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Nun war er endlich da, der so heiß ersehnte König von Livland. Es hatte lange gewährt, bis man ihn fand, aber Kruse und Taube hatten nicht geruht, bis sie ihn ausfindig machten.
Seit sie in des Zaren Dienst standen und in russischer Rüstung wieder nach Dorpat gekommen waren, hatten sie nach allen Seiten hin ihre Verbindungen benutzt, um die Livländer Rußland geneigt zu machen, aber ihre Bestrebungen hatten nur geringen Erfolg gehabt. Die Dänen, Schweden und Polen, alle die einst römisch gewesen waren, galten für Glieder der Christenheit, die Russen aber erschienen auch den Lutheranern als Unchristen und nur 523 verlorene Deutsche brachten es fertig in die Dienste des Zaren zu treten. Die Unterhändler erkannten, daß die Livländer nur zu gewinnen waren, wenn ein deutscher König unter russischer Oberherrschaft zum Sammeln rief, und sie überzeugten auch den Zaren von dieser Annahme. Man bot die Königswürde dem Herzog von Kurland an, aber dieser schlug sie aus. Nun wandte man sich an den Herzog Magnus, der die Stifte Kurland, Ösel und Reval gekauft hatte und unruhig nach einer Vergrößerung seines kleinen Reiches verlangte. Seine Räte Klaus Aderkaß, Dietrich Farensbach, Konrad Burmeister rieten ihm zuzugreifen. Ihnen, den Livländern kam es vor allem darauf an, daß das zerrissene Land wieder zusammengebracht wurde, so oder so. Der Herzog ging denn auch nach Moskau und kehrte von dort als König von Livland durch die Gnade des Zaren und als Bräutigam einer Nichte desselben zurück. Mit ihm kamen alle die Livländer, welche bisher in Moskau in Gefangenschaft geschmachtet hatten. Der Zar hatte sie König Magnus zu Ehren frei gelassen. Die Stadt Dorpat, die Hackelwerke der Burgen, die Edelhöfe füllten sich mit den Befreiten, sie alle priesen den neuen König. Zahlreich strömte der Adel seinen Fahnen zu.
Nur das eine Reval widerstand, obgleich so mancher Sohn der Stadt unter den Magnisten, – so hießen des neuen Königs Anhänger – ritt. Da half kein Bitten noch Drohen, die von Reval bestanden darauf, der König Magnus sei nur ein Scheinkönig, den die Russen bald beseitigen würden, wenn sie erst festen Fuß im Lande gefaßt hätten. Sie wollten lieber schwedisch bleiben. Nun sollte Gewalt 524 gebraucht werden. Ein russisches Heer kam von Narwa, der König Magnus von Dorpat, aber die von Reval blieben bei ihrem Willen. Die Schweden beherrschten die See, so daß an Zufuhr kein Mangel war, im Schloß saß Karl Hinrichsen Horn von Kankas mit einer tüchtigen schwedischen Besatzung, die Mauern der Stadt waren fest, ihre Gräben tief. Die von Reval ließen es darauf ankommen.
Die Magnisten waren empört, denn die von Reval zerstörten alle ihre Pläne. Gelang es nicht die Stadt zu nehmen, so war das Königtum des Herzog Magnus kaum aufrecht zu erhalten. Die günstige Gelegenheit, wenigstens das ganze nördliche Livland wieder zu sammeln verging ungenutzt, und das Land bildete nach wie vor den Schauplatz, auf dessen zerstampftem Boden Polen, Dänen, Schweden und Russen ihre Kräfte maßen. Die nächsten Räte des neuen Königs zitterten überdies auch persönlich für ihre Stellung, ja für ihr Leben, wenn die Einnahme der Stadt nicht gelang, denn in dem Zaren hatten sich bereits jene furchtbaren Veränderungen vollzogen, um deretwillen man ihm später den Beinamen des Schrecklichen gab. Schon war das russische Land in die »Landschaft« und das »Leibland« geteilt und die Leibwache würgte mit Hundekopf und Besen am Sattel – als Zeichen, daß sie treu sein wollten wie Hunde, und das Land auskehren wollten von allen Verrätern – in der Landschaft wie im Feindesland.
Am 21. August des Jahres 1570 erschien Herzog Magnus vor Reval, während gleichzeitig ein anderes russisches Heer, zu dem auch die Fahne Jürgen Thedingsheims von Randen stieß, sich vor Weißenstein legte, wo Hermann 525 Flemming als Statthalter der Schweden gebot. Bis zum März des folgenden Jahres währte die Belagerung hier wie dort, aber die Festungen waren nicht zu nehmen. Vergeblich donnerten die Geschütze, vergeblich stürmten Magnisten wie Russen, vergeblich waren alle Versuche die Bürger einzuschüchtern oder Unfriede zwischen ihnen zu säen. Mit jedem Tage wuchs der Mut der Belagerten. Wenn die Bewaffneten ausfielen, dann liefen die Hausknechte und Jungen noch hinter ihnen her, obgleich es streng verboten war und schlugen tot, was jene gefällt hatten.
Am 5. März fand wieder ein großer Ausfall von der Lehmpforte aus statt. Eilhard und seine Junker kämpften wie Löwen, aber sie wurden doch geworfen, ihre Lagerstätte in Brand gesteckt.
Erschöpft, bestaubt, mit eigenem und fremdem Blut befleckt, trat Eilhard, nachdem der Kampf beendet war, in das Zelt des Vaters. »Vater,« rief er, »wir nehmen die Stadt nimmermehr. Sie sind unwiderstehlich. Heinrich Buddenbrock, Klaus Wrangel von Tatters, Melchior Hahn, Jakob Tödwen, beide Üxkülls, alle drei Ungern, Fromhold Ölsen, die beiden Thedingsheim von Ülzen, sie alle sind tot, die beiden Stryks, Walter von Orgies, Jürgen Firx, Reinhold Saß, Wolfgang Patkul, Heinrich Mengden trugen wir schwer verwundet von der Kampfstätte.«
Herr Kruse sprang auf und schritt mit schnellen Schritten in dem engen Raum auf und nieder: »Du hast gut reden, Elert,« rief er. »Es sagt sich leicht: wir nehmen die Stadt nimmermehr, aber es ist ein böser, böser Handel. Müssen wir abziehen, nachdem wir dreißig Wochen hier gelegen, so fällt 526 auch unseres gnädigen Herrn Königtum ein, wie ein Kartenhaus, das ein Kindlein baute. Dann fallen alle Nachbarn wieder her über unser betrübtes, zerstörtes und erbärmlich zerrissenes Vaterland recht wie reißende Wölfe und fressen, was bisher noch übrig blieb. Und dann Elert, was wird aus uns? Der Zar hat geschworen, wir müßten ihm die Stadt schaffen und wenn sie mit Ketten an den Himmel gebunden wäre, und er wird auffahren wie ein Eber, wenn er hört, daß wir abzogen. Wie, wenn er uns annimmt? Er ist ohnedies jetzt wie ein Toller, wütet gegen seine eigenen Unterthanen wie ein Tater im Feindesland und erwürgt seine eigenen treuen erprobten Räte, als ob sie seine Feinde wären. Wird er mit uns Fremden da viel Federlesens machen?«
»Das mag alles sein, wie es will Vater, aber die Stadt nehmen wir nimmermehr.«
Herr Kruse blieb vor dem Sohn stehen. »Elert,« flüsterte er, »wenn es ist, wie du sagst, müssen wir fort, müssen wir fliehen.«
»Vater wir haben dem Großfürsten geschworen!«
»Einerlei, Elert. Als wir ihm schwuren, war er ein verständiger Herr, jetzt aber ist er ein toller Bluthund geworden. Da gilt der Schwur nichts. Wir müssen zu den Polen, Elert! Unter denen habe ich manchen guten Freund und die Vettern im Erzstift werden uns ja auch nicht im Stich lassen.«
»Vater, geschworen ist geschworen.«
»Schweig, Elert, du bist ein Narr, Elert. Du weißt nicht, was es heißt in einem reußischen Gefängnis schmachten 527 und dabei tagtäglich fürchten, daß sie dich herausholen und mit siedendem Wasser zu Tode brühen oder dir die Glieder zerreißen. Nein, wir müssen zu den Polen und wir müssen Sorge tragen, daß wir nicht mit leeren Händen kommen. Bringen wir ihnen Dorpat mit, so sollen sie uns wohl willkommen heißen wie der Bräutigam die Braut.«
»Nimmermehr, Vater, wie sollten wir solchen Verrat üben.«
»Ach was, Verrat hin, Verrat her! Ich sage dir, man bekommt in einem reußischen Gefängnis ganz merkwürdige Gedanken von solchen Dingen.«
»Vater, die Kinder in den Straßen würden mit Fingern auf uns zeigen, jeder Biedermann aber würde von uns wegsehen, wenn er uns begegnete.«
»Thorheit, Elert, das thun sie nur, wenn wir arm sind. Mich hielten sie, ehe ich in der Reußen Hände fiel für einen Verräter und da ich keiner war und mit leeren Händen durchs Land ritt auf einer Stute, da mochten sie mich nicht ansehen. Wie ich aber aus der Moskau wiederkam und war nun wirklich des Großfürsten Eidverwandter, ritt aber stattlich auf einer Gorre mit silbernem Zaumzeug, da war ich der liebe Vetter und Freund. Glaube mir, bleiben wir bei dem Polen große Herren, so wird kein Hahn darnach krähen, wie wir es fertig brachten, kommen wir aber unter die Füße, so werden uns auch die Hennen nach den Augen picken.«
Eilhard schwieg eine Weile und blickte zu Boden. Endlich sah er wieder auf. »Vater,« sagte er, »wenn Ihr Dorpat verratet, so bleibe ich bei den Reußen, sie mögen nun mit mir vornehmen was sie wollen.« 528
»Na, na,« meinte Herr Kruse, »ich meinte es ja auch nicht so, wie es mir im Zorn und in der Angst über die Lippen kam. Vergiß, was ich von Dorpat sagte. Es kommt mir nur darauf an, daß der moskowitische Bluthund nicht dich und mich und deine Mutter und deine Schwestern erwürgen kann. Aber geh jetzt Elert, geh, du mußt todmüde sein. Wir sprechen noch davon.«
So redete der von Kelles, sobald aber der Sohn gegangen war, eilte er hinüber zu Taube und beide saßen lange in geheimer Beratung zusammen.
Am 16. März steckten die Belagerer ihr Lager in Brand und zogen ab, zunächst nach Weißenstein. Von dort aus zogen die Russen nach Narwa, Herzog Magnus aber schlug sein Hoflager in Oberpahlen auf, wo auch zwei Fahnen Magnisten unter Johann Maydel von der Wollust und Heinrich Boismann blieben, während zwei andere Fahnen unter Hans von Zeitz und Reinhold von Rosen im Stifte Dorpat unter den Bauern lagen. Jürgen Thedingsheim von Randen aber gab den kleinen Krieg noch nicht auf. Er befestigte das Dorf Ubbagal im Weißensteinschen und machte von dort aus zahlreiche Streifzüge gegen die Schweden, und was zu ihnen hielt.
Heute, an einem herrlichen Maientage, war der von Randen am Morgen von einer erfolgreichen Streife ins Lager zurückgekehrt. Es war dem Junker gelungen, die Reste einer Dorfherde, welche die letzten Dorfbewohner in den Busch gebracht hatten, in ihrem Waldversteck auszufinden. Da hatten sie die Leute, die sich zur Wehr setzten, niedergehauen, das Vieh aber ins Lager getrieben. Es 529 waren kleine, magere, armselige Rinder, aber sie boten immerhin reichliche Kost und überall hatten sich über den Lagerfeuern wieder Spieße gedreht. Jetzt schliefen alle Mittag und selbst die Wachen hielten nur mit Mühe die Augen auf.
Auch der von Randen schlief, Hans Ungern aber, der ihm als ein adeliger Junge diente, saß vor der Bretterhütte und putzte des Junkers Rüstung. Dem armen Hans hatten die Russen vor wenig Jahren Vater, Mutter und Geschwister erwürgt, er war aber ein fröhliches Reitergemüt und machte sich jetzt keine Sorge mehr um das Ende der Seinen. Sie hatten einen so schönen Ritt hinter sich, Hans war so satt, die Lerchen sangen unter dem blauen Himmel so laut, die liebe Sonne schien so hell und der Wind strich so kühl ins Lager – Hans legte den Harnisch mit den Blutflecken an ihm auf den Schemel, that das Putzleder daneben und sah sich um. Niemand war sichtbar. »Daß mich der Donner erschlage, ist Gottes Welt schön!« rief der Junge, schlug mit beiden Händen auf die Erde, hob die Beine hoch und spazierte so kopfabwärts vor der Hütte hin und her.
Da hörte er plötzlich: »Hans,« rufen, richtete sich schnell auf und blickte erschreckt auf den Junker, der eben aus der Thür getreten war. »Verzeiht, edler Herr,« stammelte er.
Der Junker lächelte. Er hob den Harnisch von dem Schemel und nahm selbst auf ihm Platz.
»Also die Welt ist so schön, Hans?« fragte der Junker.
»Ja edler Herr!«
»Und der heutige Tag insbesondere?«
»Ja.« 530
»Warum denn?«
»Weil wir zweimal einhauen konnten, erst auf die Bauern, dann auf das Kuhfleisch.«
Der Junker blickte dem Knaben lächelnd in die blauen Augen. Plötzlich schlug er den Blick zu Boden und runzelte die Stirn. »Gottes Tod, treib' keine Narrenspossen sondern geh an die Arbeit,« herrschte er ihn an.
Hans fuhr erschreckt zusammen, griff nach dem Putzlappen und machte sich wieder an den Harnisch. Er kehrte dabei dem Junker den Rücken zu, so daß dieser sein goldgelbes Haar sah. Der Junker hielt sich die Linke vor die Augen. »Ich muß ihn fortschicken,« dachte er. »Er erinnert mich allzu sehr an sie. Der von Rosen mag ihn nehmen. Sie hatte auch immer diese verdammte Fröhlichkeit um nichts und wieder nichts.«
Der Junker stöhnte. Hans wandte sich schnell um. »Habt Ihr Schmerzen, edler Herr?« fragte er.
»Hans, kannst du wohl ein Vaterunser hersagen?« fragte der von Randen nach einer Weile.
»Hol' mich der Teufel, wenn ich es kann! Das ist kein Spruch für einen Reiterbuben.«
»Meinst du? Aber wie, wenn dir einer eins über den Kopf haut, daß du das Aufstehen vergißt und der Teufel holt deine Seele?«
»Daß mich aller Welt Plage bestehe! An mich hat der Teufel kein Recht. Ich bin ein ehrlicher Junge von Adel und habe keinen niedergestoßen als in ehrlicher Fehde. Ich habe meine Hände an kein Weib noch an einen Wehrlosen gelegt. Hauen sie mich nieder, so kommt meine Seele 531 geradeswegs zum lieben Herrgott, oder der Teufel soll mich holen.«
Der von Randen erhob sich und ging, ohne zu antworten, davon.
»Thorheit,« dachte er, »ich habe meine Hände nicht an sie gelegt. Wollte man die Ritterschaft so verstehen, die Weiber würden es schön treiben in der Welt.«
Der von Randen ging langsam die Dorfstraße entlang, verließ schließlich durch das Thor im Staket das Lager und schritt über die Wiese, auf der die Pferde der Fahne weideten, dem Walde zu. Wie er so dahin schritt, gewahrte er deutlich hinter seinem Schatten noch einen anderen. Das Herz des Junkers setzte einen Pulsschlag aus und er fühlte, wie sich ihm das Haar emporsträubte. Er wand sich schnell um, aber er gewahrte niemand. Der, welcher hinter ihm herging, war ja auch nur ein körperloser Schatten.
Die beiden Junker, die am Thor die Wache hielten, waren ihm mit den Augen gefolgt. »Reinhold,« sagte der eine, einer von Hastfer, der erst seit kurzer Zeit bei der Fahne war, »sieh doch, er sieht sich wieder einmal so plötzlich um. Was er nur haben mag?«
»Er ist bei ihm,« erwiderte Reinhold Schwarzhof.
»Welcher ›er‹.«
»Der den man nicht nennen mag. Er hat einen Pakt mit ihm geschlossen und den mit seinem roten Blut unterschrieben. Darauf hat ihm der Gottseibeiuns mit dem Huf ans linke Bein geschlagen, daß es steif wurde. Da war der Pakt gültig. Will nun der von Randen etwas wissen, so wirft er sich flugs so herum, wie du eben sahst. Dann 532 sagt ihm ›der, den man nicht nennt,‹ was er wissen will.«
»Er selbst sagt, er wäre vor Randen gewundet worden, und hätte daher das steife Bein.«
»Das will ich glauben. Solche Praktiken bindet man den Leuten nicht auf die Nase. Ohne diesen Pakt aber läge der von Randen längst unter der Erde, denn so tollkühn wie er ist keiner ungestraft. Und wie sollte er sonst wohl immer wissen, wo Beute zu machen und ob der Feind vorhanden ist? So aber kann ihn keine Kugel treffen und kein Schwert, ehe seine Zeit um ist.«
»Und wann wird sie um sein?«
»Wie soll ich das wissen? Das hat er niemand gesagt.«
Der von Randen verdoppelte seine Schritte, um schneller in den Schatten des Waldes zu kommen, der Schatten aber blieb groß und schwarz dem seinigen hart an den Fersen, und der Junker fühlte den heißen Atem des Geistes in seinem Nacken. »Wehe dem, der ein Kind ärgert!« sprach der Geist.
»Was kann ich dafür?« erwiderte der Junker, »es ist im Lagerleben nicht anders.«
»Von dir wird einmal seine Seele gefordert werden.«
»Ich kann es nicht ändern, ich bin kein Pfarrer.«
»Konntest du es auch nicht ändern, als du die verdarbst, die mich rief?«
»Sie warf sich mir selbst an den Hals. Wie konnte ich wissen, daß sie es sich so zu Herzen nehmen würde, daß ich sie verließ? Sie mußte wissen, daß ich sie nicht heiraten konnte.«
»Sie warf sich dir nicht an den Hals, sondern du stelltest ihr so lange nach, bis du sie verderben konntest.« 533
»Nein, sie verdarb sich selbst.«
»Und deine Schwester?«
»Sie verdarb sich auch selbst.«
»Du ermordetest sie.«
»Ich ermordete sie nicht. Ihre Verwandtschaft saß über sie zu Gericht und fand sie des Todes schuldig.«
»Aber hast du sie vertreten, wie es einem Bruder geziemt? Oder frohlocktest du, als du sie töten konntest?«
»Sie verdarb sich selbst!«
»Siehe zu, wie weit du mit dieser Ausrede vor dem Gericht des Höchsten kommst.«
»Damit hat es gute Weile.«
»Du Narr! Heute nacht wirst du sterben.«
»Das hast du oft gesagt.«
»Aber diesmal kommt es, wie ich sagte.«
»Einerlei, jedenfalls gibt es dort kein Gericht, keinen Himmel und keine Hölle.«
»Aber wenn es ein Gericht gibt?«
»Es gibt keins.«
»Aber wenn es eins gibt?«
»Was für ein Gericht soll es denn sein? Ein katholisches, ein evangelisches oder ein reußisches?«
»An ein Gericht nach dem Tode glauben sie alle, Katholiken, Lutheraner und Reußen.«
»Das sind Ammenmärchen, Kinder damit zu schrecken.«
»Bin ich auch ein Ammenmärchen?«
Der Junker blieb stehen. Eine unbeschreibliche Angst faßte ihn. Der Schatten neben ihm streckte sich, wuchs ins Ungeheure. Als er bis an den Wald reichte, verschwand er. 534
Der Junker ging langsam dem Walde zu. »Es ist, wie er sagt,« dachte er, »wenn der Geist immer hinter mir her ist, nicht nur bei Nacht, sondern auch bei hellem, lichten Sonnenschein, warum soll dann nicht auch ein Gott im Himmel wohnen und über uns zu Gericht sitzen? Was aber soll dann aus mir werden?«
Der von Randen hatte den Wald erreicht. Dort sank er in die Kniee, und aus seinem geängsteten Herzen stieg zum erstenmal seit seinen Knabenjahren ein heißes Gebet zu dem empor, der, wie man einst dem Kinde gesagt hatte, um der Reue einer Stunde willen ein ganzes Leben voll Schuld verzeihen konnte.
Der von Randen blieb lange im Walde und die Schatten der Nacht senkten sich bereits auf das Lager herab, als er in das Dorf zurückkehrte. Als er das Thor betrat, drang schon das Heulen der Wölfe vom Walde her zu ihm herüber. »Sie sind ungeduldig,« dachte er. »Nun ihr werdet schon zu eurem Recht kommen.«
Vor seiner Hütte fand er Hans. »Komm herein,« befahl er kurz. »Hans,« sagte er dann, »sage mir einmal das Vaterunser her.«
»Gottes Tod, ich kann es nicht, edler Herr.«
Der Junker runzelte die Stirn. »Fluche nicht,« rief er streng. »Und nun, im Ernst, wie heißt das Vaterunser?«
Der Junge machte einen Versuch, es herzusagen, aber er brachte es nicht zusammen, und der von Randen mußte es ihm dreimal vorsagen, ehe er es richtig nachsprechen konnte. Endlich gelang es.
»Gut, Hans, und merke dir, daß Fluchen und Frechheit 535 nicht den Edelmann machen, sondern ein frommes Herz und ein gottesfürchtiger Sinn.«
Der Knabe blickte seinen Herrn mit großen Augen an. Der von Randen war doch ganz unberechenbar.
Der Junker trat wieder hinaus und setzte sich auf die Bank vor der Hütte. Er schickte den Diener mit dem Abendessen weg, und wechselte auch mit dem Leutnant, der nach der Losung kam, nur ein paar Worte. Die Losung lautete: »Im Namen Gottes.« Sie mußte dreimal wiederholt werden, weil der Leutnant glaubte, sich verhört zu haben.
Nun war er fort und der Junker wieder allein. Der Lärm des Lagers verstummte mehr und mehr, die Sterne am Himmel glänzten in wunderbarer Pracht.
Im Walde aber begann neues Leben. Vorsichtig getragene Waffen klirrten gegen einander, man hörte leise Kommandorufe, überall bogen sich die Büsche auseinander, um Bewaffnete durchzulassen. Endlich war der Waldrand erreicht und die Schweden nahmen in langer Reihe Aufstellung. Ihr junger Kommandant Karl Hinrichsen Horn von Kankas, ging die Front ab, und kehrte dann zu dem finsteren Gesellen zurück, der ihm als Führer gedient hatte. »Edler Herr,« sagte dieser jetzt, »Ihr haltet mir, was Ihr verspracht. Der von Randen und was sein ist, ist mein.«
»Seid ohne Sorge. Ihr mögt mit dem wüsten Junker verfahren wie Ihr wollt, doch glaube ich nicht, daß es Euch leicht fallen wird ihn zu fangen. Und nun vorwärts.«
Die Schweden kamen im Schutze der Dunkelheit bis dicht an das Staket heran, ehe man sie bemerkte. Als die Wache endlich die Rohre abschoß, war es zu spät. Das Thor 536 wurde eingeschlagen, mit furchtbarem Geschrei drangen die Schweden, ihren Hauptmann und den fremden Führer an der Spitze, in das Lager.
Der von Randen hatte noch vor der Hütte gesessen, als die Schüsse fielen, als der erste warf er sich jetzt den Schweden entgegen. Aber auch die anderen Hofleute eilten schnell herbei. Mehrere der Hütten waren in Brand geraten. Bei dem hellen Feuerschein erkannte der von Randen in dem fremden Reiter, der sich jetzt auf ihn stürzte, Bonnius. Der Junker ließ das Schwert sinken, und das Schwert des Todfeindes drang bis ans Heft in seinen Leib. »Im Namen Gottes,« rief er, als er fiel.
Auch nicht einer der Hofleute entging dem Würgen. Als die Frühlingssonne am Horizont aufstieg, lagen sie alle tot unter den rauchenden letzten Resten ihres Lagers. Die Schweden hatten ihr Pferde herbeigeholt und saßen auf. »Kommt Ihr nicht mit?« fragte der Ritter von Kankas Bonnius.
Bonnius schüttelte den Kopf. »Nein,« erwiderte er, »ich habe hier noch zu thun.«
»Dann lebt wohl!« Der Ritter nickte dem unheimlichen Manne zu, und das Geschwader setzte sich in Bewegung.
Als sie fort waren, band Bonnius sein Pferd, das die Schweden ihm gebracht hatten, los und warf den Leichnam des von Randen über seinen Rücken. So brachte er ihn bis an den Waldrand. Hier prüfte er nochmals den Wind – er ging zum Waldrande. Bonnius warf die Leiche aufs Feld und verbarg sich dann mit seinem Pferde in einiger Entfernung. Dort wartete er geduldig bis gegen Mittag. Dann kam ein grauer Waldhund aus dem Walde 537 und ihm folgte noch einer und noch einer und wieder einer. Ein Knurren und Belfern und Heulen drang zu Bonnius herüber. Er nickte befriedigt. Dann schwang er sich auf sein ängstlich schnaubendes Pferd und ritt davon. »Du bist gerächt, Bärbchen,« murmelte er, »endlich gerächt. Nun fehlt nur noch der ›Dompfaffe‹.«
Zwei Tage lang blieben die Wölfe ungestört. Da erst drang die Kunde von dem Untergang der Hofleute zu einem russischen Edelmann, der nicht allzufern in den Trümmern eines Edelhofes hauste. Der hatte als Mutgeberin eine Deutsche bei sich, die war längst verblüht und der Russe mußte um ihretwillen manchen Spott leiden, aber sein Herz hing an ihr. Wie die nun hörte, daß Jürgen Thedingsheim erschlagen sei, ruhte sie nicht, bis der Russe mit ihr nach Ubbagal ritt. Lange, lange suchte sie unter den Gefallenen vergeblich nach dem Junker, endlich aber, als sie auch die Wiese durchstreifte, fand sie, was noch übriggeblieben war von Jürgen Thedingsheim von Randen und bestattete es. 538