Theodor Hermann Pantenius
Die von Kelles
Theodor Hermann Pantenius

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Zehntes Kapitel.

Die Strahlen der Sommersonne lagen glühend heiß auf der Landstraße, die auf dem rechten Ufer der Semgaller Aa von Annenburg nach Bauske führte und die Reiter saßen, obgleich sie eben erst nach der Mittagsruhe von Annenburg aufgebrochen waren, bereits wieder erschlafft auf ihren schwitzenden Pferden. Es war unerträglich heiß unter den schweren Rüstungen und der Staub, den kein Windhauch fortblies, drang in Mund und Nase, daß Menschen und Tiere kaum atmen konnten. Herr Kruse war durch Verhandlungen noch in Riga zurückgehalten worden, Eilhard aber und Jürgen Nötken ritten mit den Thedingsheim und litten augenblicklich gleich ihnen.

Die Aa hat hier noch ein zweites Bett, das sie indessen nur füllt, wenn ihre Wasser über die flachen Ufer treten, während es im Sommer eine herrliche Wiese bildet. Durch diese Niederung, die etwa eine Stunde oberhalb Annenburgs beginnt und unmittelbar vor demselben wieder Anschluß an den Fluß hat, entsteht zwischen ihr und dem Strom gleichsam eine Insel und auf dieser Insel lag von jeher in langer Reihe ein Bauerhof neben dem andern. Da die Straße sich auf der Höhe hielt und den Bogen, den die Niederung macht, begleitete, konnte man von derselben aus die Insel gut übersehen.

»Gottes Tod«, rief Fabian Thedingsheim von Kawelecht, indem er mit der Rechten die Augen vor den Strahlen der 159 Sonne schützte und sich weit zur Seite neigte, »Gottes Tod, da unten geht etwas vor und wenn mich nicht alles täuscht, sehe ich in der Ferne Harnische glänzen.«

Es war bekannt, daß der junge Mann Augen hatte, so scharf wie die eines Raubvogels. »Vater«, rief Werner Thedingsheim, »Fabian glaubt da unten weiter hinten Harnische glänzen zu sehen.«

Der von Kongota hielt und mit ihm der ganze Zug. Alle blickten mit gespannter Aufmerksamkeit in der angegebenen Richtung. An den zunächst gelegenen Höfen war nichts Auffälliges zu bemerken, sie schienen, umgeben von dem mannshohen Korn auf den Feldern friedlich dazuliegen, weiter oberhalb aber sah man jetzt deutlich Leute über die Wiese der Heerstraße zulaufen und in noch größerer Entfernung blitzte und funkelte es manchmal plötzlich auf.

»Kein Zweifel«, begann Fabian Thedingsheim wieder, »es sind Kriegsleute, die in den Höfen plündern. Seht da – da ganz hinten, etwas rechts, da ist auch schon der rote Hahn aufs Dach geflogen. Seht ihr die Rauchwolke?«

»Aber wer kann das sein?« rief Walter Thedingsheim. »Sollten litauische Wölfe es wagen, hier unter den Augen des Herrmeisters bei währender Verhandlung ins Land zu fallen?«

»Nichts da«, rief der von Kongota. »Ich kann nichts sehen, aber wenn ihr recht habt, so sind es nicht Litauer, sondern die Landsknechte, die von der Annenburg aufgebrochen sind, ehe wir hinkamen.«

»Großer Gott«, rief Eilhard, »wäre es möglich, daß sie zwei Meilen vom Lager des Ordens Höfe plündern? Sie, die in des Ordens Dienst stehen?« 160

»Da kennst du die Lotterbuben schlecht«, rief der von Kongota grimmig. »Diese Spitzknechte und Räumaufs üben ihr Kistenfegen und ihre anderen verruchten Ränke am liebsten in Freundesland, denn die Eisenbeißer tragen zwar den Hut voll Straußenfedern, aber sie haben einen Hasenbalg zum Brusttuch. Doch, bei meiner Mutter Grab, ich will sie lehren ihr Mütchen an unseren undeutschen Biedermännern kühlen. Seht nach den Rohren und haltet die Schwerter bereit und dann vorwärts.«

Die Müdigkeit und die Hitze waren vergessen. Der Zug ordnete sich für alle Fälle, Fabian Thedingsheim und zwei Diener, von denen einer des Lettischen mächtig war, wurden vorausgeschickt, um womöglich einen Bauern abzufangen oder sonst Kundschaft einzuziehen. Nach einiger Zeit war kein Zweifel mehr möglich. Drei Höfe standen in Flammen, man sah in weiter Ferne Fliehende und Verfolger, und man vernahm ihr Rufen und Schreien. Jetzt brachte der Vortrab auch eine Bauersfrau, die man im Korn gefunden hatte. Kaspar Thedingsheim, der im Erzstift aufgewachsen war und beide undeutsche Sprachen kannte, verhörte sie und es ergab sich daß in der That dort unten nur die Landsknechte ihr Wesen trieben. »Erbarmt euch, gnädige Herren«, flehte das Weib auf den Knieen »und helft uns. Die Kriegsleute treiben mit den Frauen und Mädchen ihr Spiel und ihre Weibsbilder und Jungen schlagen unterdessen die Truhen auf und peinigen die Leute, damit sie angeben wo sie ihre Schätze vergruben.«

»Was sollen wir thun?« fragte Kaspar Thedingsheim, »sie sind immerhin in des Ordens Dienst.« 161

»Bei allen Heiligen«, schrie der von Kongota, »sind wir des Ordens Sklaven, daß wir ruhig zusehen sollen, wie diese Federhaufen das Land verderben? Gebt dem Weibe einen Klepper und sagt ihm, daß es uns an die Leute bringen soll. Dann vorwärts!«

Man brachte der Frau eines der ledig mitgeführten Pferde, sie schwang sich hinauf und ritt, nach Männerart sitzend, an die Spitze des Zuges. »Sie haben ihr Lager oben am Fluß aufgeschlagen«, sagte sie »und schleppen dorthin zusammen, was sie finden.«

Man ritt schnell zu und befand sich bald in gleicher Linie mit dem Lager. Dieses lehnte sich auf der einen Seite an den Fluß, auf der anderen Seite aber an ein Wäldchen, hinter dem ein besonders großer Bauerhof lag. Man hatte zwar die Wagen am Flußufer zu einer Art Wagenburg zusammengeschoben, im übrigen sich aber ganz der Sicherheit hingegeben, mit der man in der That rechnen konnte. Die Pferde weideten mit zusammengekoppelten Vorderfüßen frei auf der Weide, die Lagerfeuer flammten hier und dort und um sie trieben die Landsknechte in ihren prahlerischen, phantastischen Trachten, zugleich mit ihren Dirnen und Buben ihr Wesen mit den von der ganzen Insel zusammengetriebenen Bauern, während andere immer noch neue Gefangene herbeischleppten oder, unter der Last ihres Raubes schwankend, dem Lager zueilten. Man hatte den reisigen Zug auf der Landstraße natürlich längst bemerkt, aber man wandte ihm weiter keine Aufmerksamkeit zu. Es waren eben Kriegsleute, die nach Bauske ritten und es eiliger hatten als die Landsknechte.

Die Frau an der Spitze der Thedingsheimschen Schar 162 lenkte nun von der Heerstraße ab und ritt, sobald man die Wiese erreicht hatte, gerade auf das Lager zu. In diesem wurde man nun doch unruhig. Die Dirnen der Landsknechte liefen auf die Wagenburg zu, blieben vor derselben stehen und blickten halb ängstlich, halb neugierig auf die Reiter, die Landsknechte griffen nach ihren Waffen und rotteten sich zu einem Haufen zusammen, die Bauern erhoben ein jammervolles Geschrei.

»Was thut ihr hier?« herrschte der von Kongota den Landsknechten zu, sobald er den Haufen erreicht hatte.

Die Landsknechte maßen die Junker mit zornigen Blicken. »Was geht das euch an? Was ist denn das für ein Haus? Was will denn der?« erscholl es aus dem Kreise.

»Ist ein Ehrlicher von Adel unter euch?« rief der Herr von Thedingsheim. »Der trete vor!«

Die zunächst Stehenden wandten sich um, im Haufen entstand eine Bewegung und ein junger Mann mit einem durch ein ruchloses Leben frühzeitig verwüsteten Antlitz drängte sich, einen mächtigen Zweihänder in der Hand, hervor. »Wer sucht hier einen von Adel?« rief er trotzig. »Hier steht einer von Gollingen aus dem Lande Geldern.«

Der von Kongota maß sein Gegenüber mit einem verächtlichen Blick, hielt aber an sich. Aus dem Wäldchen eilten jetzt die Landsknechte massenweise herbei, auch der Troß strömte zu und drängte sich an die Pferde heran. Die Livländer waren elf Junker und einige dreißig Diener. Auf jeden von ihnen kamen zehn Landsknechte.

»Wo ist Euer Hauptmann und wie heißt er?« fragte Thedingsheim. 163

»Wie er heißt, könnt Ihr ihn selber fragen,« war die trotzige Antwort. »Ihr werdet ihn auf dem Bauerhof finden.«

»Wo ist der Bauerhof?«

»Dort, gleich hinter dem Holz. Seid ohne Sorge, wir werden Euch geleiten.«

Die Reiter setzten sich, gefolgt von dem ganzen Schwarm, in Bewegung. »Teufel!« flüsterte Werner Thedingsheim Eilhard zu, »wenn sie uns hier zwischen den Bäumen angreifen, sind wir verloren.«

Mitten im Wäldchen befand sich eine Lichtung, auf der eine junge Ulme stand. An diese Ulme war, als das Pferd des Herrn von Kongota die Lichtung betrat, ein Bauer gebunden und ein Landsknecht ließ, ohne sich um die Herankommenden irgend zu kümmern, von Zeit zu Zeit eine schwere Lederpeitsche auf den entblößten Rücken des Armen niederfallen. Dem Junker riß die Geduld. Er sprengte auf den Peiniger ein und schlug ihn mit einem furchtbaren Faustschlag zu Boden. Im nächsten Augenblick blitzte der Zweihänder des von Gollingen in der Luft, aber ein schneller Schwerthieb Jürgen Nötkens machte den Mann und das Schwert zu gleicher Zeit zu Boden sinken. Ein riesiger Landsknecht, der den Gefallenen rächen wollte, wurde von Reinhold Thedingsheim durch den Kopf geschossen. Im nächsten Augenblick entstand ein ungeheuerer Tumult. Die Rohre krachten, die Spieße und Schwerter klirrten, das »her! her!« der Landsknechte schallte laut durch den Wald. Eilhard hatte die Lichtung noch nicht erreicht, als er sich bereits von allen Seiten angefallen sah. Glücklicherweise hinderte das dichte Unterholz die Landsknechte am Gebrauch ihrer langen 164 Waffen, so daß der Jüngling ein paar seiner Gegner niederschlagen konnte, dann aber durchstach ein Bube mit einem Spieß Eilhards Hengst und in dem Augenblick, als das Tier zusammenbrach, traf ihn ein so furchtbarer Hieb auf den Kopf, daß das Schwert durch die Stahlhaube drang und den Junker niederstürzen machte.

Die Livländer wären der Ungunst des Ortes und der Übermacht bis auf den letzten Mann erlegen, wenn es nicht endlich dem Hauptmann, dem Leutnant und dem Fähnrich des Fähnleins, die mittlerweile herbeigeeilt waren, gelungen wäre, die wütenden Landsknechte zum Einstellen des Kampfes zu bewegen. Endlich gelang es, aber die Spieße der Landsknechte bildeten jetzt einen undurchdringlichen Wall um die kleine Schar, von der viele bereits ihre Pferde verloren hatten.

»Edler Herr,« sprach der Hauptmann jetzt, »was, in drei Teufels Namen, läßt Euch, die Ihr doch gleich uns in des Herrn Herrmeisters Dienst nach der Bauschkenburg zieht, unter uns fromme Landsknechte fallen, wie einen tollen Wolf unter die Heumäher?«

»Du Schurke,« schrie Jürgen Nötken, »ich will dich Höflichkeit lehren.« Er stürzte sich auf den Hauptmann, aber der von Kongota, der zu Fuß war und aus einer Kopfwunde blutete, hielt ihn noch rechtzeitig fest. »Wenn ihr in des Herrmeisters Dienst steht,« rief er durch das Wutgebrüll der Landsknechte hindurch, »so werdet ihr wissen, daß ihr hier nicht plündern dürft wie in Feindesland.«

»Schlagt die tollen Hunde tot! In die Spieße mit ihnen!« schrieen die Landsknechte. Auch die letzten Livländer waren 165 nun von den Pferden gesprungen und drängten sich in einen dichten Haufen zusammen.

»Seid Ihr des Herrn Herrmeisters Profoß?« fragte der Hauptmann spöttisch. »Wenn Ihr findet, daß wir wider Recht und Billigkeit mit den Bauern gehandelt haben, so klagt es der Herrschaft und wir werden Euch Rede und Antwort stehen.«

»Sollen wir ruhig zusehen, wie ihr die undeutsche Armut hier nach Gefallen quästet und schindet?« rief der von Kongota.

»Ich meine, gestrenger Herr,« war die Antwort, »das Quästen und Schinden versteht ihr Junker hier so gut, daß wir, auch wenn wir mit allem Eifer hinter euch herritten, euch darin nimmermehr einholen könnten. So geht wenigstens die gemeine Rede im Reich.«

»Ihr sollt das Wort büßen!« rief Thedingsheim. »Seid Ihr ein Ehrlicher von Adel?«

»Nein, du Schelm!« rief der Hauptmann, »aber ich bin ein ehrlicher Kriegsmann und ich will dir deinen Adel in den Rachen hinabstoßen zugleich mit fünf Zoll Stahl, sobald du den Mut hast, dich nach beendetem Krieg zu deiner frechen Rede zu bekennen.«

»Wohlgeborener Herr,« rief Kaspar Thedingsheim jetzt, »mein Vetter, der Herr von Thedingsheim von Kongota wird Euch seinerzeit Rede stehen, und wollt Ihr Euch lieber an mich, Kaspar Thedingsheim von Ülzen, halten, so ist mir das auch recht, sollt Ihr das aber können, so schafft uns jetzt einen freien Paß durch Eure Landsknechte, denn Ihr werdet einsehen, daß wir ohne einen solchen durch diese 166 Spieße nicht kommen können – ganz zu geschweigen von den Hakenbüchsen, die jene anderen weisen und großgünstigen Herren da auf uns gerichtet haben. Verdienten die erst ihr Hakengeld an uns, so seid Ihr sonder Zweifel um Eueren Waffengang geprellt.«

»Liebe Landsknechte,« rief der Hauptmann nun, »ihr habt gehört, daß die Junker gelobt haben, sich mir nach beendetem Krieg und erlangter Viktoria zu einem Waffengang zu stellen. Was aber ihr unsinniges, schmähliches Wüten und den vielfältig verübten, blutigen und greulichen Totschlag betrifft, so werden sie sich dieserhalb vor der Herrschaft, vor Adel und gemeinen deutschen Kriegsleuten zu verantworten haben. Ihr alle wißt, wie die bösen, arglistigen und schelmischen Bauern uns ohne alle gewordene Veranlassung ganz meuchlings, tückisch und räuberisch überfallen haben, daß wir, wollten wir nicht Leib und Leben lassen, uns unserer Haut wehren mußten. Jetzt aber, wo wir die bäuerische Hinterlist zugleich mit ihren adligen Helfershelfern nach Gebühr heimgeleuchtet haben, laßt uns fürder ziehen, damit wir bei der Herrschaft, den Frommen von Adel und dem gemeinen deutschen Landsknecht wider alle Wegelagerer und Landschäumer, sie seien welchen Standes sie wollen, Hilfe und Beistand finden mögen. Fähnrich, laßt die Fahne fliegen und ihr Spielleute, rührt das Spiel!«

Damit wandten die Führer der Landsknechte sich ab und schlugen die Richtung zur Wagenburg ein. Die Landsknechte folgten, indem sie laute Drohungen ausstießen, ihrem Beispiel und die Livländer sahen sich bald allein auf der 167 Lichtung, von der man die gefallenen oder verwundeten Landsknechte fortgeschleppt hatte.

Sobald der Hauptmann außer Hörweite war, wandte er sich an den Leutnant. »Leutnant.« sprach er, »nehmt sofort die Fuchsstute mit der Blässe, das ist das schnellste Tier, das wir haben,. und jagt, was die Mähre laufen kann, nach der Bauschkenburg. Ihr reitet erst durch die Furt, und seht dann zu auf jenem Ufer, so schnell es geht, vorwärts zu kommen. Sobald Ihr im Lager seid, sucht Ihr Jochim Plate auf und sagt ihm, ich Evert Slatodt, ließe ihm sagen, wir wären hier zuerst von den Bauern meuchlings angegriffen worden und gleich darauf wären die Junker an uns gesprengt. Die dürften wohl beide an demselben Wagen gezogen haben. Dann eilt Ihr zu Jürgen Frameknecht und bringt ihn und sein Fähnlein auch auf die Beine. Ich kenne ihn, er kann die Junker nicht leiden und er wird einen Lärm vollführen, darüber den Herren die Ohren gellen werden. Macht flink und laßt, wenn Ihr den Teufel malt, das Schwarz nicht zu Hause.«

Die Junker waren unterdessen in einer übeln Lage, denn sieben von ihren Pferden waren erstochen, fünf andere so zugerichtet, daß sie keinen Reiter mehr tragen konnten. Außerdem war es sehr fraglich, ob Eilhard, Fromhold Thedingsheim und Jürgen von Husum, ein Diener, die alle drei schwer verwundet waren, auch nur im Wagen fortgeschafft werden konnten. Zwei andere Diener lagen tot auf dem Kampfplatz und mehrere der Junker hatten leichte Verwundungen. »Wir haben den Gänsetötern doch zu wenig Kourage zugetraut,« meinte Kaspar Thedingsheim, während er 168 den Vetter von Kongota kunstgerecht verband. »Sie waren freilich zehn gegen einen und ein Reiter im Walde ist wie ein Fisch auf dem Trocknen.«

Der von Kongota biß die Zähne aufeinander. »Sie sollen an diesen Tag denken,« schwur er.

Jürgen Nötken war unterdessen um Eilhard beschäftigt und bemühte sich im Verein mit zwei fachkundigen Dienern das noch immer rinnende Blut zu stillen. Die letzteren versicherten übereinstimmend, daß der Junker mit dem Leben davon kommen würde. Die Sturmkappe hatte die Wucht des Hiebes so gemildert, daß der Schädel nur angeschlagen war. »Wir hätten die Kerle ihr Wesen treiben lassen sollen,« sagte der Diener. »Ein Landsknecht und ein Bäckerschwein, woll'n allezeit gemästet sein, dieweil sie niemals wissen nicht, wann man sie würgt und niedersticht. Ich sage Euch, Junker, der Landsknecht läßt vom Plündern so wenig wie die Katze vom Mausen. Das läßt nichts liegen als Mühlsteine und glühend Eisen.«

Kaspar Thedingsheim schnitt jetzt die Stricke entzwei, mit denen der Bauer noch immer an die Ulme gefesselt war. Der Mann fiel ihm zu Füßen und umklammerte seine Kniee. »Warum schlug er dich?« fragte der Junker.

»Sie wollten Geld haben, gnädiger Herr,« war die Antwort. »Ich schwur ihnen, daß ich alles, was ich besaß in der Lade hatte, die sie unter dem Heu auf dem Boden fanden, aber sie glaubten mir nicht.«

»Wir können jetzt schon um der Gewundeten willen nicht fort,« rief der von Kongota. »Bringt die in das Haus des Bauern und bettet sie so gut ihr könnt. Walter und 169 Fabian, ihr nehmt Fritz und den Schmarrhans mit und reitet, was die Pferde laufen können ins Lager. Erzählt dem von Bersohn, wie es uns hier ergangen ist und schickt so schnell ihr könnt einen Arzt oder einen Bader. Du, Werner, geleitest die Troßwagen hierher, damit wir wenigstens etwas in den Leib bekommen.«

Man suchte nun den Bauerhof auf, den die Landsknechte eben geräumt hatten. Auf dem Hof lag es wie Schnee, das waren die Federn der hier gerupften Gänse.

Die Livländer richteten sich auf dem Hof so gut ein, als es gehen wollte, und die Biertonnen aus den herbeischwankenden Troßwagen spendeten reichlich ihr erquickendes Naß. Nach und nach fanden sich auch die zersprengten Bauern wieder zusammen und berichteten mit Entsetzen von dem Treiben der Fremden. Die Verwundeten hatte man in der Bauerstube untergebracht, so daß sie nicht unter der Nachtkühle, die nach dem heißen Tage besonders empfindlich war, zu leiden hatten.

In dem Winkel, der durch Vereinigung von Memel und Muhs, den Quellflüssen der Semgaller Aa, gebildet wird, lag die feste Bauschkenburg und vor den Wällen des zu ihr gehörenden Hakelwerks hatte das kleine, nur 7000 Mann zählende Heer der Livländer sein Lager aufgeschlagen. Die Landsknechte, die Soldreiter und die Pflichtverwandten des Ordens einerseits, die Junker aus dem Erzstift und dem Stifte Dorpat anderseits, lagerten hier gesondert. Eine dritte Abteilung bildeten die Undeutschen, die »Bauernschützen.«

Als der Leutnant Evert Slatodts im Lager der 170 Landsknechte eingetroffen war, und über die Vorgänge am Nachmittage in seiner Weise Bericht erstattet hatte, erhob sich ein Sturm der Entrüstung und die Hauptleute mußten alle ihre Beredsamkeit aufbieten, um zu verhindern, daß die Landsknechte über die Junker herfielen. Nicht minder groß war die Empörung bei den Junkern, als die beiden Thedingsheim bei ihnen eintrafen. Auf das Getöse hin eilten die Ordensherren, an ihrer Spitze Christopher von der Leyen, herbei und es gelang ihnen durch Vermittelung Heinrichs von Thedingsheim auf Bersohn hier, und Josephs von Munden dort, wenigstens das äußerste zu verhüten. Beide Teile sollten am folgenden Morgen ihre Vertreter zum Koadjutor schicken und vor ihm und den Ordensgebietigern ihr Recht vertreten. Zugleich sollten je drei Ordensherren mit den entsprechenden Reisigen dem Fähnlein respektive den Thedingsheim entgegengeschickt werden, um sie ungefährdet ins Lager zu bringen.

Der Tumult hatte so lange gewährt, daß der ungeduldige Fürstenberg schon im Begriff war, sich an der Spitze einer buntzusammengerafften Schar ins Lager zu begeben, als Philipp Schall von Bell ihm endlich Bericht über die Vorgänge erstattete.

»So viel ich sehen kann,« sprach der Komtur, sobald er mit dem Koadjutor allein war, »liegen die Dinge so, daß der Fuchs es nicht fertig gebracht hat, die Gänse ruhig am Wege weiden zu sehen. Der Wolf aber hat gemeint, daß er allein ein Recht auf sie habe, und hat Reineke darüber am Kragen genommen. Nun waren aber der Füchse so viele, daß sie die Wölfe mit blutigem Fell heimschickten. Darüber kommen nun die einen und die anderen zum 171 Löwen. Die Füchse klagen über die Gänse, die den Handel angefangen und über die Wölfe, die ihn verdorben haben, die Wölfe nennen die Füchse Landstreicher, weil sie die Gänse, auf die sie allein ein Recht zu haben glauben, gewürgt.«

»Großer Gott,« rief Fürstenberg, »Ihr habt gut scherzen, aber was soll ich morgen thun? Entscheide ich für die Thedingsheim, so meutert der gemeine Landsknecht, halte ich es mit den Landsknechten, so habe ich die Thedingsheim, die Rosen und den ganzen Adel auf dem Halse. Kommt das dem Polen zu Ohren, – und wie soll es ihm verborgen bleiben, – so verlangt er, – Gott gebe – daß ich den verdammten Pfaffen auf dem eigenen Rücken wieder nach Kokenhusen tragen soll.«

»Gnädiger Herr,« versetzte Schall von Bell, »Ihr wißt, daß ich kein Freund der Thedingsheim bin. Diese Stiere sind längst zu groß geworden für unsern Stall und von den aufsässigen Junkern sind sie die schlimmsten. Könnten wir jetzt den Bullen bei den Hörnern fassen, weiß Gott niemand thäte es lieber als ich. Aber es geht nicht, und wir müssen uns fürs erste begnügen, einen neuen Schnitt für sie ins Kerbholz zu machen. Auf der anderen Seite will der Landsknecht angefaßt sein wie ein rohes Ei. Zöge er jetzt davon, so gereichte uns das zu ewigem Schaden. Die Euch feindliche Partei segelte dann mit dem Winde und Seine Königliche Majestät führte das Steuerruder. Ihr aber könntet dann den Erzbischof fußfällig um Verzeihung bitten, daß Ihr ihm das Verräterhandwerk so gründlich gelegt habt.«

»Nimmermehr,« brauste Fürstenberg auf.

»Nun, dann bleibt uns nichts übrig, als die Suppe so 172 langsam zu kochen, bis der eine und der andere den Geschmack daran verloren hat. Erwählt Ausschüsse aus Leuten, die nicht da sind, ernennt Schiedsrichter, die weit weg wohnen oder plötzlich verreisen müssen. Kommt es zum Schlagen, so helfen Euch vielleicht die polnischen Säbel aus aller Not, indem sie den Hauptmann oder den Junker unter die Erde bringen.«

Fürstenberg ging mit großen Schritten im Zimmer auf und nieder. »Ihr ratet gut,« sagte er, »das ist in der That der einzige Ausweg.«

Der Herrmeister verfuhr nach dem Rezept des Komtur. Er versprach den Landsknechten wie den Junkern strenges Gericht, er empfing den Hauptmann wie Bruno von Thedingsheim. Unglücklicherweise waren gerade die Ordensherren, die in diesem Fall die Untersuchung führen sollten, zur Zeit krank und mußten später in unaufschiebbaren Geschäften des Ordens verreisen. Genug, die Sache kam nicht aus der Stelle.

Jürgen Thedingsheim von Randen war auf die Nachricht von Eilhards Verwundung sogleich zu ihm geeilt. »Das kommt davon,« sagte er zu Jürgen Nötken, »wenn man sich in Dinge mischt, die einen nichts angehen. Es hätte gar nichts geschadet, wenn die Undeutschen gemerkt hätten, daß auch andere Leute mit der Peitsche in der Hand fahren. Übrigens beneide ich den Elert. Der Junge hat Glück und kommt selbst aus diesem Speckkriege mit einer Schmarre nach Hause, während wir anderen unsere Tage verbringen, wie Vogelscheuchen im Korn und nichts heimbringen werden als leere Beutel und allenfalls polnische Läuse. Ihr habt euch übrigens brav gehalten, und Bruno lobt euch wie der 173 Bäcker die Brezeln. Ich wünschte, ich könnte ihn auch loben, aber dieses Lob geht mir wider die Haare, denn er ist schuld, daß um der undeutschen Rüpel willen edles Blut von zusammengelaufenem Gesindel vergossen worden ist. Aber so ist er immer, weichmütig wie ein Mädchen und unbesonnen wie ein solches. Ja wenn es sich um unsere Bauern, oder wenigstens um die eines Junkers gehandelt hätte! Aber der ersten besten Schelme wegen sich und uns allen die Landsknechte auf den Hals zu ziehen! Na, ihr könnt mit dem Handel zufrieden sein! Die Mädchen werden euch zu Haufe ansehn wie St. Georg den Drachentöter!«

Am folgenden Tage traf Herr Kruse ein und nahm den Sohn mit sich nach Riga, wo er im Hause des Gastfreundes die aufopferndste Pflege fand. Die Wunde erwies sich als nicht gefährlich, aber sie erforderte immerhin, daß Eilhard allen Strapazen aus dem Wege ging. Noch ehe das Heer vor Bauske infolge der Vermittelung deutscher Fürsten und Städte in die Winterquartiere entlassen wurde, zog er in Begleitung des treuen Hans in langsamen Tagemärschen nach Hause. 174



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