Theodor Hermann Pantenius
Die von Kelles
Theodor Hermann Pantenius

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Elftes Kapitel.

Es war nachmittags. Die Ernte war in vollem Gange und ein schwerbeladener Wagen nach dem anderen schwankte durch das Thor von Kelles. Die Frauen saßen mit ihren Handarbeiten unter der Linde und erfreuten sich an der warmen Luft und dem blauen Himmel. Da ritt einer der Kruseschen Diener auf den Hof und überbrachte Frau Katharina ein Schreiben ihres Gemahls. »Wie geht es den Herren?« fragte sie, indem sie sich anschickte den Brief zu öffnen. »Es ist doch nicht etwa zum Schlagen gekommen?«

»Nein,« erwiderte der Diener, aber die Frauen erkannten jetzt, daß er eine schlimme Kunde brachte. Während Frau Katharina den Brief durchflog, bestürmten die Ahne und die jungen Mädchen den Diener mit Fragen. Allmählich erfuhr man dann, wie alles so gekommen war und daß Eilhard bereits in den nächsten Tagen den Heimweg antreten sollte. Damit kehrte denn in aller Wangen das Rot wieder zurück. »Mein tapferer Junge,« sagte Frau Katharina mit Stolz, »er ist natürlich in der ersten Reihe gewesen.« »Gott sei gedankt, der unser Kind vom Rande des Grabes noch zurückgerissen hat,« rief die Ahne. »Daß er sich in der Feldschlacht nicht zurückhalten würde, wußte ich wohl.« Anna sprach kein Wort, aber aus ihrem Herzen stieg ein heißes Dankgebet empor. So hatten ihre Kasteiungen doch geholfen. Barbaras erster Gedanke war: »Das muß ich Bonnius 175 erzählen. Der Elert ist nun doch nicht ein solcher Duckmäuser wie Bonnius glaubt.«

Bonnius war auf einen der neuen Bauernhöfe gefahren und hatte, wie er nicht selten that, die kleinen Mädchen mitgenommen. Barbara mußte zwei endlose Stunden warten, bis das Wägelchen endlich ihn und die Kinder brachte. Dann aber eilte sie alsogleich auf ihn zu. »Es ist ein Brief da vom Oheim,« rief sie. »Elert hat gefochten wie ein Löwe und hat eine schwere Kopfwunde davongetragen. Man hat ihn nach Riga gebracht und dort haben ihn die Arzte wieder gesund gemacht, so daß er bald heimkehren wird.«

Bonnius hob erst das eine kleine Mädchen und dann das andere aus dem Wagen. »Ist es denn zu einer Schlacht gekommen?« fragte er.

»Ja – nein, d. h. nicht mit den Polen, aber die Herren sind mit den Landsknechten aneinander geraten und dabei ist Elert verwundet worden.«

»Also bei einer Rauferei!«

Barbara ließ den Kopf hängen. »Aber er hat sehr tapfer gekämpft,« sagte sie nach einer Weile, indem sie wieder aufblickte.

Bonnius lächelte. »Ja, wenn das Bier im Manne ist, dann wird auch das Lamm zum Wolf,« erwiderte er. »Das trunkene Raufen verstehen die hiesigen Junker aus dem Grunde, aber eine Feldschlacht, – das ist ein ander Ding.«

Barbara blickte mit leicht gerunzelter Stirn zu Boden. Bonnius hatte gewiß recht, es war ein Raufhandel gewesen, wie er unter Trunkenen alle Tage vorkommt. Mit dem Elert war aber auch in der That ganz und gar kein Staat zu machen. 176

»Mit den Landsknechten ist schlecht Kirschen essen,« fuhr Bonnius fort, »bei denen ist Stahl wohlfeil wie Brombeeren und sie fragen nichts darnach, ob ihr Spieß durch eines Edelmannes oder eines Bauern Brust fährt.«

Die kleinen Mädchen verlangten jetzt so stürmisch Auskunft, daß Bonnius sich ihnen widmen mußte.

Barbara hörte schweigend zu. Sie war in innerster Seele verstimmt. Ja, diese Junker! Wie das prahlte, so lange es auf der Bierbank saß, während sie doch, sobald es zu einem Kriege kommen sollte, immer wieder zurückwichen. Wenn der Elert so tapfer gewesen war, war das gewiß nur geschehen, weil er geglaubt hatte, die Landsknechte würden gegen ihn, den Sohn des Stiftsvogts von Dorpat nicht Ernst machen. Es war nur gut, daß er sich geirrt hatte und daß es auch unter einfachen Leuten Männer gab, die sich von denen vom Adel nichts gefallen ließen. Wenn Bonnius hätte ein Kriegsmann werden dürfen, so hätte es vor ihm auch kein Ansehen der Person gegeben. Ja, das adlige Blut thut es nicht allein, es muß auch ein adlig Gemüt dazu kommen.

Jetzt kam auch Frau Katharina auf die Gruppe zu. »Hat Bärbchen Euch erzählt?« fragte sie. »Elert hat gefochten wie ein Löwe und ist am Kopf schwer verwundet worden, jetzt aber ist er wieder wohlauf und kommt heim.«

»Wie ist denn das zugegangen, gnädige Frau?«

»Da unten in Semgallen liegt eine Burg,« berichtete Frau Katharina, »die heißt die Annenburg. Bei der haben die von Thedingsheim über Mittag gehalten. Wie sie nun wieder aufgebrochen, da haben sie gesehen, wie Landsknechte 177 in den Höfen der Undeutschen plünderten. Das haben sie ihnen gewehrt und darüber sind sie in einem Walde aneinander gekommen. Einer hat Elerts Hengst totgestochen und ein anderer ihm mit dem Zweihänder auf den Kopf geschlagen, daß der Hieb noch durch die Sturmhaube gedrungen ist.«

»Das war gleich nach dem Aufbruch vom Mittagsmahl?«

»Wie so? Was meint Ihr?«

»Ich fragte nur so.«

»Die Junker,« fuhr Frau Katharina fort, »sind böse ins Gedränge geraten, denn auf jeden von ihnen sind zehn Landsknechte gekommen. Zum Glück hat sich endlich ihr Obrister ins Mittel gelegt, und ist mit dem Fähnlein abgezogen.«

»Das war ein Glück, gnädige Frau,« sagte Bonnius, »denn die Landsknechte sind, wenn sie Ernst machen, gar gefährliche Kriegsleute.« Bonnius blickte bei diesen Worten auf Barbara und sie sah auf ihn.

Beim Abendessen erzählte Bonnius einen Schwank von den Landsknechten. »In einer Schlacht,« berichtete er, »waren viele Landsknechte umgekommen. Da sie nun meinten, daß sie doch zur Hölle müßten, thaten sie sich nach Kriegsbrauch zusammen und liefen hinunter. Wie der Teufel sie also anrücken sah, erschrickt er, schlägt das Höllenthor zu und läßt keinen hinein. ›Liebe Gesellen,‹ spricht der Thürhüter, ›weicht von hinnen, hier können wir euch nicht brauchen, denn ihr schlagt uns alle Kessel und Pfannen kurz und klein. Zieht hinauf in den Himmel zu den Gerechten.‹ Damit zeigt er ihnen den Weg nach oben. Wie sie nun 178 vor die Himmelsthür kommen, spricht St. Petrus: ›Geht bald weg. Ihr seid Männer des Blutes und ihr könnt nirgend Ruhe halten. Was sollt ihr hier in der ewigen Ruhe?‹ Spricht der Gemeinweibel: ›Wo sollen wir denn aber hin? Da unten nehmen sie uns auch nicht auf.‹ Spricht St. Peter: ›Fort von hier, ihr seid Lästerer und Gottesschänder!‹ ›Was?‹ schreit der Gemeinweibel ›hat der Fuchs dem Wolf des Raubes wegen Vorwürfe zu machen? Hast du denn nicht auch deinen Herrn dreimal fälschlich verleugnet?‹ Da wird St. Peter schamrot und spricht: ›Schreit doch nicht so, daß jedermann euch hören kann. Tretet nur ein, lieben Freunde und macht es euch bequem.‹«

So erzählte Bonnius und er knüpfte daran noch viel Interessantes von der Landsknechte Leben und ihren Bräuchen. Dann sang er auch mit seiner wohllautenden Stimme ein paar Landsknechtlieder. Barbara lauschte den Erzählungen wie den Liedern mit glühenden Wangen. Es war doch ein Jammer, daß dieser Mann nicht hatte ein Kriegsmann werden können! »Kennt Ihr auch noch andere Lieder?« fragte Barbara.

Da sang Bonnius dieses Lied:

O du mein herzallerliebster Schatz,
Ein Brünnlein hör ich springen.
Wer einen lieben Buhlen hat,
Mag wohl mit Freuden singen.

O du mein herzallerliebster Schatz,
Ein Blümlein seh ich sprießen.
Wer einen lieben Buhlen hat,
Der mag sein wohl genießen 179

O du mein herzallerliebster Schatz,
Nun geht es an ein Scheiden.
Wer einen lieben Buhlen hat,
Viel Kummer muß er leiden.

O du mein herzallerliebster Schatz,
Sie haben dich erschlagen.
Wer einen lieben Buhlen hat,
Der muß wohl ewig klagen.

O du mein herzallerliebster Schatz,
Ein Glöcklein, das thut klingen.
Wer einen lieben Buhlen hat,
Das Herz muß ihm zerspringen.

O du mein herzallerliebster Schatz,
Ein Blümlein that verderben.
Wer einen lieben Buhlen hat,
Mit Freuden mag er sterben.

Die Melodie und die Worte des Liedes prägten sich Barbara für alle Zeit ein. »Wie das seltsam ist,« dachte sie, als sie am Abend nach ihrer Gewohnheit halbausgekleidet auf ihrem Bett saß, »wie das seltsam ist, daß in den Liedern auf das Lieben immer gleich das Scheiden folgt, und das Verderben. Aber freilich:

Wer einen lieben Buhlen hat, Mit Freuden mag er sterben.«

Ein seltsames Gefühl, gemischt aus Grauen und Wonne durchzog Barbaras Seele und Leib.

Wer einen lieben Buhlen hat,
Mit Freuden mag er sterben.

Nach einer Woche saß auch Eilhard unter der Linde. Er sah krank und elend aus. Die Wunde hatte ihn doch 180 sehr angegriffen und die Kopfschmerzen stellten sich viel häufiger als bisher ein. Anfangs kam Bonnius oft zu ihm und suchte ihn zu zerstreuen, aber als er zu bemerken glaubte, daß seine muntere Art Eilhard nicht wohlthat, hielt er sich zurück. Barbara vermied jedes Alleinsein mit dem Vetter ängstlich und regte ihn dadurch nicht wenig auf, aber Eilhard ließ sich in seiner verschlossenen Art nichts merken. Nur Anna gegenüber, die ihn mit der größten Treue pflegte, gab er der Unruhe, die ihn erfüllte, mitunter Worte und beide zerbrachen sich vergeblich den Kopf über das veränderte Wesen des früher so offenen Mädchens. Die Ahne und Frau Katharina lächelten zu der Veränderung, die sich vor ihren Augen vollzog. »Ein liebendes Mädchen will eben umworben sein,« dachten sie. Barbaras Zurückhaltung war ihnen um so lieber, als sie dieselbe von dem lebhaften Mädchen nicht erwartet halten.

Eilhards Wunde wurde nicht besser, sondern schlimmer, und der berühmte Dr. Bellermann in Dorpat erklärte schließlich, daß er für nichts stehe, wenn er den Kranken nicht täglich sehen könne. So siedelte denn Frau Katharina, noch ehe der erste Schnee fiel, mit der Familie nach Dorpat über.

Eilhards Krankheit und der Umstand, daß der Stiftsvogt fast immer verreist war, bewirkten, daß das Krusesche Haus sich an dem bunten geselligen Treiben in diesem Winter fast gar nicht beteiligte, so daß die jungen Herren vom Adel die Empfindungen, welche sie für die jungen Mädchen desselben hegten, meist nur dadurch an den Tag legen konnten, daß sie in ihren prächtigsten Kleidern und auf ihren stattlichsten Hengsten möglichst oft die Breite Straße entlang ritten oder 181 nach Schluß des Gottesdienstes den Hut mit besonderer Grazie schwenkten. Irgend welcher Auszeichnung konnte sich freilich keiner von ihnen rühmen. Auch das heftigste Pferdegetrampel auf der Straße rief niemand ans Fenster des Kruseschen Hauses und wenn die Jungfrauen aus der Kirche kamen, schlugen sie die Augen nicht auf. »Das Kellessche Haus ist das reine Kloster,« erklärte Heinrich Hahn einmal »und das junge Frauenzimmer besteht aus lauter Nonnen. Anneken Nötken steht das noch allenfalls zu Gesicht, aber daß Bärbchen Thedingsheim einmal über die Gasse gehen würde, als ob jeder Pflasterstein ein Spiegel sei, hätte ich meiner Treu nicht gedacht.« »Gott verdamme mich,« stimmte Wolmar Wrangel zu, »wenn ich es je für möglich gehalten hätte, daß dieser Sommervogel zu einem treuen Hunde werden könnte, der nicht vom Stuhle seines Herrn geht.« »Laßt es gut sein,« meinte Elert Dücker, »wenn eine mit solchen blonden Zöpfen erst einmal Feuer fängt, dann ist auch kein Löschen mehr. Im übrigen gönne ich es dem Elert. Er war doch immer ein wackerer Junge und wenn er auch vor einer Klappkanne Fersengeld gibt, hat er sich vor dem Feinde doch ritterlich gehalten.«

Der von Hahn zuckte die Achseln. »Er war immer ein Duckmäuser,« erwiderte er, »und wer mir gesagt hätte, daß Bärbchen Thedingsheim jemals mit einem Buhlen zufrieden sein würde, der drei Tage in der Woche an der Kopfpein darniederliegt, den hätte ich einen Narren geheißen. Die brauchte, meinte ich, einen Junker, der beim Tanze drei Hände höher springt, als selbst ihr Bruder, dem das Schwert locker in der Scheide sitzt und der so wenig in eine leere 182 Klappkanne sehen mag, wie ein Hund. Aber lerne einer die Weiber kennen. Die eine thut, als ob sie, sobald sie aus dem Stalle kommt, alles kurz und klein schlagen würde, ist sie aber erst unterm Sattel, so kann sie ein Kind reiten; die andere steht da wie ein Lamm und wirft doch nachher den Reiter über den Hals, und geht durch, daß die Funken stieben.«

Es war in der zweiten Hälfte des Novembers. Den ganzen Tag über hatte es zugleich geschneit und geregnet. Gegen Abend wurde der Wind zum Sturme und fuhr sausend über die Stadt weg. Die Schilde über den Thüren der Handwerker ächzten und kreischten, die Fenster klirrten von Zeit zu Zeit in den Rahmen, in den Schornsteinen brauste es. Im Saale der Kruseschen Wohnung saß Eilhard vor dem großen Ofen, in dem mächtige Holzscheite brannten und blickte, den Kopf an die Lehne des Stuhles gedrückt, gedankenvoll in das Feuer. Neben ihm hatten um einen runden Tisch die Frauen und Anna mit ihren Arbeiten Platz genommen, während Barbara den kleinen Mädchen in der halbdunklen Ecke halblaut ein Märchen erzählte.

»Seltsam,« dachte Eilhard, »als ich zurückkam, hatte ich so viele Pläne. Ich wollte dem Vater in der Wirtschaft zur Hand gehen, dazu Sorge tragen, daß Gottes Wort überall lauter und rein verkündet, dem päpstlichen Greuel gewehrt, die Jugend gelehrt würde. Aus dem allen ist über dem ewigen Jubeln rein nichts geworden. Nun, da die Gäste ausbleiben, fehlt wieder die Kraft. Ja, wozu bin ich denn gut und wie soll Bärbchen einen Mann lieb haben, 183 der zu nichts gut ist! Sie mag mich nicht, aber wen mag sie denn? Keinen? Nimmermehr, sonst wäre sie nicht so verändert. Aber wen liebt sie? Werner Thedingsheim? Nein. Konrad Vietinghof? Auch nicht. Heinrich Taube? Nein. Reinhold Stahlbiter? Nein. Mich mag sie nicht leiden. Wie soll sie auch! Wenn ich wenigstens wäre, wie Jürgen Nötken. Glücklicher Jürgen, du kannst mit dem Vater reiten, ich aber hocke hier, wie ein zerschossener Vogel, während er sich für den gemeinen Nutzen zu Schanden reitet. Was sie nur in Wenden ausmachen werden! Ich sehe es kommen, der Vater wird mit Jürgen nach der Moskau ziehen, und ich werde daheim bleiben mit den Weibern wie ein Knabe.«

Eilhard stöhnte laut. Anna sprang schnell auf. »Kann ich dir helfen, Elert?« fragte sie.

Eilhard schüttelte den Kopf.

»Soll Anna dir vorlesen, Elert?« fragte Frau Katharina. »Aus der h. Schrift?«

Eilhard nickte.

Anna las vor. Es war die Stelle von dem vergrabenen Pfunde. »Großer Gott,« dachte Eilhard. »wenn ich nun dahin fahre in meinen Sünden und du fragst mich, was ich mit meinem Pfunde gethan habe?«

»Anna, bitte, höre auf.«

Anna schlug das Buch zu.

In dem Märchen, das Barbara in ihrer Ecke den Kindern erzählte, war mehrfach von einem Stein die Rede. »Wie du komisch sprichst,« sagte Christinchen; du sagst immer Stein statt Schtein, ganz wie Bonnius.« 184

»Für heute ist's genug,« erwiderte Barbara, stand auf und ging an den Tisch zu den übrigen. »Was ist heute für ein Wochentag?« fragte sie.

»Dienstag, Bärbchen.«

»Wirklich erst Dienstag, Ahne?«

Am Sonnabend kam Bonnius zur Stadt. Dann hörte man doch wieder einmal fröhliches Lachen.

Barbara setzte sich an die Eilhard entgegengesetzte Seite des Tisches.

Um den Kranken zu zerstreuen, begann die Ahne von ihrer Jugend zu erzählen. Alle kannten diese Erzählungen schon, aber man hörte sie gern immer wieder. Mit den Üxküllschen Mädchen war damals Gretheken Risbiter erzogen worden, ein überaus munteres junges Ding, von der die Ahne manchen lustigen Streich zu erzählen wußte. »Armes Gretheken,« schloß sie, »wo magst du deinen blonden Kopf, in dem soviel lustige Einfälle steckten, zur ewigen Ruhe niedergelegt haben!«

»Was wurde aus Gretheken, Ahne?« fragte Eilhard. Er kannte die Antwort auf diese Frage längst und that sie ganz mechanisch, nur um die Ahne zu veranlassen, weiter zu sprechen.

»Das arme Gretheken,« sagte die Ahne. »Auf ihres Vaters Hof war ein Schreiber. Den gewann sie lieb und ging mit ihm davon. Die Risbiters waren außer sich über die Schande und der ganze Adel fahndete nach dem Schelm und dem Mädchen, aber man hat sie nicht eingefangen.«

Barbara hatte diese Geschichte oft gehört, ohne sich sonderlich viel dabei zu denken, heute aber wirkte sie auf sie wie ein Blitzstrahl, der dem Wanderer den Abgrund zeigt, 185 auf den er zuschreitet. Großer Gott, ein Fräulein konnte einen Schreiber lieb gewinnen! Sie, Barbara Thedingsheim liebte einen Schreiber! Was sollte daraus werden?

»Es war ein Glück, daß man sie nicht fing,« fuhr die Ahne fort. »Die Risbiters hätten beide niedergestochen, ihn und sie.«

Alle schwiegen eine Weile. »Die Dirne!« sagte Eilhard laut.

Barbara warf ihm einen haßerfüllten Blick zu. Wie wagte er es, so über ein armes Mädchen zu urteilen, das doch nichts gethan hatte, als daß es um seiner Liebe willen alles hingab, was ihm teuer war auf Erden. Um Elerts willen würde das freilich keine thun.

Das Holz im Ofen knisterte und zischte. Die Funken sprühten, der Sturm trieb eine Wolke Rauch ins Zimmer.

»Bärbchen,« bat Eilhard, »erzähle doch auch uns das Märchen, das du vorhin den Kindern vortrugst!«

»Nein,« erwiderte Barbara hart.

Eilhard blickte sie erschreckt an. Das, was ihm da aus ihren Augen entgegenblitzte, war unverkennbar Haß, bitterer Haß! Womit hatte er den verdient?

»Du könntest gegen Eilhard freundlicher sein, Bärbchen,« bemerkte Frau Katharina unwillig. »Wenn du auch seine Bitte nicht erfüllen willst, so brauchst du ihn deshalb noch nicht so anzufahren.«

Es herrschte ein peinliches Schweigen. Man hörte, wie die Hausthüre geöffnet und vom Sturmwind wieder zugeschlagen wurde. Feste Tritte kamen die Treppe herauf, dann trat Jürgen Thedingsheim ins Zimmer. 186

»Brrr!« sagte er, »das ist ein Sturm draußen, als ob das ganze Nest weggeblasen werden sollte. Nun, wie geht es Elert? Kannst nicht zu Kräften kommen? Na, laß nur erst den Frühling wieder im Lande sein, dann werden die Blumen schon sprießen.«

Der von Randen nahm, nachdem er die Anwesenden begrüßt hatte, vor dem Feuer Platz. »Wovon spracht ihr?« fragte er.

»Die Ahne erzählte uns von Gretheken Risbiter,« sagte Christinchen. Die Kleine hatte die Erzählung zum erstenmal wenigstens einigermaßen begriffen und ihre Phantasie war von ihr erfüllt.

»Das ist eine alte Geschichte,« meinte der von Randen. »Gleich zu gleich gesellt sich gern. Der Adel von der Frau von Risbiter Geschlecht war, glaube ich, jünger als meine alten Stiefel an der Wand. Daran mögen auch die Söhne gedacht haben. Wäre es anders, sie hätten nicht geruht, bis sie die beiden fingen und den Schelm an den Baum, die Metze aber ins Wasser brachten.«

»Laß es gut sein, Jürgen,« bemerkte die Ahne, »die Risbiters brachten damals das ganze Land in Bewegung.«

Der von Randen zuckte die Achseln. »Ich hätte sie gefunden. Merke es dir, Bärbchen, wenn du auf solche Gedanken kämst, ich würde dich finden und wenn du dich unter der Erde verstecktest.«

»In diesem Punkt kannst du ruhig sein,« erwiderte Frau Katharina.

»Na, wer weiß, Muhme,« scherzte der von Randen. »Euer Bossius, oder wie oder Kerl sonst heißt, ist ja ein 187 höchst schmucker Gesell und Ihr haltet ihn überdies wie einen Junker.«

Barbara klopfte das Herz zum zerspringen. Sie fühlte, daß aller Blicke auf sie gerichtet waren. Um keinen Preis durfte auch nur einer, auch nur vorübergehend mißtrauisch werden. Großer Gott, sie waren imstande ihn auf den bloßen Verdacht hin niederzustoßen!

»Das sind deiner ganz würdige Späße, Jürgen,« erwiderte sie. »Erwäge doch lieber gleich, was du thun würdest, wenn ich mit Hans davon liefe. Ein hübscher Scherz für zwei Thedingsheimsche Geschwister.«

In Eilhard war in der That blitzschnell ein Verdacht aufgetaucht, aber Barbaras Antwort beschämte ihn. »Du mußt Jürgen nicht zürnen,« sagte er, »gerade, weil so etwas unmöglich ist, kann man darüber im Scherz reden.«

Auch der Bruder lenkte ein. »Ich habe dich nicht kränken wollen,« sagte er. »Du wirst nicht glauben, daß ich im Ernst fürchtete, meines Vaters Tochter könnte einen schlechten Gesellen lieb gewinnen.«

Barbara schwieg, aber sie blickte den Bruder an, als ob er im Begriff sei, sie auf Tod und Leben anzufallen. Es war ein furchtloser Blick, aber auch ein verzweifelter. So blickt ein Kämpfer, der mit Ehren fallen wird, der aber weiß, daß er verloren ist.

»Es ist nur gut,« sagte Eilhard, indem er ins Feuer blickte, »daß seit der Einigung des Adels zu Pernau von anno 1543 dergleichen nicht wieder vorkommen kann.«

»Was ist da beschlossen?« fragte Frau Katharina.

»Wenn eine Jungfrau vom Adel sich mit einem schlechten 188 Gesellen vergeht, sollen beide geschmächtigt werden,« war die Antwort.

Eilhard dachte sich bei seinen Worten weiter nichts und er ahnte nicht, daß sie ihn für ewig von dem Mädchen schieden, an dem seine ganze Seele hing. Wie sie ihn haßte! Sie hatte ihn bisher in ihren Gedanken immer den Domherrn genannt, von jetzt ab hieß er »der Dompfaffe.«

»Der Oheim ist noch in Wenden?« fragte Jürgen Thedingsheim.

»Ja, er betreibt den Handel mit dem Moskowiter.«

Der Junker lächelte. »Der Ohm macht zu viel Wesen von den Reußen,« sagte er. »Laß sie doch nur herankommen, wir wollen ihnen schon den Schweinigel aus dem Pelz klopfen.«

»Der Vater meint, daß wir das nicht können. Seit der Moskowiter die Tatern von Kasan und Astrachan gefressen, sei er uns zu stark geworden.«

»Gefressen mag er sie haben,« versetzte der von Randen lächelnd, »aber ob er sie verdaut hat? Ich meine, wenn wir an die Thore der Pleskau klopfen, werden die Tatern einherfahren und den Großfürsten selber beim Kragen nehmen. Ich denke immer, der Reuße dankt Gott, wenn wir ihn in Ruhe lassen. Er wird sich wohl hüten in deutsche Schwerter zu greifen. Hinter uns stehen Kaiser und Reich. Er mag mit den Tatern fertig werden, aber wider uns zu kriegen ist er so geschickt wie der Esel zum Sackpfeifen.«

Wieder ging unten die Hausthüre, diesmal mehrmals. Man hörte schwere Stiefel stampfen und Sporen klirren. 189

»Das sind sie!« riefen Frau Katharina, Anna, die Kinder. Alle eilten hinaus, auch Barbara.

»Es ist beschlossen,« sagte Herr Kruse, als man um die Abendtafel saß, »daß eine Gesandtschaft nach der Moskau geht und ich soll auch reiten. Ich wäre gern davon losgekommen, aber sie gaben mir keine Ruhe. Na, es muß gehen, wie es geht. Gott gebe dem keine Ruhe, der ein Ding besser macht, denn er kann! Mit mir soll Klaus Franke ziehen und Ostern künftigen Jahres sollen wir fort.«

»Ich darf mitreiten, Elert,« rief Jürgen Nötken.

»Du Glücklicher.« sagte der von Randen. »Nimm nur reichlich Wolle mit, dir die Nase zu verstopfen. Die Kerle stinken abscheulich.«

»Du siehst unterdessen in Kelles nach dem Rechten, Elert,« sagte der Stiftsvogt freundlich. »Das thut not, denn die Fahrt wird manchen Gulden kosten.«

Eilhard nickte dem Vater wortlos zu. Er war tief unglücklich. Wozu war er gut, er, der Schwächling!

»Gott sei Dank, daß du wenigstens bei uns bleibst,« rief Anna, »wir Frauen wären sonst ganz verlassen.«

»Ja,« sagte Frau Katharina. »Das ist so schön, wenn der Sohn mannbar ist. Da bleibt immer noch ein Herr im Hause.«

»Ja wohl,« dachte Barbara grimmig. »Was dieser Herr wohl anfangen würde ohne den schlechten Gesellen.«

In dieser Nacht blieb Barbara zum erstenmal in ihrem Leben bis zum Morgen wach. Durch die Entdeckung, die sie gemacht und die furchtbare Warnung, die sich unmittelbar an sie geknüpft hatte, war mit einem Schlag aus einem 190 sorglosen Kinde ein schwer bedrängtes Weib geworden. Sie mußte Bonnius entsagen, nicht um ihretwillen, was lag an ihr – sondern um seinetwillen. Sie kannte ihren Bruder, sie wußte, wie alle die Ihrigen über diese Dinge dachten. Wenn er nur die Hand nach ihr auszustrecken wagte, war er verloren.

Und doch klammerte sich ihre ganze Seele an diesen Mann. War er nicht tausendmal ritterlicher und mannhafter als »der Dompfaffe« und die Junker alle!

Wie hatte sie sich auf den Frühling gefreut, der sie wieder nach Kelles bringen sollte, zu ihm. Nun schrak sie entsetzt zurück vor jenen Tagen, die ganz unerträglich werden mußten.

»O du mein herzallerliebster Schatz,
Ein Brünnlein hör ich springen.
Wer einen lieben Buhlen hat,
Mag wohl mit Freuden singen,«

klang es in ihr wieder. O Gott, daß sie mit Freuden sang, das konnte nimmer geschehen!

Sie mußte ihn fahren lassen, noch ehe sie ihn hielt. O warum war sie Johann von Thedingsheims Tochter und nicht lieber des armseligsten Mannes Kind! Daß Bonnius sie auch dann nicht hätte fahren lassen, des war sie sicher. Sollte sie aber schwächer sein, als er? Was gingen sie die Ihren an? Sie wollte ja nichts von ihnen. Mochten sie sie verdammen, ihre Habe an sich reißen, ihren Namen auslöschen, wenn sie sie nur gewähren ließen. Aber das thaten sie nimmermehr. Nein, sie mußte entsagen, nicht um 191 ihretwillen, sondern um seinetwillen. Er durfte nicht verbrannt werden!

»O du mein herzallerliebster Schatz,
Nun geht es an ein Scheiden.
Wer einen lieben Buhlen hat,
Viel Kummer muß er leiden.«

So sann das unglückliche Mädchen und suchte vergeblich im Gebet Kraft und Trost. Denn übermächtig war die Liebe, die Jürgen von Thedingsheims Schwester band an den »schlechten Gesellen« von Kelles.



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