Theodor Hermann Pantenius
Die von Kelles
Theodor Hermann Pantenius

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Erstes Kapitel.

Es war um die Zeit, in der die ersten warmen Winde von Süden her über das schneebedeckte Land streichen. Noch lag tiefer Schnee in den Wäldern und auf den Fluren und das Eis auf den Strömen trug noch schwere Lasten, aber auf den Heerstraßen trat doch schon hie und da der nackte Sand zu Tage und wer auf das Eis des Flusses wollte, mußte erst durch Uferwasser. Noch ein paar Wochen und es trat die böse Zeit ein, in der es weder brechen noch halten wollte und niemand auf den aufgeweichten Wegen fort konnte. Das wußte man nur zu gut, darum eilte auch alles, was noch vom Lande in die Stadt wollte, die letzte Bahn zu benutzen und auf allen Straßen herrschte reges Leben. In langen Zügen von einspännigen Schlitten brachten die Bauern das Korn, das sie während des Winters gedroschen oder den Flachs, den sie für den Verkauf hergerichtet hatten, zur Stadt und ihre kleinen zottigen Pferdchen hatten tüchtig zu ziehen, um die schwerbepackten Fuhren fortzubringen. An der Spitze dieser Züge ritt wohl auch der Gutsherr selbst oder der Amtmann oder ein wohlverwahrter Schlitten mit 2 reicher Pelzdecke barg gar die Edelfrau, welche die Gelegenheit benutzte, um in der Stadt allerlei Einkäufe zu machen. Fleischer trieben, die lange Peitsche in der Hand, mit Hilfe ihrer wohlabgerichteten Hunde große Herden Ochsen vor sich her und hatten ihre liebe Not, die Tiere an den Schlitten vorüberzubringen, auf denen die Köpfe gewaltiger Balken ruhten, während das Ende derselben, weit nachschleifend, die Straße abschüssig und spiegelglatt machte. Schlitten, gefüllt mit gefrorenem Wildbret oder voll gefrorener Fische oder Schweine begegneten anderen, auf denen Salz oder Heringe und was sonst noch zum Bedarf einer ländlichen Wirtschaft gehörte, verladen war. Den Reisenden, die meist hoch zu Roß des Weges zogen, wurde es oft nicht leicht, an all' diesen Zügen glücklich vorüberzukommen, denn die Bauern waren wenig geneigt, ihnen Platz zu machen, und wenn sie, was bei dem naßkalten Wetter nicht allzu selten war, im Kruge des Guten zu viel gethan hatten, so waren Händel kaum zu vermeiden. War der Reisende indessen durch Kleidung und Dienerschaft als vornehmer Herr gekennzeichnet, so hatte er dergleichen Widerwärtigkeiten keineswegs zu befürchten. Dann wich ihm alles ängstlich aus und war froh, seinerseits ungeschlagen davonzukommen.

Zu dieser Klasse von Bevorzugten gehörte zweifellos der junge Mann, der um die Mittagsstunde eines der letzten Februartage des Jahres 1556 auf der großen von Tuckum nach Riga führenden Heerstraße sich dem Flecken Schlock an der Semgaller Aa näherte. Sein kurzer Reitpelz war mit edlem Rauchwerk reich verbrämt, Griff und Scheide seines Schwertes und seines Dolches zeigten wertvollen Schmuck. 3 Dazu ritt er einen edlen Rapphengst, der des kostbaren Zaum- und Sattelzeuges, das er trug, würdig war.

Hart hinter ihm, so daß der Kopf seines Pferdes sich in gleicher Linie mit dem Schenkel des Jünglings hielt, ritt in Harnisch und Sturmkappe, das Faustrohr am Sattel, ein Reisiger und in ein paar Schritt Entfernung folgten noch zwei geharnischte Reiter. Ein berittener »Junge« und ein von einem starken Doppelklepper gezogener Schlitten, der die Bagage barg und auf dem, beide Beine auf einer Seite, der gut gekleidete Troßkerl saß, schlossen den Zug.

Die Reiter, die heute schon ein tüchtiges Stück Weges hinter sich hatten, ritten schweigend einher und man hörte nichts als das schnelle Atmen der Rosse und das klatschende Geräusch, das entstand, wenn ihre Hufen durch den harten, zu Eis gewordenen Schnee drangen.

»Hans«, sagte der junge Mann an der Spitze des Zuges plötzlich, »Hans, sieh doch! Was ist das für ein seltsamer Wanderer!«

»Ich gucke mir schon eine ganze Weile die Augen aus dem Kopf nach dem seltsamen Kerl«, war die Antwort. »Hat man je so etwas gesehen!«

Der Anblick, der sich den Reisenden bot, war in der That auffallend genug. Vor ihnen ging nämlich ein Mann, der trotz der nassen Kälte, welche die Reiter unter ihren Pelzen erschauern machte, barhäuptig und barfüßig und überdies nur mit einem langen, härenen Gewande, das wie ein Sack an seinem Leibe herabfiel, bekleidet war. Der Wanderer schritt so rüstig aus, daß die Reiter sich ihm nur sehr langsam näherten. 4

»Daß dich aller Welt Plage bestehe!« fuhr Hans fort. »Ich will nie wieder eine Kanne Bier trinken, wenn dem tollen Kerl nicht beide Füße erfrieren, noch ehe ich des Junkers Rappen in das Stadol des Schlockschen Kruges führe.«

Der Junker trieb sein Roß an, die Pferde verfielen in Trab und der Wanderer war bald eingeholt. »Heda, guter Freund«, rief der Junker, »versteht Ihr deutsch?«

Der Wanderer blieb einen Augenblick stehen und wandte sein Gesicht dem Reiter zu. Das lang auf die Schultern herabfallende, reichlich mit Grau gemischte schwarze Haar und ein gewaltiger Bart umrahmten ein schmales Antlitz. Unter den stark vorspringenden Augenknochen blickten ein Paar dunkle Augen in wunderbarem Feuer. »Ich bin ein Deutscher, Herr«, antwortete der Mann in oberdeutscher Mundart.

»Und warum streicht Ihr dann in solchem Aufzuge durch das Land?« fragte der Junker weiter, indem er die Stirn runzelte. »Ihr macht gemeiner deutscher Nation wenig Ehre in diesem Lande, wenn Ihr, ein Deutscher, zu Fuß und noch dazu in solchem Aufzuge auf offener Landstraße einherschreitet, wie ein undeutscher Knecht, der seinem Herrn entlaufen ist.«

Der also Angeredete erhob seine Arme gen Himmel, und blickte nach oben. Seine lange hagere Gestalt sah in dieser Haltung noch viel schlanker und größer aus und schien ihn weit über das gewöhnliche Menschenmaß zu erheben. »Wehe über Livland!« rief er mit lauter, tiefer Stimme, »Wehe! Wehe! Wo wirst du an dem Tage bleiben, da der Herr 5 sein schreckliches Gericht halten wird über die Gerechten und die Ungerechten! Wehe! Wehe! Wo wirst du bleiben an dem Tage, da es weder Deutsche noch Undeutsche geben wird, sondern allein Schafe, die eingehen zu ihres Hirten Freude und Böcke, die hinabgejagt werden in die ewige Finsternis. Wehe! Wehe, über dich auch Junker, der du ein Kind bist dieses Landes der Ungerechtigkeit Ich sehe die Weihe herabfahren auf die Küchlein, die auf der Mutter Rufen nicht hörten, ich sehe, wie ihre Fänge sie zerreißen, wie die Federn fliegen, wie das Blut rinnt! Wehe! Wehe! Ich sehe die Zuchtrute, die der Herr dir gebunden, dein üppig Fleisch zu zerfleischen, aber du läßt nicht von deiner leichtfertigen Art! Wehe! Wehe! Gewogen, gewogen und zu leicht befunden!

Der Hengst des Junkers war schon, als der Fremde die Hände erhob, jäh zurückgeprallt, nun aber, da der Mann in wilder Verzückung auf den Reiter einschritt, steilte das Tier und stob dann davon, daß der von seinen Hufen aufgeworfene Schnee den Folgenden um die Köpfe flog.

Es währte geraume Zeit, bis der Junker des Rosses wieder Herr wurde. Dann wandte er sich zu Hans, der neben ihm hergejagt war. Sein Gesicht war so blaß, wie das des Dieners, als er fragte: »Wer war das, Hans? Um Gotteswillen, wer war das?«

»Das war ein Prophet, Herr!« war die Antwort. »Er heißt Georg von Meißen und er war schon einmal anno 47 im Lande. Damals hat er denen von Riga verkündet, daß wenn sie nicht abließen von ihrem sündhaften Leben, Gott sie heimsuchen würde mit Brennen. Und kaum war er fort, 6 da entstand zu Christi Himmelfahrt ein Feuer in der Vorburg in den Speichern und die Funken flogen über die Mauer und steckten die Häuser im Domstift links der Neupforte in Brand und den Dom! Wenig fehlte, so wäre die ganze Stadt darüber in Rauch und Asche aufgegangen!«

Mittlerweile waren auch die beiden anderen Diener und der Junge herangekommen. »Herr«, fragte der eine von den ersteren, »soll ich zurückreiten und dem frechen Burschen eins über den Kopf geben, daß er das Aufstehen vergißt?«

Der Junker schüttelte den Kopf. »Was weißt du noch von ihm, Hans?« fragte er.

»Er hat damals sich alltäglich am Morgen an die Schiffe gestellt«, berichtete Hans »und hat sich sein Brot selbst verdient mit Säcketragen. Darnach aber ist er in die Kirchen gegangen und hat die Prädikanten vermahnt mit scharfen Worten und hat keiner vor ihm bestehen können. Er ist so stark gewesen, daß er einmal, da er mit anderen Säcke auf die Schiffe getragen hat und ein Träger, dem die Last allzuschwer gewesen, hingefallen, dessen Sack, da doch drei Lof Roggen darin gewesen, noch zu dem seinigen über den Rücken gethan und über das Brett, so man von dem Bollwerk auf das Schiff gelegt, getragen. Das Brett aber hat solche Last nicht aushalten können, ist geborsten und hat den Propheten fallen lassen. Da ist der Prophet mit beiden Säcken auf dem Wasser um das Schiff gegangen, bis er an eine Falltreppe gekommen, so an der andern Seite über Bord gegangen und ist also die Treppe hinaufgestiegen und hat sich seiner Last entledigt!«

»Was hat das zu bedeuten, Hans?« fragte der Junker 7 weiter, »erst der Komet am Himmel und nun dieser Prophet auf Erden? Was will Gott, der Herr, über dieses arme Land verhängen?«

»Das weiß er allein«, versetzte Hans, »aber gutes verheißen solche Dinge nicht. Sind auch nicht die einzigen Zeichen und Wunder. Als ich durch Riga ritt, erzählte mir der Wirt, daß unter Ronneburg eines Bauern Sau im Busch zwei Ferkel mit fünf Beinen geworfen, die hat aber der Eber alsogleich gefressen. Das deutete ein Stallbruder von Cremon, der mit mir am Tische saß, darauf, daß der Herrmeister den Herrn Erzbischof und den jungen Herrn Christoph gefangen nehmen und nach seinem Willen mit ihnen verfahren würde. Daß Gott erbarm und daß seine Väterlichkeit der Herr Erzbischof vor solchem Unheil bewahrt bleiben möge! Besagter Stallbruder hatte übrigens einen solchen Rausch, daß ihn hernach, wie er unter den Tisch fiel, der Wirt und zwei starke Hausknechte nur mit vieler Mühe und großem Anken und Stöhnen zur Streu bringen konnten.«

»Also es hat damals wirklich gebrannt, Hans?« fragte der Junker. »Warst du zu der Zeit selbst in Riga?«

»Nein, Junker«, erwiderte Hans, »ich war dazumal mit dem gnädigen Herrn und der gnädigen Frau in Dorpat, wo die Abenteurer aus Welschland vom Turm am Dom über alle Stadtwälle und Gräben ein unmäßig langes Kabeltau bis auf die Reperbahn haben schlagen lassen und nachher auf selbigem Tau einher gelaufen sind wie auf der Erden. Der Junker wird sich dessen wohl erinnern, ich habe ihm wenigstens damals immer und immer wieder von dem wunderlichen und erschrecklichen Spektakel erzählen müssen. Aber daß sich in 8 Riga wirklich alles so zugetragen, des habe ich sichere Kundschaft, denn der von Kawelecht war zu der Zeit mit fünf Dienern in Riga und die haben mir das beim Bier oft genug erzählt, sie und die beiden Jungen, die mit dabei gewesen.«

»Und er hat es ihnen vorher gesagt? daß Gott sie mit Brennen heimsuchen würde?«

»Mit Brennen.«

Hans trieb sein Roß an, beugte sich über den Sattel vor und flüsterte: »Herr, nicht weit von meiner Vaterstadt Osterhagen liegt ein Kloster, das heißt Walkenried. War einst schön gebauet, liegt aber nun wüst. Zu dessen Abt kam einmal ein Bettelmönch und strafte ihn mit harten Worten, daß er und die Mönche ihr schandbar Leben lassen sollten. Wo nicht, so würden ihre Zugtiere die Kirche des Klosters umwerfen. Da hat der Abt gelacht und gemeint, damit habe es gute Weile. Nach einiger Zeit aber hat der Abt in trunkenem Mute zwei Bauern aus Klettenberg, die wegen Felddiebstahls vor ihn gebracht waren, vor einen Pflug spannen und mit der Geißel antreiben lassen, bis ihnen die Zunge zum Halse heraushing. Bald darauf aber, da das Evangelium von Wittenberg ausgegangen war, haben sich die Bauern und darunter die zwei zusammengerottet und Feuer in die Kirche gelegt und sie verbrannt. Und haben also die Zugtiere Kirche und Kloster umgeworfen.«

Die Reiter hatten unterdessen eine jener langen Schlittenreihen eingeholt, von denen weiter oben die Rede war. Da die Straße hier einen weiten Bogen machte, so sah man die ersten Schlitten und eine Schar Reiter, die ihnen entgegen kam, in nicht allzuweiter Entfernung. Unsere Reisenden 9 gewahrten mit nicht geringer Verwunderung, daß der Bauer, welcher den ersten Schlitten führte, denselben nicht nur vom Wege ab in den tiefen Schnee lenkte, sondern ihn auch umwarf und daß alle andern Bauern seinem Beispiel folgten. Die Reiterschar, an deren Spitze zwei Herren ritten, deren Tracht sie als Ordensherren kennzeichnete, nahm davon übrigens in keiner Weise Notiz, sondern eilte in scharfem Trabe an den Bauern vorüber. Als die beiden Herren aber dem Junker begegneten, sahen sie ihn so scharf an, daß ihm darüber eine Blutwelle ins Gesicht stieg. Als sie kaum vorüber waren, hielten sie still und der eine von ihnen, dem eine furchtbare Schmarre über das Gesicht lief, wandte sich zu einem Reiter aus dem Gefolge und flüsterte ihm etwas zu.

Der Reiter verneigte sich, gab seinem Pferde die Sporen und hielt gleich darauf neben dem Junker. »Mein gnädiger Herr, der Vogt von Tuckum«, sagte er, »entbietet Euch seinen Gruß und läßt Euch fragen, wer Ihr seid, woher Ihr kommt und wohin Ihr wollt.«

Der Junker maß den Frager mit einem finsteren Blick und wollte schweigend weiter reiten, der Stallbruder aber trieb sein Pferd nun quer über den Weg und rief: »Halt!«

»Zurück!« schrie der Junker und zog sein Schwert, Hans aber fiel ihm in den Arm und flüsterte: »Um Gotteswillen, Junker, gebt nach, sie sind fünf wider eins und hinter ihnen steht der Herrmeister!«

Die beiden Ordensherren waren mittlerweile herangejagt und ihr Gefolge, das aus vielleicht zwanzig Reitern bestand, umgab die kleine Schar von allen Seiten. Die schwarzen Augen des Vogts leuchteten wie ein Paar Kohlen aus seinem 10 gelben Gesicht und die furchtbare Schmarre, die über dasselbe weglief, lag wie ein blaurotes Band darüber. »Euer Schwert her, Herr!« schrie er. »Ihr seid mein Gefangener. Ich will Euch lehren, auf offener Heerstraße blank ziehen wider des Ordens Diener.«

Der andre Ordensherr, ein noch junger Mann, drängte sein Pferd zwischen die Erzürnten. »Gemach! gemach!« sprach er zum Vogt und wandte sich dann an den Junker. »Steckt Euer Schwert ein, junger Herr,« sprach er »und zeigt dem Herrn Vogt hier Eueren Paßbrief oder sagt ihm wenigstens, wer Ihr seid. Er hat das Recht Euch zu fragen und Ihr müßt einsehen, daß es in Zeiten wie in den unsrigen natürlich ist, daß wir wissen wollen, wer so bewaffnet und gefolgt durch das Land reitet.«

»Gnädiger Herr,« rief Hans schnell, »mein gnädiger Herr hier ist der Junker Eilhard Kruse, des ehrbaren und gestrengen Herrn Eilhard Kruse zu Kelles, Stiftsvogts des Stiftes Dorpat, Sohn, und mein gnädiger Herr der Junker kommt jetzo aus Deutschland und zieht zu seinem Herrn Vater nach Riga.«

»Ich kenne Euern Herrn Vater wohl, Junker,« sagte der Ordensherr und reichte dem Junker mit einem gewinnenden Lächeln die Hand. »Grüßt ihn von mir, wenn Ihr nach Riga kommt. Ich bin Gotthard Kettler, der Komtur von Dünaburg.«

Die freundlichen Worte entwaffneten den Junker. Er steckte sein Schwert in die Scheide und reichte dem Komtur die Hand. »Verzeiht, edler Herr,« sagte er, »und wenn Ihr meinen Paßbrief sehen wollt, so –«

»Laßt das nur,« erwiderte der Komtur, indem er sein Pferd wandte, »Gott befohlen!« 11

Der Vogt von Tuckum blickte unterdessen grimmig darein. »Dankt Euerem Gott, Junker,« rief er zornig, »daß er Euch den Herrn Komtur in den Weg führte. Ich hätte Euch anders mores gelehrt.« Und dann zum Komtur gewandt, fuhr er fort: »Ihr seid zu gütig gegen die vom Adel. Das wird alle Tage unbotmäßiger und wird nicht eher ruhen, als bis die Weihe wieder einmal tüchtig unter die Küchlein fährt.«

Das Gefolge der Ordensherren hatte mittlerweile die Straße freigegeben und der Junker und seine Diener setzten ihren Weg fort.

»Das hätte eine böse Geschichte werden können, Junker,« sagte Hans, als die vom Orden außer Hörweite waren. »Es ist nur gut, daß der Komtur dabei war. Der mit der Wesenbergischen Kralle im Gesicht sieht gerade so aus wie einer, der eine stählerne Zunge im Munde führt.«

»Die verdammten Kreuziger,« knirschte der Junker. »Wann wird endlich der Tag kommen, an dem wir den letzten Weißmantel werden zum Lande hinausfliegen sehen!«

»Amen, Junker, aber der letzten Kutte wollen wir den Vortanz lassen.«

Sie waren mittlerweile zu den Bauern gekommen, die damit beschäftigt waren, ihre Pferde aus dem Schnee und die Kornsäcke wieder auf die Schlitten zu bringen. »Hört,« rief Hans, »warum warft ihr denn vorhin eure Schlitten selbst um?«

Einer der Bauern richtete sich auf, schob mit dem Rücken seines Handschuhes die Pelzmütze aus der Stirn und erwiderte: »Wir erkannten den Vogt von Tuckum. Dem 12 weicht unsereiner immer nicht weit genug aus, und er führt die Ruten allezeit gleich mit sich. Nur wenn man es macht wie wir, reitet der schwarze Teufel ruhig vorüber und läßt uns in Frieden.«

Hans lachte laut und die Reiter hinter ihm kicherten in ihren Bart, über die Lippen des Junkers aber kam es wieder: »Die verdammten Kreuziger!«

Noch eine Viertelstunde scharfen Trabes und der Junker hielt mit seinem Gefolge vor dem stattlichen Kruge in Schlock. Der Wirt trat heraus und verneigte sich tief, ehe er aber noch ein Wort der Begrüßung sagen konnte, fühlte er sich bei Seite gestoßen. Ein hünenhafter junger Mann flog an ihm vorüber und auf den sich eben vom Pferde schwingenden Junker Kruse zu. »Elert,« rief er. »Daß mich aller Welt Plage bestehe! Du bist es wahrhaftig.«

Damit schloß Jürgen Nötken den Vetter so kräftig in die Arme, daß diesem Hören und Sehen verging.

»Laß doch, Jürgen, um Gotteswillen, laß nur,« rief Eilhard. »Wo kommst du her? Und siehe da, Heinrich Taube, du auch und du, Reinhold Stahlbiter. Seid ihr mir entgegengeritten?«

»Ja und nein,« meinte der zuletzt Genannte, indem er dem Freunde die Hand schüttelte. »Aus Riga sind wir deinetwegen nicht geritten, aber wir hofften wohl dich hier zu finden.«

Jürgen Nötken hatte sich unterdessen mit Hans begrüßt und stand nun bewundernd vor Eilhards Hengst. »Ist das ein Staatsgaul!« rief er. »Na, Elert, du reitest ja überhaupt einher wie der Komtur von Reval. Hast du die Knechte da für den Alten mitgebracht« 13

Eilhard nickte und die Junker begaben sich in den Krug und an den Tisch, den die drei eben verlassen hatten. Der Wirt versprach ein Mittagessen, und Eilhard that den Freunden in tiefen Zügen Bescheid, denn der lange Ritt hatte ihn durstig gemacht. Jürgen aber berichtete, daß in Kelles, so viel er wisse, alles wohlauf und der »Alte« voraussichtlich schon seit ein paar Tagen in Riga sei.

»Und nun,« sagte Eilhard, indem er seinen Krug beiseite schob, »und nun erzähle, wo ihr herkommt.«

Jürgen Nötken that einen langen Trunk, fuhr sich dann mit der Hand über den jungen Schnurrbart und stützte beide Ellbogen auf den Tisch. »Wir waren nach Weihnachten,« erzählte er, »auf einer Köste in Wolmar, wo Heinrich Schwarzhof mit Tönnies von Campen Tochter Ursula Hochzeit hielt. Da haben wir drei Tage getrunken, daß am Abend keiner wußte, wo rechts und wo links war. Darauf sind wir mit den Tedingsheim von Kalzenau geritten und haben uns in Bersohn und Erla und wo sonst noch Tedingsheims sitzen, umgetrieben. Na, das waren schöne Tage, denn wir haben mit dem Thedingsheimschen Frauenzimmer schier alle Tage getanzt und ohne ordentlichen Rausch sind wir auch keinen Abend zu Bett gegangen. Nun war da auch ein Junger vom Adel aus Kurland, ein frischer Mensch, der erzählte, daß sein Vater im vorigen Herbst einen gesegneten Strand gehabt und daß ihm noch ein paar Faß spanischen Weins davon im Keller übrig geblieben. Meinte, wir sollten ihnen helfen den Wein austrinken. Da sind wir mitgeritten bis drei Meilen hinter Tuckum und haben daselbst über eine Woche einen schweren Trunk gethan. Man hat 14 uns auch gut gehalten und wie das eine Faß leer war – das andere hat er nicht herausrücken wollen – hat der gute Herr jedem von uns fünf Gulden verehrt. Die haben wir in Tuckum im Kruge mit anderen Jungen vom Adel und zwei kurländischen Domherren vertrunken.

»Wie nun das Geld alle ist, schlägt der eine Domherr vor, wir sollen nach Schrunden reiten. Das ist ein festes Haus, liegt an der Windau, darauf haust ein abgestandener Komtur. Das sollte ein lustiger, alter Herr sein, darum hat der eine Dompfaffe diesen Anschlag gemacht, daß jeder von uns eine Art Musik machen sollte; der eine mit Pfeifen, der andere auf einer Maultrommel, der dritte mit Schlagen auf einem alten Kessel und sofort. Außerdem haben wir drei Sackpfeifer angenommen, die haben vor uns herreiten müssen, als wie Trompeter. Nun kannst du dir denken, Elert, was das für ein Spektakel war. Als wir mit solcher Musike durch das Hackelwerk ritten, sind die Leute zusammengelaufen wie Ameisen und Deutsche und Undeutsche haben sich vor Lachen geschüttelt.

»Als wir nun vor das Schloß ritten, und alle miteinander anstimmten, da ist alles, Männlein und Weiblein, Ordensherr und Stallbruder ans Fenster gelaufen und die Meierschen haben noch ärger geschrien vor Vergnügen, als wir mit unsern Sackpfeifen, der alte Herr aber hat gelacht, daß ihm die Thränen über die Wangen liefen.

»Na, man sah auf den ersten Blick, daß man in ein reiches Haus kam, denn in jedem Winkel steckte eine Meiersche und an Wein und Bier war kein Mangel. Alsogleich ging es an ein Saufen und Dobbeln mit den jungen 15 Ordensherren und mit den Jungen vom Adel, die auf dem Hause waren, ohne Rast und Ruhe, bei Tag und bei Nacht.«

Jürgen stärkte sich hier durch einen tiefen Trunk und Heinrich Taube nahm für ihn das Wort: »Das ist dir ein merkwürdiger Kauz, der alte Komtur,« sagte er. »Er ist früher Komtur von Dünaburg gewesen, da hat er sich mit den Polacken und Moskowitern das Branntweintrinken angewöhnt. Wie er also aufsteht, so trinkt er bis zum Mittag sieben Schalen Branntwein. Von Mittag ab aber trinkt er, wie er sagt, keinen Branntwein mehr, sondern nur noch Apfelwein, d. h. er schöpft aus einer Tonne Branntwein, in der ein Dutzend Äpfel schwimmen. Davon hat er nun getrunken, wie viel er wollte.«

»Na, das beste, Heinrich,« nahm Jürgen wieder das Wort, »war doch der letzte Abend. Auf dem Schlosse war ein Prädikant, ein rechter Spaßmacher und Hasenkanzler. Der hatte den Abend allerlei Gaukelstücke gemacht, so daß wir darüber noch mehr soffen, als gewöhnlich. Nun hatte der alte Herr eine Mutgeberin, die war mager wie eine Außengans, aber sonst ein schmuckes Weibsbild. Der hatten es Heinrichs blaue Augen angethan. Wie nun der Heinrich am Abend einen guten Rausch hat, fängt er an mit ihr zu scharmuzieren und Hände zu drücken. Der alte Herr, neben dem sie sitzt, wird das gewahr, gluhpt den Heinrich an und sagt: »So Junker, weiter aber geht nicht.« Da gibt ihr der Heinrich, der himmeldickvoll ist, einen Kuß. Bautz hat er eine Tachtel weg. Da war nun die Freundschaft in den Brunnen gefallen und Dolche und Schwerter waren billig wie Brombeeren. Wir merkten wohl, was sie uns für eine 16 Kappe zuschneiden wollten, suchten uns also aus dem Rauch zu machen. Das wäre uns aber wohl kaum gelungen und die trunkenen Brüder hätten uns vielleicht zu Tode getanzt, wenn ich nicht zum Glück über den Prädikanten gestolpert wäre, der toll und voll auf der Erde lag. Halt, schrie ich, hier liegt einer erschlagen!

»Da hielten sie alle still und nur des Prädikanten Meiersche, die auch dabei war, schrie wie ein Schwein, dem das Messer im Halse steckt. Darüber richtet sich das vermeintlich tote Gottesschaf auf und ruft: Bier her! Da lachten alle und der Zorn war weg. Da that einer von den adeligen Jungen – er ist aus Dänemark, eines reichen Herren Kind –, den Vorschlag, wir sollten den Prädikanten zu Grabe singen, als ob er wirklich tot wäre, nach alter Manier natürlich. Das war uns recht. Nun hält sich der alte Herr außer dem Prädikanten noch einen Pfaffen, denn er denkt: wenn ich zur Hölle fahren soll und das Evangelium thut es nicht, so thut es vielleicht die Messe. Wurde alsogleich nach dem Pfaffen geschickt, der sollte den trunkenen Prädikanten zu Grabe singen. Wie er kommt, spricht er, er will's nicht thun. Da schlägt der obgedachte dänische Junge vor, wir sollten ihn prellen, bis er es thut. Wir nicht faul, das Geschirr vom Tisch und das Laken herunter und den Pfaffen darauf. Wie wir ihn das dritte Mal in die Höhe bringen, spricht er, er will es thun. Da haben wir ihn vom Laken gehoben und den Prädikanten hineingewickelt und auf den Tisch gelegt. Sein armes Henkerchen schreit und weint, wir sollen es lassen, aber der alte Herr brüllt nur immer: Lichte her! Da haben wir ringsum die Lichte 17 gestellt und haben darauf mit dem Pfaffen den Prädikanten zu Grabe gesungen. Ich sage dir, Elert, es war ein Oberspaß, und daß du nicht dabei warst, bedaure ich mein lebenlang. Wie wir aber am anderen Morgen zu Bett gefunden, das ist Gott allein bekannt.«

»Seid ihr toll, Jürgen!« rief Eilhard.

»Ach was toll,« versetzte Jürgen. »Am andern Morgen,« fuhr er fort, »haben wir unsern Abschied genommen und sind wieder auf Tuckum geritten. Da fanden wir im Kruge einen Ratsverwandten aus der Narwa, der kam mit zwei Töchtern aus Deutschland. Die eine war schon erwachsen, die andere aber noch eine Zippollenjungfer. Der Ratmann wurde unser Vater und mit den Mädchen war gut auskommen. Da haben wir noch einen rechten Rausch gehabt und sind heute morgen hierher geritten, in der Meinung dich hier zu treffen. Und wenn du uns nun fragst: wo wart ihr? so weißt du es jetzt: wir waren nach Kurland auf die Wurst geritten und sind im Lande umhergebast. Aber nun erzähle du.«

Eilhard hatte den Erzählungen des Vetters mit gemischten Gefühlen zugehört. Einerseits war er zu sehr ein Kind seiner Zeit, um nicht an den derben Scherzen, von denen der Vetter berichtete, seine Freude zu haben, anderseits war er aber doch auch ein anderer als sie und er empfand in der Derbheit die Roheit. Immerhin wäre jedes ernste Wort den drei gegenüber zur Zeit völlig unangebracht gewesen, er erzählte daher von seinem Aufenthalte auf den Universitäten Wittenberg und Leipzig, sowie an den Höfen der Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg allerlei, von 18 dem er voraussetzen konnte, daß es seine Zuhörer interessieren würde. Sobald es aber anging, schützte er Reisemüdigkeit vor und zog sich auf sein Lager zurück, was ihm dadurch möglich wurde, daß die drei zwei Rigische Kaufgesellen gefunden hatten, nasse Brüder wie sie, mit denen sie nun würfelten, tranken und sangen, bis sie niedersanken und der Wirt mit seinem Gesinde sie zu Bett brachte.



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