Theodor Hermann Pantenius
Die von Kelles
Theodor Hermann Pantenius

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Achtes Kapitel.

Ein heißer Tag ging zu Ende und auf den weiten Wiesen zu beiden Seiten des Baches, dessen Wasser den Wallgraben von Kelles speiste, waren Hunderte beschäftigt, das duftige Heu zusammenzuhäufen, um es vor dem nächtlichen Tau zu schützen. Es ging lustig zu und manch munteres Lied würzte die Arbeit, ging sie doch unter den Augen der allbeliebten Herrin vor sich. Frau Katharina befand sich schon seit einer Stunde auf der Wiese und mit ihr waren die jungen Mädchen und die Kinder gekommen.

Die Herrschaft war nicht zusammengeblieben, sondern ein jedes hatte sich dorthin begeben, wo ein Liebling unter den Bauerfrauen eben arbeitete, oder wo sonst die Arbeit gerade besonders interessant erschien.

Ziemlich am Ende der Wiese saß Barbara auf einem Heuhaufen und vor ihr stand Bonnius.

»Ich kann nur wiederholen,« sagte er, »daß es so gut war. Hätten die Herren es wirklich mit deutschen Reitern 121 zu thun bekommen, so wären schwerlich viele von ihnen wieder in ihren Hof geritten.«

»Aber sie sind doch tapfer?«

»Gewiß, Fräulein, aber man kann einen Hund, der Mut hat, deshalb noch nicht ohne weiteres zur Bärenhetze gebrauchen. Das Kriegen will auch gelernt sein, die livländischen Herren aber haben keinen anderen Krieg kennen gelernt, als den mit den Klappkannen.«

»Und Ihr meint wirklich, daß der Oheim und die Junker von vornherein gewußt haben, daß gar kein Feind im Lande sei?«

»Das will ich nicht behaupten, aber der Pastor hat mir erzählt, daß Euer Herr Bruder selbst gesagt habe: die Feinde, wider die wir ziehen, sind die Seehunde und an die werden wir sonder Zweifel mit großer Mannhaftigkeit setzen. Außerdem glaube ich kaum, daß unsere Junker, die doch noch nie Blut gesehen und Pulver gerochen haben, sonst so fröhlichen Herzens in die Feldschlacht gezogen wären und Leib und Leben zu Markte getragen hätten.«

Barbara errötete über und über und sah mit gefalteter Stirn vor sich nieder.

»Ich bin – Gott sei es geklagt – kein Kriegsmann,« fuhr Bonnius fort, »aber ich bin unter Kriegsleuten aufgewachsen, daher weiß ich, daß auch ein tapferer Geselle, wenn es wirklich wider den Feind geht, das: ›Herr erbarme dich‹ anstimmt in seinem Herzen. Darum denke ich, daß sie hier wohl gewußt haben, daß der Tanz nicht mit den deutschen Reitern des Herzogs von Preußen, sondern mit dem Ungerschen und Üxküllschen Frauenzimmer getanzt werden 122 würde. Das war auch gut so. Ihr wißt, wie sehr ich unseren Junker liebe, aber wie kann einer ein Kriegsmann sein, der nicht einmal brav trinken kann? Wie, wenn der Feind gerade anrückt und der Junker hat eben seine Kopfpein und kann sich kaum bewegen? Wer ein wirklicher, wahrhaftiger Kriegsmann sein will, der muß einen Leib haben wie von Stahl, daß er bei Tag und Nacht, bei Sonnenschein und Regen, bei Wind und Wetter allezeit kämpfen und kriegen kann.«

Barbara kaute an einem Heuhalm und sah nachdenklich ins Weite.

»Unser lieber Junker,« hieß es weiter, »wäre in der alten Zeit ein trefflicher Domherr und hernach ein ausgezeichneter Bischof geworden, denn er ist ein sehr gelehrter junger Herr und er hat ein Herz wie Gold, aber ein rechter lustiger Kriegsmann wird er in seinem Leben nicht.«

»Wie kam es, daß Ihr nicht ein Kriegsmann wurdet, Bonnius?«

»Ich wäre gern einer geworden, Fräulein, aber ich habe meiner Mutter selig versprechen müssen, die Hand vom Schwert zu lassen. Nun muß ich mein Lebtag die Feder führen und mich von den Junkern über die Achseln ansehen lassen.«

»Aber sie sind doch freundlich gegen Euch?«

»Gewiß sind sie es, wenigstens unsere Junker hier, aber ich weiß deshalb doch, daß sie mich in ihrem Herzen nicht höher achten wie einen Knecht, weil ich nicht von Adel bin. Und nun schaut mich an, Fräulein und fragt Euch, ob mir der Harnisch und die Sturmhaube nicht ebensogut zu Gesicht stände wie Euerem Vetter.« 123

Barbaras Augen richteten sich für einen Augenblick auf den jungen Mann, um dann seinem funkelnden Blick schnell wieder auszuweichen und nach wie vor ins Weite zu blicken. Sie brauchte ja auch Bonnius nicht erst anzusehen, sie wußte, daß er das Bild jugendlicher, männlicher Kraft war.

»Fräulein,« sagte Bonnius mit bewegter Stimme, »glaubt mir, wäre ich der Junker Elert, ich verbrächte meine Tage nicht müßig auf meines Vaters Hof mit tanzen und trinken, sondern ich tummelte mein Roß, wo Lanzen splittern und Schwerter klirren. Ja selbst jetzt, wenn mein Gelübde nicht wäre – ich wäre längst fort und deckte die Heide mit meinem Leibe oder erwürbe mir in der Feldschlacht das adlige Wappen, das meiner Wiege versagt war. Aber das Gelübde hat es mir angethan. Ich bin wie ein gefesselter Mann.«

»Bärbchen!« rief Maiken, »du sollst kommen, wir gehen nach Hause.«

Barbara sprang auf und begab sich zu Frau Katharina. Bonnius schritt neben ihr her. Er sprach kein Wort, aber es war Barbara, als ob sie hörte, wie schwer er atmete. »Der arme, arme Mann!« dachte sie.

Die Frauen hatten kaum wieder den Hof erreicht, als Herr Kruse und Eilhard im Schritt durch das Thor ritten. Man eilte ihnen jubelnd entgegen, aber die Frauen sahen sogleich, daß Eilhard sein Kopfweh hatte. Er gab sich alle Mühe sich zu beherrschen, aber das Leiden hatte die Eigenschaft, gleichsam den Sitz des Willens zu lähmen. So lange es anhielt, konnte Eilhard mit ihm nicht fertig werden. Man wußte das natürlich und wunderte sich daher nicht, daß 124 er die Seinigen nur flüchtig begrüßte, um auf sein Zimmer zu eilen und dort die Stellung einzunehmen. die ihm allein etwas Linderung schaffte.

Anna eilte, sobald sie erfahren hatte, daß Jürgen gesund und wohl sei, davon, um anzuordnen, daß Eilhard mit Eis versorgt würde, Barbara aber blieb bei dem Oheim. Als sie Eilhard mit dem geistesabwesenden Blick an sich vorüber gehen sah, dachte sie unwillkürlich: »Bonnius hat recht, er ist kein Kriegsmann« und sie verglich ihn mit Bonnius. Darüber erschrak sie dann und richtete ihre Aufmerksamkeit auf Herrn Kruse.

»Es hat nichts zu bedeuten,« sagte dieser, »es ist die Folge des langen, scharfen Rittes in der Hitze.«

»Aber wo kommt ihr denn her, Elert?« fragte Frau Katharina. »Ihr beide allein mit Hans und den beiden Jungen?«

»Wir sind unterwegs nach Dorpat,« war die Antwort. »Ein Bote des Bischofs holte den anderen ein. Was wir längst gefürchtet haben, ist eingetreten, der Bote des Großfürsten mit dem Kreuzküssungsbrief ist schon in Alten-Thoren und ich soll raten, was thun. Du lieber Gott, ich fürchte, wir haben den Ring durch die Nase und müssen tanzen, wie der Reuße pfeift.«

Frau Katharina eilte nun davon, um auch ihrerseits nach Eilhard zu sehen.

Beim Abendessen erzählte Herr Kruse von seinen Erlebnissen. »Es ist wohl noch nie, seit der Wind weht und der Hahn kräht, eine Braut so lustig zu Bett getanzt worden,« sagte er, »wie unser Feldzug. Als wir ans Meer kamen, 125 war da niemand zu sehen, als die Seehunde, die steckten die runden Köpfe aus dem Wasser und sahen neugierig nach dem Gerassel und Geklirr. Da schossen denn die Junker wenigstens nach ihnen und wer einen traf, wurde für einen Leutnant gehalten und wer zwei tot schoß, für einen Rittmeister. Als wir aber erfuhren, daß wir mit der Flotte in den April geschickt waren, da rückten wir alsogleich vor die Schlösser derer von Ungern und von Üxküll, schossen Bresche in ihre Biertonnen und nahmen die Speisekammern mit Sturm. Darüber blieb mancher gute Geselle für tot liegen, die anderen aber schlugen mit den Kesselpauken Viktoria und die Junker nahmen die Fräulein alsogleich in Verstrickung.«

Die Ahne und Frau Katharina lachten, Barbara aber tauschte einen schnellen Blick mit Bonnius aus. Das war ja wirklich der livländische Krieg, wie er ihn beschrieben hatte.

Frau Katharina dachte in diesem Augenblick etwas Ähnliches. »Ich werde euch künftig mit ruhigerem Gemüt in den Krieg ziehen sehen,« sagte sie.

Es lag etwas in dem Ton, mit dem diese Worte gesprochen wurden, das Herrn Kruse verletzte. »Du scheinst ja recht unzufrieden zu sein, daß wir mit heiler Haut wieder nach Kelles gekommen sind,« sagte er. »Ich fürchte, Katzchen, daß wir es das nächste Mal mit anderen Feinden zu thun haben werden. Der Krieg mit Polen ist so gut wie gewiß.«

»Im Ernst, Elert?«

»Ja, Katzchen. Der Komtur von Marienburg, Herr Werner Schall von Bell hat an der kurischen Grenze des Königs Gesandten, Herrn Kaspar Lanski, einen edlen Polen, totgeschlagen und sein Bruder, unser Freund, soll mit dem 126 armen Erzbischof in Smilten umspringen, daß Gott erbarm. Das wird sich Seine Majestät nicht bieten lassen, deshalb glaube ich nicht, daß unsere Hengste im Stall steife Beine bekommen werden.«

»Man wird den Handel schon vertragen, Elert.«

»Man wird ihn nicht vertragen, Katzchen. Da unten in Kurland und im Erzstift liegt alles voll von Landsknechten und Reisigen und der Herrmeister läßt lieber Leib und Leben, ehe er den Vogel, den er so mühsam sing, wieder fliegen läßt. Anderseits hat der Pollacke noch eine lange Rechnung mit dem von Fürstenberg, noch aus der Zeit, da er Komtur von Dünaburg war und der von Münster, der in der Wilna ist, wird es an: Hussah! und Pack an! nicht fehlen lassen. Na Gott bessere es.«

Am folgenden Morgen ritten die Kruses in aller Frühe nach Dorpat. Der Vater hatte es Eilhard freigestellt, ihm erst am folgenden Tage zu folgen, aber Eilhard hatte das Anerbieten ausgeschlagen. Es war ihm ganz recht, daß er nicht sofort mit Barbara zusammen zu sein brauchte. Er mußte sich ja sagen, daß es nicht seine Schuld war, wenn der Feldzug ein solches Ende genommen hatte, aber es war ihm trotzdem die Erinnerung überaus peinlich, daß er zu diesem Ritt so feierlich Abschied genommen hatte. Als am Abend die Mutter nach ihrer Art still neben ihm saß, hatte er gesagt: »Mutter, dieser Feldzug war auch nur eine Art Mummenschanz,« und sie darauf ganz trocken erwidert: »ja.« Nun war es ihm, als ob er sich auch vor ihr schämen müßte.

So ritt er denn seinerseits sorgenvoll neben dem 127 sorgenvollen Vater her und beide waren froh, als sie endlich die Türme Dorpats vor sich sahen.

»Ich wünschte, wir hätten den Domberg von Reval hier, Elert,« sagte Herr Kruse. »Der ist von Gott dem Allmächtigen als ein hoher Felsen fest geschaffen. Unser Schloßberg dagegen kann untergraben werden, wie wir denn überhaupt von drei Seiten sandigen Boden haben. Du sollst einmal sehen, Elert, faßt der Moskowiter sich ein Herz und rückt vor Dorpat, so werden wir unsere Not haben, denn das Schloß ist abgängig und Rundele und Wälle vor Thoren und Mauern haben wir nicht. Wo soll es auch herkommen, denn wir stecken in Schulden bis an den Hals, daß wir ganz erschöpft sind, und die Dompfaffen wollen nichts hergeben. Na, Gott bessere es.«

Sobald Herr Kruse und Eilhard ihre Reitkleider abgelegt hatten, begaben sie sich zum Bischof, der schon mehrmals nach ihnen hatte fragen lassen.

Der Bischof verhandelte eben mit Georg Holzschuher, seinem Kanzler, als ihm der Stiftsvogt gemeldet wurde. »Gott sei Dank, daß Ihr endlich gekommen seid, gestrenger Herr,« rief er Herrn Kruse entgegen, »willkommen auch Ihr, lieber Junker. Nun, was sagt Ihr zu der Kunde? Jetzt haben wir den Strick um den Hals und mögen zusehen, wie wir dem Galgen entlaufen.«

»Oho, Hochwürdige Gnaden,« rief Herr Kruse, »so schlimm wird es ja nicht werden, wenn uns auch das Wams etwas eng wird. Ich meine, der Moskowiter wird noch mit sich reden lassen und sich besinnen, ehe er heißes Eisen anfaßt.«

Der Bischof zuckte die Achseln. »Du lieber Gott,« sagte 128 er, »unser Häuflein von Dorpat kann doch nicht des Moskowiters ganze Macht mit all' seinen Tatern, Tscherkessen und Kosaken aus dem Felde schlagen?«

»Nun, der Herr Herrmeister ist denn doch auch noch da, er und die übrigen Stände werden nicht zulassen, das Ew. Hochwürdige Gnaden von Land und Leuten weichen müssen.«

»Wenn wir auf die warten wollen, sollen uns die Beine vertauben, gestrenger Herr. Die werden uns allein durchs Wasser waten lassen und froh sein, wenn sie selbst trockene Füße behalten. Ich sehe keinen Rat, als daß wir um schön Wetter bitten und geben, was der Großfürst heischt.«

»Mit nichten, Hochwürdige Gnaden,« nahm jetzt der Kanzler das Wort. »Nach meinem Dafürhalten müssen wir unser gutes Recht halten, als ob wir es zwischen den Zähnen hätten.«

»Was heißt das anders, Jürgen, als Land und Leute verderben und zerstören lassen? Dem Großfürsten werden wir den Sack mit Worten nicht füllen, und wenn er mit 30 000 Reitern kommt, sich die Siegel unter den Kreuzküssungsbrief selber zu holen, so möchte ich wohl wissen, wie wir ihm das Feld halten sollen.«

»Das ist die Meinung nicht, Hochwürdige Gnaden,« versetzte der Kanzler, »daß wir den Stier bei den Hörnern fassen sollen. Mein Rat geht dahin, daß wir dem Großfürsten den Willen thun, und die Siegel dran hängen, zugleich aber vom Notar ein Instrument aufnehmen lassen, daß wir in solches Verlangen ohne kaiserlicher Majestät Einwilligung ganz und gar nicht willigen können. Der Russe ist dumm und wird solche Klausel nicht verstehen, wir aber 129 wollen es vor dem kaiserlichen Kammergericht wohl erstreiten, daß der Brief ohne Seiner Majestät des römischen Kaisers Konsens null ist und nichtig.«

Der Bischof schüttelte den Kopf. »Was ist aber mit solchen Praktiken ausgerichtet, Jürgen?« fragte er. »Des Kaisers Majestät wird uns nicht helfen, denn ihre Reiterei sollte wohl ermüden, ehe sie nach Livland käme, der Moskowiter aber hält gewappnet vor dem Thor.«

»Hochwürdige Gnaden,« meinte Herr Kruse, »der Rat des edlen Herrn scheint mir nicht uneben. Nicht als ob der Moskowiter allzu viel nach dem Kaiser fragen würde, aber es geht die gemeine Rede: Zeit gewonnen, alles gewonnen. Wenn wir dem Reußen das Maul stopfen, bis der Handel mit dem Polen vertragen ist, so wird das allgemeine Land darüber wieder zu Atem kommen und wir werden wenigstens die Suppe nicht allein ausessen müssen. Mittlerweile beschicken wir die Kaiserliche Majestät und das Reich, dazu auch die polnische Majestät als Protektor von Riga und die Könige von Dänemark und Schweden. Sieht dann der Großfürst, daß unser armes Livland denn doch noch nicht von der gesamten Christenheit verlassen ist, so wird er mit sich reden lassen.«

»Mir soll es recht sein,« seufzte der Bischof, »wenn ich gleich nicht glaube, daß einer von den Protektoren um unserer schönen Haare willen wider den Moskowiter zu Felde ziehen wird. Ja, früher, ehe die sogenannte Reformation aufkam, da war die Christenheit allezeit bereit, für das Land der heil. Jungfrau zu streiten, jetzt aber heißt es: die von Straßburg fragen viel darnach, was die von Köln in den Rhein schütten.« 130

»Hochwürdige Gnaden,« versetzte Herr Kruse, »ich meine wahrhaftig nicht, daß wir Livländer unterdessen in Rosen sitzen und den König von Schweden das Wasser tragen lassen sollen unser Feuer zu löschen. Nein, wir sollen selber wacker zugreifen und uns erweisen als ehrliche Leute deutscher Zunge, Geburt und Namens. Sollen wir das aber können, so müssen wir erst Frieden haben mit den Polen. Ist uns der geworden, so heißt es freilich alle Hände brauchen und den Schweiß nicht scheuen.«

»Lieber Herr,« erwiderte der Bischof, »wenn alle wären wie Ihr, so wollte ich auch einen frohen Mut fassen und Leib und Leben daran setzen uns des Moskowiters zu erwehren, aber so wie ich unsere Leute kenne, wird uns die Zeit wenig helfen. Sobald wieder Frieden im Lande ist, wird auch alsogleich wieder unser livländisch, epikurisch und sodomitisch Leben angehen und wenn Ihr mit dem gemeinen Seckel umgeht, werdet Ihr niemand zu Hause finden, weil dieser in der Stadt auf der Köste ist und jener beim Nachbar zum Kindelbier.«

»Hochwürdige Gnaden,« rief Herr Kruse, »ich weiß wohl, daß wir alle, edel und unedel, sprechen und beten müssen mit dem heil. David: Herr! gehe nicht mit uns ins Gericht, denn vor dir ist kein Lebendiger gerecht! aber ich getröste mich, daß wir durch die göttliche Gnade denn doch nicht ganz und gar verstoßen sind. Wir sind tapfere deutsche Männer und die Deutschen hat Gott lieb. Werden Adel und Bürger sehen, daß es an Haut und Kragen geht, so werden sie auch nicht still sitzen und dem Spiel zusehen.«

»Möge es geschehen, wie Ihr wollt,« meinte der Bischof, 131 »eins aber weiß ich: fällt der Moskowiter feindlicher Weise ins Land, so wird er des Kindleins auf der Mutter Arm nicht schonen. Ob der Großfürst aber gegen seine Unterthanen und Schutzverwandten so schwarz ist, wie man ihn macht, stelle ich an seinen Ort.«

Herr Kruse blickte verwundert auf seinen Herrn. Dieser hatte die Augen zu Boden geschlagen und blickte vor sich nieder. »Ich kann mir vorstellen,« fuhr er fort, »daß er in einem deutschen Lande deutsche Obrigkeit ließe gewähren, wie er denn auch die Tatern, die er neulich unterworfen hat, nach ihrem Willen soll leben lassen. Der Großfürst soll auch ein großer Freund der Deutschen sein und sich selber rühmen, daß er von deutscher Abstammung sei.«

»Hochwürdige Gnaden,« rief der Stiftsvogt, »das verhüte Gott, daß der Großfürst jemals ein Herr über freie, deutsche Männer sein sollte.«

»Amen,« sagte der Bischof. »Und nun, Junker,« wandte er sich an Eilhard, »müßt Ihr mir von Euerer Frau Mutter und Euerer Ahne erzählen.«

Um die Mittagsstunde des folgenden Tages gab es in den Straßen der Stadt, deren hohe Giebelhäuser den Fremden an das ferne Lübeck erinnerten, ein nicht geringes Gedränge, denn alles wollte den russischen Boten sehen, der eben seinen Einzug hielt. Er hieß Terpigor und war ein großer trotzig blickender Mann. Auch sein Gefolge blickte hochmütig auf das Volk herab, das neugierig auf die fremden Gäste blickte und ihnen folgte, bis sie in Andreas Wassermanns Hause am Markte verschwanden. Aber auch als sich das Hofthor knarrend hinter dem letzten russischen Wallach geschlossen hatte, 132 blieben zahlreiche Gruppen auf dem Marktplatz beieinander und besprachen die Sachlage in ihrer Weise.

»Das muß ein reicher Herr sein,« bemerkte ein Kürschner, »denn seine Mütze ist vom feinsten Baranetzfell. Das Baranetz aber ist eine Kreatur halb Tier und halb Pflanze, sieht aus wie ein Lamm und wächst in Persien. Es hängt mit der Nabelschnur an der Erde. So weit die ihm nun erlaubt das Gras zu erreichen, so lange kann es sich davon nähren. Ist es aber damit fertig, so muß es sterben. Deshalb ist auch das Fell so teuer.«

»Was Ihr sagt, Nachbar. Seid Ihr selber bis dahin gekommen, wo das Beest wächst?«

»Das nicht, aber ich habe in der Moskau einen Welschen gekannt, der hat es selbst bei den Tatern gesehen.«

»Ihr wart in der Moskau?« fragte ein dritter Kürschner, der erst vor kurzem aus dem Reich nach Dorpat gekommen war.

»Ja,« war die Antwort, »und ich sage Euch, es lebt sich nicht schlecht da drin. Da ist für einen frischen Gesellen beides Arbeit vollauf und Gold vollauf. Und dann: Da ist es nicht wie bei uns, wo die vom Rat das Handwerk schinden, wie sie wollen und können und sehen unsereinen für nicht mehr an wie für einen groben Klotz und wo jeder Junker einherreitet wie ein König. Nichts da. Da ist Gott im Himmel und der Großfürst auf Erden und damit Gott befohlen.«

»Na, na, die Reußen werden doch wohl auch ihre Edelleute haben.«

»Die haben sie, das sind die Bojaren, aber da soll einer 133 von denen nach seinem Gefallen leben! Nix da. Da heißt es: thue was der Großfürst befiehlt oder: Bei jewo besposchtschadno, quäste ihn ohne Gnade und Barmherzigkeit.«

»Na, er wird doch seine Edelleute nicht schlagen lassen?«

»Das thut er. Das thut er. Vor ihm ist alles einerlei, ob einer ein Großbojar ist oder ein Kuchenbäcker. Habe selbst gesehen, wie sie einen solchen großen Hansen auf den Platz führten hinter dem Kreml und der Henker nahm ihn auf die Schulter nach ihrem Gebrauch und der andere Henker gab ihm die Peitsche zu kosten, daß er schrie wie ein angestochen Schwein. Nachher führten sie ihn wieder auf das Schloß, und er war wieder ein großer Herr wie zuvor.«

»Pfui Teufel!«

Der Erzähler zuckte die Achseln. »Gefällt es dir bei uns besser,« fragte er, »wo, wenn zwei das Gleiche thun, ein Junker und einer vom Handwerk, dem Junker kein Haar gekrümmt wird, während unser einer bei Meister Hämmerlein zu Gast geladen wird? Ich meine, wenn ein Wojewode im Schloß säße statt des Pfaffen, wir brauchten uns deshalb nicht die Augen rot zu weinen.«

»Bist du von Sinnen,« rief der andere, und sah sich ängstlich um, »wenn dich jemand hörte.«

»Sei ohne Sorge,« versetzte der Redner, »ich werde mich wohl vorsehen. Aber eins weiß ich – kommt einmal der Tag, wo das reiche Packzeug von Kaufleuten samt Pfaffen und Junkern aus der Stadt muß – so will ich mir einen so guten Tag machen, wie ich noch keinen verlebt habe.«

»Großer Gott,« hieß es in einer anderen Gruppe, wo ebenfalls Handwerker zusammenstanden, »da steht man nun 134 und sieht das leibhaftige Unglück zum Thor hereinreiten und kann ihm nicht wehren.«

»Ja, da ist nun der Bademeister,« war die Antwort, »der wird uns ein heißes Bad zurecht machen.«

»Daß Gott erbarm, Nachbar, da muß die gemeine Bürgerschaft nun hinein. Die Ratsverwandten aber die werden, wenn es so weit ist, schon ein Schlupfloch finden, durch das sie mit ihren Geldladen davon kommen können.«

»Gewiß, gewiß Nachbar. Daß sie aller Welt Plage bestehe. Sie verkaufen dem Moskowiter heimlicher Weise Kraut und Lot, Kupfer und Blei und wir werden damit nachher vom Leben gebracht.«

»So ist es. Da war ein reußischer Kaufmann, der kaufte bei einem von unseren Kaufleuten heimlich Draht und Blei. Da sprach der Reuße: Wißt Ihr auch was das ist? Entgegnete der Kaufmann: Das ist Draht und Blei. Sprach der Moskowiter: Nein, das sind die Peitschen, damit unser großer Herr euch aus dem Lande treiben und das die Kugeln mit denen er euch umbringen lassen wird.«

Nach einiger Zeit kamen sechs Edelleute des Bischofs mit etlichen Edelknaben und den Trompetern, um den Boten auf das Schloß zu bringen. Das geschah also: voran ritten die Trompeter, dann kamen die Edelknaben nach dem Alter, die jüngeren voran, dann die Edelleute ebenso, immer zu je zweien. Dann führten des Boten Diener zwei prachtvolle russische Windhunde. Hinter denen trugen zwei andere ein grünes Jägernetz, das war von eitel Seide. Endlich trug man ein großes buntes Tuch einher. Das waren des Großfürsten Geschenke. Nun kam der Bote selbst, der 135 hatte jetzt eine lange Schaube an, die bis zu den Füßen ging. Die Schaube war von grünem Damast überall mit Gold eingesprenkelt, der Kragen aber und die Säume am Gewand und den breiten Ärmeln von Marderfell. Dazu trug der Bote rot und schwarze Schuhe und eine hohe graue Mütze. Die war auch mit köstlichem Rauchwerk verbrämt. In den Händen aber hielt der Bote eine Schüssel von lauterem Silber. Darin lag, in ein seiden Tüchlein gewickelt, der Kreuzküssungsbrief.

Als der Bote nun in den Remter kam, da waren da des Bischofs Stiftsräte und der Ausschuß vom Rat und von der Gemeinde schon versammelt, dazu auch etliche Notarien gegenwärtig, die sollten, was der Bote sagen würde, instrumentieren.

Der Bote verneigte sich nun, nannte seines Herrn ganzen Titel nach dem Brauch und verlangte dann von wegen seines Herrn, daß der Bischof und der Herrmeister die Siegel, mit denen die livländischen Gesandten den Brief versiegelt hatten, abschneiden und ihre Siegel anhängen sollten. Auch sagte er noch, er hätte Befehl, daß er sich nicht lange sollte aufhalten lassen. Darauf ward ihm durch den alten Jakob Krabbe, als durch den Tolk, geantwortet, der Bischof hätte gern von des Großfürsten Gesundheit vernommen. der Gesandte aber möchte sich in seine Herberge begeben und dort den Bescheid erwarten. Darauf überreichte der Bote die Geschenke und nahm seinen Abschied.

Nun wurde die Sache selbst verhandelt, aber da war guter Rat teuer.

Zuerst nahm der Bürgermeister Henke das Wort. 136 »Gnädige Herren,« sagte er, »so dieser ungebräuchliche, aufgedrungene Zins dergestalt dem Großfürsten versiegelt wird, so kommen wir mit Weib und Kind in die äußerste Dienstbarkeit. Wo ist es, seit die Welt steht, erhört, daß deutsche Männer, ohne sich bis auf das äußerste zu wehren, Pflichtverwandte des Türken oder des Moskowiters wurden! Darum meine ich, daß wir in diesen Zins nun und nimmermehr willigen dürfen, sondern bei unserer deutschen, christlichen Obrigkeit allezeit bleiben sollen.«

»Ehrbarer Herr,« erwiderte darauf der Stiftsrat Wrangel, »das mag sich also verhalten, wie Ihr sagt, aber ich frage Euch, ob denn der Großfürst dem Spiel ruhig zusehen wird, wenn sein Gesandter mit den alten Siegeln wieder zu ihm kommt. Zieht er aber ins Feld, wie er doch gewiß thun wird, so weiß ich nicht, wie wir ihn bestehen sollen, denn was im Land ein Schwert heben kann, liegt mit dem Herrmeister bei der Bauschkenburg wider den Pollacken und Litauer zu Felde. Daß wir Stiftischen aber mit unseren wenigen Dienern gegen den Großfürsten das Feld nicht halten können, wird Euerer Weisheit mit nichten verborgen sein.«

Es entstand eine peinliche Pause, denn es gab hier in der That keinen Ausweg. Da nahm der Kanzler das Wort und entwickelte seinen Plan, der allgemeinen Beifall fand. Man sollte zwar das Siegel der Gesandten durch das bischöfliche ersetzen, aber gleichzeitig notariell zu Protokoll geben, daß man ohne des Kaisers Einwilligung nicht berechtigt sei, in diesen Zins zu willigen. Außerdem sollte man sich sofort mit der Bitte an den Kaiser wenden, den Großfürsten durch 137 eine Gesandtschaft zu beschicken und für Livland einzutreten.

Der alte Haus Krabbe protestierte vergeblich. »Wenn wir den Zins versiegeln,« rief er, »so muß er gehalten und gegeben werden oder das Land wird verheert und verbrannt. Dazu hat sich der Großfürst mit aller Macht vorlängst gerüstet. Das weiß ich.«

»Ehrbarer Herr,« erwiderte darauf der Kanzler ungeduldig, »Ihr mögt auf Flachs und Bockshäute wohl einen besseren Verstand haben als auf solche Händel.«

Da behielt die Meinung des Kanzlers den Schluß, und alle gingen vorläufig auseinander.

Eilhard hatte hinter seines Vaters Stuhl stehend, den Verhandlungen beigewohnt. »Vater,« sagte er jetzt, als beide ihrem Hause zuschritten, »glaubt Ihr, daß der Kaiser uns wird helfen können?«

»Ja und nein, Elert. Immerhin war dies die einzige freie Pforte.«

»Wir sollten uns selbst helfen, Vater. Haben wir doch zu Meister Plettenbergs Zeiten den Moskowiter allein niedergeworfen.«

»Das waren andere Zeiten, Elert. Wir waren damals andere, und der Moskowiter war auch ein anderer. Im übrigen geht ja auch meine Meinung dahin, Elert, daß wir uns selbst helfen sollen, aber um das zu können, müssen wir Zeit haben. Die können wir, will's Gott so gewinnen. Uns liegt der lange Frieden noch in den Gliedern wie einem, der abends einen guten Rausch gehabt hat, am Morgen der Schlaf. Aber wir werden wach werden. Wir müssen nur 138 Zeit haben. Ist's nicht anders, so will ich selbst an des Moskowiters Hoflager und zusehen, wie ich dem allgemeinen Lande dienen kann.«

»Vater,« rief Elert, »ich wollte wohl, wir ritten morgen wider den Reußen.«

Herr Kruse sah seinen Sohn wohlgefällig an. »Recht so, Elert,« erwiderte er, »und ich weiß, daß du dich ritterlich halten würdest, aber das sind subtile Händel, die sind mit dem Dreinschlagen nicht abgethan.«

Am folgenden Tage wurde der russische Bote wieder auf das Schloß geführt und das Siegel der Gesandten durch das bischöfliche ersetzt. Wie nun die Notarien den Protest aufnahmen, fragte der Russe, was das zu bedeuten habe. Als Hans Krabbe ihm Bescheid gab, rief er trotzig: »Was hat mein Herr mit dem Kaiser zu thun? Gebt mir den Brief. Wenn Ihr meinem Herrn den Zins nicht bringt, wird er ihn wohl holen.«

Damit nahm der Bote den Brief und steckte ihn in seine Brusttasche. In der Herberge aber gab er ihn in Gegenwart zweier Hofjunker des Bischofs seinem Diener, damit er ihn in eine beschlagene Lade legen sollte. »Laßt uns das Kalb wohl verwahren und sorgen, daß es fett werde,« sprach er. »Ihr aber,« fuhr er zu den Junkern gewendet, fort, »sorgt dafür, daß es euch an Nahrung für dieses Tier nicht fehlt, denn es wird einen tüchtigen Appetit haben, wenn es zu Jahren gekommen ist.« 139



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