Theodor Hermann Pantenius
Die von Kelles
Theodor Hermann Pantenius

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Siebentes Kapitel.

Es war am letzten Tage des Mai und der Frühling stand in voller Blüte, als die Bewohner des Herrenhauses von Kelles eines Nachmittags einen gemeinsamen Ausflug machten. Frau Maria, Frau Katharina, die beiden kleinen Mädchen und die Amme mit Anneken fuhren, die beiden Fräulein, Eilhard, Jürgen, Heinrich Taube und Bonnius ritten, ein Troßwagen barg den reichlichen Mundvorrat. Das Ziel war ein vor kurzem gepflanzter Bauerhof der eine überaus liebliche Lage hatte. Ein Bach floß hier zwischen Wiesen hin, aus denen einzelne Gruppen von Birkenbäumen gleichsam kleine Inseln bildeten. In einem solchen Hain hatte man am Tage vorher einfache Tische und Bänke aufgestellt. Nun wurden die mitgebrachten Tücher über den Boden gebreitet, die Vorräte ausgepackt und ein Feuer angemacht. Dann trieb es ein jedes, wie es wollte. Die beiden Damen ließen sich von der Bäuerin von ihren Freuden und Leiden erzählen; die jungen und die kleinen Mädchen pflückten um die Wette Feldblumen, die sie nachher zu Kränzen und Sträußen flochten; die jungen Herren ließen sich von Bonnius an Ort und Stelle erklären wie hier gerodet und die Wirtschaft betrieben wurde. Dann fand man sich zum bescheidenen Mahle zusammen und manche Neckerei rief ein fröhliches Gelächter hervor.

Nach dem Essen nahm Frau Katharina ihres Sohnes Arm und beide verfolgten langsam einen Weg, der am Rande 106 des Waldes hinlief. Die Luft war milde und warm, der Gesang der Vögel erklang von überall her, und das frische Laub der Birken strömte einen starken, würzigen Duft aus. »Welch eine Wohlthat,« sagte Frau Katharina, »endlich wieder einmal allein zu sein. Ist es doch, als ob Kelles ein Taubenhaus wäre oder ein Bienenbaum. Kaum reitet der eine aus dem Thor, so reitet der andere schon hinein.«

»Das war doch immer so, Mutter?«

Frau Katharina schüttelte den Kopf. »Nein, Elert,« erwiderte sie, »es war nicht immer so. Als ich noch jung war, lebten wir auch lustig und in Freuden, aber so arg wie ihr jetzt trieben wir es nicht. Ist es doch heute, als ob niemand auf unseres Herrgotts Welt etwas anderes zu thun hätte als zu trinken und zu scharmutzieren, zu singen und zu springen, auf die Kirchweihe zu reiten und nach dem Papagei zu schießen. Mein Vater selig war doch einmal ein großer Herr, aber er hielt sich nicht für zu gut, dem Amtmann und dem Hofmeister selbst auf die Finger zu sehen und auch mein Bruder mußte mit der Sonne in den Sattel und kam selten vor der Mahlzeit heim. Ich aber habe der Mutter, sobald ich über den Tisch sehen konnte, zur Hand gehen müssen. In meiner Eltern Hause wurde von alt und jung tüchtig gearbeitet. Das war aber nur möglich, weil nicht alle Gerste, die in Randen wuchs, den Gästen in die Kehle rann und in unsere Thürschwellen keine Löcher getreten wurden.«

Eilhard seufzte. »Ihr habt recht, Mutter,« erwiderte er »und ich weiß gar wohl, daß auch ich nicht that, was ich thun sollte und thun wollte, aber der Strom ist so stark, daß ich nicht wider ihn an kann.« 107

»Du kannst es wohl,« versetzte Frau Katharina, »denn der Herrgott hat dir in seiner Gnade Ruder ins Boot gelegt, die nicht jeder hat.«

»Was meint Ihr, Mutter?«

»Ich meine deine Kopfpein, Elert. Die hat dir der Herrgott gegeben, wie dem schlechten Schwimmer das Schilfbündel. Dieweil du sie hast, mußt du immer wieder auftauchen. Benutze sie auch, Elert.«

»So müßte ich denn mein Leiden, das mir so viele Freuden verstörte, als eine Gnade von Gott ansehen, Mutter?«

»Ja, Elert. Als du noch auf deines Vaters Bein rittest und die Kopfpein ihren Anfang nahm, da weinte ich manchmal so recht herzbrechend. Da sprach eine alte, undeutsche Magd, die damals auf dem Hofe diente zu mir: ›Weinet nicht, gnädige Frau, der Herrgott weiß, wozu er dem Junker die Kopfpein mit in die Wiege gelegt. Wenn er sie recht nutzet und für dieses Vogels Gesang allezeit offene Ohren hat, kann sie ihm einst mehr wert sein als ganz Kelles.‹ Du glaubst nicht, Elert, wie jenes einfältigen Weibes Rede mich damals aufgerichtet hat und wenn ich später sah, wie diese Pein dich allezeit abhielt vom Vollsaufen und Schwärmen, da ist diese Rede immer wieder wie Tau in meinen Garten gefallen.«

Eilhard schüttelte den Kopf. »Die Kopfpein mag mir wohl ein Wall und ein Graben gegen manches Schlechte gewesen sein,« sagte er, »aber sie ist auch das faule Ei im Kuchen. Ich habe nie so recht mit den anderen mithalten können. Ich habe wohl mit ihnen gesungen und bin mit ihnen gesprungen, aber in meinem Herzen haben die Glocken fast 108 immer einen anderen Ton gehabt. Und das thut mir wehe, Mutter.«

»Herzlieber Elert,« versetzte Frau Katharina, »laß dir dieses Geläut nicht unlieb sein. Es ist besser, daß einmal die Kirchenglocken zum Begräbnis läuten, ob es gleich zur Köste oder zum Kindelbier geht, als daß sie gar verstummen und man nichts hört, als die Glocke, die zu Tisch ruft. Wenn ich unser verderbtes, sodomitisches Leben ansehe, da ist mir manchmal, als ob eine Zeit kommen müßte, da man auf allen Höfen nur das Armsünderglöckchen läuten oder gar die lieben Glocken alle einschmelzen und zu Feldstücken umgießen wird.«

»Mutter,« rief Eilhard, »wie Ihr sprecht! Gerade wie der Prophet, von dem ich Euch erzählte und den die Bauern neulich erschlagen haben.«

»Um so zu reden, braucht man kein Prophet zu sein, Elert«, erwiderte Frau Katharina, »man muß dazu nur mehr in Gottes geoffenbartes Wort hineinsehen als du.«

»Mutter, kann denn auch ein Mensch mit Gott am Ratstisch sitzen?«

»Nein Elert, das kann er nicht, aber das kann ein Mensch wohl, daß er mit der Elle, die unser Herrgott zugeschnitten, sich selbst und seine Nächsten mißt und wenn er findet, daß die Gerechtigkeit zu kurz geraten, so hat er gut prophezeien, daß der, des das Kleid ist, dem Meister über den Hals kommen wird.«

»Ho – ho! Hoh – ho!« rief es hinter den beiden her. Als sie sich umwandten, sahen sie, daß die gesamte Jugend ihnen folgte. Voran schritten die kleinen Mädchen, dann 109 kam Barbara, auf dem Haupte einen Kranz, um ihre Schultern eine Guirlande. Hinter ihr schritt Anna und ihr folgten die Junker und Bonnius, welche Birkenzweige schwenkten, »Hoch, die Maigräfin!« riefen und laut jubelten.

Barbaras Augen blitzten vor Freude. »In die Kniee, Junker«, rief sie lachend und Eilhard beugte mit einem Lächeln auf den Lippen vor ihr das Knie, aber die Glocken in seinem Herzen läuteten ganz anders als in ihrem und er hörte das wohl, obgleich sein Auge mit Entzücken auf dem schönen Mädchen ruhte.

»Müßt ihr denn immer Mummenschanz treiben?« fragte Frau Katharina mißmutig.

»Verzeiht, Muhme«, erwiderte Heinrich Taube artig, »aber wir wußten nicht, daß Euch unser Scherz nicht recht wäre. Ihr liebt es ja sonst, wenn wir fröhlich und guter Dinge sind.«

Frau Katharina war besiegt. »Nun, so treibt euer Wesen immerhin«, sagte sie lachend, »wenn es doch nicht anders geht.«

Die jungen Leute stimmten ein lustiges Lied an und der Zug kehrte um und setzte sich wieder in Bewegung. Elert schritt neben Barbara her, während Bonnius sich Frau Katharina anschloß. Der erstere hätte gern etwas recht Lustiges gesagt oder gethan, aber so sehr er sich den Kopf zerbrach, es fiel ihm nichts ein, als daß Barbara fast so phantastisch ausgeputzt war wie des verstorbenen Müllers tolle Käthe.

»Nun?« fragte Barbara, nachdem sie Eilhard eine Weile von der Seite angesehen hatte, »woran denkst du?«

»Ich denke«, erwiderte Eilhard, »daß wir heute einen schönen Abend haben.« 110

Barbara schwieg. Als die jungen Leute mit ihrem Liede zu Ende waren, wandte sie sich um, nahm den Kranz vom Kopf und setzte ihn Anna auf. »Jetzt bist du Maigräfin«, rief sie lachend, sprang davon und schloß sich Frau Katharina an. »Woran denkt Ihr?« fragte sie Bonnius.

»Ich denke, daß Ihr die schönste Maigräfin seid, Fräulein, die meine Augen je geschaut haben«, erwiderte Bonnius.

Frau Katharina runzelte die Stirn. »Ihr solltet dem Fräulein nicht solche Dinge sagen, Bonnius«, meinte sie. Sie wollte hinzufügen: »Das schickt sich nicht für Euch,« verschluckte die Worte aber, denn der junge Mann war ihr ausgesprochener Liebling.

Anna hing unterdessen den Kranz Maiken um. »Sei du unsere Maikönigin«, sagte sie.

»Warum willst du es nicht sein?« fragte Eilhard.

»Diese Würde würde mir übel zu Gesicht stehen«, erwiderte Anna. »Wer lahm ist, soll nicht tanzen wollen.«

»Wie meinst du das, Anna?«

»Ich meine, Eilhard, daß ich eine schlechte Vortänzerin wäre. Du weißt ja, es war immer so, wenn ihr recht lustig wart, kamen mir die Thränen in die Augen, ich wußte selbst nicht warum.«

»Aber das ist nicht recht, Anna. Wenn man ein Füllen ist, muß man auch springen.«

»Mag sein, Eilhard, aber manches Füllen kommt nie aus dem Stall. Da ist es denn auch nichts mit dem Springen. Es ist auch nicht alles ein Füllen, was jung ist.«

»Du machst dich arm, Anna.«

»Ich bin vielleicht arm, Eilhard.« 111

Seltsam! Hier gaben nun die Glocken den gleichen Klang, aber es war Eilhard wieder nicht recht. Er nahm die kleinen Mädchen an die Hand und lief mit ihnen voraus.

Als sie sich dem Wäldchen näherten, sahen sie Herrn Kruse mit großen Schritten auf sie zukommen. »Laß die Kinder fahren, Elert«, rief er, »ich habe dir etwas zu sagen. So Maiken, da hast du einen Kuß und so Christinchen, da hast du auch einen. Und nun lauft zur Ahne und seid artig.«

Dann nahm Herr Kruse den Arm des Sohnes und flüsterte ihm zu: »Wir ziehen übermorgen ins Feld, Elert.«

»Wir? Wohin? Nach Wenden?«

»Nein, Elert, ans Meer. Wir haben Kundschaft, daß viele Schiffe mit des Herzogs von Preußen Reitern unterwegs sind. Der Bischof hat das Aufgebot ergehen lassen, die Boten jagen schon von Hof zu Hof. Übermorgen sollen alle aufbrechen, in Ringen sollen wir uns sammeln. Die drei Stahlbiterschen Knechte sollen mit uns ziehen. Ich bat den Bischof, Reinhold aus der Verstrickung loszugeben, aber er wagt es nicht. Da drückte ich denn wenigstens dem Junker die Hand und versprach ihm nach dem Rechten zu sehen. Reite du nun gleich hinüber und sieh zu, was an Waffen da ist und ob sie wirklich niemand reiten lassen können als den versoffenen alten Matthies, das fette Schwein, den Kaspar und den lahmen Christian. Guten Abend, Katzchen, guten Abend ihr Mädchen. Bei euch werden jetzt die Männer rar werden wie Äpfel zu Ostern. Guten Abend, Junker, reitet nach Hause, da brennt es in allen Gassen.«

»Was heißt das, Elert?« rief Frau Katharina bestürzt.

»Das heißt, daß des Herzogs von Preußen Reiter ins 112 Land kommen,« war die Antwort, »und daß wir sie ins Meer werfen sollen. Na, erschrick nicht, Katzchen, du bist eines Edelmannes Frau. Und ihr Mädchen auch nicht, will's Gott, kommen wir alle drei gesund wieder heim. Überdies geht es ja nicht wider den Moskowitischen Bluthund, sondern gegen christliche Reiter.«

»Gibt es wirklich Krieg, Ohm?« jubelte Jürgen.

»Wirklichen, wahrhaftigen Krieg. Und nun alle nach Hause, denn wir haben noch tüchtig zu thun, wenn wir übermorgen mit der Sonne reiten wollen, obgleich Hans und die anderen schon über den Harnischen sind.«

Die Freudigkeit, die Herrn Kruses ganzes Wesen erfüllte, bewirkte, daß auch Frau Katharina sich in die so ungewohnte Vorstellung leichter fand, als sonst wohl geschehen wäre. Man eilte so sehr man konnte und bald war die ganze Gesellschaft auf dem Wege nach Kelles.

Eilhard kam erst spät in der Nacht zurück. Er hatte es bei den Stahlbiters gefunden, wie sein Vater vorausgesetzt hatte, die Knechte taugten zu nichts als allenfalls zu Vogelscheuchen und die Waffen hingen verstaubt und verrostet an den Nägeln. Er ritt gleich am Morgen wieder hinüber und trieb überall an. Als dabei ein Rohr probiert wurde, platzte es und riß dem lahmen Christian, der immerhin noch der mannhafteste unter den Knechten war, den Daumen weg. Darüber heulten Matthies und Kaspar mit den Weibern um die Wette, Christian aber blieb ganz still und machte sogar ein vergnügtes Gesicht, denn er dachte, lieber den Daumen verlieren, als durch die Brust geschossen werden. An seiner Stelle sollte nun ein undeutscher Stalljunge reiten, 113 der höchst kriegslustig war, dem aber Christians Harnisch paßte wie der Käfig dem Vogel. Zu allen diesen Nöten kam noch, daß das zahlreiche Stahlbitersche Frauenzimmer in seiner Weise Kriegsvorbereitungen trieb, d. h. laut um den Bruder jammerte, oder Eilhard mit Fragen im Ohr lag, was es thun sollte, wenn die preußischen Reiter, nachdem sie sämtliche Livländer erschlagen, ins Stift einrücken würden.

Aber auch in Kelles, wo man auf einen Feldzug besser vorbereitet war, hatten die Männer und die Frauen vollauf zu thun, denn es mußten die Rüstwagen mit möglichster Umsicht gepackt werden und auch sonst fehlte es nicht an Arbeit, da man nicht erwartet hatte, so schnell ins Feld ziehen zu müssen. Es wurde abend, als endlich Schmied und Zimmermann den letzten Schlag thaten, die Harnische und Rohre spiegelblank waren und Kraut und Lot, Korn und Kriegsvorrat ein Unterkommen gefunden hatten. Jetzt erst konnte Herr Kruse den jungen Leuten mitteilen, wie eigentlich die Dinge im Lande lagen. Am 20. Mai hatte nämlich in Wenden eine Versammlung der Gebietiger des Ordens stattgefunden, auf der der bisherige Landmarschall Kaspar von Münster entsetzt und Christopher von der Leyen zu seinem Nachfolger ernannt worden war. Man glaubte nun, daß der von Münster in Gemeinschaft mit dem Erzbischof losschlagen würde und daß die auf dem Meer schwimmende Flotte bestimmt sei, mit den beiden Hand in Hand zu gehen. Der Erzbischof sei zwar von dem größten Teil der Ritterschaft im Stich gelassen, immerhin aber mit Rücksicht auf die litauische Freundschaft nicht ungefährlich. 114

Nach dem Essen bat Eilhard Barbara, noch ein wenig mit ihm hinauszugehen und sie willfahrte ihm. So gingen sie denn über die Brücke und verfolgten einen Feldweg, der zwischen den Feldern hinführte. Die Sonne war längst untergegangen, aber es war fast tageshell. In den Niederungen quakten die Frösche, in den Wiesen schrie der Wachtelkönig, im Korn schlug die Wachtel. »Bärbchen,« sagte Eilhard, nachdem sie eine Weile schweigend neben einander hergegangen waren, »morgen reiten wir mit der Sonne und ich weiß nicht, ob mich mein Hengst wieder über die Brücke tragen wird. Gottes Wille geschehe allezeit. Komme ich aber gesund zurück – darf ich dann mit meinen Freunden geradeswegs zur Ahne reiten?«

Eilhard ergriff Barbaras Hand und blieb stehen. Sie riß die Hand los, umschlang ihn mit beiden Armen und er fühlte, wie ihre Thränen flossen. »Um Gotteswillen, Elert, sprich nicht so,« stieß sie hervor. »Wenn du stürbest, so spränge ich in den Graben. Du lieber, lieber Elert, wie sollte ich denn ohne dich leben.«

»Hast du mich denn so lieb, Bärbchen?«

Barbara nickte nur.

»Mein Herzens-Bärbchen! Also ich bin dir nicht zu ernst?«

Barbara sah jetzt auf und schüttelte den Kopf. Wie sie schön war. Wie ihr Goldhaar zu den blauen Augen paßte und ihr kirschroter Mund zu der rot und weißen Haut. »Elert,« sagte sie lächelnd, »ich leugne es nicht, daß ich manchmal gewünscht habe, du wärest mehr wie die anderen, aber das war dumm von mir, denn dann wärest du auch 115 nicht so gut wie du es bist. Ach, ich bin ja überhaupt so dumm, Elert. Bin ich denn nicht zu dumm?«

»Du bist das klügste Mädchen in Livland,« rief Elert, und nun trieben es die beiden, wie eben junge Leute, die sich lieb haben, es aller Orten und zu allen Zeiten zu treiben pflegten und pflegen.

»Elert!« rief eine Stimme aus der Dämmerung hervor, »Elert! Bärbchen!«

»Laß mich, Elert, es ist die Muhme,« rief Barbara, indem sie sich vom Feldrain, auf dem sie gesessen hatten, erhob. »Komm, wollen wir ihr entgegengehen.«

Es war in der That Frau Katharina. »Kommt, Kinder,« sagte sie, »es ist spät und sie wollen morgen mit der Sonne fort.«

Die Mutter begleitete Eilhard noch auf seine Kammer. Hier umarmte sie ihn und sagte dann, indem sie den Kopf auf seine Schulter lehnte: »Gott behüte dich, Elert, du bist mein erstes und mein liebstes Kind, und das Schwert, das dich trifft, zerreißt mir das Herz, aber ich weiß dich lieber in der Feldschlacht als in dem ewigen Mummenschanz hier. Lebewohl. Und wenn ihr reitet, so laß dein Herz nicht hier, das kann ein Kriegsmann nicht entbehren. Ich will Bärbchen hüten wie mein Auge. Gute Nacht, Elert, Gott segne dich.«

Frau Katharina wandte sich schnell um und ging davon, Eilhard aber schritt noch lange im Zimmer auf und nieder. Sein Herz war voll von Dank gegen Gott und er gelobte ihm, daß wenn er ihn glücklich heimkehren ließe aus dem Kriege, der »Mummenschanz« nicht wieder Herr werden solle über ihn. 116

In dieser Nacht schliefen nicht viele in Kelles, denn der Trennungsschmerz erhielt die einen, die Erwartung der kommenden Dinge die anderen, ein zärtlicher Abschied die dritten wach.

Als die Sonne aufging, schimmerten ihre Strahlen bereits auf den Harnischen. Herr Kruse zog außer mit Jürgen und Elert noch mit sechs Reitern und drei Jungen ins Feld und Reiter, Rüstungen und Rosse ließen nichts zu wünschen übrig. Noch einmal wurde Abschied genommen, dann schwangen sich die Reiter in den Sattel, die Peitschen der Troßknechte knallten und alles zog hinaus in den kühlen Morgen.

Am Thore stand Bonnius. »Ich verlasse mich ganz auf Euch, Bonnius!« rief Herr Kruse. »Ich auch!« fügte Eilhard hinzu.

Der Zug ging zuerst auf den Hof der Stahlbiters. Da sah es wunderlich aus. Das ganze Dorf hatte sich auf dem Hof versammelt und umstand die Fräulein, die ihrerseits wieder vor Matthies und Kaspar standen und so erwartungsvoll auf diese beiden Helden blickten, wie das Volk auf der Kirmes auf den Marktschreier. Die beiden hatten die alten Harnische wirklich auf die fetten Leiber gekriegt und die Sturmkappen auf die Köpfe und saßen nun in ihren bis zu den Lenden reichenden Stiefeln schon seit zwei Stunden auf einer Holzbank mitten auf dem Hof und tranken sich gegenseitig zu. Der undeutsche Reitersmann aber machte sich unterdessen an dem Rüstwagen zu schaffen, auf den fast nur Biertonnen gepackt waren, während seine Mutter in einer Ecke des Hofes saß und so jämmerlich heulte, als wenn ihr Sohn geradeswegs zum Rabenstein geschleppt werden sollte. 117

Als die von Kelles auf den Hof ritten, erhoben die Versammelten ein lautes Geschrei und Matthies und Kaspar riefen nach den Pferden. Als man sie herbeigeführt hatte – es waren eigentlich Stahlbitersche Kutschpferde – schwang sich Matthies zuerst in den Sattel, fiel aber auf der anderen Seite gleich wieder hinunter. Die Versammelten beobachteten angesichts dieses Unfalls ein ehrfurchtsvolles Schweigen, die Kellesschen Reiter aber brachen in ein schallendes Gelächter aus. »Himmelkreuzdonnerwetter, daß dich aller Welt Plage bestehe,« fluchte der Trunkene, indem er sich aufraffte, und dem neben ihm stehenden Stalljungen eine furchtbare Ohrfeige gab, »der Sattel ist nicht festgeschnallt.« Er wankte um den Kopf des Pferdes herum und wollte thun, als ob er den Sattelgurt fester zöge, konnte aber seine Absicht nicht ausführen, weil ihn plötzlich die dicke Regina, die alte Ausspeiserin, mit beiden Armen umschlang. Die hatte, so lange ihr langjähriger Schatz so stattlich dasaß und Bier trank, an sich halten können, nun aber bekam sie durch seinen Sturz einen Vorschmack von den Gefahren, die seiner harrten und vergaß alle Rücksicht. »Joseph und Maria,« jammerte sie, »Matthies, liebster Matthies, reite nicht. Um aller Heiligen willen, erbarmet euch, gnädige Fräuleins, laßt ihn nicht reiten. Er ist ein Bullerjahn. Ich kenne ihn, er will immer mitten durch. Da werden sie ihn über den Kopf schlagen und er wird vom Pferde fallen und mausetot sein.«

»Wirst du wohl aus dem Wege, verfluchtes Weibsbild,« schrie Matthies, »ich bin ein deutscher Kriegsmann. Ist denn keiner da, der mich von dem Weibe da losmacht und mir aufs Pferd hilft?« 118

Es fanden sich Helfer. Die Kellesschen Diener warfen den deutschen Kriegsmann ein paar Mal über den Gaul, daß er schließlich von der Erschütterung einigermaßen nüchtern wurde und ein Haufen Weiber hielt ihm die Geliebte fern. Die Junker aber lachten, daß ihnen die Thränen über die Wangen liefen und steckten mit ihrer Heiterkeit auch die Fräulein an. Da nun Kaspar unterdessen wider alles Erwarten glücklich auf die Mähre gekommen war und sein undeutscher Kamerad ohnehin auf seinem Klepper im Hof herumgallopierte, als ob er das vierzehnjährige Füllen nicht bändigen könne, brach man auf und zog weiter.

In Ringen, wo sich die Stiftsfahne sammelte, fand man die Thedingsheim von Randen, Kongota und Kawelecht schon vor, ebenso die Taubes, Dückers, Vietinghofs, Maydels, Zöges und Aureps. Die anderen standen noch aus und trafen erst in der Nacht und am folgenden Tage ein. Es war eine überaus gemischte Schar, die sich schließlich hier zusammenfand. Während hinter den großen Herren ihre Vettern und Jungen nebst zahlreichen deutschen geharnischten Dienern herritten, kamen die kleinen Edelleute mit je einem Diener an, der wohl gar noch ein Undeutscher war oder sie stießen auch als Einspänner allein zur Adelsfahne. Nicht anders stand es um die Bewaffnung und mancher führte ein Rohr mit sich, das niemand um irgend einen Preis losgeschossen hätte. Es war eben viele, viele Jahre lang Frieden im Lande gewesen und es waren doch nur wenige dabei, die ihre Jugend in fremden Kriegsdiensten verbracht hatten. Darum blickten auch die Diener, die fast alle draußen im Reich in wilden Fehden das Kriegshandwerk erlernt hatten 119 mit wenig Ehrfurcht zu ihren Herren auf und standen ihnen sehr frei gegenüber. Mit diesen losbändigen Gesellen, die nur um den Sold dienten und die kein Band der Anhänglichkeit an ihre Herren fesselte, hatten die Junker damals oft ihre liebe Not.

Als alle beisammen waren, zog man weiter. Wo das kleine Heer durchkam, lief das Volk von zwei Meilen weit zusammen und gaffte den noch nie gesehenen Zug an wie ein Meerwunder. Wo aber gar am Abend Halt gemacht wurde, strömten die Leute zusammen wie zum Vogelschießen, denn die Rüstwagen bargen Biertonnen ohne Zahl. Dann klangen die Sackpfeifen grell durch die helle Sommernacht, zugleich mit Jauchzen und Singen, mit Kreischen und Schreien und die Paare schwangen sich um die Lagerfeuer von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang. Man hatte es eben nicht eilig, denn so viel Kundschafter man auch aussandte, vom Feinde ließ sich nichts sehen, und auch als man endlich ans Meer gelangte, wurde das nicht anders. Natürlich, denn die feindliche Flotte war nie vorhanden gewesen.

So fiel denn auch auf diesem Kriegsschauplatz nichts anderes vor, als daß eine Streifschar am 18. Juni Georg Taube, einen Ritter aus dem Erzstift, der mit Briefen des Erzbischofs nach Preußen unterwegs war, in der Salismünde erschoß.

Unterdessen fiel die Entscheidung im Inneren des Landes. Am 16. Juni sagten der Herrmeister, der Bischof von Dorpat, der von Ösel und Kurland und die Stadt Riga dem Erzbischof, zu dem sich auch der von Münster geflüchtet hatte, ab. Am 21. gingen Kremon und Ronneburg über, am 28. 120 stand Fürstenberg vor Kokenhusen. Noch am selben Tage ergab sich der junge Herzog Christoph, zwei Tage darauf der Erzbischof. Mit dem ersteren fuhr man säuberlich, den letzteren behandelte man hart. Sein Schloß wurde geplündert, er selbst in Smilten in enger Haft gehalten.



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