Theodor Hermann Pantenius
Die von Kelles
Theodor Hermann Pantenius

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Vierzehntes Kapitel.

Aus dem Frühling war der Sommer geworden und die Strahlen der Nachmittagssonne lagen heiß auf dem Hofe von Kelles. Im Wohnhause schlief alles oder hielt sich wenigstens still, denn die Hitze hatte auf jedermann ihre erschlaffende Wirkung geübt. Am erträglichsten war es noch in den nach Norden gelegenen Zimmern und unter diese gehörte das Gemach, in welchem die Bücherei und das Archiv des Stiftsvogts untergebracht waren. Es war eine große zweifenstrige Stube, deren vergitterte Fenster auf einen schmalen Raum 228 hinausgingen, der sich hier zwischen Haus und Staket hinzog und der für gewöhnlich nur von den Hühnern besucht wurde, die hier auf Regenwürmer Jagd machten.

In diesem Zimmer saß Bonnius heute und studierte in einer alten Urkunde, aus der er Aufklärung über den Lauf der Gutsgrenze suchte. Aber er kam nicht weit damit, denn er bemerkte, daß während seine Augen auf den Schriftzügen weilten, seine Gedanken ihre eigenen, weit abliegenden Pfade wandelten. Er legte daher die Urkunde auf den Tisch, lehnte sich im Stuhle zurück, kreuzte die Arme über der Brust, schloß die Augen und gab den Gedanken freie Bahn.

Bonnius hatte einen Vetter und Jugendgespielen in Lübeck, der ihm ganz ergeben war. Es war mehr als eine herzliche Freundschaft, die sie verband, denn unseres Bonnius Vater hatte den Neffen ganz erzogen und der Sohn ihm einst mit eigener, höchster Lebensgefahr das Leben gerettet. Der Vetter, Hinrich Bonnius, hatte in Lübeck sein Glück gemacht, denn es war ihm nach dem Tode des Kaufherrn, dem er seine Dienste widmete, dessen Geschäft zugleich mit der jungen Witwe zugefallen. Hinrich Bonnius war jetzt ein sehr wohlhabender Mann.

An diesen Vetter nun hatte Franz Bonnius vor ein paar Wochen geschrieben, ihm mitgeteilt, daß er ein Fräulein von Adel zu entführen gedenke und ihn um seine Unterstützung gebeten. Er hatte dabei die ungeheuere Gefahr, der er sich aussetzte, nicht verschwiegen, zugleich aber betont, daß er ohne die Jungfrau nicht leben könne und tausendmal lieber verderben, als freiwillig von ihr lassen wolle.

Jetzt folgte er in Gedanken dem Brief und suchte sich 229 zu vergegenwärtigen, welche Aufnahme er wohl finden würde. »Hinrich wird mich nicht im Stich lassen,« dachte er, »und er wird auch jemand in Riga haben, der uns dort Unterschlupf bietet, bis ein Schiff uns nach Deutschland bringt. In Lübeck werden wir ja nicht bleiben können, und im Braunschweigischen auch nicht, aber die Welt ist groß, und sind wir erst aus dem Lande, so finden wir schon irgendwo einen Ort, wohin die Hand der Thedingsheim nicht reicht. Das schwierigste ist aus dem Lande zu kommen, aber auch das muß gelingen, wenn wir nur in Riga einen Helfer finden. Wir! Bin ich denn aber auch so sicher, daß Bärbchen mir wird folgen wollen?« Bonnius lächelte.

Es war so still im Gemach, im Hause, in der Welt. Nur die Fliegen summten, aber auch das eintönig, verschlafen. Die Grenze, welche das Träumen des Wachenden von dem des Träumers unterscheidet, war überschritten. Ein schnell fließender Bach eilte plätschernd dem rauschenden Wehr zu, über das seine Wasser sich schäumend hinabstürzten. Auf dem Bach trieb ein losgelöstes Blatt der Wasserlilie, aber dieses Blatt war zugleich etwas Lebendes, das Anstrengungen machte, sich der Strömung zu entziehen. Wie lächerlich! Bonnius lächelte wieder. Diesmal im Schlaf. Aber er fuhr auf, denn er hörte einen leichten Schritt auf dem Korridor, den er unter Tausenden erkannt haben würde. Er sprang schnell auf und verbarg sich hinter dem Vorhang, der vor das Bücherregal gezogen war.

Die Thür ging auf und Barbara trat ein. Die Tante hatte am Vormittag das Siegel des Stiftsvogtes gebraucht und Barbara aufgetragen, es wieder an seinen Ort zu stellen. 230 Diese hatte es bisher versäumt und wollte nun den Auftrag ausführen. Als sie die Urkundenlade geöffnet sah und Bonnius' Hut erblickte, fuhr sie zusammen, denn sie hatte nicht geahnt, daß er hier sein könnte. Erschreckt blickte sie um sich, aber da trat er auch schon hinter dem Vorhang hervor und auf sie zu. Er breitete die Arme aus und sie sank hinein.

Vergeblich wollte sie, als sie zur Besinnung kam, das alte Verhältnis wieder herstellen. Seine starken Arme umschlangen sie, sein Mund bedeckte ihr Gesicht mit Küssen. – Was half die Erinnerung an die furchtbaren Gefahren, die ihnen drohten, wenn er lachenden Mundes schwur, daß er tausendmal lieber mit ihr verderben als ohne sie leben wolle. Die Strömung war allzustark, jeder Versuch eines Widerstandes vergeblich.

Bonnius setzte ihr, während sie auf seinem Schoß saß und ihren Kopf an seiner Brust barg, seine Pläne auseinander. Sie glaubte nicht an ihr Gelingen, aber sie fühlte, daß die Seligkeit, endlich in seinen Armen ruhen zu können, für sie auch mit dem Tode nicht zu teuer erkauft war.

In dieser Nacht hatte Barbara einen furchtbaren Traum. Randen, das Schloß ihrer Väter, stand in Flammen. Eine ungeheuere Lohe schlug aus den alten Mauern empor und färbte den Himmel und die Umgebung weit hin blutrot. Um die Flamme kreiste in weiten Bogen eine Schar Tauben. Eine dieser Tauben war Barbara. Sie fühlte, wie die Flamme eine seltsame Anziehungskraft auf sie ausübte. Sie hatte eine entsetzliche Angst vor dem Feuer und doch mußte sie die Kreise enger und enger ziehen. Heiß, erstickend, 231 verzehrend heiß schlug ihr die Glut entgegen – jetzt stieß Barbara einen Schrei aus und erwachte.

»Bärbchen, was hast du?« rief Anna, die sich jäh im Bett aufgerichtet hatte.

»Es ist nichts, Anna, ein Traum ängstigte mich,« war die Antwort.

Barbara schlief in dieser Nacht nicht wieder ein. Sie lag mit verschränkten Händen still da und ließ die Zukunft, wie sie sich voraussichtlich gestalten mußte, an sich vorüberziehen. Sie erschien ihr immer gleich verderbenbringend, selbst in dem Fall, daß Bonnius und sie der Verfolgung durch ihr Geschlecht entgingen. Auch dann war sie ein fahrendes Weib, losgelöst von allem, was ihr bisher lieb gewesen war. Aber sie dachte nicht daran, daß sich das alles noch ändern lasse. Sie gehörte zu Bonnius, als ob sie ein Teil von ihm geworden wäre, so hatte es ihr seliges, unseliges Schicksal gewollt.

Seit jenem Tage vernahmen die alten Urkunden im Archiv von Kelles oft heimliches Liebesgeflüster.

Bonnius war, in der Weise sehr leidenschaftlicher Menschen, im Grunde ein kalter, nüchterner Mann und er war klug. Nun war es, als ob diese Eigenschaften auch übergingen auf das Mädchen, in dessen Seele die seinige gleichsam überflutete wie in ein leeres Gefäß. Das Verhältnis wurde mit der größten Umsicht und Vorsicht fortgesetzt, so daß auch die schärfste Beobachtung nicht Verdacht schöpfen konnte. Nicht nur die Hausgenossen ahnten nichts, auch der schwarze Tönnies mußte berichten, daß er nichts wahrgenommen habe, was irgend verdächtig erscheinen konnte. 232

Von Moskau aus war durch Vermittelung eines russischen Bettlers ein Brief nach Livland gelangt, in dem Herr Kruse über den Großfürsten bitterlich klagte. Die Verhandlungen kamen nicht aus der Stelle, ein Ende derselben ließ sich nicht absehen.

Im Lande selbst vermittelten unterdessen die Gesandten des römischen Königs Ferdinand und der Herzöge Barnim und Philipp von Pommern zu Wolmar zwischen dem Erzbischof und dem Orden. Am 12. August vereinigte man sich endlich dahin, daß alles wieder auf den alten Fuß gebracht werden sollte. Die Bischöfe Hermann Weiland von Dorpat und Johann von Münchhausen von Ösel und Kurland sollten das Erzstift bis zur Restitution sequestrieren, der Koadjutor, Herzog Christoph von Mecklenburg Koadjutor bleiben, jedoch geloben, das Erzstift in keine weltliche noch erbliche Herrschaft zu bringen. Darauf kamen auf Verlangen des Königs von Polen der Herrmeister Fürstenberg, der Erzbischof Wilhelm und Herzog Christoph in das polnische Lager zu Poswol und dort erfolgte am 5. September der endgültige Friedensschluß.

Es mochte etwa vierzehn Tage später sein, als eines Nachmittags Bruno von Thedingsheim auf den Hof von Kelles ritt. »Guten Abend, Junker« redete er den ihm entgegen eilenden Eilhard an, »wenig fehlte, so hättet Ihr unsere Freunde in den langen Strümpfen wiedergesehen.«

»Wie das?« erwiderte Eilhard, »ich denke, Euer Handel mit dem Hauptmann ist doch durch den Herrn Herrmeister vertragen und gänzlich beigelegt?«

»So ist es, trotzdem hätten wir, so es nach Seiner 233 fürstlichen Gnaden Wunsch und Meinung gegangen wäre, es ansehen müssen, wie die frommen Landsknechte am Embach hausten wie damals an der Aa.«

»Was meint Ihr?«

»Nun die Herren vom Orden finden, daß sie ihre Rosenobel besser verwenden können, als indem sie mit denselben Hans Hau die tiefen Taschen füllen. Da schrieben sie denn an unseren gnädigen Herrn von Dorpat und fragten an, ob er der Gänsetöter nicht notwendig bedürfe wider den Moskowiter. Na, der gnädige Herr trat denn auch richtig schon bald mit einem Bein auf, bald mit dem anderen, wir vom Adel aber haben die Mäuler nicht zugehalten, so daß der Bischof wohl wußte, was der Zeiger bei uns geschlagen hat und wohin unsere Opinion ging. Da hat er sich denn freundlich bedankt, aber gemeint, die Reiter und Knechte würden das Stift kahl machen und mit Frauen und Jungfern allen Mutwillen treiben. Sollte aber das Land doch verdorben werden, so möchte das besser durch die Feinde als durch die Freunde geschehen. Na, ich hätte Sr. Ehrbarkeit Gesicht wohl haben sehen mögen, wie des Bischofs Brief an ihn gekommen und er eingesehen, daß wer das Bier getrunken hat auch die Zeche bezahlen muß.«

»Die Landsknechte hätten uns wahrhaftig gerade noch gefehlt,« rief Eilhard hitzig. »Ist es nicht genug, daß des Ordens Stallbrüder sich rühmen Pföste und Pfeiler des Landes zu sein, sollen auch noch die Landschäumer aus Deutschland an uns zu Rittern werden? Ich möchte wohl wissen, was denn die Reußen uns übleres anthun könnten als diese Schnapphähne.« 234

»Natürlich,« meinte der von Thedingsheim. »Mit ihrem Stampfen und Meutereianrichten würden die Schlagetots überdies den Reußen auch nicht zum Lande herausbringen. Dazu ist ja die ganze Moskowiternot blinder Lärm, denn die Botschaft wird schon Friede machen.«

So redeten die Junker miteinander und wie sie sprachen, so dachte das ganze Land. Auch der Orden, wenigstens wurden auf Betreiben des Landmarschalls Christopher von der Leyen die Landsknechte abgelohnt und nach Deutschland entlassen. Im Lande aber ging es in diesem Herbst ausgelassener zu als je zuvor. Es war, als ob die alte livländische Lebenslust sich noch einmal ganz und voll austoben müsse. Ein Wackenfest folgte dem anderen, überall erklangen die Trompeten und Kesselpauken zum Tanze der Herren, gellten die Sackpfeifen zum Springen der Bauern. Der Acker hatte reichlich getragen, man hatte Brot die Fülle, das Bier floß in Strömen.

In Kelles merkte man wenig von diesem Treiben. Die Sorge um den fernen Gatten bewirkte, daß Frau Katharina alle Geselligkeit nach Kräften fernhielt, die jungen Mädchen zeigten den Gästen auch kein freundlich Gesicht, Eilhard war noch immer krank. So kamen denn die Nachbarn nur selten und blieben meist nicht lange. Der schwermütige Geist, der in dem einst so gastlichen Hause umging, war wenig nach dem Sinn der lebensfrohen Livländer jener Tage.

Die Antwort aus Lübeck ließ lange auf sich warten. Endlich kam sie. Eines Tages bot ein Krämer auf dem Hofe seine Waare feil. »Herr, nehmt diese Pelzmütze, sie steht Euch hübsch zu Gesicht, und wird Euch gute Dienste 235 thun,« sagte er zu Bonnius und blickte ihn dabei so seltsam an, daß Bonnius merkte, es müsse eine besondere Bewandtnis mit der Mütze haben und sie erwarb. Als der Krämer darauf seiner Mähre den Futtersack wieder abnahm und ihr die Trense ins Maul schob, trat Bonnius nahe an ihn heran und vernahm deutlich: »Im Futter.« Er eilte nun auf sein Zimmer, trennte das Futter mit zitternder Hand ab und fand zwei Schreiben. Das eine kam aus Lübeck, das andere rührte von dem Geschäftsfreunde von Hinrich Bonnius in Riga her.

»Daß du dich,« hieß es in dem ersten Brief, »des Junkers so angenommen, daß du ihm auf der Flucht förderlich und dienstlich sein willst, will mir wenig gefallen. Du hättest der gemeinen Rede eingedenk sein sollen: ›wer will haben etwas zu schaffen, befaß mit Adel sich und Pfaffen‹. Über diesen Stein ist schon mancher gute Geselle gestolpert und zu Fall gekommen, der sonst fest stand in seinen Schuhen und die adelige Freundschaft ist für unsereinen meist doch nur der Mäusedreck im Pfeffer. Doch das sei Gott anheimgestellt. Hat er Daniel in der Löwengrube behütet, darin ihn der Persianische König warf, also daß die blutdürstigen und greulichen Tiere ihm kein Härlein krümmen durften, so kann er auch dich und deinen jungen Gesellen vor der livländischen Junker Wüten gänzlich und vollkommen bewahren.

»Nun schreibst du, daß der Junker eines Totschlages wegen das Land meiden muß und daß die Sippschaft des, den er erschlug, überall im Lande seßhaft und angesessen sei, auch sonder Zweifel weder Gold noch Atem sparen werde, ihn, wo er auch sei zu ergreifen und mit ihm nach ihrem 236 Willen zu verfahren. Solchen Gast wird nun niemand hegen und pflegen wollen, denn dem Feldhauptmann spukt auch der Landsknecht nicht in den Bart. Darum geht meine Meinung dahin, man müsse keinen darum angehen, ein halb Jahr lang ein Pulverfaß als Kopfkissen zu haben, ein paar Tage lang aber hält man das schon aus. Deshalb solltest du auch den Junker, so es angeht und die Dinge es leiden, bis zum Frühling lassen, wo er ist und erst dann das Wanderbündel aufhocken. Über die wilde See kommt ihr eher, als durch die Wildnis. Könnt ihr nun warten, bis in der Düna wieder gesegelt wird, so thut also und seht dann zu, wie ihr zu Martin Lenz, Kaufmann über See, in der Herrenstraße kommen könnt. Er wird euch um der Freundschaft willen, die er für mich hegt, in jeder Weise förderlich und dienstlich sein, auch mit dem Schiffer alle Abrede treffen, daß ihr ungesehen an Bord kommt. Sollten die Hunde aber den Hasen vor der Zeit aus dem Lager treiben – was jedoch – so Gott will – mit nichten geschehen oder sich ereignen wird, so suche nur eben dort Unterschlupf, indem dir mein Freund mit Herberge, Rat und Geld jeder Zeit zu willen sein wird. Doch solltest du ohne dringende Not den Biedermann nicht in so gefährliche und weitaussehende Händel verwickeln und verstricken. Was geschehen kann, wenn ihr in der Trawe seid, will ich dir zu seiner Zeit nicht verschweigen noch vorenthalten. Doch soll man nicht um die Wiege sorgen, ehe denn das Kind da ist. Dem Junker entbiete ich meinen Gruß. Ist er erst hier, so wollen wir sein wohl warten und ihn geziemender Weise halten, als ehrliche. rechtschaffene Leute.« 237

So schrieb der Vetter. Der zweite Brief kam von Herrn Martin Lenz und lautete nach dem Eingang, wie folgt:

»Ehe das Eis fort ist, werdet Ihr den Junker schwerlich aus dem Lande bringen, denn die Grenze wird streng bewacht und wenn ein Häher angeschossen wurde, schreien alle anderen mit. Darum rate ich dringend, der Junker möge, wo es irgend angeht, in seinem Versteck bleiben, bis die Drossel ruft und der Wald grün wird. Sollte Euch aber schon vorher das Wasser zum Fenster hineinlaufen, so seht zu, wie Ihr hierherkommt. Seid Ihr erst hier, und es geht nicht anders, so wollen wir sehen, ob wir Euch und den Junker nicht doch über die Grenze bringen. Kamt Ihr erst über den Hund, so sollt Ihr auch über den Schwanz kommen. Mir könnte nichts Lieberes werden auf Erden, als wenn wir das Lamm den Wölfen aus dem Rachen rissen, ich will deshalb auch, so es nicht anders geht, meine Haut zu Markte tragen in diesem Handel und nach Eueres Vetters Bitten Euch in allen Stücken zu Willen sein. Darauf könnt Ihr Euch gänzlich verlassen. Bedenket aber wohl, daß, wer bei schlechten Wegen fährt, eher ans Ziel kommt, wenn er langsam, als wenn er rasch fährt. Deshalb rate ich nochmals, nicht eher zu satteln, als bis Ihr reiten könnt und erst zu Tanze zu gehen, wenn Ihr die Sackpfeifen hört.«

Bonnius las die Briefe noch einmal durch, dann errichtete er aus allerlei Holz, das gerade zur Hand war, im Ofen einen kleinen Scheiterhaufen und verbrannte sie zu Asche. Er war sehr bleich, als er in die Flamme blickte, denn die Gefahr, der er entgegenging, trat ihm wieder 238 einmal unverschleiert und furchtbar wie sie war vor die Seele, aber sein Entschluß war endgültig gefaßt. Sobald »die Drossel rief und der Wald grün wurde,« sollte die Flucht unternommen werden.

Es wurde zum Essen geklappert, und Bonnius ging hinab, um sich ins Wohnhaus zu begeben. Als er den Hof betrat, hielt eben Pastor Westermann auf demselben. Der Pastor kam in dieser Zeit häufiger als sonst, er wußte wie willkommen er den Frauen gerade jetzt immer war.

»Guten Tag, Bonnius,« rief der Pastor, indem er nicht ohne Mühe vom Pferde stieg, »wie ich das Klappern hörte, war es mir gerade, wie dem im Schneetreiben Verirrten, der eine Glocke läuten hört. Mein Klepper hat mich tüchtig geschüttelt und ich bin hungrig wie ein Kriegsmann.«

»Ihr solltet Euch einen besseren Gaul erwerben, Pastor,« erwiderte Bonnius, indem er den mageren Braunen, den ein Reitknecht eben in Empfang genommen hatte, prüfend betrachtete. »Verzeiht, aber es ist wider alle Ordnung, daß ein geistlicher Herr auf einer solchen Schindmähre durch das Land reitet.«

Der Pastor lachte. »Ich habe für die paar Gulden in meinem Seckel bessere Verwendung,« erwiderte er, »als sie dem Roßkamm zu geben. Und was die Ordnung anbetrifft – unser Herr und Heiland ritt auf einer Eselin und das noch dazu, als er in Jerusalem seinen Einritt hielt als ein König.«

»Er war aber auch nicht in Livland, Pastor.«

»Das ist wahr,« meinte Westermann, »dafür ist ja aber auch mein Brauner kein Esel.« 239

Sie gingen ins Haus und der Pastor begrüßte die Familie in der ihm eigenen, herzlichen Weise.

Über Tisch erzählte Westermann, daß er am Tage vorher einen gar traurigen Gang gegangen, indem er einem armen Sünder das letzte Geleit gegeben. »Er hieß Klaus Wernersrode,« erzählte er, »war ein Kaufgeselle bei Herrn Dietmar und sonst ein wackerer, frommer und ehrbarer Mann. Da geschieht es, daß, wie er in der Pleskau ist, er einen reußischen Kaufmann findet, der Herrn Dietmar von lange her viel Geld schuldig war. Der Kaufmann war unterdessen weit weg gewesen und hatte mit seinem Handel viel Geld verdient. Da hat er sich denn auch nicht lange mahnen lassen, hat dem Klaus die Schuld bezahlt auf Heller und Pfennig und ist dann wieder fortgezogen. Wie nun der Klaus das Geld hat, spricht der Teufel zu ihm: ›stecke das Geld flugs ein und sage deinem Herrn nichts davon‹. Der Kaufmann ist wieder in Reußland gezogen und nach dem Gelde kräht weder Hahn noch Huhn. Der Klaus leiht Satanas das Ohr und wird ein Dieb. Nun geschieht es, daß des reußischen Kaufmanns junger Bruder in der Narwa Heinrich Queck trifft, der auch ein Kaufgeselle bei Herrn Dietmar ist. Wie die beisammen sind und haben einen guten Rausch, spricht der Queck: ›Mit euch sollte man nicht Handel treiben, denn ihr seid Schelme und Euer Bruder hat meinem Herrn nicht bezahlt, was er schuldig ist.‹ Da ruft der Reuße: ›Du bist selber ein Schelm und ein Lästermaul, denn mein Bruder hat deines Herrn Kaufgesellen alles bezahlt, was er zu zahlen schuldig war.‹

»Darüber hat man nun den Klaus vernommen und da 240 seine Schuld zu Tage gekommen, hat man ihn als einen Dieb zum Galgen geschickt. Er war auch ganz reuig und zerknirscht und als er zum Galgen hinaufstieg, sprach er: ›mir geschieht ganz recht und ich habe es nicht anders verdient,‹ ermahnte auch die Leute, die um den Galgen herumstanden mit beweglichen Worten, ›daß wenn der Böse sie auch einmal so ganz plötzlich sollte versuchen, sie ihm keineswegs nachgeben möchten, denn er sei ein Lügner von Anbeginn und wenn die Sache auch in den tiefsten Brunnen gelassen würde, so sorge er schon dafür, daß einer sie mit dem Eimer heraufholte.‹

»Wie er so redete, weinten alle jämmerlich und die Frauen, die unter dem Galgen standen, nahmen ihre Kinder und hoben sie auf ihre Arme, damit sie das gottselige Ende dieses armen Biedermannes ansehen könnten.«

»Der arme Mann,« sprach die Ahne, »er wird gedacht haben: Der Herr hat das Geld doch in den Schornstein geschrieben und von dem Reußen wird er nie wieder hören.«

»Ja,« rief Eilhard, »es mag die Versuchung ganz übermächtig gewesen sein.«

Der Pastor schüttelte den Kopf. »Mit dieser Ausrede würde er vor des Höchsten Gericht schlecht bestehen,« sagte er. »Gott läßt niemand über seine Kräfte in Versuchung führen.«

»Aber bedenkt, Pastor, wie die Versuchung so plötzlich an ihn heran trat.«

»Das gilt alles nichts. Seht, lieber Junker, ein Christenmensch soll allezeit auf der Wache stehen, denn er 241 weiß, daß Satanas immerdar umgeht, wie ein brüllender Löwe. Mit den Kräften aber ist es ein eigen Ding. Wer nie ein Schwert geführt hat, dem wird der Arm im Kampf geschwind lahm, ob es ihm auch an Kräften nicht fehlt, darum muß, wer ein Kriegsmann werden und bleiben will, sich allezeit üben. Die Griechen haben hierin eine feine Historie von einem Manne, der anfangs ein Kalb auf die Schulter nahm und eine Strecke weit trug und das fürder alle Tage, so daß er zuletzt, da aus dem Kalb ein Ochs geworden war, auch einen Bullen hat fortschaffen können, während er doch, so er sich gleich frisch an den Bullen gemacht hätte, jämmerlich zusammengebrochen wäre. Nun weiß niemand von uns, was für Kreuz und Anfechtung uns der Herr schicken wird, ob wir ein Kalb müssen auf die Schulter nehmen können, oder ob es ohne den Bullen nicht abgeht, deshalb müssen wir anfangen mit dem Kleinen, müssen den Apfel meiden, wenn er nicht unser ist und stillhalten, wenn wir den Wurm im Zahn haben. Sind wir daran gewöhnt unser Begehren zu zügeln und nicht wider den Stachel zu löcken, so bringen wir es auch fertig, wenn statt des Apfels Goldgülden da liegen und statt der Zahnpein das Rad uns herumreißt.«

»Also Ihr meint, daß wir allezeit Herr werden könnten über jede Versuchung?«

»Das meine ich, gnädige Frau. Seht, die armen, unvernünftigen Vögelein, wenn die Zeit kommt, daß ihre Vettern fortziehen, da müssen sie auch in ihrem Käfig toben und wider die Stäbe rennen und wenn ihnen darüber der Kopf in Stücke ginge, aber der Mensch kann allezeit seinem Herzen 242 gebieten, daß es still sei. Nur ist das freilich eine Kunst, die gelernt sein will, wie jede andere auch.«

»In der Kunst gibt es in unserem armen Livland wenig Meister.«

»Gott sei es geklagt, ja, gnädige Frau,« erwiderte Westermann. »Es ist eine böse Zeit, in der jedermann nur an sich denkt. Die armen, tollen Leute, wie wollen sie einst vor Gott bestehen! In der katholischen Zeit, da konnten sie wenigstens ihre Last abwälzen auf die Geistlichen und sprechen: ›Ihr habt uns kein ander Beispiel und Exempel gegeben,‹ aber nun, da Gottes lauteres Wort an den Tag gebracht worden und jeder sein eigener Hohepriester ist, wo kann da solche Entschuldigung gelten? Da gilt nun keine Fürbitte, Totenmesse noch Ablaß, sondern jeder erhält seinen Lohn nach seinen Thaten.«

»Und nach seinen Gedanken.«

»Und nach seinen Gedanken, gnädige Frau.«

»Wie schrecklich, Pastor. Wer kann seinen Gedanken die Wege weisen?«

»Jeder, edle Jungfrau, jeder, der es will.«

Barbara schwieg. Sie fühlte das Blut in ihren Schläfen hämmern und es ergriff sie eine Unruhe, die sie nur mit großer Mühe so weit unterdrückte, daß sie nicht zu Tage trat. Sie fühlte, wie zu all den Geistern, die sie bereits verwirrten und bedrängten, jetzt ein neuer Dränger gekommen war. Voll Angst schlug sie alle Thüren zu, die in ihr Herz führten und schob die Riegel vor. »Das glaubt er selbst nicht,« dachte sie, »das spricht er nur, weil er ein Pfaffe ist.«

»Es muß selbst einem Mann wie Euch schwer fallen 243 unter diesem Gesetz zu leben, Pastor,« sagte Bonnius mit kaum verhehltem Spott.

Barbara warf ihm einen dankbaren Blick zu für das erlösende Wort.

»Warum sollte es mir weniger schwer fallen als Euch, Bonnius?« erwiderte der Pastor einfach. »Ich bin so wenig ein Heiliger als Ihr. Schwer fällt dieses Gebot jedem und eben dadurch wird es einem jeden ein Zuchtmeister auf Christum, indem es in uns die Unruhe weckt, die nur er zu stillen weiß. Aber nun, gnädige Frau, hebt wenn es Euch recht ist, die Tafel auf, daß wir rechtzeitig ins Dorf kommen und nach denen sehen können, die diese Unruhe noch nicht kennen, weil ihrer noch das Himmelreich ist, in das wir alle nur unter so viel Trübsal und Herzleid den Rückweg suchen und dann nur finden, wenn unser Herr und Heiland unser Führer ist.«



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