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Viertes Buch.
Die guten Werke.


Erstes Kapitel.
Dichterleben

Wir führen den Leser rasch über eine Reihe von Wochen hinweg, welche seit dem Schluß unsers vorigen Abschnittes vergangen sind. Der Sommer, der beim Beginn unserer Erzählung eben in seiner üppigsten Fülle stand, hatte schon längst dem Herbste Platz gemacht, und auch dieser fing bereits an, vom Winter verdrängt zu werden, ohne daß in den Verhältnissen, welche uns hier beschäftigen und die wir in jenen Sommertagen in so bedenklicher Verwirrung zurückgelassen haben, irgend eine bemerkenswerthe Veränderung stattgefunden hätte. Das Schicksal, so schien es, hatte nach jenen gehäuften Abenteuern und Verwickelungen eine Art von Waffenruhe beschlossen, während deren es selbst freilich nicht aufhörte, in geheimnißvoller Stille sein Rad zu drehen und sein Messer zu schleifen.

Auch die drei Gäste aus der Hauptstadt, welche sich damals, an demselben Tage, oder, genauer zu sagen, in derselben Nacht, auf so unerwartete und abenteuerliche Weise in dem Fabrikdorf zusammengefunden und durch ihre Erscheinung, wenn auch freilich aus sehr verschiedenen Gründen und in sehr verschiedenen Kreisen, zu so mannichfachen Gerüchten, Plänen und Anschlägen Veranlassung gegeben hatten, treffen wir, der vorgerückten Jahreszeit unerachtet, noch an derselben Stelle wieder.

Von dem Engelchen kann uns dies am wenigsten überraschen; wir wissen, welch peinliches Geschäft sie, gegen ihren eigenen Wunsch, an das Haus des Commerzienraths fesselte.

Schwerer möchte zu sagen sein, was die beiden Andern, den Poeten Florus und den angeblichen Maler Schmidt, so lange in der winterlichen Einsamkeit zurückhielt, – wenn nicht etwa auch diese Frage durch die Anwesenheit des Engelchen erledigt ist.

Mit besonderer Behaglichkeit hatte Herr Florus sich eingerichtet. So ungern er, seiner Versicherung nach, sich zu der Reise überhaupt entschlossen hatte und mit so viel Widerspruch und Seufzen er diese Gegend betreten, so schwer fiel es ihm jetzt, wieder davon loszukommen.

Aber freilich ist die Eitelkeit ein sehr mächtiges Motiv, für alle Menschen, sagt man, wie nun gar erst für einen Poeten, zumal von der Beschaffenheit des Herrn Florus. – Die Commerzienräthin, als eine Dame von Bildung und gutem Ton, ließ sich nicht leicht etwas entgehen, auf zehn Meilen in der Runde, was irgend geeignet war, ihren Salon zu verherrlichen; ihr Gemahl, der die Poeten, die Maler, die Musiker allerdings zwar als die überflüssigsten Menschen von der Welt, aber zugleich auch als das unvermeidliche Gefolge, den nothwendigen Hofstaat gleichsam des Reichthums betrachtete, ließ ihr darin, wie überhaupt in allen gesellschaftlichen Einrichtungen, gern und willig freie Hand.

Kaum daher, daß die Baronin in Erfahrung gebracht, welch berühmter Schriftsteller in ihrer Nachbarschaft angelangt, als sie Herrn Florus sogleich auch mit den schmeichelhaftesten Beweisen ihrer Aufmerksamkeit überschüttete; da sie hörte, daß er einige Zeit in dieser Gegend zu verweilen gedenke, so lud sie ihn ein, seine Wohnung im Schlosse zu nehmen und ihr Haus in allen Stücken als das seinige zu betrachten.

Wir kennen Herrn Florus bereits zur Genüge und wissen, daß er mehr Werth auf die kleinen Bequemlichkeiten und Genüsse des Lebens legte und die Entbehrung derselben schwerer empfand, als man es, wir lassen dahingestellt mit welchem Recht, mit einem poetischen Gemüth für vereinbar zu halten pflegt.

Es begreift sich hiernach, mit welcher Freude er die Einladung der Baronin annahm. Er hatte überhaupt alle Anlage zum Hofpoeten, so wenig er selbst sich darüber auch deutlich war, und so bitterböse er allemal ward, wenn seine Freunde ihn halb scherzend darauf aufmerksam machten. In einem stattlichen Schlosse zu wohnen, bei einer gutbesetzten Tafel, an der Seite einer geistreichen und noch immer anmuthigen Frau, die sich aufs Aeußerste geschmeichelt fühlte, nicht nur durch die Artigkeiten, welche Herr Florus ihr gelegentlich sagte, sondern noch weit mehr dadurch, daß die Artigkeiten, mit denen sie ihn überschüttete, von dem berühmten Mann so wohlgefällig ausgenommen wurden – nun ja doch, die Hand aufs Herz, das war ein Leben, völlig nach Herrn Florus' Geschmack.

Auch kam fast in allen seinen Novellen und Erzählungen ein derartiges Verhältniß vor, das er dann jedesmal mit sichtbarer Vorliebe des Breitesten schilderte; es ist, sagte er im Stillen zu sich selbst, als er von der dicken Wirthin, zum großen Leidwesen derselben, Abschied nahm und das enge Kämmerchen in ihrem Hause mit den behaglichen, wohlausgestatteten Gastzimmern im Schlosse des Fabrikanten vertauschte, – es ist wahrhaftig auch das Wenigste, was der Mensch verlangen kann, und nur eine ganz billige Ausgleichung des Schicksals, daß man es selbst und in Wirklichkeit auch einmal so gut bekommt, wie man es, zur Kurzweil der Leser, von den Kindern seiner Phantasie so oft erzählt und geschildert hat.

Außerdem aber hatte er noch einen andern Grund, um dessen willen ihm die Einladung der Baronin gerade in diesem Augenblicke höchst willkommen war. Sein Stern in der Hauptstadt – bei allen Schwächen und Wunderlichkeiten war er doch innerlich eine viel zu klare, viel zu nüchterne Natur, um sich selbst darüber zu täuschen – fing ein wenig zu verbleichen an; ein jüngeres Geschlecht von Poeten war unvermerkt neben ihm aufgewachsen, Poeten, welche sich, vielleicht nicht zum Vortheil der Kunst, aber jedenfalls zum Vortheil ihres augenblicklichen Erfolgs, der politischen und socialen Fragen des Tages bemächtigt hatten und im Vergleich mit denen Herr Florus mit seinen zierlichen Taschenbuchnovellen, seinen sentimentalen Liederchen und historisch-romantischen Dramen sich denn allerdings ein wenig altfränkisch ausnahm.

Auch Herr Florus, bei all seiner Gutmüthigkeit, hatte doch nicht blos Eitelkeit, sondern auch Ehrgeiz. Er hatte den Parnaß der Hauptstadt so lange, so ausschließlich beherrscht und war so allgemein anerkannt als der einzige Dichter von Ruf, welchen die ganze Landschaft aufzuweisen hatte, daß er diesen seinen Platz wenigstens nicht ohne Widerstand räumen wollte.

Was die jungen Leute können, dachte er, das kann ich auch. Gelbschnäbel, die sie sind! Ich bin länger beim Handwerk und kenne die Kunstgriffe besser als sie. Der Geschmack hat sich verändert, das Publicum ist von einer neuen Laune ergriffen, weiter nichts; es kommt blos darauf an, sich in die neue Methode einzuarbeiten. Dergleichen kann dem Besten begegnen und wir selbst haben es schon öfters gehabt in diesen fünfundzwanzig Jahren, seit wir unsere ersten Verse drucken ließen, und haben uns immer glücklich oben behauptet; wohlan denn, wir werden auch jetzt hinter das Geheimniß kommen.

Es war somit in der That sein voller Ernst gewesen, als er Herrn von Lehfeldt, bei ihrem ersten seltsamen Zusammentreffen, den Zweck seiner Reise [Druckfehler: dh] in angegeben hatte, daß er hier das Elend der armen Gebirgsbewohner studiren wolle. Er trug sich mit dem Plan eines großen, weitschichtigen Romans, den er ganz auf dem Boden der modernsten politischen und socialen Zustände aufbauen wollte; derselbe sollte Alles übertreffen, was in dieser Art noch erschienen war, und namentlich seine jungen Nebenbuhler auf einmal und gründlich aus dem Felde schlagen.

Leider nur, wie in den meisten menschlichen Dingen, war auch hier zwischen Plan und Ausführung eine weite Kluft: und das Musenpferd, das jederzeit so bereitwillig gewesen war, Herrn Florus in die Gefilde der alten Romantik zu tragen, weigerte sich dieselbe zu überspringen.

Und doch stand sein ganzer literarischer Ruf dabei auf dem Spiel. Schon lange vor seiner Abreise von der Hauptstadt hatte er selbst, verblümt und offen, von dem großen poetischen Werke gesprochen, mit dem er zurückkehren werde. Einige dienstbereite Zeitungen, wie das zu gehen pflegt, hatten seine Aeußerungen weiter verbreitet, sogar mit einem Buchhändler hatte er sich bereits in Verhandlungen eingelassen; der neue social-politische Roman des Herrn Florus war eine Thatsache, noch bevor eine Zeile davon niedergeschrieben war. Und als eben solche Thatsache stand es auch bei ihm selbst fest, daß er sich ohne denselben nicht in die Hauptstadt zurückwagen dürfe.

Sei es nun aber, daß die einigermaßen abstoßenden und widerwärtigen Stoffe, auf welche er seine Gedanken jetzt mit aller Anstrengung gerichtet hielt, der angeborenen Weichheit seines Charakters widerstanden, sei es, daß ihm, wie den meisten deutschen Poeten, der Blick für die Wirklichkeit der Dinge gebrach, oder sei es endlich, daß er sich die Sache überhaupt zu leicht vorgestellt hatte, und daß in der That noch etwas mehr dazu gehörte als nur eine veränderte Manier – genug, Herr Florus hatte große Noth mit seinem Buche. Trotz allen Fleißes, den er darauf verwendete, rückte es nur höchst langsam vor; nachdem er einige Zeit hindurch an jedem nächsten Morgen regelmäßig wieder verworfen, was er an dem vorigen geschrieben hatte, hielt er es fürs Beste, den Gegenstand überhaupt bis auf Weiteres bei Seite zu legen, und zuvor noch, wie er meinte, einige praktische Studien zu machen.

Dazu hatte er denn nun in dem Fabrikdorf überhaupt, namentlich aber in dem Hause des Fabrikherren die allervortrefflichste Gelegenheit.

Auch war er wirklich überall in dem weitläufigen Gebäude zu finden, bald bei den Arbeitern im Maschinensaal, bald (und dies Letztere allerdings noch etwas öfter) bei den Arbeiterinnen, bald unten im Comptoir, bald oben auf dem Trockenboden; nach Allem fragte er, Alles ließ er sich auseinandersetzen, Alles trug er in sein Notizbuch.

Auch außerhalb des Schlosses, zwischen den Häusern des Dorfes wäre er gern umhergestrichen. Hier aber hinderte ihn seine Blödigkeit und sein Ungeschick, mit Leuten niedern Standes zu verkehren. – Am häufigsten war er noch im Hause des Meisters, wo die Bekanntschaft einmal eingeleitet war und wo seine Aufmerksamkeit sich zwischen der schwarzen Margareth und dem blödsinnigen Großvater theilte. Zuletzt aber blieb sie doch an diesem haften, da derselbe, wie er behauptete, beiweitem effectreicher und auch weit leichter zu verarbeiten sei. Alles, was er auf diese Weise sah und hörte, war ihm unsäglich neu und wichtig, Allem glaubte er eine poetische Seite abgewonnen zu haben, Alles wollte er in seinen Roman einschachteln.

Dennoch konnte er sich selbst nicht verhehlen, daß dieser bei alledem mehr und mehr ins Stocken gerieth. Jeden Morgen stand er mit dem festen Vorsatz auf, nun auch ganz gewiß wieder daranzugehen, jeden Abend bat er bei der Wirthin des Hauses im Voraus um Entschuldigung, wenn er etwa morgen nicht rechtzeitig zur Tafel erscheinen sollte, aber sein neuer Roman nehme ihn gar zu sehr in Anspruch – und wer regelmäßig, lange vor Mittagszeit, die Hände auf dem Rücken, mit einem höchst ernsthaften, kritischen Gesicht bald diesen, bald jenen Winkel der Fabrik durchstöberte, bald wieder wie ein Spion durchs Dorf schlich, mit langem Halse bald hier in eine Thür, dort in ein Fenster guckend, und überall etwas zu fragen und zu erkundigen und nachzuforschen hatte, nur daß er die Einleitung dazu niemals recht finden konnte: bis endlich die Zeit zur Tafel glücklich herangekommen war und er wieder zur Seite der Baronin saß, dem Engelchen Aug' in Auge, und Anekdoten erzählte und gereimte Trinksprüche ausbrachte und, in seiner drolligen, halb trotzigen Manier, den unendlich Geschäftigen und Liebenswürdigen spielte – nun versteht sich, das war kein Anderer als Herr Florus.

Ebenso sprach er zu Anfang jeder Woche mit großer Ernsthaftigkeit sein Bedauern aus, daß dies nun leider die letzte sein müsse, wo er die Gastfreundschaft eines so angenehmen Hauses genießen dürfe; aber diese Woche werde sein Roman fertig und da müsse er nun eiligst nach Hause, ihn drucken zu lassen – und jedesmal zu Anfang der nächsten Woche hatte sich noch wieder etwas nachzutragen, zu verändern oder umzustellen gefunden, so daß er seinen Aufenthalt immer wieder verlängern mußte.

Zuletzt hatten beide Theile sich so daran gewöhnt, Herr Florus immer abzureisen, seine Umgebung ihn immer bleiben zu sehen, daß Niemand mehr etwas Auffälliges darin fand. Und da diese Art geschäftigen Müßiggangs, in welcher er sich auf diese Weise erhielt, Herrn Florus außerordentlich zusagte, und da andererseits auch seine Hausgenossen für manche verdrießliche, ja angstvolle Stunde einen immer heitern, immer mittheilsamen und dienstfertigen Gesellschafter an ihm hatten, so konnten beide Theile recht wohl damit zufrieden sein.


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