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Achtes Kapitel.
Im Boudoir

Dies also der Inhalt des Empfehlungsschreiben mit welchem Herr von Lehfeldt sich bei der Commerzienräthin einführte: und begreifen unsere Leser hiernach leicht sowohl das ungewöhnliche Interesse, mit welchem dieselbe den jungen Mann empfing, als auch die eigenthümlich pikante Unterhaltung, die sich in Folge dessen zwischen Beiden entspann.

Schon für die Neugier unserer meisten Frauen, auch die unbefangensten, unbescholtensten nicht ausgenommen, haben Verhältnisse, wie der Brief des Ministers sie zur Sprache brachte, einen gewissen geheimnißvollen Reiz. Bei der Baronin aber kam dazu, daß sie, bei allem Anschein von Frömmigkeit und geistlicher Vertiefung, den sie um sich zu verbreiten liebte, dennoch im Grunde ihres Herzens noch gerade Frivolität und Lüsternheit genug besaß, um nicht nur an dem lockern Ton des Briefes, sondern auch an dem zweideutigen, ja einer Frau gegenüber geradehin unziemlichen Auftrage, den derselbe ihr ertheilte, gleichwohl ihr heimliches Behagen zu finden.

Und vielleicht auch kamen noch andere Gründe dazu, Gründe, in der That, von entscheidender Wichtigkeit, ja deren ganze Bedeutung die Baronin selbst sich noch nicht einzugestehen wagte …

Mit forschenderem Ausdruck, als es die Sitte der guten Gesellschaft sonst verstattet, hatte sie ihr Auge auf dem Eintretenden ruhen lassen; er war schön, dieser junge Mann, sehr schön, es ließ sich nicht leugnen, und wer die Aeltern dieses Kindes auch waren, so brauchten sie sich desselben, wenigstens was sein Aeußerliches anbetraf, nicht zu schämen! –

Herr von Lehfeldt jedoch, mit diesem vollkommenen gesellschaftlichen Takte, der ihm zu Gebote stand, hatte der Commerzienräthin rasch über die kleine Verlegenheit hinweggeholfen, von der sie sich bei seinem Eintritt allerdings nicht ganz frei fühlte; eine so geschickte Mischung von Ernst und Scherz, von Frivolität und ehrerbietiger Zurückhaltung wußte er der Unterhaltung zu geben, wußte so zierlich über alles Zweideutige, Anstößige hinwegzuschlüpfen, und nicht blos hinwegzuschlüpfen, nein: sondern in dem Hinwegschlüpfen zugleich es auch noch zu berühren und zu enthüllen; sein ganzes Benehmen gegen die Commerzienräthin athmete dabei so viel feinsten geselligen Anstand, so viel, mit zartester Galanterie vermischte Ergebenheit –: daß sie sich auch persönlich aufs Lebhafteste von ihm angezogen fühlte und ihn ihres kräftigen Beistandes bei den seltsamen Nachforschungen, die ihn hieher geführt, versicherte.

Sie sind Japhet, der seinen Vater sucht, sagte sie mit mildem, halb andächtigem, halb schalkhaftem Lächeln, und wenn Sie einer theilnehmenden Freundin bedürfen, gut, so weit mein Schutz reicht, soll Ihnen derselbe nicht fehlen. Ich erwarte so eben, fuhr sie fort, indem sie den Klingelzug in Bewegung setzte, einen Mann, der, so verwahrlost er auch übrigens von der Natur ist, sich doch auszeichnet durch seine Geschicklichkeit und Verschwiegenheit, auch in den schwierigsten Aufträgen. Auch in der Angelegenheit, welche Sie interessirt, möchte sich kaum ein geeigneterer Kundschafter finden lassen. Gehen Sie einstweilen in den Garten hinunter, er ist ziemlich geschmackvoll angelegt und wird Ihnen einige Zerstreuung bieten; in wenigen Minuten folge ich nach, um Ihnen mitzutheilen, was unser Kundschafter zur Sache meint, und was wir nun als das Nächste werden zu ergreifen haben.

Einem Anderen, als Herrn von Lehfeldt, hätte es schwer fallen müssen, hier sein Lächeln zu verbergen. Denn ganz ohne Frage war ja der Unterhändler, welchen die Baronin meinte, niemand anders, als der wohlbekannte Sandmoll, der schon von ihm selbst in derselben Sache hinlänglich mit Aufträgen versehen war. So jedoch, mit völliger Ernsthaftigkeit, unter den lebhaftesten Ausdrücken seines Dankes, empfahl er sich und ging hinunter in den Garten, wo, wie wir bereits wissen, Angelica mit ihm zusammentraf.

Als er durch die Galerie schritt, die in das Boudoir der Commerzienräthin führte, sah er wirklich den Alten bereits des Eintritts harren. Natürlich verrieth keine leiseste Miene weder an dem Einen noch dem Anderen, wie wohlbekannt sie mit einander waren. Der Sandmoll, nachdem die Baronin zum zweiten Male geschellt hatte, trat ein …

Wir sind schon einigemale in der Nothwendigkeit gewesen, Unterredungen mitzutheilen, welche von verschiedenen Personen mit dem alten Falschmünzer geführt wurden: und leicht mag es da geschehen sein, daß der rohe, plumpe Ton, welcher in der Mehrzahl ihrer Unterhaltungen vorherrschte, das Zartgefühl unserer Leser gekränkt hat. In diesem Fall haben sie dergleichen nicht zu besorgen: der Ton, in welchem die Baronesse mit dem Alten zu reden gewohnt war, war ganz so fein, so salbungsvoll, wie sie ihn meist zu führen pflegte –: womit wir freilich noch lange nicht behauptet haben wollen, daß die Sachen, welche zwischen ihnen verhandelt wurden, weniger unfein gewesen wären.

Oft schon, mein armer, verirrter Freund, sagte sie, indem sie die schwarzen, brennenden Augen gegen die Decke kehrte (– auch der Sandmoll, der sich die wenigen Haare nach Möglichkeit gescheitelt hatte, stand vor ihr, mit einer solchen Geberde von Frömmigkeit und Demuth, und machte solch angestrengte Versuche, ebenfalls die Augen zu verdrehen, daß es sehr rührend anzusehen war –)

Oft schon, mein armer, verirrter Freund, sagte die Baronin, haben Sie mich versichert, wie leid es Ihnen thue um die Fehltritte und Sünden, denen Sie, wie ja wir schwachen Menschen alle, unterworfen gewesen sind, und wie eifrig Sie jede Gelegenheit ergreifen würden, den Schaden, den Sie theils selbst angerichtet, theils anrichten halfen, wieder gut zu machen, oder doch wenigstens aufzuwiegen bei Gott, so weit das möglich ist, durch den Eifer, mit dem Sie jetzt ebenso alles Gute unterstützen und befördern wollen, wie Sie ehemals, ach nur zu bereitwillig waren, der Schwäche der armen menschlichen Natur zum Werkzeug zu dienen …

Es mußten eigenthümliche Erinnerungen sein, welche die vornehme Dame bei diesen Worten überkamen. Denn sie ließ ihre Blicke dabei auf den Sandmoll fallen, mit einem Ausdruck, den man unter anderen Umständen fast als ein Zeichen von Vertraulichkeit und geheimem Einverständniß hätte betrachten mögen.

Doch war der Alte viel zu wohl geschult, um sich selbst dadurch aus der Rolle bringen zu lassen, die er für diesen Ort und diese Stunde einmal angenommen.

Alles, wie die gnädige Frau befehlen, erwiderte er, indem er den alten grauen Filz mit fast kindlicher Verlegenheit zwischen den narbigen Fingern drehte: um meines Erlösers willen, und des theuern Blutes, das er für uns Alle vergoß.

Wohl denn, fiel die Baronin rasch ein, so haben Sie hier die Gelegenheit. Es wird der Herkunft eines Kindes nachgeforscht, das vor zwanzig und einigen Jahren hier in der Gegend geboren worden ist – heimlich geboren …

Ich weiß nun, fuhr sie fort, indem ihr Athem immer mühsamer, immer verhaltener ward, daß Sie, mein Freund, zu eben jener Zeit den Auftrag hatten, ein Versteck aufzusuchen für ein Kind, das unter ähnlichen Verhältnissen geboren war …

Der Alte schüttelte langsam, zweifelnd den Kopf; seine klägliche Miene verrieth deutlich, wie leid es ihm jetzt thue, jemals zu Geschäften dieser Art die Hand gereicht zu haben, – nämlich wenn er es überhaupt gethan.

Sie brachten damals, sprach die Baronin weiter, indem ihr Auge jetzt mit derselben Festigkeit in den Teppich zu ihren Füßen bohrte, als es zu Anfang des Gesprächs gen Himmel gerichtet gewesen war – Sie brachten damals schon nach Verlauf weniger Monate ein Zeugniß bei, daß Gott die Frucht der Sünde hinweggenommen …

In den Schooß seiner Barmherzigkeit, Amen, näselte der Alte …

Aber noch ehe er Zeit gehabt hatte, seine ruchlose Betheuerung zu vollenden, war die Baronin plötzlich, blitzschnell, auf gleichen Füßen, vor ihm emporgesprungen; ihr bleiches, noch immer schönes Antlitz, auf das mehr die Macht der Leidenschaften, als die Macht der Jahre feine Linien gezeichnet hatte, erglänzte von einem Ausdruck von Wahrhaftigkeit und aufrichtiger, innerer Erregung, den es seit Langem schon verlernt; krampfhaft, mit den feinen, schmalen Fingern, faßte sie die Schulter des Alten:

Mensch, rief sie mit zitternder, kaum hörbarer Stimme, und doch so bewegt, so inbrünstig war diese Stimme, daß selbst die taube Lore sie hätte verstehen müssen –: Mensch, sag mir die Wahrheit! Wobei beschwöre ich dich? Denn du glaubst ja keinen Gott, und deine Gedanken selbst sind Lästerungen! Aber wenn es irgend etwas gibt, das Gewalt über dich hat, sag mir die Wahrheit, ich beschwöre dich: starb jenes Kind damals wirklich? oder wenn es noch lebt, wo lebt es? wo?!! …

Man hätte ein Fels sein müssen, um diesem Gemisch von Angst und Leidenschaft, Furcht und Sehnsucht, mit denen diese Worte hervorgestoßen wurden, zu widerstehen. Allein der Sandmoll bekanntlich war auch noch weit schlimmer als ein Fels: nur ganz leise nach den kostbaren Ringen schielend, deren Druck er auf seiner Schulter fühlte:

Ach du mein gnädiger Himmel, sagte er, was die Frau Baronin mir altem Mann auch für einen Schreck einjagen! Ja wenn ich nicht so ein alter Mann wäre und wenn das lange Gefängniß, in das die Verleumdung böser Menschen mich gebracht, mein Gedächtniß nicht so geschwächt hätte! Ich erinnere mich gar nicht mehr an den Vorfall, dessen die gnädige Frau erwähnen – gar nicht mehr, bei Gott, und wer immer auch mich darnach fragen sollte, so werde ich immer nur aussagen, was die gnädige Frau mir vorsagen werden – nämlich, ich meine, weil ich selbst mich gar nicht mehr erinnern kann. Inzwischen, wenn ich vorhin recht gehört habe, so sprachen die gnädige Frau ja wol von einem Zeugniß, was man so nennt ein Scheinchen, ein Todtenscheinchen, das über den Tod des Knaben ausgestellt sei – Oder, unterbrach er sich selbst, war es vielleicht ein Mädchen? Ich, wie gesagt, weiß von nichts mehr und wenn ich gekreuzigt werden sollte noch diese Stunde, wie unser Herr Christus. Aber was ich sagen wollte, wo ein Todtenschein ist, meine ich, da muß doch auch wohl vermuthlich ein Todter gewesen sein …

Die Baronin war zurückgetreten, ihre Arme hingen schlaff hernieder.

Scheine dieser Art können auch verfälscht werden, sagte sie, indem sie sich vergeblich bemühte, die kleinen, erloschenen Augen in dem wulstigen Antlitz des Alten aufzuspüren …

Ah, ah, röchelte Sandmoll, und diesmal in so misbilligendem Tone – es war klar, daß nur der Respect vor der Baronin ihn abhielt, sonst hätte er bestritten, daß es wirklich solche böse Menschen gäbe, die dergleichen Scheine verfälschen könnten.

Die Dame, tief aufseufzend, strich mit der Hand über die langen, schwarzen Locken.

Ich bin eine Thörin, sagte sie erschöpft, ich weiß es; nichts mehr von dieser Sache. Sie aber, mein Freund, bitte ich, und damit meine Bitte desto mehr Kraft habe, hier (indem sie ihm einige Goldstücke zuschob): denken Sie an die Frage, die ich Ihnen zuerst vorlegte, und benutzen Sie die Verbindungen, die Sie in der Gegend haben, Nachforschungen anzustellen, ob außer jenem Kinde, dessen Tod denn also gewiß ist, zur selben Zeit noch ein anderes unter ähnlichen Umständen geboren worden und wohin es gekommen …

Damit winkte sie ihm, hinauszugehen. Sandmoll ließ sich den Wink nicht zweimal geben; höchst vergnügt über die neue interessante Aussicht, die sich ihm eröffnete, schlich er hinter einen Pfeiler der Galerie, das Geschenk der Baronin nachzuzählen.

Dies war die Situation, aus der, wie wir bereits wissen, der Commerzienrath ihn zu sich rief. Auch was dieser ihm anzuvertrauen hatte, ist unsern Lesern bereits bekannt: und so mögen sie sich selbst das teuflische Behagen ausmalen, mit welchem diese immer steigende Verwicklung der Dinge das schwarze Herz des Alten erfüllte.


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