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Dreizehntes Kapitel.
Freudenfeuer

Um der Gedanken Herr zu werden, welche die verschiedenen Unterredungen des heutigen Tages in ihm aufgeweckt, vielleicht auch um sich desto ungestörter gewissen Träumen hinzugeben, die mit unwiderstehlicher Gewalt sein Herz umstrickten, ging Reinhold nicht unmittelbaren Wegs nach Hause zurück, sondern machte zuvor noch einen Gang ins Freie. Zwar mußte er sich selbst darüber schelten: für arme Leute, wie er war, gibt es kein Spazierengehen, selbst der Genuß dieser allumgebenden, allgegenwärtigen Natur ist bei uns zu einem Privilegium geworden für die Wohlhabenden und Vornehmen, welche die Zeit dazu haben. – Weshalb wir uns denn auch nicht wundern und noch weniger es als Roheit verdammen sollten, wenn bei unseren sogenannten niederen Ständen der Sinn für die Natur im Allgemeinen so wenig entwickelt ist: gebt ihnen erst die Muße, gebt ihnen erst die Freiheit und Unbekümmertheit der Stimmung, die dazu gehört, und euer Urtheil wird vermuthlich anders ausfallen müssen. –

Aber der Sommersonntag lockte gar zu lieblich, der Himmel war so blau, die Berge so duftig, die Vögel trillerten so hell, so muthig, Reinhold selbst war das Herz so weich, so weh, und doch so voll ungewisser, seliger Ahnung, sein Kopf so glühend, sein Geist so voll von allerhand wundersamen, weitgreifenden Projecten und Plänen – nein, er mußte auch einmal zwei Stunden für sich haben, mußte auch einmal Trost und Kühlung suchen für das fieberhaft erregte Herz am milden, mütterlichen Busen der Natur!

Die Dämmerung war schon längst hereingebrochen, als er endlich in die väterliche Wohnung zurückkehrte. Der Meister war noch nicht wieder heim; Margareth war ebenfalls, gewisser häuslicher Besorgungen halber, über Feld. Nur Konrad war bei der kranken Schwägerin und dem armen gestörten Großvater zurückgeblieben; er hatte sich, zum Beweis seiner Besserung, aus freien Stücken dazu erboten. Mit der Zeit indessen war ihm diese Gesellschaft doch ein wenig zu einförmig geworden; gar zu lieblich waren die Fiedeln von drüben, aus der Schenke her, erklungen, gar zu heiß hatte das Geld, das aus der Hand des Herrn Florus in seine Tasche geschlüpft war, ihn darin gebrannt …

Und dann, was die Hauptsache war, mußte er ja auch seinen Freunden und Bekannten die Neuigkeit erzählen, daß ein Kind unterwegs sei von der Margareth und dem rothen Konrad, ein leibhaftiges, lebendiges Kind! Man muß wissen, welch außerordentlicher Werth gerade von dieser, der ärmsten Klasse der Gesellschaft, auf Fruchtbarkeit der Ehe gelegt wird, und wie der entgegengesetzte Fall bei ihnen noch immer als eine Art von Makel gilt, um die Ungeduld zu begreifen, von welcher Konrad brannte, unter seinen Wirthshausfreunden eine Neuigkeit zu verbreiten, die ihn selbst im ersten Augenblick so tief erschreckt hatte und die ihn gleichwohl jetzt so stolz, so übermüthig machte.

Kaum also, daß Lene ein wenig eingenickt war, hatte Konrad sich leise davongeschlichen; nur auf fünf Minuten, hatte er dem alten Großvater betheuert, der zu Lenens Häupten saß und ihr die Fliegen wehrte. Der Alte hatte so altverständig genickt und so freundlich dazu gelächelt, Alles natürlich ohne den mindesten Verstand und Sinn und ohne auch Konrad's Worte im Entferntesten verstanden zu haben, daß dieser sich im vollen Rechte glaubte, als er die fünf Minuten zu einer Viertel-, einer halben, einer ganzen Stunde ausdehnte …

Ja wie hätte er auch anders können? Die Leute waren ja alle so höflich, so zuvorkommend gegen ihn, es brachte sichtlich solchen angenehmen, fast respektvollen Eindruck hervor, daß er, der gestern so völlig ausgebeutelt geschienen, heute schon wieder so flott bei Gelde war, der Wein war so besonders schmackhaft heute, die Wendungen des gestrigen Spiels wurden mit so viel Sachkenntniß besprochen, der lange Karrenschieber wußte den verhaßten Vagabonden so trefflich nachzuahmen, und als Konrad endlich mit der Neuigkeit seiner bevorstehenden Vaterfreude hervorrückte, war der Jubel unter den Genossen so allgemein und selbst die dicke Wirthin (die ihn sonst in der Regel etwas von oben herab behandelte: nämlich weil er selten bei Gelde war) schüttelte ihm heute so theilnehmend, so herzhaft die Hand: – daß er ja der gröbste Mensch von der Welt hätte sein müssen, hätte er eine so artige, liebenswürdige Gesellschaft vorzeitig verlassen und die gefüllten Gläser, die ihm von allen Seiten zugebracht wurden, unberührt ablehnen wollen. –

Und so befanden sich denn, als die Dämmerung hereinbrach, die beiden Kranken wiederum, wie in der Nacht zuvor, allein. Lene, welche der Besuch des Engelchen in eine ganz ungewöhnliche Aufregung versetzt hatte, warf sich in unruhigem Schlummer hin und her; sie träumte so laut und sprach so viel wirres, buntes Zeug durch einander, bald mit dem Sandmoll, bald mit ihrem Bruder, bald auch, wie es schien, mit der verstorbenen Frau Wolston, daß selbst dem Alten des Geredes ein wenig zu viel ward, zumal da nun die Nacht immer schwärzer und schwärzer hereinbrach. Er konnte, wie wir schon früher erzählt haben und wie es bekanntlich bei den meisten Kranken dieser Art der Fall ist, die Dunkelheit nicht ertragen und dachte mit Entsetzen daran, wieder solche qualvolle Stunden zu verleben, wie gestern Nacht.

Wie denn nun drüben, in den Fenstern des Wirthshauses, Licht um Licht erglomm, wie die Lampen im Saal sich entzündeten und bald das ganze Haus mit den hohen, hellen Fenstern als Ein prächtiger, funkelnder Lichtpalast dastand: so erwachte in dem zerstörten Hirn des Alten das kindische Gelüste, es auch so gut zu haben, wie die da drüben, und auch solch prächtiges Feuerwerk zu veranstalten. Leise, vorsichtig, vor stillem Vergnügen in sich hineinlachend wie ein Kind, das sich eine verbotene Freude bereitet, tappte er in die Küche, suchte nach Holz, fand keines …

Aber hatte nicht der Reinhold da, in der Ecke hinter seinem Webestuhl, die vielen prächtig weißen Papiere mit den seltsamen schwarzen Zeichen und Bildern darauf? Und gar erst die sauber geschnitzten Hölzchen und Räderchen, ei, wenn die brannten, das mußte ja eine wahre Pracht sein? Und der Reinhold ist ja so gut, der hat ihm noch nie ein böses Wörtchen gesagt, auch nicht das allerkleinste, der trägt und streichelt ihn immer so sanft, so freundlich, wie sollte der dem alten Großvater die kleine Freude nicht gönnen? Ja vielleicht kommt er gerade selbst noch nach Hause, der Reinhold – geschwind, geschwind! damit der gute Junge das Feuerchen schon in Gang findet und sich freut über die Ueberraschung, die der alte närrische Großvater ihm bereitet hat!

Ganz leise also, damit nicht etwa die Lene darüber aufwachte und ihm die Ueberraschung verdürbe, aber auch ganz eilig und immer still in sich hineinkichernd, trug der Alte sämmtliche Bücher, Papiere, Zeichnungen, Modelle auf dem Herd zusammen, schüttete sie über einander, mit einer Vorsicht und einer Ernsthaftigkeit, als ob es die schwierigste und wichtigste Unternehmung von der Welt wäre – und klatschte vor Freuden in die Hände und sang und tanzte, als die Flamme hoch in die Höhe züngelte und der graue Mann da neben ihm, der Schatten an der Wand, sich ebenfalls so freute über das Feuerchen und ebenfalls so in die Höhe sprang und tanzte, wie er!


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