Theodor Hermann Pantenius
Die von Kelles
Theodor Hermann Pantenius

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Siebenundzwanzigstes Kapitel.

In den Krügen von Pernau war alles so voll von Menschen und Rossen, daß für beide kaum noch Platz zu schaffen war. Fast der ganze Adel des Stiftes Dorpat war auf die Nachricht, daß das russische Heer, welches Neuhausen eingenommen hatte, gegen Dorpat heranziehe, mit Weib und Kind, mit Gesinde und fahrender Habe in die Wiek geflohen und überfüllte hier Edelhöfe und Krüge. Bei aller Sorge und Betrübnis ging es übrigens überall lärmend genug her, denn der Adel der Wiek war eifrig bemüht den flüchtigen Vettern Gesellschaft zu leisten – schon um immer das neueste zu erfahren – und ein Trunk Bier, der diese das Geschehene, jene aber die Sorge um das Kommende vergessen ließ, war allen gleich willkommen.

An Jakob Treumanns Krug am Fluß stieß ein kleines Birkenwäldchen, in dem rohe Holzbänke hergerichtet waren und auf diesen saßen im Schatten der Bäume eine Anzahl Edelleute aus dem Stift und der Wiek beisammen. »Ihr hättet euch in die Stadt werfen sollen,« meinte Jürgen von Ungern, indem er den Bierkrug derb auf den Tisch setzte, »der Kuckuck trau dem Pfaffen und den Bürgern! Nimmt der Reuße aber die Stadt ein, so können wir alle das ›Kyrie eleison‹ anstimmen.«

»Daß mich aller Welt Plage bestehe! Wir haben uns wohl gehütet in die Mausefalle zu gehen,« erwiderte Otto Risbiter. »Hinter Wall und Graben mögen die Bürger 451 und Landsknechte dem Feinde die Zähne zeigen, wir Edelleute halten lieber zu Roß das Feld.«

»Daran daß der Moskowiter Dorpat nimmt, ist ohnehin nicht zu denken,« meinte Reinhold Plettenberg. »Wären wir in die Stadt gezogen, wir hätten den Bürgern nur das Brot vor dem Munde weggegessen.«

»An dieser Nuß soll sich der Moskowiter wohl die Zähne ausbeißen,« meinte Heinrich Stahlbiter.

Der von Ungern schwieg und blickte nachdenklich zum Himmel empor. Der Sommer war unerträglich heiß und trocken, überall brannten die Wälder und Torfmoore und der von ihnen aufsteigende Rauch ließ die Sonne seit Wochen als einen strahlenlosen Ball erscheinen. »Der Stiftsvogt ist auch in der Wiek,« sagte der Junker endlich.

»Ja, auf Takefer,« erwiderte Plettenberg. »Das Haus Kelles hat ihm sein einstiger Schreiber Franz Bonnius von Braunschweig in Asche gelegt.«

»Was Ihr sagt? Derselbe Schurke um dessentwillen sie das Fräulein von Thedingsheim gerichtet haben?«

»Derselbe. Er hat denen von Thedingsheim und denen von Kruse Fehde angesagt und während der Stiftsvogt und sein Sohn im Lager von Kirrempä weilten, die gnädige Frau von Kelles aber mit den Kindern in Dorpat ihren Sitz hatte, fällt der Stegreifritter nächtlicher Weile mit noch fünfzehn Spießgesellen in den Hof. Darauf muß alles vom Gesinde, was eine Axt heben kann, an die Linde auf dem Hof. Wie nun die Linde umgestürzt ist, setzen die Räuber flugs den roten Hahn aufs Dach und werfen, was von Leitern und Eimern da ist, in die Flammen. Wie dann 452 alles lichterloh brennt, sind sie wieder im Sattel und fort geht es in die Wildnis.«

»Die verdammten Schurken! Aber was haben sie mit der Linde gewollt?«

Der von Plettenberg zuckte die Achseln. »Das mag wohl solch ein teuflisches Werk gewesen sein, wie es unter den Strauchdieben und anderen Mordgesellen umgeht,« erwiderte er, »denn der Gottseibeiuns, dem sie dienen, ist ein merkwürdiger Herr und hat oft gar wunderbare Gebote. So ist der Bonnius auch in den Stall gegangen und hat dort eine rot und weiß gefleckte Kuh mit eigener Hand niedergestochen, ehe er den Stall und die Herde hat kläglich verbrennen lassen.«

»Ihr meint, daß er mit dem, den man nicht nennen soll, im Bunde steht?«

»Das ist ganz gewiß, lieber Herr, denn niemand weiß, wo er und seine Gesellen herkommen und wo sie wieder hingehen. Plötzlich wie der Blitz sind sie da und ebenso plötzlich sind sie wieder fort. So haben sie Weißensee, Tannenhof, Gränhof, lauter Thedingsheimsche Güter nächtlicher Weile überfallen. Was sich wehrte, ward niedergemacht, die Häuser und die Habe in Brand gesteckt.«

»Und die Junker?« fragte der von Ungern gespannt.

»Die Junker waren in Kongota und Randen, sonst wäre es ihnen übel ergangen. Frommhold Thedingsheim, den sie im Walde fingen, haben sie niedergestochen, Dietrich Thedingsheim am hellen lichten Tage auf offener Landstraße vor den Kopf geschossen.«

»Edle Herren,« rief der von Ungern, »da kommt mein 453 Vetter Klaus Ungern von Werpeln. Gott helf Klaus, was gibt es Neues?«

»Böse Kunde, Vetter,« erwiderte der Angeredete, indem er Platz nahm. »In Wenden ist ein arges Schelmenstück an den Tag gebracht.«

»Nun? Nun? Was denn?«

»Sie haben den Christopher Lustfer peinlich befragt und da hat er ausgesagt, daß der Bischof von Dorpat ihn vergangenes Mitfasten an den Moskowiter abgefertigt, dieser Gestalt, daß, so der Moskowiter ihn und seinen Untersassen des Stiftes Dorpat bei ihrer Religion und Privilegien wollte bleiben lassen, so wollte er ihm das Stift auftragen. Diesen ganzen Handel hat der Kanzler Jürgen Holzschuher so ausstaffiert, auch den Lustfer selbst zum Bischof geführt, der ihn nach der Moskau abgefertigt. Da hat dann der Lustfer dem Moskowiter die Zeitung gebracht, daß nun keine deutschen Landsknechte zu bekommen seien, er könne nun seinen Willen in Livland wohl schaffen.«

»Daß dich aller Welt Plage bestehe! der Schurke, Und was haben sie mit ihm gemacht? Haben sie ihn gevierteilt?«

Klaus Ungern schüttelte den Kopf. »Er hat des Judas Lohn gefunden,« erwiderte er, »und sich selbst im Gefängnis erhängt.«

»Welch' ein Bube!« rief der von Plettenberg. »Großer Gott, wer hätte das von dem Bischof gedacht!«

»Das ist ein schlimmer Handel,« meinte der von Ungern, »ein Handel, der ohne manchen anderen Mannes Wissen nicht wohl hat betrieben werden können.«

»Wie meint Ihr das?« fragte Risbiter. 454

»Nun, ich denke, daß wenn der Kanzler zum Großfürsten schickt, der Stiftsvogt wohl auch darum gewußt haben wird und den Stiftsräten wird die Nachricht auch nicht ganz neu sein.«

»Ja wohl,« meinte Klaus Ungern. »Das ganze Stift Dorpat muß eine Verräterkuhle sein, denn die in der Stadt haben auch den Bürger Gert Buck in die Moskau abgefertigt und sich dem Großfürsten zu ergeben sich anbieten lassen.«

Die Herren aus dem Stift ließen die Köpfe hängen. »Der von Kelles mag um den Anschlag gewußt haben,« sagte Plettenberg endlich, »aber sonst sicherlich kein anderer vom Adel.«

»Wenn man den Wolf nennt, kommt er gerennt,« rief Klaus Ungern und wies mit der Hand die Straße hinauf, auf der eben der Stiftsvogt und die beiden Junker von Kelles sichtbar wurden.

Die Drei ritten vor den Krug, übergaben dort ihre Pferde den Dienern und schritten dann auf die Herren auf den Bänken zu.

»Gott helf, edle Herren,« rief der Stiftsvogt, »hat man nichts von Dorpat gehört? Gott helf, Plettenberg – was habt Ihr nur? Was soll das? Seht Ihr nicht, daß ich Euch die Hand reiche?«

»Das sehe ich wohl,« war die Antwort.

Dem Stiftsvogt schwoll die Zornader. »Nochmals, was ist das, edle Herren?« rief er. »Plettenberg! Risbiter! Stahlbiter! Was habt ihr?«

»Habt Ihr noch keine Kunde aus Wenden?« fragte Plettenberg. 455

»Wie? Aus Wenden? Von welcher Kunde redet Ihr, Ungern?«

»Wir meinen Lustfer.«

»Nun, was ist's mit Lustfer?

»Er hat böse Dinge ausgesagt.« Und der von Ungern berichtete, was er über Lustfers Aussage wußte.

Während der von Ungern sprach waren aller Augen auf den Stiftsvogt gerichtet. Er bemerkte das wohl und er erkannte mit Entsetzen, daß man ihn in Verdacht hatte, um den geplanten Verrat gewußt zu haben. Er wurde sehr bleich und dieser Umstand bestärkte die Herren nicht wenig in ihrem Verdacht.

»Edle Herren,« rief Herr Kruse mit bebender Stimme jetzt, »es kann kaum anders sein, als daß ihr denkt, ich müßte auch um das Bubenstück gewußt haben, aber ich schwöre euch bei meiner Seelen Seligkeit, daß ich zum erstenmal von diesem Handel höre. Hätte unser gnädiger Herr mir davon erzählt, ich hätte nicht nachgelassen ihn anzugehen mit Flehen und Bitten, bis er die Hände davon gelassen und wenn ich von meinem Hause bis auf das Schloß auf den Knieen hätte rutschen müssen.«

Der von Ungern zuckte die Achseln. »Ihr wart des Bischofs vertrautester Rat,« sagte er.

»Das war ich,« war die Antwort, »aber was kann ich dafür, wenn mein Herr und der Kanzler in aller Heimlichkeit solche Basiliskeneier gelegt und ansgebrütet haben? Fragt den Kanzler, ob ich um seine Anschläge gewußt habe. Wenn er ›ja‹ sagt, mögt ihr mich nicht höher schätzen als einen räudigen Hund.«

»Wir sind Eure Richter nicht,« erwiderte der von Ungern 456 kalt und erhob sich. Die übrigen folgten seinem Beispiel, und der von Kelles und die beiden jungen Herren blieben allein auf dem Platze zurück.

»Vater,« rief Eilhard mit erstickter Stimme, »soll ich hin laufen und sie alle herausfordern zum Kampf auf Leben und Sterben!«

Der Stiftsvogt schüttelte den Kopf. »Laß sie, Elert,« rief er, »mit den Waffen läßt sich auf diesem Plan wenig erreichen. Und wenn du die Worte niederschlagen könntest wie die Männer, die sie reden, so könntest du es doch nicht wehren, daß sie uns in ihren Gedanken für Verräter halten. Nein, Elert, wir müssen ihnen zeigen, daß wir wackere Männer sind, Liebhaber des Vaterlandes, die sie ohne Grund schmähen und lästern. Was liegt denn auch vor? Die Aussage eines verräterischen Buben, gethan auf der Peinbank. Da wird ein Leben, zugebracht im Dienst meines Herren des Bischofs, des gemeinen Adels und des ganzen Landes doch wohl mehr wiegen, als eine solche lose, erstunkene und erlogene Aussage.«

»Gewiß, Oheim,« rief Jürgen Nötken. »Wie wäre es möglich, daß sie Euch für einen Verräter achteten, Euch, der doch eben erst bemüht ist, den Adel hier auf die Beine zu bringen, um an die Reußen zu setzen.«

»Es wird nicht mehr gelten, Vater,« erwiderte Eilhard rauh. »Sie suchen einen Bock, dem sie ihre eigene Feigheit und Trägheit auf das Haupt legen können und Ihr werdet dieser Bock sein.«

Der Stiftsvogt blickte den Sohn erschreckt an. »Das verhüte Gott,« rief er. 457

Vom Kruge her kam Bruno Thedingsheim mit großen Schritten auf die Herren zu. »Ich höre eben erst, daß Ihr hier seid. Wißt Ihr schon, was für schändliche Gerüchte die von Wenden aussprengen?«

»Ich hörte davon. Meint Ihr, daß unser Herr ein solches Schelmenstück könnte ausgehen lassen?«

Der von Kongota zuckte die Achseln. »Das weiß ich nicht,« erwiderte er, »aber das weiß ich ganz gewiß und will es freudig und vor allen und jedem bekennen, daß Ihr nicht darum gewußt habt.«

»Gott segne Euch das Wort!« rief Kruse und ergriff die Hand des Freundes. »So wahr mir Gott helfe in meinem letzten Stündlein, ich habe nichts davon gewußt, hätte auch nimmermehr darin gewilligt.«

»Seid nur ruhig, werter Freund,« tröstete der von Kongata, »sobald der Reuße wieder in sein Land gezogen ist, muß es ja an den Tag kommen, daß Ihr an dem allen so unschuldig gewesen seid wie ein neugeboren Kindlein.«

Der von Kelles schüttelte den Kopf. »Sie werden Dorpat nicht halten können,« erwiderte er. »Vom Adel liegt so gut wie niemand in der Stadt, von der jungen Bürgerschaft aber sind im Vorjahre nur zu viele an der Brustsucht gestorben und die fremden Gesellen sind weggezogen. Wie sollen sie da mit ein paar hundert Knechten die große Stadt und den Dom und das gewaltige Schloß besetzen und halten? Ich hoffte die beiden Münchhausen hier, den Bischof und den Stiftsvogt, dazu zu bringen, daß sie sich ein Herz faßten und den Adel aufboten und wider den Moskowiter zu 458 Felde zogen, aber die sinnen nur darauf, wie sie die Stifte Ösel und Kurland nebst ganz Estland vom Lande abbringen und dänisch machen könnten. Der Orden aber wird Dorpat auch nicht helfen, denn ihm ist das Hemd näher als der Rock. Da nun die Stadt solchergestalt ganz verloren und verlassen ist, wird sie um einem grausamen Blutvergießen und ihrem gänzlichen Untergang zu entgehen, mit des Großfürsten Obersten Sprache halten und die Stadt übergeben. Dann wird es wieder heißen, wir von Dorpat wären allsamt Verräter und wie soll ich, wenn der Reuße den Bischof und den Kanzler fortführte, den Beweis erbringen, daß ich nichts von dem vermeintlichen Anschlage gewußt habe?«

»Ihr seht zu schwarz,« meinte der von Kongota. »Der Herrmeister wird diese prächtige Stadt nicht in der Reußen Hände fallen lassen und der neue Koadjutor, den sie in Walk gekoren haben, der von Kettler erst recht nicht.«

Herr Kruse zuckte die Achseln. »Das ist ja das Unglück,« erwiderte er, »daß die im Orden so uneins sind, daß wenn der eine links will, der andere rechts geht. Die beiden, der Herrmeister und der neue Koadjutor, lieben sich, wie der Hund und die Katze.«

Sie schritten langsam dem Kruge zu und hatten eben die Thür erreicht, als ein staubbedeckter Reiter heransprengte. »Das ist Heinrich Risbiter,« rief Jürgen Nötken, »wie ist der durch die Reußen gekommen? Gott helf! Heinrich, wo kommst du her?«

»Aus Dorpat. Die Stadt ist über.«

Die Herren traten erschreckt zurück. Aus dem Kruge 459 drängte sich hervor, was dort in den Schenkstuben gesessen hatte, die Frauen und Kinder eilten die Treppen hinab, aus dem Stadol kamen die Diener, ein wirrer in atemloser Spannung lauschender Haufen umgab den Unglücksboten. Am achtzehnten Juli um acht Uhr vormittags hatte sich die Stadt den Russen ergeben, nachdem der Fürst Schuiski im Namen des Großfürsten gelobt hatte, daß die Stadt bei allen ihren Privilegien erhalten bleiben sollte. Wer wegziehen wollte, durfte es thun und gegen vierhundert Personen, Edelleute, Bürger, Landsknechte hatten von dieser Erlaubnis Gebrauch gemacht.

Als der junge Mann seinen Bericht geschlossen hatte, verharrte alles in tiefem Schweigen. »Großer Gott,« rief endlich Bruno Thedingsheim, »konntet ihr euch nicht halten, Junker?«

»Nein, es war ganz unmöglich, denn es fehlte an Mannschaft.«

Der von Risbiter trat in den Krug und alle, die bisher seine Zuhörer gewesen waren, fluteten jetzt durcheinander. »Der Junker mag es nicht anders wissen,« hieß es in den verschiedenen Gruppen, »aber der Pfaffe, seine Räte und die Bürger haben die Stadt und das Land verraten. Das ist klar.«

Der von Kelles und seine Junker standen bald wieder allein da. »Wir wollen nach Hause reiten,« sagte der Stiftsvogt finster, »die Nachricht um derentwillen wir kamen, ist uns geworden.«

Eilhard nickte stumm, in Jürgens Augen standen Thränen. Als sie zu Pferde stiegen und fortritten, sahen sie wie die Herren die Köpfe zusammensteckten und mit einander 460 flüsterten. Die bösen Worte, die bisher zurückgehalten worden waren, gingen nun von Mund zu Mund.

Unterwegs wurde nicht viel gesprochen. Die Luft war voll Rauch, ein häßlicher brenzlicher Geruch erschwerte das Atmen.

Als der Hof Takefer erreicht war, sprangen Maiken und Christinchen dem Vater entgegen und Klein-Annchen zottelte hinter ihnen drein. Kruse umarmte sie zärtlich und küßte sie. »Also ihr wenigstens meidet den ›Verräter‹ nicht,« sagte er bitter. Die Kleinen blickten ihn verwundert an.

Frau Katharina trat auf die Schwelle des Hauses. »Dorpat ist über,« rief ihr der Gatte zu.

Frau Katharina verzog keine Miene. »Wir hatten es nicht anders erwartet,« sagte sie.

»Hast du es auch nicht anders erwartet, Katzchen, als daß man mich jetzt für den Verräter halten würde durch dessen Schuld die feste Stadt fiel?« fragte Kruse mit zuckenden Lippen.

»Ich habe auch das nicht anders erwartet, Elert,« war die Antwort. »Der Herr will nicht, daß wir Hütten bauen in diesem Jammerthal, darum läßt er es zu, daß die, für welche uns kein Opfer zu groß war, uns jetzt Verräter schelten; daß, die wir liebten, uns verschmähen; daß, die wir mit Wohlthaten überschütteten, uns Haus und Habe nehmen. Da heißt es vor dem Herrn still halten und abwarten, ob er uns wohl noch einmal die falschen Freunde zugleich mit den Feinden in die Hand gibt, Rache an ihnen zu nehmen.« 461

Kruse blickte kummervoll auf seine Frau. Wie war sie traurig verändert. Tiefe Falten und Furchen liefen über ihre Stirn, durch ihre Wangen, und ihre Augen blickten hart und kalt.

Als das Ehepaar am Abend zur Ruhe ging, da legte Frau Katharina beide Hände auf die Schultern ihres Mannes. »Wir müssen fort, Elert, sagte sie. »Wir haben hier mit einem langen in Ehren verbrachten Leben nichts anderes erkauft, als daß wir gerade gut genug waren für die Schelme als Sündenböcke zu dienen, die schlemmten, während du bei Tag und bei Nacht im Sattel warst in des Bischofs und des Landes Dienst. Während du dein Hab und Gut verthatest und bis in die Moskau gingst, das Land vor dem Unchristen zu wahren, sollst du ihn jetzt herbeigerufen haben. Wir müssen fort, Elert. Zuerst ins Erzstift. Wir wollen sehen, ob man uns dort auch für Verräter hält. Dort wird man, meine ich, die Sache anders ansehen und kommt es, wie ich hoffe, so sollen die losen Buben, die dich für einen Verräter hielten, noch jedes böse Wort und jeden argen Blick mit blutigen Thränen bereuen.«

Auf dem Hof unter dem Fenster wurde es lebendig. Herr Kruse stieß das Fenster auf und fragte: »Was gibt es?

»Eine Schar Reiter zieht wider den Hof heran,« war die Antwort.

Der Stiftsvogt ergriff sein Schwert und eilte hinunter auf den Hof. Dort erfuhr er, daß die Reiter der von Randen und seine Genossen waren.

Der von Randen kam mit einem Dutzend Herren von 462 Thedingsheim, die sich vorher nach Randen geflüchtet und nun die Burg zugleich mit dem Besitzer derselben verlassen hatten.

»Wir konnten das Haus gegen das große reußische Heer nicht halten,« sagte Jürgen Thedingsheim »und es ist nur gut, daß wir wenigstens von demselben weg konnten, ehe die Reußen uns einschlossen. Nun wie steht es hier mit Euren Plänen, Oheim? Ich fürchte, der Schreck ist den Junkern so in die Glieder gefahren, daß Ihr sie nicht zum Satteln bringen werdet, es sei denn zum Ritt über das Meer nach Ösel.«

»Jürgen,« rief Jürgen Nötken, »Lustfer hat in Wenden in der peinlichen Frage ausgesagt, der Bischof und der Kanzler hätte durch ihn das Stift dem Unchristen antragen lassen. Nun heißt es, der Oheim müsse auch die Hände im Spiel gehabt haben.«

»Das sieht dem Orden ähnlich,« erwiderte der von Randen. »Die mögen dem Lustfer so lange zugesetzt haben, bis er aussagte, was sie wollten und nun werden sie alles thun, um aus diesen Aussagen einen Strick zu drehen, mit dem sie auch dem von Kelles den Hals zuschnüren können. Er ist den frommen Rittern lange genug ein Pfahl im Fleisch gewesen. Aber wir wollen ihnen das Spiel verderben, zumal sie jetzt auch gegeneinander ziehen. Daß sie den Kettler zum Koadjutor wählten, war ein Schach dem Könige für Seine Fürstliche Gnaden und irre ich nicht, so wird es bald auch ›Matt‹ heißen«.

»Jürgen,« rief der von Kelles, »ich habe keine Ursache um des Ordens wegen Trauerbänder am Hut zu tragen, aber was soll aus dem Lande werden, wenn er fiel?« 463

»Ich setze meine Hoffnung auf den Dänen,« war die Antwort. »Hat der erst Estland und die übrigen Stifte, so kann er auch Dorpat nicht missen. Wer die Suppe und den Braten aß, wird das Nachessen nicht stehen lassen.«

Als die Junker am Abend zechend bei einander saßen, war die Stimmung trotz aller erlittenen Mißerfolge eine sehr kriegerische und hoffnungsvolle. Es konnte ja nicht fehlen, daß der Dänenkönig demnächst mit einem großen Heer ins Land kam und die Russen hinausjagte. Dann baute man die zerstörten Höfe wieder auf und das alte, lustige livländische Leben nahm seinen Fortgang.

Eilhard fand es in dem heißen Saal unerträglich. Er stand auf und ging hinaus in die warme Sommernacht. Es war auch draußen schwül, aber der Vollmond ergoß sein sanftes Licht über den Hof. Eilhard durchschritt ihn, um sich auf eine Bank am Rande des verwilderten ungepflegten Gartens zu setzen. Als er sie erreichte, sah er, daß Anna dort bereits Platz genommen hatte. Er setzte sich neben sie und beide blickten eine Weile schweigend hinüber nach dem Hause. Aus den geöffneten Fenstern zur Linken wie zur Rechten der Hausthüre drang ein wüstes Stimmengewirr zu den beiden herüber. Hier berieten die Herren, dort die Diener die Lage des Landes, diese wie jene bei ungezählten Kannen Bier. Dort aber, in der Eckstube, aus deren Fenster der Schein einer Lampe trübe herüberschimmerte, saß schweigend und in ihren Gram versunken Frau Katharina und kein Zureden der Mutter vermochte es, sie aufzurichten und mit neuer Hoffnung zu erfüllen. 464

»Woran denkst du, Elert?« fragte Anna nach einer Weile.

»Ich denke daran, wie gut es die Toten haben,« war die Antwort.

Anna nickte und blickte vor sich hin auf den mondbeschienenen Platz.

»Wie lange wird es dauern,« fuhr Eilhard fort, »und diese Stätte wird ebenso wüst liegen wie Kelles jetzt schon. Flüchtig und unstät werden wir dann durch das Land schweifen. Das ist schlimm, aber es ist das schlimmste nicht. Das schlimmste ist, daß dieses Land selbst verloren und die deutsche Herrschaft, die unsere Vorfahren mit so viel Blutvergießen hier gründeten, zu scheitern gehen wird. Wie soll das anders kommen? Jeder denkt nur an sich. Hier, da, dort wird tapfer und ritterlich gekämpft, aber nirgends läßt sich ein Heer auf einer Stelle zusammenbringen. Und wenn nun die einzelnen, die die anderen im Stich ließen, erlagen, dann heißt es, sie wären Verräter gewesen, sie und was zu ihnen gehörte. Wer möchte da nicht abscheiden und dahinfahren zu Gott!«

»Es hat ein jeder von uns sein Kreuz zu tragen, bis Gott es ihm einst abnimmt,« erwiderte Anna. »Er aber legt es uns auf, damit wir unser Herz nicht allzu sehr an dieses Jammerthal hängen.«

»Gewiß, Anna, aber es ist manchmal schwer, so schwer, daß wir fast zusammenbrechen.«

»Ja. Elert. Fast so schwer.«

Sie standen auf und kehrten ins Haus zurück. 465



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