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Zwölftes Kapitel.
Die Berathung

Das armselige Hirtenhaus vor dem Dorfe, das dem Schulmeister Leonhard zum einstweiligen Aufenthalt diente und wo sonst kaum ein Laut gehört ward, als nur Seufzer und unterdrückte Thränen, hallte am Nachmittag dieses Tages wieder von lautem, lustigem Gesang, von Scherzen und Flüchen.

Nämlich der tolle Heiner, mißvergnügt darüber, daß der Meister die Annahme seines Geldes verweigert, und fest entschlossen, wie er einmal war, es für sich nicht zu behalten, hatte demselben keine bessere Verwendung geben zu können geglaubt, als daß er es dem Schulmeister überbrachte. Es war dies auch eine jener Grillen, durch welche die Zerrüttung seines Hirns sich kund gab: gestern noch hatte er sich aufhängen wollen, weil er zu arm sei – und heute lief er den Leuten ordentlich nach und suchte, an wen er sein Geld verschenken konnte.

Auch die Form des Geschenkes war, für diese Verhältnisse wenigstens, abenteuerlich und verkehrt, wie eben nur der tolle Heiner sie erdenken konnte. Denn da er vorauswußte, daß auch der Schulmeister, der an Stolz und Zartgefühl dem Meister wahrlich nicht nachstand, das baare Geld von ihm ganz gewiß nicht annehmen würde, so hatte er allerhand Einkäufe dafür bei der Wirthin gemacht: Einkäufe, bei denen er weit mehr seinen Geschmack und seine Neigung zu Rathe gezogen, als die Neigung und das Bedürfniß des Schulmeisters. Das heißt also, außer einigen Broden und Fleischwaren, hauptsächlich Wein und Branntwein. – Zur Steuer der Wahrheit müssen wir jedoch hinzusetzen, daß dieser unpäßliche Einfall nicht ganz aus dem verbrannten Hirn des Bettlers allein hervorgegangen: sondern auch die Wirthin und ihr Stammgast, der Karrenschieber, hatten darauf zugeredet, jene aus Gewinnsucht, dieser aus natürlicher Querköpfigkeit, um nicht zu sagen Schadenfreude.

Mit dieser seltsamen Fracht beladen, war der tolle Heiner denn also in dem Schulmeisterhause erschienen; es hatte ihn nicht wenig überrascht, statt der Freude, welche er mit seinen Geschenken hervorzurufen gedacht hatte, sowohl vom Schulmeister, wie namentlich von der Schwester desselben, Anna, mit Verlegenheit, ja mit Vorwürfen empfangen zu werden. In der That gehörte die ganze Tollheit eines Verrückten oder die ganze schmutzige Berechnung einer gewinnsüchtigen Wirthin dazu, dem Schulmeister, diesem Muster von Nüchternheit und Mäßigkeit, gerade ein solches Geschenk in sein armes Haus zu bringen.

Am Verdrießlichsten darüber war Anna. Sie war ein Frauenzimmer von ernstem, fast strengem Charakter, in Mitte der Dreißiger; um ihren Bruder, den sie zärtlichst liebte, nicht verlassen zu müssen, war sie unverheirathet geblieben, und trug jetzt, durch ihre stille, geräuschlose Thätigkeit und ihren praktischen, fast männlichen Sinn, nicht wenig dazu bei, die mißliche Lage, in welche Leonhard gebracht war, zu erleichtern.

Dieser tolle Mensch, murrte sie leise vor sich hin, als der Vagabond höchst vergnügt seine Flaschen auspackte und sogleich auch, zur Probe, ob der Saft auch gut sei, wie er sagte, eine derselben zu leeren anfing –: wird uns noch mehr in den Mund der Leute bringen, als wir es leider schon sind; du solltest ihn doch aus dem Hause weisen, Leonhard.

Aber dazu hatte Leonhard theils zu viel Achtung vor jenen Funken von Geist, Kenntniß und Bildung, die zu Zeiten in dem Unglücklichen aufblitzten, theils auch rührte ihn die Gutmütigkeit, die bei alledem in dem Verfahren des Tollen lag. Und endlich war er auch viel zu resignirt in sein Schicksal, viel zu beschäftigt mit seinen eignen düsteren Gedanken, als daß es ihm nicht vollkommen gleichgiltig gewesen wäre, sowohl was um ihn her vorging, als was die Leute darüber sagen möchten. Ganz vorzüglich war dies heut der Fall, wo die Nachricht von der Rückkehr des Engelchen, die auch bereits bis zu ihm hinausgedrungen war, all seinen Gram und seine Sorgen mit verdoppelter Stärke wieder aufgeweckt hatte.

Er begnügte sich daher auf alle Vorstellungen und Aufforderungen seiner Schwester nur mitleidig mit den Achseln zu zucken, setzte sich in eine Ecke des Zimmers, von wo er die Aussicht auf das Schulgebäude hatte, und überließ sich den gewohnten traurigen Gedanken.

Den Tollen natürlich genirte das nicht im Allermindesten; wenn seine Gäste nicht trinken wollten, auch gut, so trank er allein. Nicht blos guter Wein, sagte er, eine Stelle aus Shakespeare parodirend, sondern auch schlechter ist ein gutes geselliges Ding: und jeder Mensch, guter wie schlechter, vernünftiger und toller, mag sich wohl einmal davon begeistern lassen. – In der übermüthigen Laune, in der er sich befand, rückte er einen alten Tisch mitten in die Stube, setzte sich oben darauf, baute seine Flaschen und Vorräthe rings umher, zechte, sang, schrie – Es war ein wahres Glück, daß das Hirtenhaus so einsam lag, sonst wären gewiß die Vorübergehenden auf der Gasse stehen geblieben; schon jetzt wußte die arme Anna vor Verlegenheit nicht mehr, was anfangen.

Ich bin, schrie der Tolle, indem er eine geleerte Flasche auf seinen Knotenstock steckte und gravitätisch damit umherfocht wie mit einem Scepter, König Prospero auf der verzauberten Insel, dies ist mein Zauberstab und nun red' ich Euch an:

»Ihr Elfen von den Hügeln, Bächen, Hainen
Und Ihr, die Ihr am Strand, spurlosen Fußes,
Den ebbenden Neptunus jagt, und flieht,
Wenn er zurückkehrt; halbe Zwerge, die Ihr
Bei Mondschein grüne saure Ringlein macht,
Wovon das Schaf nicht frißt …«

Der halbe Zwerg bist du, Schulmeister, und das Schaf auch: weil du nicht trinken willst von diesem grünen sauren Tranke, mit dem das Essigfaß in der Schenke mich angeführt hat. – Aber es thut nichts bei alledem: »wenn das Faß leer ist, wollen wir Wasser trinken, vorher keinen Tropfen, also haltet Euch frisch und stecht an«, sagt Stephano: und Stephans ist ein gescheiter Bursch, weit gescheiter als Trinculo, obwohl der wieder den gescheitern Namen hat: Trinculo, prost Trinculo …!

In dieser Lage fand Reinhold die kleine Versammlung. Sowie der Bettler ihn erblickte, trommelte er vor Vergnügen mit den Füßen, daß die Flaschen rings um ihn tanzten und klirrten. Denn er liebte Reinhold mit einer ganz absonderlichen Zärtlichkeit und freute sich jedesmal, wo er ihn erblickte.

Ah, schrie er, mit den Worten Falstaff's aus der letzten Scene Heinrich's des Vierten: da kommt mein König Heinz, mein königlicher Heinz –

»Mein Fürst, mein Zeus! dich red' ich an, mein Herz!«

Und gleich darauf in die Worte übergehend, mit denen der alte Pandaros seiner Nichte Cressida den schönen Troilus empfiehlt: »O wunderschöner Jüngling und noch nicht drei und zwanzig! Hätte ich eine Grazie zur Schwester oder eine Göttin zur Tochter, er sollte die Wahl haben. O wunderschöner Held! Paris ist ein Quark gegen ihn und ich wette, Helena tauschte gern und gäbe noch Geld in den Kauf!«

Es dauerte einige Zeit, bevor der Wahnwitzige mit diesen und anderen Declamationen zu Ende kam und es Reinhold möglich wurde, die Absicht seines Kommens zu erzählen und den Rath der beiden Geschwister (denn auch auf das Urtheil der verständigen, überlegsamen Anna legte er großes Gewicht) einzuholen. – Der Bettler, sobald er hörte, wovon die Rede war, goß rasch noch eine Neige hinunter, stieg dann von seinem Tisch und setzte sich mit großer Ernsthaftigkeit zu den Uebrigen.

Der Schulmeister befand sich in viel zu niedergedrückter Stimmung, und war auch überhaupt viel zu eingeschüchtert durch seine jüngsten Schicksale, als daß er die entscheidende Meinung, um welche es Reinhold zu thun war, sogleich bei der Hand gehabt hätte. So muthvoll und tapfer dieser Mann, wo es die Vertheidigung seiner pädagogischen und religiösen Grundsätze galt, so bedenklich, ja furchtsam war er in allen Dingen des eigenen praktischen Lebens. – Er verkannte nicht, wie schwierig, nach einer so gewaltsamen, so öffentlichen Lösung, die Wiederanknüpfung des Verhältnisses mit dem Schlosse sein würde, und wie viel schwieriger noch die Fortführung, besonders, da an eine Aussöhnung der beiden Väter doch ein für allemal nicht zu denken sei. Auch konnte er nicht in Abrede stellen, daß Reinhold dabei in eine schiefe, fast unwürdige Stellung gerathen mußte, und daß endlich bei alledem der Erfolg, den Angelica sich für ihren Bruder davon versprach, noch ziemlich unsicher.

Andrerseits jedoch war auch das Gefühl der Menschenliebe in Leonhard so lebendig, er selbst hing an Julian mit so viel Zärtlichkeit, hatte auch Reinhold, dessen Talente er gar nicht hoch genug anschlagen konnte, mit so viel Bedauern an den väterlichen Webstuhl, in den harten, unfruchtbaren Dienst der täglichen Nothdurft zurückkehren sehen, daß die entgegenstehenden Gründe dadurch fast wieder aufgehoben wurden. Auch freute er sich innigst über das thätige, energische Auftreten des Engelchen, das mit so kecker Hand in diese wirren Verhältnisse hineingriff: Verhältnisse, vor denen gewiß selbst der erfahrenste Mann sich gern zurückgezogen hätte und die gleichwohl sie, das unbefangene, unerfahrene Mädchen, mit dem frohen Muth der Unschuld zu lösen gedachte. – Wäre es nur auf Leonhard selbst dabei angekommen, gewiß, er hätte es nicht über das Herz gebracht, einem Plane des Engelchen seinen Beistand zu verweigern.

Und so schwankte er denn, unentschlossen, in seinen Aeußerungen hin und her, und that mit allem Hin- und Herreden eben nicht viel mehr, als daß er die Schwierigkeit der Sache, so oder so, in beiden Fällen, weitläuftigst darlegte.

Der Vagabond, der, wie schon gesagt, seit Beginn der Berathung ganz ernsthaft und vernünftig geworden war, konnte dieses unentschiedene Hin- und Herreden nicht länger mit anhören. Nachdem er schon mehrfach durch Murren und Schütteln seine Ungeduld zu erkennen gegeben, sprang er endlich auf und unterbrach Leonhard mitten im Satze.

»Ja und nein zugleich«, rief er mit einer bekannten Stelle aus König Lear: »das war keine gute Theologie!« Laß mich reden, Schulmeister! Zwar ich bin ein Toller und du bist –

»nicht toll: doch mehr gebunden wie ein Toller,
Gesperrt in einen Kerker, ausgehungert.
Gegeißelt und geplagt« –

Darum hast du keinen Verstand in dieser Sache, Schulmeister, solch ein kluger Mann du auch sonst bist. Höre mich an, Goldprinz, Zuckersöhnchen, fuhr er zu Reinhold gewendet fort: das Ende dieser ganzen gleißenden Bekehrung ist näher als Ihr Vernünftigen es denkt: –

Geister, weiß und grau,
Geister, roth und blau,
Rührt, rührt, rührt,
Rührt aus aller Kraft!

Ich höre (fuhr er fort) schon ordentlich dies Rumpeln in der Erde, wie ein großes Magenknurren, mit dem das Erdbeben heranzieht, nächstens geht der Spectakel los, habt Acht! und bevor Einer von alle den klugen Kerlen noch Zeit gehabt hat, sich an die Nase zu fassen, –

»so werden
Die wolkenhohen Thürme und Paläste,
Die hehren Tempel selbst, der große Ball,
Ja was daran nur Theil hat, untergehen
Und, wie dies leere Schaugepränge platzt,
Spurlos verschwinden.«

Du bist mir zu schade, Junge, ich habe dich zu lieb mit deinen thörichten braunen Augen, als daß ich dich möchte so mit untergehen lassen. Und darum warne ich dich und befehle dir kraft des Geistes Flibbertigibbet, welcher allmächtig ist in mir – »den Wein liebte ich kräftig, die Würfel heftig und mit den Weibern übertraf ich den Großtürken« – Was wollt' ich sagen? Ja so, das wollt' ich sagen: der Humor von der Sache, mein Sohn, wie Korporal Nym es nennt, ein Mann, der sich auf Humore verstand, ist dies, daß du nicht wieder in das Schloß gehst, hörst du? Du bleibst, wo du bist, mein Sohn, – ach (und hier wieder schienen seine Sinne sich völlig zu verwirren, seine Augen stierten gläsern vor sich hin, indem sein Mund sich zu entsetzlichem Hohnlachen verzerrte): es ist ein verzaubertes Schloß geworden, das Zauberschloß der Armide ist es, und du bist zu gut dafür, als Rinaldo dieser Zauberin zu dienen! Ich – ei ja, was liegt an mir? »Ich bin ein Mann, an dem man mehr gesündigt, als er sündigte« –: und darum habe ich ein Recht, dir das zu sagen, so närrisch ich auch bin.

Auch Anna hatte die Aeußerungen ihres Bruders mit stillem Mißbehagen angehört. Von früh an hatte sie sich gewöhnt, Reinhold wie einen jüngeren Bruder, ja wie einen Sohn zu behandeln und einigermaßen zu leiten. Vielleicht, wer sie schärfer beobachtete, dem hätte es zuweilen scheinen mögen, als ob es nicht blos schwesterliche oder mütterliche Zuneigung war, was sie so besorgt machte um Reinhold's Wohl, sondern als ob eine leise, leise Ader noch anderer Leidenschaft damit zusammenflösse. Aber jedenfalls, wäre es auch wirklich so gewesen, so war diese Leidenschaft doch so rein, so edel, so frei von aller Selbstsucht, daß das Verhältniß dadurch sogar nur um so werthvoller, ja heiliger erschien. – Was den vorliegenden Fall anbetraf, so war auch Anna dem Gedanken an Reinhold's Rückkehr in die Familie des Fabrikanten aufs Aeußerste, mit einer fast eifersüchtigen Heftigkeit, abgeneigt; so widerwärtig das Geschwätz des tollen Heiner ihr sonst auch war, so hatte sie doch diesmal ihre geheime Freude daran, weil es, wie verworren immer, doch ihre eigene Ansicht unterstützte.

Heiner, sagte sie, hat Recht, und ich schließe mich seinen Worten an –

Oho, oho, wieherte der Tolle:

»'s ist Fluch der Zeit, wenn Tolle führen Blinde« …

Anna, ungestört durch den Spott des Bettlers, legte in klarer, ruhiger Auseinandersetzung ihre Meinung dar. Sie bestätigte Alles, was ihr Bruder bereits gegen Angelica's Vorschlag gesagt hatte, und hob namentlich hervor, welchen Schein von Eigennutz und Unwürdigkeit es auf Reinhold werfen würde, wenn er, um eines Erfolges willen, der zunächst nur ihm selbst und seiner eigenen Person zu Gute käme, seine und seines Hauses so tief gekränkte Ehre preisgeben und sich aufs Neue den Anmaßungen und Feindseligkeiten des Commerzienraths, dem kränkenden Hochmuth seiner Gemahlin, endlich den Intriguen des Herrn Waller aussetzen wollte.

Ueberhaupt, setzte sie hinzu, wenn ich wäre wie du, Reinhold, und wäre so gescheit und hätte so viel gelernt, ich gäbe meinem Herzen einen Stoß, wie wehe es auch thun möchte, risse mich heraus aus all diesen elenden Verhältnissen und ginge tapfer hinaus in die weite Welt, wo ein Mensch von deinen Talenten und deinen Fähigkeiten ja unmöglich zu Grunde gehen kann. Du wirst sagen, daß die Rücksicht gegen deine Familie dir das verbietet, und zum Theil hast du darin Recht. Aber auch nur zum Theil. Sieh, wie vortrefflich dein Vater ist und wie sehr wir alle ihn verehren, so thut er dir doch mit seiner thörichten Abneigung gegen die Studien, welche dir so lieb sind, und namentlich gegen dies Maschinenwesen, in welchem du selbst, wie ich höre, schon so hübsche Erfindungen gemacht hast, das äußerste Unrecht, dir sowohl, wie sich selbst. Setz' dich hin, nimm deine Papiere und Zeichnungen zusammen, arbeite was Rechtschaffenes aus, und dann gehe damit zu Leuten, die dergleichen zu würdigen verstehen und auch Geld und Interesse haben, es ins Werk zu setzen; es ist ja bei dem hohen Werth, der heutzutage aller Orten auf alle neuen mechanischen Erfindungen gelegt wird, geradehin undenkbar, daß du nicht auch dein Glück damit machen solltest. Dann, siehst du, wenn ich mir auf diese Art Geld, Ansehen, Rang erworben hatte, wenn ich selbst solch ein Mann geworden wäre, wie dieser Herr Wolston, der ja auch, wie man munkelt, nicht eben auf dem Geldsack geboren sein soll, siehst du, dann, aber auch nur erst dann, wollt' ich meinen Fuß wieder über die Schwelle des Schlosses setzen! Dann stellt' ich mich hin vor den Herrn Wolston mit sammt seinem Julian und seinem Engelchen und sagte: jetzt ist es was Anderes, jetzt, liebes Engelchen …

Es war wunderlich anzusehen, wie bei diesen Worten Anna's und Reinhold's Augen, die einen forschend, die andern erwartungsvoll, sich begegneten, wie Anna, im Begegnen der Blicke, verstummte und wie dann Beide verlegen vor sich nieder auf die Erde sahen.

Reinhold, der überhaupt seit seinem Gespräch mit dem Engelchen in eine gewisse Unzufriedenheit mit sich selbst gerathen war, konnte nicht umhin, das Richtige, das in Anna's Worten lag, anzuerkennen; diese so sicheren Hoffnungen, welche Anna in seine Fähigkeiten setzte, und dieser Respect, mit welchem sie von seinen Entwürfen und Zeichnungen sprach, schmeichelte ihm, um so mehr, als er wußte, daß sie gerade in diesem Punkt nur das Echo ihres sachverständigen Bruders war, und fachte den, unter der kalten Hand des Elends fast schon erloschenen Ehrgeiz des Jünglings wieder an. Er beschloß bei sich selbst, mit noch größerer Anstrengung als bisher jede freie Stunde für seine Studien zu benutzen, ja noch heut Abend, gleich wenn er nach Hause käme, wollte er sie wieder vornehmen und die gestern so unsanft unterbrochene Arbeit weiter fortsetzen. Was dann zuletzt aus dem Ganzen werden und ob es ihm möglich sein würde, den Widerstand, welchen der Vater seiner Beschäftigung entgegensetzte, zu besiegen – nun, der Himmel mochte es entscheiden.

Nachdem man auf diese Weise die Angelegenheit noch verschiedentlich durchgesprochen, vereinigte man sich schließlich dahin, daß Reinhold zwar den Antrag des Engelchen nicht mit runden Worten abweisen, aber seine Antwort doch so stellen sollte, daß sie selbst die Ablehnung sich daraus entnehmen könne.

Auch der Bettler war mit diesem Resultat zufrieden. Heda, schrie er, indem er die beiden Männer fast mit Gewalt nöthigte, ein Glas Wein mit ihm zu leeren: »hängt alle Männer, die das nicht können!« Und dann mit allerhand zusammengewürfelten Stellen aus dem Shakspeare'schen Wintermärchen: »Das ist ein allerliebster Kerl«, sagte er, »er hat Bänder von allen Farben des Regenbogens, spitzige Häkeleien, Garn, Wolle, Kammertuch, Leinewand hat er –«

              »Fahre wohl!
Der Tag wird trüb' und trüber, du kriegst wohl
Ein rauhes Wiegenlied –«

              »Komm, Page,
Blick' mit dem Himmelsaug' mich an, du Schelm!
Mein Herz! mein Schatz …!«


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