Theodor Hermann Pantenius
Die von Kelles
Theodor Hermann Pantenius

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Zwölftes Kapitel.

Am Montag nach Oculi war alles zum Beginn der Reise nach Moskau bereit. Auf der Straße scharrten die Hengste ungeduldig den Schnee auf und die Klepper vor den Schlitten schüttelten die Köpfe, daß die Schellen klangen, im Hause war nach all' dem geschäftigen Laufen und Rennen die erwartungsvolle Stille eingetreten, die dem Aufbruch unmittelbar vorherzugehen pflegt. Die übrigen Hausgenossen hatten sich im Saal versammelt, der Stiftsvogt und seine Gattin nahmen in dem Zimmer des ersteren Abschied von einander. »Lebewohl, Katzchen,« sagte Herr Kruse, indem er mit der Hand über das Haar seiner Frau fuhr, »lebe wohl und halte den Kopf hoch. Kehre ich nicht wieder, so laß ihn auch nicht sinken. Du weißt, daß du mir alle die Jahre 192 hindurch eine echte, rechte Hausfrau und bis zuletzt so lieb und wert gewesen bist wie in dem Augenblick, da sie uns in die Brautkammer brachten. Unser Leben ist ein Jammerthal und wem es auf der Wanderschaft so gut ward, daß ihm ein lieber treuer Kumpan so viel Jahre lang zur Seite schritt, der darf nicht klagen, wenn es ans Scheiden geht. Es sind nicht viele, die es einmal so gut hatten.«

»Sprich nicht so, Elert,« stöhnte Frau Katharina.

Der Stiftsvogt richtete das Haupt seines Weibes mit sanfter Gewalt auf und blickte sie aus seinen großen, hellen Augen, die sie so liebte, liebevoll an.

»Ich spreche ja nur für alle Fälle,« sagte er. »Will's Gott, bin ich, noch ehe ihr das Korn schneidet, in Kelles. Warum soll Gott mich nicht behüten, suche ich doch nicht eigene Ehre, sondern trachte ich doch allein nach meines gnädigen Herrn des Bischofs und des allgemeinen Landes Nutzen. In ihrem Dienste will ich gern Hab und Gut, dazu, muß es sein, Leib und Leben lassen. Na, Gott besser's. Gib du unterdessen acht auf das junge Volk. Das will mir garnicht gefallen. Der Doktor sagt ja zwar, die Wunde Elerts sei ganz und gar verheilt, aber wenn es ist, wie er sagt, warum ist Elert dann nicht gesund? Und nun erst Bärbchen? Was ist aus unserm lustig flatternden Sommervogel geworden? Sie kriecht jetzt dahin wie eine Raupe. Was hat das Mädchen nur?«

Frau Katharina blickte sorgenvoll zum Fenster hinaus. »Es ist, wie ich dir sagte,« erwiderte sie, »sie mag den Elert nicht mehr. Wodurch er es bei ihr verschüttet hat, weiß ich nicht, ich weiß auch nicht, was an dem Mädchen 193 frißt, aber irgend etwas ist es. Die Ahne und ich glaubten früher, sie fliehe vor Elert wie das Weibchen vor dem Stieglitz flieht, damit er nachkommt, aber daß wir damit auf dem Holzwege waren, weiß ich jetzt längst. Früher war sie ein Hurlebusch, Hänschen in allen Gassen, jetzt geht sie einher wie eines großen Klosters Äbtissin. Nicht, daß ich klagen könnte, sie thut, was ich verlange, aber so als wäre sie eine Fremde und ich ihre Herrin. Wo es geht, fährt überdies doch das alte Karnickel heraus. Du hättest hören sollen, wie sie dem armen Bonnius neulich übers Maul fuhr, dem lieben, freundlichen, gutwilligen Gesellen.«

Der Stiftsvogt schüttelte den Kopf. »Sieh zu, Katzchen, wie du die beiden wieder zusammenbringst,« sagte er, »es wäre mir ein großes Herzeleid, wenn sie und der Elert auseinander kämen. Es wäre mir auch leid, wenn ich des Mädchens wegen einen Span mit dem von Randen bekäme. Ich wünschte mir keine bessere Schwiegertochter, als Bärbchen, wie es früher war. Na, Gott besser's.«

Damit umarmte Herr Kruse sein Weib und beide verließen das Zimmer. »Bärbchen,« sagte der Stiftsvogt halblaut, als er Barbara zum Abschied umarmte, »wo Liebe und Freundschaft ist, da legt der Teufel gern sein Kuckucksei dazwischen und aus dem kommen, wenn es ausgebrütet ist: Mißverstand, Mißtrauen, Argwohn, Ärgernis, Zorn, Traurigkeit und Trübsal. Darum soll man es, da es noch frisch ist, aus dem Nest nehmen und auf die Erde schmeißen. Das gibt dann wieder einen frohen, mutigen Sinn. Ich weiß nicht, was du hast, Kind, aber sieh zu, daß du nicht aus einem Geißbock ein Ungetüm gemacht hast.« 194

Barbara schlang beide Arme um des Oheims Hals und schluchzte laut. Herr Kruse lächelte. Es lag ein Span der Liebenden zwischen ihr und Elert. Wenn er zurückkam, waren sie wieder die Alten.

»Lebe wohl, Elert,« hieß es nun. »Nimm dich recht in acht und mache, daß du gesund wirst. Wo ist denn Bonnius?«

»Unten, auf der Straße.«

»Na, dann sehe ich ihn noch. Er wird euch schon alle behüten und euch in allen Stücken bewahren. Lebe wohl, Anna, ich will über Jürgen wachen. Lebt alle wohl.«

Noch ein paar Augenblicke und der von Kelles und sein Gefolge waren im reußischen Thor verschwunden. Bonnius kam die Treppe herauf und trat ins Zimmer. »Gott schütze die Junker,« sagte er, »sie haben einen weiten Weg vor.« Dann wandte er sich an Barbara. »Fräulein,« sagte er, »beim Bäcker an der deutschen Pforte gibt es jetzt wieder weiße Tauben mit gelben Plättchen, wie Ihr sie liebt. Soll ich ein Pärchen bestellen?«

»Wenn ich welche haben will, werde ich es Euch schon sagen,« erwiderte Barbara, wandte sich um und verließ das Zimmer.

Bonnius war kreidebleich geworden.

»Ihr müßt Euch ihre unwirsche Art nicht so zu Herzen nehmen, Bonnius,« sagte Frau Katharina, »solche Wehrworte bekommen wir jetzt alle reichlich zu hören. Ihr seht übrigens auch sonst schlecht aus, Bonnius. Seid Ihr krank?«

»Nein, gnädige Frau, ich habe nur einen Wurm im Zahn, der mir übel zusetzt. Außerdem ist's den Winter über so einsam in Kelles! Man hört nur die Ratten zu Tanze gehen, 195 und es ist abends so still, daß, wenn die Dielen knacken, es klingt, als ob aus einem Wallhacken gefeuert würde.«

»Ist sonst nichts vorgekommen?«

»Nein, gnädige Frau, außer daß Thorsa Michel einen Nagel in seine Hausschwelle geschlagen hat.«

»Ist sein Weib gestorben?«

»Nein, die Tochter. Die unverständigen Leute sind außer sich, daß sie bei Neumond gestorben ist. Sie meinen, sie hätte nun alles Glück mit fortgenommen.«

»Die tollen, abergläubischen und abgöttischen Menschen! Ist der Pastor dagewesen?«

»Nein, Gott sei Dank, nicht.«

»Warum sagt Ihr ›Gott sei Dank‹?«

»Weil sein Besuch den armen Undeutschen ein schlechter Trost ist. Sobald er kommt und sie werden ihn gewahr, so läuft alles fort und sieht zu, wo es einen Unterschlupf findet. Er aus dem Schlitten und mit der Peitsche hinterher. ›Ihr sollt mich als eueren geistlichen Vater ehren, ihr gottverfluchten groben flatschigen Bauern,‹ heißt es, ›ich will euch lehren euch verkriechen!‹ Und nun geht es über die armen Leute her.«

Frau Katharina fuhr unwillig auf. »Es muß da ein Ende gemacht werden,« murmelte sie, »sobald der Stiftsvogt zurück ist.«

Als Bonnius am folgenden Morgen nach Kelles zurückkehrte, hielt er die Zügel nur lose in der Hand und fuhr in tiefen Gedanken dahin. Was hatte das Mädchen nur? Sie konnte bemerkt haben, daß er, der im Dienste ihres Oheims stand, sie mit anderen Augen ansah, als seiner 196 Stellung zukam und sie konnte ihm deshalb zürnen, aber warum war sie dann auch gegen den Junker so unfreundlich? Liebte sie einen anderen? Das erklärte wohl ihr Verhalten gegen den Vetter, aber nicht ihr Benehmen Bonnius gegenüber. Sie war ihm gegenüber doch immer so einzig freundlich gewesen. Wenn sie wirklich einen anderen Junker lieb gewonnen hätte! Der Gedanke war unerträglich. »Darin, daß sie unseres Junkers Weib würde,« dachte Bonnius, »hätte ich mich allenfalls gefunden, sie gehört gewissermaßen zu ihm, aber ein anderer soll uns nicht auf den Hof kommen. Bei Gott nicht. Es sei denn als Leiche auf einer Tragbahre.«

Bonnius riß seinen Pelz auf und schob die Mütze weit auf den Hinterkopf. »Keiner soll sie haben,« murmelte er, »keiner. Und wenn ich die Jungfrau erwürgen sollte, keiner soll seinen Arm um ihren Leib legen, so lange sie atmet. Ich hätte um ihretwillen dem ganzen Adel getrotzt, und wäre lieber tausend Tode gestorben, als von ihr zu lassen. Nun ist sie doch wie die anderen auch und verachtet mich als einen schlechten Gesellen. Wohl, aber frei wirst du damit nicht Bärbchen! Was dir mit Liebe naht, ist meinem Haß verfallen.«

Der Schreiber ergriff die Zügel mit beiden Händen und der Hengst fiel in scharfen Trab. Auf der Landstraße hatte der Wind den Schnee weggeweht, man fuhr abseits von ihr auf Wegen, die man sich durch Busch und Bruch gebahnt hatte. Plötzlich schnaubte der Hengst und steilte. »Ruhig Bestie!« knirschte Bonnius, »du wenigstens wirst mir gehorchen.« Die Peitsche sauste durch die Luft, die andere Hand griff mächtig in die Zügel. Das Thier beugte sich zitternd 197 unter die Kraft des Menschen und betrat im Schritt die Lichtung. Am anderen Rande derselben stand ein halbes Dutzend Wölfe. Mit eingezogenem Schwanz und erhobenem Kopf heulten sie laut.

Bonnius lenkte sein Pferd gerade auf sie los und sie verschwanden im Gebüsch. Als der Schlitten wieder auf den Weg zurückgekehrt war, kam der Kutscher, der weiter hinten ein schreckensbleicher Zeuge der Szene gewesen war, herangefahren. »Das bedeutet Krieg, Herr,« sagte er.

»Sei ohne Sorge,« erwiderte Bonnius, »es sind livländische Wölfe. Wenn sie einen Krieg verkünden, ist's ein livländischer Krieg, ein Krieg gegen Speckschwarten und Biertonnen.«

Mit dem Frühling zogen auch die Kruses wieder in Kelles ein. Sie waren kaum dort, als eine Regenperiode eintrat. Wochenlang regnete es tagtäglich, der Boden war aufgeweicht, die Frauen verließen das Haus nicht. Vergeblich hoffte Bonnius auf eine Gelegenheit mit Barbara allein zu sein, das junge Mädchen vermied es energisch und geschickt ihm je allein zu begegnen. Aber Bonnius war nicht der Mann dazu seine Absicht aufzugeben, weil ihre Ausführung ihm erschwert wurde. »Ich muß sie sicher machen,« sagte er sich, und darnach handelte er. Er ritt früh am Morgen fort und kam oft erst spät abends nach Hause. Eine weit abgelegene Waldwiese, die entwässert werden sollte, gab dazu den erwünschten Vorwand. Die Arbeiter durften dort nicht ohne Aufsicht gelassen werden, der Hofmeister aber war auf den Äckern und im Hof unentbehrlich.

»Der Bonnius ist doch ein ganz ausgezeichneter Mann,« 198 sagte Eilhard einmal bei Tisch. »Er ist unermüdlich thätig und er faßt alles beim rechten Ende an.«

»Das will ich meinen,« stimmte Frau Katharina zu.

Die Regengüsse hatten aufgehört, es folgten warme Tage. Das Grün prangte in schöner Frische, im Walde riefen die Drosseln, im Busch am Bach schlug der Sprosser, aus dem Schilf ertönte die knarrende Weise der Rohrsänger. Die Kinder verlangten stürmisch hinaus auf die Wiesen, auf denen jetzt Blumen aller Art blühten, auch Barbara selbst kam der Hof vor wie ein Gefängnis. Allmählich wagte sie sich hinaus, anfangs immer nur in Annas Begleitung, dann auch allein mit Maiken und Christinchen. Von Bonnius war weit und breit nichts zu sehen, er weilte auf der fernen Waldwiese. Barbara wurde immer mutiger. Schon wagte sie sich bis an den Rand des Waldes vor. Dort, wo der Bach aus dem Holze trat, blühten die Blumen besonders üppig und die Kinder konnten hier Blumen pflücken nach Gefallen. Die band dann Barbara, die sich im Schatten der Bäume auf einem Baumstamm niedergelassen hatte, zu den schönsten Kränzen. Es machte sich ganz von selbst, daß diese Ausflüge meist am Nachmittag unternommen wurden. Die Ahne und Frau Katharina ruhten dann, und auch Eilhard mußte dem Gebot des Arztes folgend dann ein Stündchen schlafen. Anna verließ um diese Stunde ungern das Haus, die Kinder und Barbara strebten gerade dann in das Freie.

Zu dieser Stunde stand Bonnius heute im sicheren Versteck eines Dickichts und blickte hinüber zu der Gestalt, die sich eben niedergelassen hatte und deren helles Gewand sich 199 deutlich vom dunkelen Hintergrunde des Waldes abhob. Er hatte sie schon oft so beobachtet. Seine Aufmerksamkeit war so ganz auf das junge Mädchen gerichtet, daß er es nicht hörte, wie ein Mann, die Zweige vorsichtig auseinanderbiegend, sich ihm leise näherte. Der Mann blieb, als er nahe herangekommen war, stehen und verzog den Mund zu einem spöttischen Lächeln. »Also so stehen die Dinge!« dachte er. Dann sagte er laut: »Guten Tag, Bonnius!«

Bonnius fuhr zusammen und errötete über und über. Der kleine, blonde Mann, dessen hellblaue Augen jetzt mit so spöttischem Ausdruck auf ihn gerichtet waren, war Herr Hieronymus Rentsch, der Schreiber von Randen, Jürgen von Thedingsheims rechte Hand. Er und Bonnius waren keine Freunde. Es liefen böse Gerüchte um über Rentsch. Er sollte in seiner Heimat bei Wittenberg zwei seiner Brüder erschlagen haben. Das blieb ungewiß, gewiß aber war, daß Rentsch mit Recht für den schlimmsten Bauernschinder galt auf viele Meilen in der Runde. Bonnius verachtete ihn und hatte aus dieser Empfindung nie ein Hehl gemacht.

»Verzeiht, daß ich störe,« sagte Rentsch, »aber ich hörte, als ich auf dem Fußweg daherkam – denn ich habe meinen Klepper in der Mühle gelassen – plötzlich ein Pferd im Busch wiehern. Als ich hinzutrat, sah ich, daß es Euer Hengst war, der da gesattelt und gezäumt an den Baum gebunden war. Wo der Gaul ist, muß auch der Reiter sein, dachte ich, und folgte Eurer Spur. Das da ist übrigens ein schöner Anblick. Nicht wahr?«

»Was meint Ihr?«

»Was kann ich anders meinen als die Wiese? Prächtig 200 gewachsen das Gras. Aber seht doch, ist das nicht meines gnädigen Herrn Schwester? Wenn es Euch recht ist, gehen wir zu ihr. Vielleicht hat das gnädige Fräulein einen Auftrag für mich.«

Bonnius überlegte schnell. Er war halb und halb verraten. Wenn er jetzt bemüht war, Rentsch mit sich fortzunehmen, mußte dessen Verdacht zur Gewißheit werden. »Geht nur hinüber,« sagte er daher möglichst ruhig, »und begebt Euch dann gleich auf den Hof. Ich hole unterdessen mein Pferd und bin noch vor Euch da. Ich hatte es in der That angebunden, um noch einmal nach dem Grase zu sehen. Ihr kommt wohl wegen der Füllen?«

»Ja. Also auf Wiedersehen.«

Rentsch trat aus dem Walde und ging, am Rande der Wiese hinschreitend, auf Barbara zu. Als sie ihn kommen sah, runzelte sie unmutig die Stirn. Der Mann war ihr verhaßt.

»Guten Tag, gnädiges Fräulein,« sagte Rentsch, indem er den Hut bis zur Erde zog. »Mein Weg führt mich nach Kelles, und ich wollte nicht vorüber gehen, ohne das gnädige Fräulein zu fragen, ob es vielleicht eine Botschaft für meinen Junker hat.«

»Ich danke Euch,« erwiderte Barbara kurz, »grüßt Euren Herrn.«

»Das ist ein schöner Platz hier,« sprach Rentsch weiter, indem er Barbara scharf anblickte, »ein sehr lieblicher Platz. Dem Bonnius muß es der Wiesengrund hier auch angethan haben, denn ich fand ihn dahinten im Gebüsch, wie er kein Auge von der Wiese verwandte.« 201

Barbara hätte ihr Leben darum gegeben, jetzt gleichmütig aussehen zu können, aber sie fühlte, wie eine Blutwelle ihr Antlitz und Hals rot färbte.

»Was geht mich Bonnius an?« erwiderte sie.

»Natürlich gar nichts,« gab Rentsch mit einem frechen Lächeln zur Antwort, »verzeiht, daß ich von ihm sprach. Guten Tag, gnädiges Fräulein, ich empfehle mich Euch.«

Damit schritt er davon. »Großer Gott,« dachte Barbara, »nun ist alles verraten. Der unselige, teure Mann! Seine Liebe stürzt ihn ins Verderben! Aber jedenfalls muß ich ihn nun sprechen, Er muß wissen, daß er nichts zu hoffen hat. Sie werden ihn nicht mehr aus den Augen lassen. Es genügt jetzt nicht mehr, daß ich thue, als wenn ich ihm feind wäre, auch er muß mir helfen sie täuschen.«

Barbara sprang auf, rief die kleinen Mädchen herbei und ging nach Hause. Dort setzte sie sich ans Fenster und wartete, bis sie Rentsch fortgehen sah. Bonnius gab ihm bis über die Brücke das Geleit und kehrte dann zurück. Alsogleich war Barbara auf dem Hof und schritt gerade auf ihn zu. »Bonnius,« sagte sie, »ist mein Bruder auf dem Hause?«

»Nein, gnädiges Fräulein. Rentsch sagt, er sei in Techelfer zum Vogelschießen und käme erst übermorgen.«

»Gut. Dann seid morgen nachmittag auf der Waldwiese. Ich habe Euch etwas zu sagen. Guten Abend.«

Bonnius blickte dem jungen Mädchen mit großen Augen nach. Barbara hatte zu ihm gesprochen wie die Herrin zum Diener, in dem hochmütigen Ton, den sie ihm gegenüber seit dem Winter beständig festhielt. Und nun dieser 202 seltsame Wunsch! Was wollte sie nur? Der Abend, der folgende Vormittag nahmen kein Ende. Bonnius war heute zu Mittag zu Hause. Sein einsilbiges, zerstreutes Wesen fiel auf.

»Habt Ihr Verdruß gehabt, Bonnius?« fragte Eilhard.

»Nein, Junker,« war die Antwort, »aber ich habe mir das Bein wund gescheuert und kann daher nicht auf die Waldwiese. Wollt Ihr vielleicht hin? Oder ist es Euch noch zu weit?«

»Ich meine nicht. Wie viel Zeit brauche ich, wenn ich langsam reite?«

»Ihr könnt in drei Stunden bequem hin und zurück.«

»Wohl. Wenn ich meiner Mutter Zelter nehme, kann es mir nichts schaden.«

Frau Katharina machte Einwendungen, aber auch sie beruhigte sich, als sie hörte, daß Eilhard sofort reiten wollte, um noch vor der Abendkühle zurück zu sein und daß Hans seinen Herrn begleiten würde.

»Gnädiges Fräulein,« sagte Bonnius zu Barbara gewandt, »die kleinen Mädchen haben mich gebeten, für Euch am Rande des Waldes eine Bank herrichten zu lassen. Darf ich Euch begleiten, und wollt Ihr mir dann angeben, wohin sie kommen soll?«

»Ja, Ihr könnt mitkommen.«

Bonnius biß sich auf die Lippen. Frau Katharina warf der Nichte einen unwilligen Blick zu. »Wie sie hochmütig geworden ist!« dachte sie.

Gleich nach dem Essen ritt Eilhard fort, die Frauen und Anna zogen sich zurück, Barbara und die kleinen 203 Mädchen schritten in Begleitung von Bonnius der Wiese zu. Die Kinder, die ihn leidenschaftlich liebten, hatten sich an seine Arme gehängt und überschütteten ihn mit allerlei Fragen. Barbara schritt auf der anderen Seite des Weges schweigend neben ihm her. Ihr war das Herz voll zum Zerspringen. Wie sollte sie anfangen? Wie fortfahren? Und doch mußte sie sprechen!

Das Wetter war herrlich. Ein leiser Wind fuhr kühlend über die erwärmten Felder, am Himmel trieben ein paar kleine Wölkchen langsam dahin, und ihr blendendes Weiß ließ das Blau neben ihnen nur noch tiefer erscheinen. Über der grünen Saat jubelten die Lerchen, vom Walde her erklang der laute Gesang der Waldvöglein jeder Art.

Als der am Boden liegende Baumstamm am Waldrande erreicht war, wurde zunächst die Bankfrage erledigt. Sie sollte unter einer Trauerbirke, deren Zweige weit überhingen, errichtet werden. Dann sprangen die Kinder davon, um Blumen zu sammeln. Barbara setzte sich und lud Bonnius durch eine Handbewegung ein, neben ihr Platz zu nehmen. Die Röte kam und ging auf ihren Wangen und sie atmete schwer. »Bonnius,« begann sie endlich, ohne aufzusehen, indem sie einen Grashalm zerbiß, mit dem ihre Rechte bisher gespielt hatte, »Rentsch hat Euch gestern an der Wiese gesehen.«

»Ja.«

»Bonnius, er wird – es kann sein – er könnte glauben, daß Ihr meinetwegen dort standet.«

»Ich stand Euretwegen dort.«

»Bonnius, wißt Ihr – kennt Ihr den Pernauer Beschluß?« 204

»Nein. Was ist das für ein Beschluß?«

»Bonnius, Ihr müßt mich für sehr hochmütig gehalten haben während der letzten Monate. Ich bin es nicht. Aber, aber – Bonnius, daraus kann nie etwas werden.«

»Warum nicht?«

»Weil sie Euch, wenn sie es wüßten, niederstoßen würden mit ihren Dolchen.«

»Mögen sie. Mir ist an einem Leben ohne Euch nichts gelegen.«

»Um Gott! redet nicht so. Ihr kennt sie nicht. Es ist furchtbarer Ernst. Ihr seid nicht von Adel.«

»Ich kenne sie wohl. Ich weiß, daß ich, der ich doch ehrlicher, deutscher Leute Kind bin, von ihnen meiner Herkunft wegen verachtet werde. Aber, verachtet Ihr mich auch?«

»Nein, Bonnius, Ihr wißt, daß ich Euch – daß Ihr mir –«

Sie schwieg verwirrt und blickte zu ihm auf. Sie erschrak über die Leidenschaft, die aus seinem Antlitz zu ihr redete. Jede Ader in seinem Gesicht war angedrungen, seine dunkelen Augen leuchteten in einem düsteren Feuer. »Bärbchen,« sagte er mit bebender Stimme, »ich weiß jetzt, daß du mich lieb hast. Kein Junker der Welt soll dich von mir reißen. Du gehörst zu mir.«

Barbara schüttelte den Kopf. »Das kann nicht geschehen,« sagte sie. »Ja, ich habe Euch lieb, mehr als alles in der Welt, und wenn es auf mich ankäme, ich folgte Euch, wohin Ihr mich bringt. Aber das ist unmöglich. Ihr kennt meinen Bruder nicht. Er würde uns finden und Euch 205 erwürgen. Bonnius, ich schwöre es Euch bei allem, was mir heilig ist, nichts in der Welt soll mich zwingen eines anderen Weib zu werden, aber ich kann auch nicht das Eurige sein. Ich flehe Euch an, ich beschwöre Euch, laßt Euch daran genügen.«

Sie sah ihn an mit einem Blick, aus dem ihre ganze Liebe sprach, ihre selbstlose, hingebende Liebe. Er hat diesen Blick nie wieder vergessen, so lange er lebte. Aber seine Liebe war anderer Art als die ihrige. Mitten im Sturm der Leidenschaft erkannte er klar, daß er jetzt nicht weitergehen durfte, daß er sein Ziel auch so erreichen mußte.

»Wohl,« sagte er, »ich will es versuchen. Schwört mir!«

»Ich schwöre Euch, daß ich nie eines anderen Weib sein will.«

Sie schwiegen und blickten vor sich hin. Im Busch am Bach sang eine Nachtigall ihr ewig junges Liebeslied. Wie war sie wonnig, die Nähe des Geliebten! Aber die Angst um ihn schreckte Barbara aus der Ruhe auf.

»Bonnius,« begann sie wieder, »Rentsch wird nicht schweigen. Was ich unter so viel Schmerzen den Winter über baute, hat der eine Augenblick umgeworfen. Als er mir erzählte, wo er Euch gefunden, errötete ich. Nun werden sie mißtrauisch werden. Wenn dieses Mißtrauen nur so viel Nahrung findet, um ein Vöglein satt zu machen, seid Ihr verloren. Jürgen scheuet vor keiner Gewaltthat zurück und seine Diener auch nicht. Ihre Augen werden auf uns ruhen, wo wir auch sind. Sie dürfen nichts sehen, Bonnius, nichts. Ihr dürft mich, auch wenn wir uns allein begegnen, nicht ansehen, Ihr dürft kein Wort zu mir reden. Hört Ihr?« 206

»Ja, aber werde ich das können?«

»Ihr werdet es können. O denkt an mich! Was würde aus mir, wenn sie Euch erwürgten! Und dann, Bonnius, daß wir uns sehen, uns hören, während wir unter ihnen sind, das können sie uns nicht wehren. Ach, und das ist doch schon so köstlich!«

Die kleinen Mädchen kamen herbei, die Hände voll Blumen. Barbara wand sie zum Kranz und Bonnius blickte glühenden Auges auf sie. Ein Sonnenstrahl stahl sich durch die Zweige des Baumes und ließ ihr Blondhaar goldig erglänzen, von Zeit zu Zeit hob sie den Kopf und ihre blauen Augen sahen mit einem Blick voll innigster Liebe zu ihm hinüber. Wie an der Schläfe das blaue Geäder unter der zarten Haut hervorschimmerte, wie schön die weißen Hände waren, von denen die roten und blauen Blumen in den Kranz eingereiht wurden! »Wie im Märchen,« dachte Bonnius: »das Mädchen aber hatte Wangen so weiß wie Schnee und so rot wie Blut.«

Klein-Maiken hatte die Hände auf den Rücken gelegt und ließ die Augen von Barbara zu Bonnius, von Bonnius zu Barbara wandern. »Wenn ihr euch heiraten würdet, das wäre einmal ein schönes Paar,« sagte sie.

»Unsinn!« rief Christinchen, »wie du dumm redest! Höre doch, Bärbchen, wie sie dumm redet. Du kannst doch Bonnius gar nicht heiraten, er ist doch gar nicht von Adel!«

»O ja, Bonnius ist auch von Adel!«

»Wie du dumm bist! Nicht wahr, Bonnius, Ihr seid nicht von Adel?«

»Nein, ich bin nicht von Adel.« 207

»Darum. Elert sagte einmal, wenn einer, der nicht von Adel ist, eine von Adel heiratet, so werden sie beide geschmaucht oder sonstwie umgebracht.«

»Aber lieben kann man auch einen, der nicht von Adel ist,« rief Maiken, indem sie auf Bonnius zulief und ihre Ärmchen um seinen Hals schlang.

»Ja, das kann man,« rief nun auch Christinchen, warf die Blumen, die sie in der Hand hielt, in Barbaras Schoß und umarmte ebenfalls den Freund.

Bonnius und Barbara sahen sich über die Kinder hinweg bedeutungsvoll an. Da stand Barbara auf. »Kommt, Kinder,« sagte sie, »wir wollen den Kranz zu Hause beenden. Anna möchte auch mit dabei sein.«

Die Kinder erhoben lebhaften Widerspruch, aber Barbara blieb fest. Noch ein Händedruck und Bonnius schritt dem Walde zu, während Barbara und die Kinder den Heimweg antraten.

Bonnius schritt voll inneren Jubels dahin. Also er hatte sich getäuscht und sie liebte ihn! Sie sollte sein werden! Die Gefahr war groß, sie war furchtbar, aber ein fester Wille, ein mutiger Sinn überwinden jede Gefahr. Er wollte sie mit sich aus dem Lande führen und wenn der Thedingsheim so viele wären wie Bäume in Livland. Die hochmütigen Junker sollten sehen, daß der verachtete »schlechte Geselle« nicht nur das Herz der lieblichsten Jungfrau ihres Geschlechtes zu gewinnen, sondern sie auch mit sich fortzunehmen wußte, zwischen all' ihren Schwertern und Dolchen hindurch.

Als Barbara und die Kinder den Hof erreicht hatten, fanden sie Anna und die Amme mit Anneken unter der Linde. 208 Sie setzten sich zu ihnen, und da Barbara bemerkte, daß die Amme geweint hatte, forschte sie nach der Ursache ihres Kummers.

»Wie soll ich nicht weinen,« gab das Weib, indem sie aufs neue in Thränen ausbrach, zur Antwort. »Meine Schwester, das unsinnige, gottlose Mädchen will an einem Freitag heiraten. Nun weiß jedes Kind, daß, was wir am Freitag vornehmen, nimmermehr zum Segen ausschlägt. Wer am Freitag säet, erntet Thränen.«

»Heute ist auch ein Freitag,« sagte Maiken.

Barbara tröstete die Amme, so gut sie konnte, aber sie wurde ein unheimliches Gefühl nicht los. Sollten auch aus dem, was sie heute gesäet hatte, Thränen erwachsen?



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