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Siebentes Kapitel.
Die Nebenbuhler

Und nun denke man sich diese beiden jungen Männer, wie das Schicksal sie plötzlich wieder auf demselben entlegenen Fleck Erde, unter demselben Dache, in demselben Netz von Intriguen, ja setzen wir es nur gleich hinzu – unter dem Strahl desselben schönen Auges zusammenführt!

Es war überhaupt nicht wohl denkbar, daß zwei junge Männer so lange, so nahe in der Nachbarschaft eines so entzückenden Wesens leben konnten, wie das Engelchen, ohne von verzehrender Eifersucht erfaßt zu werden; was stand hier erst bevor, wo zwei alte Nebenbuhler unter einem so flammenden Gestirn wieder zusammentrafen? War das Herz des Herrn von Lehfeldt wirklich so mit Eis umpanzert, hatte der fromme Geistliche sich wirklich so losgemacht von allen weltlichen Leidenschaften und Wünschen, war Angelica in ihrer unvergleichlichen Anmuth und Liebenswürdigkeit Beiden wirklich so fremd, so gleichgiltig, daß die Flamme der Eifersucht, welche seit so lange schon zwischen diesen beiden Männern glimmte, durch dieses Zusammentreffen nicht aufs Neue zur wilden, vernichtenden Flamme angefacht werden mußte?

Herr von Lehfeldt, der auf dieses Zusammentreffen seit Längerm vorbereitet war und genügende Zeit gehabt hatte, sein Benehmen gegen Herrn Waller im voraus zu überdenken, hatte sich mit ziemlicher Leichtigkeit darein gefunden.

Um so unvorbereiteter dagegen traf die Begegnung Herrn Waller. Es hatte ihn lange nichts so tief, so feindselig berührt, als da er an jenem Sonntag Mittag bei der Rückkehr aus der Kirche in den Speisesaal des Commerzienraths getreten war – und das Erste, was er erblickte, wohlbehäglich in der Mitte zwischen Herrn und Frau Wolston, der schönen Angelica gegenüber, war Herr von Lehfeldt gewesen, mit diesem selben klaren Lächeln, dieser selben vornehm kalten Freundlichkeit, die ihn schon so oft in stille Verzweiflung gesetzt hatte.

Herrn von Lehfeldt, wie wir bereits wissen, stand jeder Ton zu Gebote, den er etwa anzuschlagen für geeignet hielt. Und so war es denn auch nicht ohne tiefe Berechnung, daß er in der ersten einsamen Unterredung, welche er mit Herrn Waller hatte, gerade den längst verklungenen Ton der Studentenjahre anschlug. Nachdem er dem Prediger das Allgemeinste über den Zweck seiner Reise eröffnet und ihn im Namen des Ministers angewiesen hatte, wie weit und auf welche Weise er denselben seinerseits zu unterstützen habe, wandte er sich sogleich auf die häuslichen Verhältnisse im Schlosse, zu denen Herr Waller sichtlich in so naher Beziehung stand.

Nun aber das muß man dir lassen, sagte er (denn so wenig es übrigens zu den Verhältnissen paßte, eine so besondere Genugthuung gerade hatte Herr von Lehfeldt darin gefunden, das studentische Du zwischen ihnen aufrecht zu erhalten, trotz aller demüthigen Einrede, welche die Bescheidenheit – oder, daß wir das Ding besser bei seinem Namen nennen: der verletzte Stolz des jungen Geistlichen dagegen erhoben hatte) …

Aber das muß man dir lassen, Pfaff, sagte er, daß du dich zu betten verstehst …

Das Wort Pfaff war der Spitzname, welchen Herr von Lehfeldt seinem Nebenbuhler schon als Student gegeben; war es die Erinnerung an jene Zeit oder was sonst, genug, kein Dolchstoß hätte dem Ohr des Predigers weher thun können als dieses Wort Pfaff, so breit hingeworfen, aus so tiefer Kehle, mit diesem Anflug unaussprechlichen, geringschätzigen Mitleids, wie es zwischen den feinen Lippen des Herrn von Lehfeldt hervorkam.

Herr Waller faltete die Hände noch graziöser und neigte das Haupt mit mildem Lächeln noch zierlicher seitwärts, als er sonst zu thun pflegte.

Ich verstehe nicht, sagte er, was mein Gönner meint; die arme, mühselige Stellung, die ich in diesem Dorfe einnehme, kann ja doch nur das Mitleid, nicht den Neid meines theuren Freundes erregen.

Neid, wiederholte Herr von Lehfeldt achselzuckend, nun freilich, davon sind wir weit entfernt; so viel Sünden du sonst auch an mir zu bessern hättest, Pfaff, von dieser einen weiß ich mich frei. Aber laß dies Händefalten und diese Johannesmiene, du mußt ja doch wohl wissen, daß ich dich kenne, noch von Alters her, und daß die theologischen Kunststückchen bei mir nicht verfangen. Du hast dich gut gebettet, sage ich: eine bequeme Stelle, ein reicher Patron, zur Herrin eine Betschwester, die eben noch hübsch genug ist, um an Das zu erinnern, was sie ehedem gewesen – und zu alledem das hübsche kleine Ding von Stieftochter – du hast sie wohl schon früher gekannt? Ah ja, man kennt deine Schliche, Pfaff: wie stehst du mit ihr? Es wäre keine schlechte Partie für solchen Hauskaplan, wie du bist …

Erröthete Herr Waller jetzt? wurde er zornig? nahm er die Ehre einer Dame in Schutz, der er vor wenig Stunden erst so viel Ergebenheit gelobt hatte? – Nichts von dem Allen: er fixirte Herrn von Lehfeldt einige Augenblicke lang mit gutmüthigem Schmunzeln, hob dann den Finger zu schelmischer Drohung in die Höhe und sagte:

Verrathen, mein bester Herr von Lehfeldt! ich fürchte sehr, verrathen! So fragt weder die Neugier, noch die Freundschaft: so, mein Teuerster, fragt allein die Eifersucht …

Herr von Lehfeldt fuhr zornig in die Höhe:

Ich glaube, Pfaff, sagte er, du hast dich überstudirt; ich und solch ein Mädchen! Mir steht wohl eine andere Zukunft bevor und auf andere Partien bin ich angewiesen als auf eine solche Misheirath.

Der Prediger zuckte bedeutungsvoll die Brauen, indem ein spöttisches, fast hämisches Lächeln über die geistreichen Züge dahinflog. Doch unterdrückte er den Einfall, der ihm auf die Zunge gestiegen war, und wiederum in seine gewöhnlich geistlich-weltmännische Haltung zurückfallend:

So sind wir also Beide unbetheiligt, sagte er, und können ohne Eifersucht und ungestört von Liebesgedanken die Geschäfte verfolgen, die uns obliegen.

Der Inhalt dieses Gesprächs wiederholte sich seitdem in immer neuen Formen, bald deutlicher, bald versteckter, noch unzählige male; Jeder von Beiden suchte dem Andern zu beweisen, daß er sich ganz nothwendig um die Hand Angelica's bewerben und dadurch den Frieden in der Familie, wenn irgend möglich, wiederherstellen müsse – und Jeder glaubte gerade darin nur den Beweis zu finden, daß der Andere sich in der That mit diesem Gedanken trage. Wie groß auch die Spannung, die zwischen den verschiedenen Gliedern dieses Kreises herrschte, zwischen Niemand war sie größer als zwischen Herrn von Lehfeldt und dem Prediger. Wie zwei gleich geübte, gleich aufmerksame Schachspieler, beobachteten sie sich gegenseitig; kein Zug konnte gethan, kein Finger erhoben werden, keine Miene sich verändern, ohne daß der Andere es sofort gewahrte. Man mußte so völlig unbefangen, von so wahrhaft kindlichem Sinne sein, wie das Engelchen, oder so vertieft in die Gebilde seiner Phantasie und so blind gegen alles wirklich Vorhandene, wie Herr Florus, um nichts von dieser Nebenbuhlerschaft zu merken.

Desto mehr merkte die Commerzienräthin davon. Wir wissen, wie verhaßt derselben Alles war, was einem öffentlichen Skandale ähnlich sah. So gleichgiltig ihr das Schicksal ihrer Stieftochter daher auch war, so lebhaft wünschte sie dennoch, die Katastrophe, welche in Folge des mütterlichen Testaments bevorstand, auf dem Wege gütlicher Ausgleichung zu beseitigen. Eine Heirath, welche sich die Billigung des Herrn Wolston versprechen durfte, war hierzu ohne Zweifel das geeignetste Mittel, ja sogar das einzige, das sich überhaupt erdenken ließ.

Die Baronin glaubte sich ein Verdienst zu erwerben, nicht blos um Angelica, sondern noch viel mehr um ihren Gemahl, ja um die Ehre ihres Hauses selbst, indem sie auf dies Mittel hinarbeitete und sein Gelingen aus allen Kräften zu erleichtern suchte. Weit entfernt daher, dem Verkehr der jungen Dame mit den beiden Bewerbern (denn das waren sie für die Phantasie der Baronin nun schon ganz unzweifelhaft) irgend welche Hindernisse in den Weg zu legen, unterstützte und beförderte sie denselben vielmehr auf alle Weise.

Mit Beiden, sagen wir. Denn in der That konnte die Baronin bei sich selbst noch zu keiner rechten Entscheidung gelangen, welchem von Beiden sie den Vorzug geben sollte. Daß die Ehe mit einem so unbedeutenden, so eigensinnigen und verbildeten Dinge, wie das Engelchen, immer und unter allen Umständen ein Opfer, und daß daher Keiner besonderen Grund hatte, sich seines Glückes zu freuen, darüber freilich war ihr selbst nicht der geringste Zweifel. Aber wurde nicht durch dieses Opfer zugleich auch die zarteste und dauerndste Verbindung mit ihr selbst erkauft? Wenn sie also in Zweifel schwebte, wem von Beiden, Herrn von Lehfeldt oder dem Prediger, sie das Opfer zumuthen sollte, so war es nur deshalb, weil sie ungewiß war, wem von Beiden sie den Preis desselben am liebsten gönnte.

Es war dies mit eine Veranlassung, ihre Ungeduld in Betreff des Geheimnisses, mit dessen Enthüllung sie den Sandmoll beauftragt hatte, noch zu vermehren. War diese wunderbare Ahnung, die sie immer und immer wieder beschlich, so oft sie Herrn von Lehfeldt erblickte, ein Irrthum, gab es kein anderes Band, durch welches derselbe ihrem Herzen noch näher angehörte, nun wohl, so mochte er wenigstens ihr Schwiegersohn werden. Betrog ihre Ahnung sie dagegen nicht, war sie ihm wirklich schon jetzt und noch viel näher, viel unmittelbarer verwandt, o freilich, da konnte von diesem Plane keine Rede mehr sein, da wäre das ja eine Misheirath für Herrn von Lehfeldt gewesen, und der gute, sanfte, gottergebene Herr Waller mochte alsdann das Opfer bringen.

So fest hatte die Commerzienräthin sich in diese Intrigue eingesponnen, daß sie sogar die Gelegenheit suchte, nicht nur gegen ihren Gemahl, sondern sogar gegen Angelica selbst einige Andeutungen davon fallen zu lassen.

Aber diese Letztere, in ihrem unschuldsvollen Sinne, verstand sie nicht – und Herr Wolston, indem er den Deckel seiner Dose noch langsamer, noch bedeutungsvoller auf- und niederklappte als gewöhnlich, erwiderte auf all ihre Vorschläge und Andeutungen nichts als jenes halb gleichgiltige, halb mitleidige Achselzucken, das so oft bei ihm, besonders in der Unterhaltung mit seiner Gemahlin, die Stelle einer ausführlichen Antwort vertreten mußte.


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