammervollstes Bitten gaben sie mir ein kärgliches Geschenk, mit dem ich mich, den Tod im Herzen, in die Heimat aufmachte.

Als ich nach Hause kam und dem Vater die leeren Blätter entgegenstreckte, brach im selben Moment der langverhaltene Wahnsinn in ihm aus; meine Frau, vor Schreck, kam zur Unzeit nieder, sie starb; meine Schwester Lene krankt seitdem – Ich bin zu Ende, mein Sohn, sagte der Meister tonlos.

Eine furchtbare Pause! –

Und bist du wirklich zu Ende, Vater? fragte Reinhold mit derselben tonlosen Stimme, indem er sich langsam an ihm emporhob, daß ihre verwilderten Augen sich begegneten.

Der Meister winkte abwehrend mit der Hand.

Du bist es nicht, Vater, schrie Reinhold, dort, dort –! indem er mit der Hand über die Schulter hinweg nach der Richtung des Schlosses deutete …

Dort, wiederholte der Meister: du hast es gesagt, mein Sohn und auch ich, in tausend jammervollen Kämpfen, habe denselben Gedanken durchgerungen. Gleich als dieser Herr Wolston, wie er sich jetzt nennt, aus England hierher kam – er wußte ja nicht, schaltete der Meister ein, daß ich aus dieser Gegend, ich hatte ihm eine ganz andere angegeben, auch hatten wir in Folge des Unglücks und um dem Gerede der Leute zu entgehen, unsere eigentliche Heimat verlassen, Niemand hier wußte Genaueres von uns, und er hatte also nicht den geringsten Grund in der Welt, diesen Ort zu meiden, noch konnte er auf irgend eine Weise hinter das wahre Sachverhältniß kommen. Gleich als er zuerst hierher kam, war ein Etwas in den Zügen dieses Herrn Wolston, ein Blick in seinen Augen, wenn er lächelte, ein Ton in seiner Stimme, wenn er mir schmeichelte, daß mich kaltes Grausen überfiel, so oft ich ihn erblickte. Daß er mich nicht sogleich erkannt hat, darf dich nicht Wunder nehmen: es war eine Nacht, eine einzige, daß wir zusammen waren, und die acht Jahre dazwischen hatten mich aus einem jugendlichen Mann zu dem gebrochenen Greis gemacht, der ich jetzt bin. Und vielleicht auch hat er mich erkannt, ach, er ist ja so schlau, so klug–!

Lange Zeit, fuhr der Meister fort, kämpfte ich den Gedanken nieder, der dennoch immer wieder von Neuem in mir aufstieg und mir keine Ruhe ließ. Ich mochte seine Fabrik nicht betreten, mochte nichts hören von seinen Rädern und Maschinen, nichts sehen von dieser ganzen außerordentlichen Thätigkeit, welche das Geschäft des Herrn Wolston entfaltete. Denn wennschon, wie ich dir bereits gesagt habe, meine ganze Kenntniß von dem Projekt unsers unglücklichen Vaters sich auf bloße Vermuthungen, bloße Andeutungen beschränkte, so fürchtete ich mich doch vor mir selber, ich möchte an irgend etwas, einem Stiftchen, einem Rädchen, eine Spur derselben erkennen. Hast du nicht auch davon gehört, daß Herr Wolston noch ganz besonders geheimnißvolle Maschinen hat und ganz besonders künstliche Erfindungen? – Und wenn es sich nun auch wirklich so verhielt und wenn mein Verdacht begründet war, welche Mittel hatte ich, mein Anrecht zu beweisen? welches Gericht der Welt hätte auf diesen Grund hin eine Klage angenommen? Was mein Vater mir anvertraut, war ein zusammengebundenes Stück Papier, vielleicht beschrieben, vielleicht leer, aber immerhin nur ein Stück Papier. Was dort drüben steht, bei Herrn Wolston, ist eine Fabrik, die ihre Hunderttausende werth ist unter Brüdern. Hat er in jener Nacht am Ufer der Elbe mich wirklich arglistig betäubt, hat er mir das Geheimniß meines Vaters abgetauscht und mir ein leeres Blatt dafür an die Stelle gelegt – es ist ein Betrug gewesen, ein Diebstahl, ganz gewiß: aber so hat er diesen Betrug so geschickt zu benutzen verstanden, so hat er das gestohlene Gut mit so viel eignem Fleiß, so viel eigner Arbeit so hoch zu verwerthen gewußt, daß ich mit meinen armseligen Ansprüchen dagegen in nichts verschwinde.

Aber thun wir ihm am Ende doch nicht Unrecht? fragte Reinhold, der, je länger er die Sache bedachte, je unschlüssiger ward.

Der Meister schüttelte bedeutungsvoll den Kopf. Sieh noch einmal nach, sagte er, ob wirklich Alles schläft, so will ich dir auch den Rest meines Geheimnisses sagen, und du wirst mir zugestehen müssen, daß wir ihm nicht Unrecht thun und daß er sich selber verrathen hat.

Lange Zeit, fuhr der Meister fort, nachdem Reinhold zurückgekehrt war, kämpfte ich jenen Argwohn nieder. Als aber endlich das Elend unsrer Lage immer drückender ward und als ich namentlich nicht mehr den Schmerz ertragen konnte, meinen armen blödsinnigen Vater in Noth und Mangel verkümmern zu sehen, während Jener da drüben schwelgte von den Früchten seines Geistes, da, als ich eben eines Tages bei ihm im Cabinete war, nahm ich meinen Muth zusammen und wagte, nur ganz von ferne, ganz leise, auf meinen Argwohn anzuspielen. Ich sprach von dem Wahnsinn meines Vaters, von Hamburg, von der Elbe und von jener Nacht an ihrem Ufer …

O Reinhold, Reinhold, schrie der Meister und rang die Hände, da hat er sich verrathen! In solchen Zorn geräth kein Mensch, der unschuldig ist! mit diesem Haß, mit dem er mich von da ab verfolgt, verfolgt kein Mensch seinen Nebenmenschen, der ihn mit nichts Anderem beleidigt hat, als nur mit einem Argwohn, einer Frage nur! Ich zweifle oft selbst wieder, auch seitdem noch – ach, ich weiß ja nicht mehr, was ich thue! Aber immer wieder, wenn ich an die Wuth und das Entsetzen denke, das damals seine Züge verzerrte, und wenn ich den Haß überlege, mit dem er mich seit dieser Stunde verfolgt, und zu dem kein Grund auf Erden denkbar ist ohne diesen, so muß ich mich selbst schelten, wegen meiner Zweifel, und jede Fiber meines Leibes und jeder Tropfen meines Blutes schreien auf: Er ist es – –!

Laß nun, schloß der Meister seine Erzählung, dieses Geheimniß begraben sein zwischen mir und dir, den Einzigen, welche darum wissen; ich will nicht, daß außer uns ein Mensch noch ahne, was ja bei mir selbst nur Ahnung ist, wenn auch freilich eine entsetzliche –! oder daß irgend Jemand es benutze zu Anklagen und Erpressungen, die in der Sache nichts bessern und unserm Namen nur Schande machen könnten. Ich fordere keinen Schwur von dir, ich weiß, daß du mein Geheimniß bewahrst auch ohne Schwur; denn du bist ein Mann und bist viel zu stolz, viel zu rechtschaffen, um das Geheimniß wider meinen Willen zu benutzen. Bei alledem würde ich es selbst dir, mein Reinhold, nicht enthüllt haben – denn es ist ein jammervolles, verzweifeltes Geheimniß, ein Geheimniß, über das man toll werden kann, nicht wahr?! – wäre nicht auch mir der heutige Vorfall als ein Fingerzeig des Schicksals erschienen. Es ist der Fluch jener verhängnißvollen Erfindungen, es ist der Dämon der Maschine, der schon einmal meinen armen unglücklichen Vater um das Licht seines Verstandes gebracht hat, und durch den auch heut deine Zeichnungen und Entwürfe, von denen du jetzt begreifen wirst, mein Reinhold, wie sie mein Herz zerrissen haben, zum kindischen Feuerwerk in die Hände des Blödsinnigen gegeben wurden. – Laß denn damit den Kreislauf des Verhängnisses vollendet sein, mein Sohn! Halte dich fest und treu zu dem Gewerbe deiner Väter, ja stirb auf ihm, wenn es sein muß, wie der Soldat auf seiner Waffe, stirb auf ihm, mein Reinhold, wie ich es thue …!

Noch immer schien es, als wäre der Meister nicht ganz zu Ende; er stand auf, setzte sich wieder, stand wieder auf, trat dicht vor das Lager seiner Schwester, dann vor Reinhold, sah ihm prüfend in die Augen – aber nein, er war doch wohl zu Ende. Sprachlos, mit stummem Händedruck winkte er Reinhold zur Gutenacht; bald empfing Jeden von ihnen das kärgliche Lager.

Aber während sie noch vergebens den Schlummer suchten, der sie floh, horch, da glitt es leise, leise über das Dach in die offene Bodenluke, mit ausgezogenen Schuhen die Treppe hinunter, hinein in die Stube, wo schon längst die schwarze Margareth in ruhigem Schlummer lag …

Es war Konrad, ihr Mann. Im Wirthshaus verspätet, hatte er sich vor seiner Frau geschämt an der verschlossenen Thür zu pochen, war über den Hofzaun gestiegen und unvermerkt aufs Dach geklettert, um durch die Bodenluke den Weg ins Haus zu gewinnen.

Da, wie er eben über dem offenen Kammerfenster hing, hatte er des Meisters Stimme gehört; mehr Anfangs aus Muthwillen als aus Arglist hatte er gelauscht …

Und nun floh auch ihn der Schlaf. Dennoch, als er am nächsten Morgen aufstand, sich in die Fabrik zu begeben, meinte er im Stillen, die Nacht sei gleichwohl keine verlorene gewesen …


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