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Zweites Kapitel.
Das offene Geheimniß

Ganz anders hatte Herr von Lehfeldt sein Leben eingerichtet.

Auch ihm hätte die Commerzienräthin gern ihr gastliches Haus angeboten. Denn bei der innern Unruhe und Oede, von der sie sich seit einiger Zeit befallen fühlte, war es ihr ein Bedürfniß, jederzeit so viel Menschen wie möglich um sich zu versammeln. Aber eine sehr natürliche Rücksicht auf die geheimnißvollen Beziehungen des jungen Mannes hatte sie davon abgehalten.

Doch war er so gut wie Herr Florus der tägliche Gast ihres Hauses und wurde bei jeder Gelegenheit aufs Sorgfältigste von ihr ausgezeichnet.

Wiewohl er selbst nur wenig Gefallen an diesem geselligen Treiben zu finden schien. Den größern Theil des Tages streifte er einsam, auf den entlegensten Pfaden, in Gebirg und Wald umher; selbst die rauhere Jahreszeit, welche eingetreten war, hatte keine Aenderung darin hervorbringen können.

Nicht selten verschwand er sogar auf Wochen gänzlich, um dann ebenso unerwartet wieder aufzutauchen, Niemand wußte wohin noch woher. Allein Niemand hätte auch den Muth gehabt, ihn danach zu fragen, so sehr wußte er durch einen einzigen Blick seiner großen kalten Augen jede vorwitzige Frage abzuweisen, noch bevor dieselbe ausgesprochen war.

Anfänglich, um seine Maske als Maler aufrechtzuhalten, pflegte er bei diesen Streifzügen seine Zeichnenmappe mit sich zu führen. Allein das war eine vergebliche Mühe. Nirgend, selbst nicht unter den Bewohnern des Dorfs, fand sein Incognito den geringsten Glauben mehr; überall wußte man oder glaubte doch zu wissen, daß dieser angebliche Maler Schmidt vielmehr ein vornehmer Herr aus der Hauptstadt, der nur zur Strafe in diese entlegene Gegend verwiesen sei.

Ueber Veranlassung und Zusammenhang dieses Ereignisses gingen die seltsamsten Gerüchte. Die meisten liefen darauf hinaus, ihn als das Opfer einer Hofintrigue darzustellen, welche eigentlich gegen den jungen Erbprinzen gerichtet gewesen sei und der dieser mysteriöse Fremdling sich mit edler Großmuth freiwillig zum Opfer gebracht habe. Ja, einen gewissen Winkel in der Schenke gab es, wo allabendlich einige sehr feine Politiker, den wohlbekannten langen Karrenschieber an der Spitze, ihren Kopf darauf verwetten wollten, daß dieser geheimnißvolle Fremdling niemand Geringeres sei als – der Erbprinz in Person!

So abgeschmackt diese Gerüchte nun zum größten Theil auch waren, so breiteten sie sich dennoch immer weiter aus und fanden auch außerhalb der Schenke immer mehr Glauben.

Ganz besondern Vorschub leistete ihnen die Wirthin; nicht nur ihre Redseligkeit, sondern auch ihr Vortheil führte das so mit sich. Seitdem Herr Florus ihrem Hause auf so schnöde Weise den Rücken gewendet, war der Maler desto höher in ihrer Gunst gestiegen; auch schmeichelte es ihrer Eitelkeit, eine so viel besprochene Person, den Gegenstand so vieler Auslegungen und Vermuthungen, schon so lange unter ihrem Dache zu beherbergen. Sie selbst zwar wußte über die Herkunft des Fremden nicht einen Buchstaben mehr, als in seinem Paß zu lesen stand: und das war und blieb der einfache, geheimnißvolle »Maler Schmidt«. Aber das hinderte sie nicht, ihren Gästen gegenüber, wenn die Rede auf den Fremden kam, jedesmal eine höchst überlegene, höchst bedeutungsvolle Miene anzunehmen. Sie ließ Jeden seine Meinung vortragen, selbst auch den Karrenschieber, ohne ein Wort dazwischenzusprechen. Nur zum Schluß: Ihr seid Tröpfe, Einer mit dem Andern, pflegte sie zu sagen, und patschte dazu mit der rothen, fleischigen Hand dem Karrenschieber derb zwischen die magern Schultern.

Aber der Ausdruck, mit dem sie das sagte, und dies Schmunzeln, mit dem sie die Lippen vorsichtig einkniff, gleichsam damit ihr nicht wider Willen ein unvorsichtiges Wort entschlüpfe, gab deutlich zu verstehen, daß sie wohl noch mehr sagen könne, wenn sie nur eben mehr sagen wolle. Auch versäumte sie niemals, das Gespräch gleich danach auf die feine Wäsche und die prächtige Garderobe zu bringen, welche der Maler sich habe nachschicken lassen, sowie auf die vielen Briefe und Meldungen aller Art, welche fast täglich bei ihm ein- und ausgingen.

Der Erfolg natürlich war ganz derjenige, den die Wirthin bezweckte: sie bestätigte, was sie zu leugnen schien, und machte sowohl ihren Gast als sich selbst täglich interessanter.

Jedenfalls indeß, wenn dies ein vornehmer Herr war, so konnte derselbe, je nach Gelegenheit, von außerordentlicher Herablassung und Leutseligkeit sein. In größerer Gesellschaft zwar, wo er von Mehren zugleich beobachtet ward, gab er nicht leicht jene Zurückhaltung auf, welche in seiner ganzen äußern Erscheinung ausgeprägt lag; das galt so gut von den glänzenden Soireen, welche die Baronin um sich versammelte, als von den Zechgelagen der Fabrikarbeiter, denen er nicht selten beiwohnte. Dagegen wer unter vier Augen mit ihm zusammentraf, der wußte hernach nicht genug zu rühmen, wie gesprächig und theilnehmend der junge Herr sich gezeigt. Forschte man freilich genauer nach, so ergab sich in der Regel, daß er weit weniger selbst gesprochen, als den Andern zum Sprechen veranlaßt hatte. Aber Das ist es ja eben, was die meisten Menschen von einer guten Unterhaltung begehren; während Herr Florus das äußerste Maß von Umgänglichkeit erreicht zu haben glaubte, indem er die Leute fortwährend unter die Presse seiner Fragen legte und sich aufs Genaueste nach allen Einzelnheiten ihres häuslichen und gewerblichen Lebens erkundigte – was denn in den meisten Fällen gerade den entgegengesetzten Effect hervorbrachte –: war Herr von Lehfeldt Meister in der Kunst, den Leuten die Lippen zu öffnen, ohne daß sie selbst es wußten, und Alles zu erfahren, ohne eine einzige Frage zu thun.

Besonderes Interesse schien er in dem Umgang mit dem tollen Heiner zu finden; man sah sie nicht selten in der Einsamkeit des Waldes neben einander sitzen, den großen Hund des Malers, mit dem aufmerksamen, verständigen Gesicht zwischen sich, als ob er an den geheimnißvollen Gesprächen, die zwischen dem seltsamen Paare gepflogen wurden, bedachtsam Antheil nähme. Auch in der Schenke, welche der Wahnwitzige, wie wir wissen, nur allzu häufig besuchte, verfehlte der Fremde nicht leicht, durch ein gemessenes Kopfnicken seine Bekanntschaft mit demselben anzudeuten.

Das Haus des Meisters dagegen hatte er nach jenem ersten Besuch in der Sonntagsruhe nicht wieder betreten. Zwar versorgte er ihn noch immer mit Aufträgen, nicht eben allzureichlich und auch nicht immer ganz regelmäßig, dennoch so, daß der Meister, bei seinem Fleiß und bei dem unermüdlichen Beistand, welchen Reinhold ihm leistete, das nothdürftigste Auskommen dabei fand. – Diese Bestellungen, sowie der ganze Verkehr mit dem Hause des Meisters gingen sämmtlich durch die Hand der Wirthin, welche sich, wie man denken kann, nicht wenig darauf zu gute that, einem so vornehmen Herrn als Unterhändlerin zu dienen, besonders seitdem sie sich überzeugt hatte, daß ihr Verdacht in Betreff der schwarzäugigen Margareth vollkommen unbegründet gewesen.

Wie nun aber das Publicum, im Großen und Kleinen, in Städten und Dörfern, in politischen und andern Dingen, sich endlich an Alles gewöhnt und Alles ertragen lernt, so gewöhnte man sich in dem Fabrikdorf allmälig auch an die Anwesenheit des räthselhaften Fremden und lernte seine eigene Neugier ertragen. Der Maler Schmidt, der so oft verschwand und so oft wiederkam, von dem Jedermann wußte, daß er kein Maler war, und den doch, um ein Großes, Niemand anders anzureden gewagt hätte, mit diesen geheimnißvollen Verbindungen, die Jedermann beschäftigten und die doch Niemand ergründen konnte, war in Kurzem eine herkömmliche Person im Dorfe und gehörte zur Staffage desselben – nun ja, ebenso gut und ebenso notwendig, wie der ewig Abschied nehmende und doch niemals abreisende Herr Florus zur unentbehrlichen Staffage in dem Salon der Commerzienräthin gehörte.


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