Theodor Hermann Pantenius
Die von Kelles
Theodor Hermann Pantenius

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Siebzehntes Kapitel.

Die Mitteilung, daß Eilhard sich einem Streifzug gegen die Russen angeschlossen habe, hatte Frau Katharina mit lebhafter Sorge erfüllt. Sie ließ sofort Bonnius rufen und fragte ihn, ob er denn um des Junkers Vorhaben gewußt habe. »Gnädige Frau,« erwiderte Bonnius, »ich wußte darum, und ich bat den Junker ihn begleiten zu dürfen, aber er belehrte mich dahin, das es sich nicht schicke, wenn der irdene Topf sich unter die venezianischen Gläser mische.«

Frau Katharina zuckte die Achseln. »Ihr dürft ihm das nicht übel nehmen, Bonnius,« erwiderte sie, »dahinter steckt ein anderer, der Euch nun einmal nicht mag.« Sie reichte Bonnius die Hand und drückte sie herzlich. Bonnius verneigte sich tief und verließ das Zimmer. »Wartet nur,« dachte er, »ihr sollt beide an mich denken, er und der andre.«

Auf seinem Zimmer fand er einen der Diener, der ihm meldete, daß ein fremder Reiter ihn dringend zu sprechen wünsche. »Führe ihn zu mir,« hieß es.

Gleich darauf hörte man schwere Tritte und Sporen 274 klirrten auf der Treppe, und der Fremde trat ein. Es war ein Mann in den besten Jahren, dunkelhaarig, mit einer Adlernase, über der ein Paar graue Augen scharf und stechend in die Welt blickten. »Herr,« sagte der Fremde, indem er vor Bonnius stehen blieb, »ich komme, um Euch zu fragen, ob Ihr wohl ein mutiges Herz und ein Paar starke Arme für Eures Junkers Dienst brauchen könnt.«

»Wie heißt Ihr und hinter wem seid Ihr bisher geritten?«

»Ich heiße Christopher Bellin, ich stamme aus Stolpe in Pommern, und ich ritt bisher hinter dem edlen Herrn, Herrn Heinrich von Thedingsheim auf Bersohn.«

»Und warum hat man Euch in dieser Zeit, in der doch jeder seine Diener zusammenhält, entlassen? Habt Ihr einen Abschiedsbrief?«

»Nein, Herr, aber gestattet, daß ich Euch das erkläre. Einer von des Junkers Söhnen bekam Händel mit mir auf der Jagd und schlug mich. Ich riß ihn darauf vom Pferde und ich hätte ihn erwürgt, wenn die anderen sich nicht zwischen mich und ihn geworfen hätten. Da hat man mich denn ohne Abschiedsbrief fortgeschickt.«

Bonnius ging ein Gedanke durch den Kopf. »Da seid Ihr wohl kein Freund der Thedingsheim?« fragte er.

In den Augen des Reiters blitzte es auf wie ein Funke.

»Nein,« erwiderte er.

»Ihr seid vor die falsche Schmiede geraten, Christopher,« fuhr Bonnius fort, »unsere gnädige Frau ist eine von Thedingsheim.«

»Dann lebt wohl, Herr,« war die Antwort. »Verzeiht, daß ich Euch lästig fiel. Ich wußte das nicht.« 275

Damit wandte sich der Reiter um und wollte gehen, aber Bonnius hielt ihn fest. »Bleibt,« sagte er. »Unsere gnädige Frau ist von anderer Art als die übrigen ihres Geschlechtes.«

»Einerlei,« war die Antwort, »ich mag ihr nicht dienen.«

»Nun, so wartet doch nur, ich werde Euch ja nicht zwingen zu bleiben, wenn Ihr nicht wollt, aber wie wäre es, wenn sich gerade hier die Gelegenheit fände, Euerem früheren Herrn einen Nagel unter den Sattel zu legen?«

In den Augen des Reiters blitzte es wieder auf und ein Lächeln spielte um seine Lippen. »Liegen die Dinge so?« fragte er.

»Bleibt nur bei uns,« erwiderte Bonnius. »Ihr gefallt mir und was Eueren Wunsch betrifft, so kann er vielleicht schneller in Erfüllung gehen, als Ihr meint.«

Der Mann trat dicht an Bonnius heran. »Wenn Ihr etwas gegen die von Thedingsheim im Schilde führt,« flüsterte er, »und es scheint ja, daß dem so ist, so könnt Ihr Euch ganz und gar auf mich verlassen. In diesem Handel will ich allezeit gern Leib und Leben zu Markt tragen. Sagt mir nur, was ich thun soll.«

»Später, Christopher, jedes Ding hat seine Zeit.«

Die beiden verständigten sich schnell über die Bedingungen und noch am Nachmittag war aus dem fremden Reiter ein Diener des Herrn von Kruse geworden.

Der nächste Tag verging unter bangen Erwartungen, am folgenden Morgen aber brachte ein Bauer die Nachricht eine Schar junger Livländer sei in der Nähe von Kelles in 276 die Hände der Tataren gefallen und bis auf den letzten Mann erwürgt worden. Das Gerücht von dieser Kunde verbreitete sich mit Windesschnelle und erregte überall Entsetzen. Es drang auch zu Bonnius, aber er wußte es zu verhüten, daß Frau Katharina und die jungen Mädchen davon erfuhren.

Sobald der Bauer vernommen war – er wollte seinerseits die Kunde von einem anderen, ihm fremden Bauern haben – wurde sofort beschlossen, eine Schar auszusenden, um Gewißheit zu erlangen, beziehentlich um etwa Flüchtigen zu Hilfe zu kommen, und schon nach ein paar Stunden ritt der von Kongota an der Spitze von zweihundert Reitern aus dem Thor.

Bonnius hatte sich, um womöglich sichere Kundschaft einzuziehen, auf den Markt begeben, hatte aber natürlich auch nichts Zuverlässiges erfahren können. Nun, da die Reiter fortgeritten waren, kehrte er nach Hause zurück. In seinem Hirn jagten sich die Gedanken in wirrer Flucht. Waren Eilhard und Jürgen Thedingsheim wirklich getötet, so waren damit die gefährlichsten Gegner seines Vorhabens beseitigt. Dann galt es nur rasch zu handeln, ehe die Gesandtschaft aus Rußland zurückkam. Aber wie würde Barbara die Kunde aufnehmen? Der von Randen war doch immerhin ihr Bruder, wenn auch ein ungeliebter Bruder.

Frau Katharina hatte bereits mehrfach nach Bonnius gefragt, und er mußte gleich zu ihr. Bei seinem Eintreten kehrte sie dem Fenster, an dem sie bisher gestanden hatte, den Rücken und kam schnell auf ihn zu. »Was gibt es, Bonnius, in der Stadt?« fragte sie. »Ich sehe an der 277 Unruhe der Leute auf der Straße, daß etwas Besonderes vorgefallen ist. Hat man Kunde von unseren Junkern?«

»Nein, gnädige Frau. Ein Haufen Tatern hat sich auf der Koppel gezeigt und der von Kongola ist mit ein paar hundert Pferden hinaus, um sie zurückzuwerfen.«

»Um Gott,« rief Frau Katharina, »wenn die Unsrigen auf die Tatern stießen!«

Anna erhob sich und eilte auf die Tante zu. Sie sah bleicher und vergänglicher aus, als je. »Muhme,« rief sie, indem sie Frau Katharina umarmte, »seid ohne Sorge, sie kommen ganz gewiß unverletzt zurück. Ich bin des ganz sicher und habe eine gewisse Zuversicht.«

Barbara blickte fragend auf Bonnius. Er schaute prüfend zu ihr hinüber, aber er sah in ihren Augen nur Spannung, Erwartung, sonst nichts.

»Ich sagte schon,« wiederholte er, »daß Bruno von Thedingsheim mit zweihundert Pferden im Felde ist. Selbst wenn die Junker auf die Tatern stießen, müßte er sie heraushauen können.«

»Bonnius,« rief Frau Katharina in höchster Aufregung, »ich weiß, daß Euch ein Gelübde bindet, aber schickt wenigstens unsere Diener aus nach Kundschaft.«

Bonnius verneigte sich. »Gnädige Frau,« sagte er, »wenn die Reiter zurückkehren, ohne die Junker mitzubringen, will ich selbst hinaus. Wir müssen Gewißheit haben.«

»Ja, Bonnius,« erwiderte Frau Katharina, »wir müssen Gewißheit haben. Reitet um Gotteswillen, Bonnius und in Gottes Namen. Gerade während der von Kongota am Feinde ist, werdet Ihr am leichtesten unbemerkt in den Wald kommen.« 278

»Ich will es versuchen,« erwiderte Bonnius und verließ das Zimmer.

Auf dem Korridore holte ihn Barbara ein. »Die Muhme läßt Euch sagen, Ihr möchtet des Oheims Faustrohr mitnehmen,« sagte sie laut und fügte dann leise mit fliegendem Atem hinzu: »Hast du Gewißheit, Franz? Sind sie tot?«

Bonnius nickte. »Gott sei Dank!« kam es über Barbaras Lippen.

Auch Anna betrat den Korridor und Bonnius eilte davon. Also von ihr hatte er keinen Widerstand zu erwarten. In ihrem Herzen lebte nur noch ein Gefühl, die Liebe zu ihm. »Es wird und muß gelingen,« frohlockte er, als er sich in den Stall begab.

Barbara suchte unterdessen ihr Zimmer auf. Das Wort, das ihren Lippen so eben entschlüpft war, hatte einen ganz merkwürdigen Klang. Es kehrte immer und immer wieder zu ihrem Ohr zurück, wie von einem vielfachen Echo zurückgeworfen. »Gott sei Dank!« schallte es aus jeder Ecke des Zimmers, von der Decke senkte sich das Wort herab, vom Fußboden stieg es empor: »Gott sei Dank,« dafür, daß ihr leiblicher Bruder, daß ihr Vetter, der Spielgenosse ihrer Jugend, der Sohn ihrer Pflegeeltern erschlagen auf dem Schnee lagen! Welch ein verruchtes Dankgebet war das, welch eine ruchlose Herausforderung des gerechten Gottes lag in ihm. Und doch – und trotz alledem – wenn sie gelebt hätten, wenn namentlich Jürgen noch gelebt hätte – die Flucht wäre ganz gewiß nicht geglückt. Er hätte sie gefunden – daran lag noch wenig – aber er hätte auch ihn gefunden und er hätte ihn erwürgt, ohne einen Funken von 279 Mitleid in seinem harten Herzen zu spüren. Er war ihr Bruder dem Leibe nach – ja – aber hatte er ihr denn je brüderliche Liebe erwiesen? Und wenn nicht, wozu brauchte sie dann um ihn wie um einen Bruder zu trauern? Was gingen sie überhaupt diese Verwandtschaftsbande noch an? Noch einige Wochen, höchstens einige Monate und sie waren ohnehin zerrissen für alle Zeit, sie selbst ein fahrendes Weib ohne Sippe und Anhang, wie nur je ein solches. Und doch und trotz alledem – das »Gott sei Dank« war entsetzlich und was so anfing, konnte keinen guten Fortgang haben.

Das junge Mädchen blickte wirr um sich. Gab es denn keinen Widerstand gegen den Orkan, der sie mit sich fortriß? Nein, keinen, darum fort mit all den anklagenden Gedanken.

Barbara richtete sich auf. »Gott sei Dank!« rief sie laut und trotzig. Sie rief es wie ein Verbrecher, der weiß, daß er doch sterben muß und dem es nicht mehr darauf ankommt, die Richter noch herauszufordern.

Als Bonnius das Thor erreichte, kehrten die Reiter mit dem von Randen und Eilhard zurück. Die Angehörigen der übrigen Junker flogen ihnen entgegen und vernahmen mit Entsetzen, welch ein schreckliches Ende die Ihrigen gefunden hatten. Das Wehklagen der Frauen, die still rinnenden Zähren der Männer ließen Eilhard noch einmal alle Schrecken des gestrigen Tages durchleben. Da gewahrte er Bonnius. Der Schreiber erschien ihm in diesem Augenblicke wie zur Familie gehörig. Er sprang vom Rosse, drängte sich durch Menschen und Pferde und umarmte Bonnius. »Ich hätte nicht geglaubt, Euch wiederzusehen,« rief er. 280

Bonnius ließ sich die Umarmung gefallen, wie etwas Unvermeidliches. »Eure Frau Mutter ist in großer Sorge um Euch, gnädiger Junker,« sagte er förmlich.

Eilhard richtete sich auf. »Ihr zürnt mir noch, Bonnius,« rief er, »und ich habe Euch ja in der That verletzt. Verzeiht mir, es kränkte mich, daß Ihr mich an meine Schwäche mahntet. Es war unrecht von mir, nochmals – verzeiht.«

Er hielt Bonnius die Rechte hin und dieser ergriff sie notgedrungen. War es nicht genug, daß der, den er für tot gehalten, lebend und unverletzt vor ihm stand, mußte er ihm auch noch auf so unerwartete Weise nahen?

Sie stiegen wieder zu Pferde und setzten sich in Bewegung, begleitet von einem bunten Haufen von Gesellen, Lehrlingen und Volk jeder Art, der neben und hinter ihnen herlief, in der unbestimmten Hoffnung noch Näheres über die Vorgänge zu erfahren.

Sie hatten das Krusesche Haus noch nicht erreicht, als ihnen schon Frau Katharina, Anna, die Kinder und das Gesinde entgegeneilten. Während Eilhard sie begrüßte, flog sein Blick hinüber zur Thüre, in der er Barbara gewahrte. An den Thürpfosten gelehnt, kreidebleich mit weit geöffneten, starr blickenden Augen, stand sie da. Eilhard blieb das Herz stehen vor Freude. Ja, sie liebte ihn trotz alledem, wie hätte sie sonst so um ihn bangen können? Er machte sich von den Lieben los und drängte sich zu ihr durch. »Bärbchen!« rief er, und ergriff ihre Hand. »Und Jürgen?« kam es über ihre Lippen. »Auch er lebt,« rief Eilhard, »er und ich sind die einzigen, die dem Verderben entgingen.«

Das Mädchen schlug beide Hände vor das Gesicht, 281 taumelte und sank dann ohnmächtig in Eilhards Arme. Man trug sie hinauf und brachte sie mühsam wieder zu sich. »Anna,« rief sie, als sie die Augen aufschlug, »ist es denn wahr, sind Elert und Jürgen unverletzt zurück?«

Als Anna die Frage bejahte, schloß sie die Augen wieder. Also sie waren gerettet, sie lebten! Es war ihr, als ob man die Würfel geworfen hätte um Leben und Tod, über Jürgen und Eilhard einerseits, über Bonnius und sie anderseits. Die letzteren hatten das Spiel verloren.

Eilhard war unterdessen allein mit der Mutter und der Ahne. »O Mutter,« rief er, »wie schrecklich ist der Krieg! Nie in meinem Leben werde ich die furchtbaren Schreie der Gemordeten vergessen, nie werden ihre verzerrten Gesichter aus meinem Gedächtnis schwinden!«

Er erzählte nun, wie sich alles begeben hatte, aber er bat die Frauen den übrigen gegenüber an der Darstellung festzuhalten, welche er mit Jürgen Thedingsheim verabredet hatte.

»Gott segne die Besessene,« rief die Ahne. »Sie war ein Werkzeug des allmächtigen Gottes.«

Nach ein paar Stunden kam der von Randen. Er war wieder ganz der alte. »Für unsere Scharfrichter kommen schlechte Tage,« sagte er, »denn wenn die Ordensritter und die Ratsherren erst die Tatern werden kennen gelernt haben, wird man nur noch sie als Henker gebrauchen wollen. Da werden denn unsere armen Meister Hämmerlein alle um ihr Brot kommen und wieder ehrlich werden müssen, ob sie wollen oder nicht.«

Als er Barbara begrüßte, meinte er: »Nun Bärbchen, 282 du siehst ja aus, als ob du morgen im Trauergewand hinter unseren Särgen herschreiten müßtest. Gräme dich nicht, Kind, deine Beschützer sind, wie du siehst, noch am Leben und ganz die alten.«

»Das sehe ich,« war die kurze Antwort.

Die Hoffnungen, welche in Eilhard infolge von Barbaras Aussehen bei seinem Empfange aufgestiegen waren, beherrschten ihn so sehr, daß er den Augenblick kaum erwarten konnte, in dem es ihm möglich wurde, sie allein zu sprechen. Als sie jetzt aufstand und das Zimmer verließ, folgte er ihr und bat sie, ein paar Worte mit ihr sprechen zu dürfen. Barbara, die sich beim Klange seiner Stimme umgewandt hatte, blickte ihn mit großen, starren Augen an. »Was hast du mir zu sagen?« fragte sie mit gepreßter Stimme.

Eilhard ergriff ihre Hand und zog sie mit sich in eines der Zimmer. »Bärbchen,« sprach er dort, nachdem er die Thüre geschlossen hatte, »Bärbchen, ich beschwöre dich mir zu sagen, was zwischen uns steht. Es ist ja nicht möglich, daß du alle Liebe zu mir ganz und völlig abgethan hast, wie man einen alten Mantel seinem Knecht schenkt und ist ihn für alle Zeit los. Ich sehe ja, daß du um mich Sorge getragen hast. Bärbchen, sage mir, was ich thun soll, damit du mir wieder gut wirst.«

Sein Blick ruhte flehend auf ihr, die hoch aufgerichtet vor ihm stand. Sie erschien ihm schöner als je, aber es war ihm plötzlich, als ob er nicht in ihre, sondern in ihres Bruders Jürgen Augen blickte, so kalt und hart sahen sie ihn an. Sie hatte in der That von dem was er sprach nur das eine Wort: »Knecht« verstanden und dieses mit 283 Bonnius in Zusammenhang gebracht. »Ich begreife nicht, was du willst,« erwiderte sie und auch ihre Stimme klang wie die ihres Bruders, wenn er zürnte – »ich will es nicht begreifen.«

Sie machte ihre Hand von der seinigen frei, wandte sich um und verließ das Zimmer. Eilhard blickte ihr nach, bis die Thüre sich hinter ihr geschlossen hatte, dann bedeckte er sein Gesicht mit beiden Händen und stöhnte: »O hätten sie mich doch erwürgt!«

Am Abend traf ein Bauer aus Kelles ein, der frohe Kunde brachte. Der Hof von Kelles war gerettet. Die Tataren hatten keinen Sturm auf denselben gewagt und sich damit begnügt das Dorf zu verbrennen. Auch meldete der Mann, daß, wie es schien, die Tataren überhaupt die Umgebung der Stadt verlassen hätten, wenigstens sei er nirgends auf frische Spuren von ihnen getroffen.

Auf diese Nachricht hin beschloß Bonnius nach Kelles zu reiten und sich persönlich von dem Stande der Dinge zu überzeugen. Eilhard erklärte zum Entsetzen der Seinigen, daß er sich an die Spitze der Diener stellen würde und gab seinen Entschluß erst infolge der flehentlichsten Bitten seiner Mutter und Frau Marias auf. Er mußte um so mehr nachgeben, als infolge all der Aufregung sein Kopfschmerz in der heftigsten Form auftrat und ihm in der That jeden Ritt unmöglich machte.

Als Bonnius im ersten Morgengrauen auf den Hof trat, auf dem die Pferde gesattelt wurden, flatterte von einem der im oberen Stock gelegenen Fenster ein weißes Tüchlein herab. Er hob es auf und behielt es in der Hand, während 284 er nach den Tieren sah und führte es später wie zufällig an den Mund. Es war ihm, als ob von dem Tüchlein eine Fülle von Wärme ausging und eine wunderbare Kraft.

Christopher und die beiden anderen Diener waren fertig und alle vier schwangen sich in den Sattel.

Es war Tauwetter eingetreten und ein kalter, nasser Nebel lag über der Stadt und dem Lande. Die Hufe der Pferde schossen durch den nassen Schnee und dicke Tropfen rannen an den Helmen und Harnischen der Reiter nieder.

Als der Wald erreicht war, winkte Bonnius Christopher an seine Seite und es entspann sich ein Gespräch, welches so leise geführt wurde, daß die beiden anderen Diener, die nicht ungern ein tüchtig Stück zurückgeblieben waren, nichts davon verstehen konnten.

»Christopher,« fragte Bonnius, »könntet Ihr wohl von hier nach Riga reiten, ohne die Heerstraße zu benutzen?«

»Ihr meint durch die Wildnis?«

»Ja, das meine ich.«

»In dieser Jahreszeit nicht.«

»Aber wenn Euch feindliche Reiter, die Euch suchen, auf den Hacken wären?«

Christopher lächelte. »In der Not kriecht ein Landsknecht durch einen Spund,« erwiderte er, »und wenn sie mit dem Strick hinter mir her sind, scheue ich den Sumpf vor mir wenig, wer aber einen solchen Ritt vorhat und kann mit ihm irgend warten, bis die Drosseln rufen und der Seemann in die Flüsse fährt, der sollte es thun.«

»Warum Christopher? Im Winter schreitet ein Pferd über die Sümpfe, in denen im Sommer ein Elen untersinkt.« 285

»Das ist schon richtig, aber wer im Winter durch die Wildnis reitet, läßt eine Spur hinter sich, so deutlich, daß ein blinder Kirchenbettler hinter ihm her kann. Nehmt dazu die lange Nacht, in der Ihr erfriert, wenn Ihr kein verräterisches Lagerfeuer anzündet, und die Wölfe. Ich möchte heute nacht nicht allein oder zu zweien in der Wildnis sein. Der Totengräber brauchte dann unseretwegen nicht erst nach Hacke und Spaten zu greifen.«

»Ihr habt recht, aber würdet Ihr im Sommer einen solchen Ritt wagen?«

»Im Frühling, sobald der Schnee fort ist, kann ein solcher Ritt wohl gewagt werden.«

»Also Ihr kennt die Wege und Stege?

»Von Wolmar ab, ja. Sollte einem Eurer Freunde daran gelegen sein, daß ich sie bis nach Wolmar kenne, so gebt mir auf vierzehn Tage Urlaub und einen Paßbrief. Ich verpflichte mich dann, einen landfremden Mann von hier nach Riga zu bringen und wenn der Stiftsvogt und die ganze Adelsfahne hinter ihm her wäre. Nur muß ich für jeden Reiter zwei Pferde haben nach Art der Tatern, damit wir abwechseln können. Auch müssen es fromme, sichere Tiere sein, die schon auf der Jagd gegangen sind, die über einen umgestürzten Baum wegkommen und nicht durchgehen, wenn sie einen Bären wittern. Dazu müssen sie auch ans Wasser gewöhnt sein, daß sie, wenn es sein muß, ein paar Stunden durch einen Bach waten und auch einen Pfeilschuß weit schwimmen können.«

»Christopher, ist Euch sehr viel an Livland gelegen?«

Der Reiter zuckte die Achseln. »Unsereiner hat es hier 286 besser, als anderswo,« erwiderte er, »denn wir sind ja hier selbst gewissermaßen eine Art Herren, wenigstens für die Undeutschen, im übrigen aber ist es mir einerlei, ob man mich einmal unter einer westfälischen Eiche oder einer livländischen Linde begräbt. Ein rechter Reitersmann hat so wenig eine Heimat wie der Luchs.«

Bonnius blickte sich um. Die beiden anderen Diener waren weit zurückgeblieben. »Christopher,« sagte er, »ich habe einen Freund, einen Junker, der hat einen von Thedingsheim erschlagen. Darüber ist ihm nun das ganze Geschlecht auf den Fersen und er muß das Land meiden, es sei ihm lieb oder leid. Ich habe ihm den Winter über Unterschlupf gewährt. Wenn die Thedingsheim das erfahren, geht es mir auch an Leib und Leben, darum muß ich auch fort. Für welchen Preis würdet Ihr uns beide nach Riga schaffen, vorausgesetzt, daß ich Euch sechs solche Pferde, wie Ihr sie braucht, schaffte?«

»Um keinen.«

»Wie meint Ihr das?«

»Ich meine, nur nach Riga um keinen Preis, denn wenn ich dort zurückbliebe, käme ich allein so wenig aus dem Lande wie der Ratz aus der Falle. Wollt Ihr mir aber schwören, daß Ihr mich mitnehmen wollt nach Deutschland, so will ich den Ritt wagen und so wenig nach denen von Thedingsheim fragen wie der Reuße nach dem Papst. Im Gegenteil, es wird mir eine besondere Freude sein ihnen einen rechten Tort anzuthun.«

»Und was verlangt Ihr für diesen Ritt?«

Der Reiter sann eine Weile nach. Bonnius blickte 287 gespannt auf das energische Gesicht seines Gesellen, dessen scharf geschnittenes Profil aus der Sturmhaube hervorragte. Endlich wandte Christopher den Kopf und seine durchdringenden Augen blickten in die des Schreibers. »Ich bin ein armer Reitersmann,« sagte er, »und ich trage meine Haut zu Markt, aber da es gegen die Thedingsheim geht, will ich bei diesem Handel keine Seide spinnen und es so billig machen, als ich kann, ohne gleich in der Hafenstadt meinen Harnisch dem Wirt zum Pfande lassen zu müssen. Gebt mir meinen doppelten Jahreslohn, die Hälfte, sobald wir im Busch sind, die andere Hälfte, wenn der Kiel des Bootes, das uns ans Ufer trägt, auf deutschem Sande knirscht.«

»Ihr verlangt nicht wenig,« erwiderte Bonnius, »aber ich werde das Geld zusammenbringen. Da, schlagt ein und macht den Pakt fest.«

Christopher zögerte in die dargebotene Hand einzuschlagen.

»Ihr kennt unsern Brauch,« sagte er, »wir halten, was man uns hält. Es geht gegen alles, was Thedingsheim heißt und Ihr zahlt den einen Jahreslohn, sobald wir im Busch sind.«

Die Form, welche Christopher der Abmachung gab, machte Bonnius stutzen und er schwankte, ob er ihm sagen sollte, wer der Junker war, um den es sich handelte, aber er sah davon ab. Der Reiter hatte die Worte gewiß nur zufällig so gestellt und Bärbchens Sicherheit durfte nicht vorzeitig gefährdet werden. Er zog die Hand nicht zurück und Christopher schlug ein.

»Sobald die letzte Schneewelle aus dem Walde ist, reiten wir,« sagte er. »Bis dahin will ich jeden Pfad kennen, auf 288 dem je ein Klepper einen Bauern zum Wilddieben trug. Wie wollt Ihr denn zu den Pferden kommen?«

»Bis dahin,« erwiderte Bonnius »wird unser gnädiger Herr zurück sein und in seinem Stall werden dann genug Gäule stehen, wie wir sie brauchen. Ich lasse ihm den Preis der Tiere zurück und er wird sie ja überdies in Riga wiederfinden.«

»Das darf keinesfalls geschehen,« erwiderte Christopher. »Sie wüßten dann ja ganz bestimmt, daß wir uns nach Riga gewandt haben und über die See davon wollen. Diesen Handel überlaßt übrigens nur mir. Ich will die Gorren, ehe ich sie zum Roßkamme führe, schon so verändern, daß niemand sie wiedererkennen soll und wenn sie wieder in des Stiftsvogtes Stall verkauft werden sollten. Den Preis aber laßt, wenn Ihr könnt, da, denn es ist des Junkers wegen immerhin gut, wenn sie in ihrem Ausschreiben nicht sagen können, wir hätten ihre Pferde nur bezahlt, wie die Hexe den Bock. Euch und mir wird es freilich nichts helfen, denn wenn sie uns fangen, hängen sie uns, gleichviel ob wir die Mähren bezahlen oder nicht.«

Bonnius gab seinem Pferde die Sporen und man ritt schnell vorwärts.

In Kelles gab es vielerlei anzuordnen, denn man hatte die verstümmelten Leichname der Getöteten auf den Hof gebracht und der Pastor wußte nun nicht, ob man sie zur Stadt bringen oder sie gleich bestatten sollte. Man einigte sich dahin, daß das erstere geschehen sollte und am zweiten Morgen brachte eine lange Reihe von Schlitten unter starkem, mittlerweile aus der Stadt erbetenen Geleit die Leichen nach 289 Dorpat, wo die Geistlichkeit, der gesamte Adel und die Bürger der Stadt sie empfingen und unter vielen Wehklagen zur ewigen Ruhe bestatteten.



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